GEMEINSAMER ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
6.10.2008
- –Laima Liucija Andrikienė Tunne Kelam, Eija-Riitta Korhola und John Bowis im Namen der PPE-DE-Fraktion
- –Michel Rocard, Véronique De Keyser, Maria Badia i Cutchet und Libor Rouček im Namen der PSE-Fraktion
- –Diana Wallis, Johannes Lebech, Kyösti Virrankoski, Bilyana Ilieva Raeva, Olle Schmidt und Danutė Budreikaitė im Namen der ALDE-Fraktion
- –Satu Hassi im Namen der Verts/ALE-Fraktion
- –Adam Bielan und Ryszard Czarnecki im Namen der UEN-Fraktion
- –ALDE (B6‑0523/2008)
- –PSE (B6‑0526/2008)
- –PPE-DE (B6‑0528/2008)
Entschließung des Europäischen Parlaments zu der Politik für den Arktischen Raum
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf das Internationale Polarjahr (von März 2007 bis März 2009),
– unter Hinweis auf die Achte Konferenz der Parlamentarier des Arktischen Raums, die vom 12. bis 14. August in Fairbanks/Alaska stattfand,
– unter Hinweis auf die in diesem Herbst zu erwartende Mitteilung der Kommission über die Politik für den Arktischen Raum,
– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zur Nördlichen Dimension (2003, 2005 und 2006),
– unter Hinweis auf die Ergebnisse des Berichts zur Bewertung der Auswirkungen auf das Klima des Arktischen Raums,
– gestützt auf Artikel 108 Absatz 5 seiner Geschäftsordnung,
A. unter Hinweis auf die am 10. Oktober 2007 veröffentlichte Mitteilung der Kommission „Eine integrierte Meerespolitik für die Europäische Union“ (das „Blaubuch“),
B. unter Hinweis auf das Strategiepapier des Hohen Vertreters und der Kommission für den Europäischen Rat vom 14. März 2008 zu dem Thema „Klimawandel und internationale Sicherheit“,
C. in der Erwägung, dass die geopolitische und strategische Bedeutung des Arktischen Raums zunimmt, was im August 2007 durch die Aufstellung einer russischen Flagge auf dem Meeresboden unter dem Nordpol symbolisiert worden ist,
D. unter Hinweis auf das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ), das vom Senat der USA noch nicht ratifiziert worden ist,
E. unter Hinweis darauf, dass vor Kurzem auf der Konferenz der Parlamentarier des Arktischen Raums gewählte Vertreter des Europäischen Parlaments, Kanadas, Dänemarks, Grönlands, Islands, Finnlands, Norwegens, Schwedens, Russlands und der Vereinigten Staaten zusammengekommen sind, um Probleme der Sicherheit auf See, der Gesundheitspolitik, des Umweltschutzes und der nachhaltigen Entwicklung zu erörtern,
F. unter Hinweis darauf, dass der Arktische Raum derzeit keinen multilateralen Rechtsnormen und Regeln unterliegt, weil zu keiner Zeit erwartet wurde, dass hier eine Schifffahrtsstrecke oder ein kommerziell nutzbarer Raum entstehen würde,
G. in der Erwägung, dass der Seeverkehr in arktischen Gewässern in den letzten Jahren exponentiell zugenommen hat, was durch das gestiegene Interesse an Offshore-Bohrungen, die immer häufigere Durchfahrt von Kreuzfahrtschiffen und die Aussichten, die die Nordwestpassage bietet, bedingt ist,
H. unter Hinweis darauf, dass möglicherweise etwa 20 % der unerschlossenen Erdöl- und Erdgasreserven der Welt auf den Arktischen Raum entfallen,
I. unter Hinweis auf die Ilulissat-Erklärung, die im Mai 2008 von den „A5-Staaten“ (Dänemark, Kanada, Norwegen, Russische Föderation und USA) verabschiedet wurde,
J. unter Hinweis auf die Abschlusserklärung des Vorsitzes der Konferenz mit dem Thema „The Arctic: Our Common Concern“, die am 9./10. September 2008 vom Nordischen Ministerrat in Ilulissat (Grönland) veranstaltet wurde und an der die Kommission uneingeschränkt teilgenommen hat,
K. unter Hinweis darauf, dass auf der genannten Konferenz auch der Klimawandel in diesem Raum, seine Auswirkungen auf die indigenen Bevölkerungen und die mögliche Anpassung an den Klimawandel als Schwerpunktthemen behandelt wurden,
L. unter Hinweis darauf, dass die Erderwärmung im Arktischen Raum weitaus schneller vor sich geht als in der übrigen Welt, bei einer Erwärmung um 2° C in den vergangenen 100 Jahren, weltweit dagegen im Schnitt nur um 0,6° C,
M. in der Erwägung, dass die Veränderungen der Klimabedingungen in der Arktis bereits ein derartiges Maß angenommen haben, dass die Inuit-Bevölkerung beispielsweise nicht mehr in der traditionellen Weise jagen kann, weil das Eis zu dünn für ihre Schlitten geworden ist, während Wildtiere wie Eisbären, Walrösser und Füchse vom Schwund eines großen Teils ihrer Lebensräume bedroht sind,
N. unter Hinweis darauf, dass zu den EU-Mitgliedstaaten drei Staaten des Arktischen Raums gehören und dass weitere zwei Staaten dieses Raums zu ihren engsten Nachbarn zählen, die über das EWR-Abkommen am Binnenmarkt teilhaben, sodass mehr als die Hälfte der Mitglieder des Arktischen Rates EU-Mitgliedstaaten bzw. assoziierte Länder sind,
1. erklärt sich zutiefst besorgt über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Nachhaltigkeitsbedingungen für die indigenen Bevölkerungen in diesem Raum unter dem Aspekt der allgemeinen Umweltsituation (schwindende Eiskappe, auftauender Permafrostboden, steigender Meeresspiegel, Überschwemmungen) und des natürlichen Lebensraums (der Schwund der Eisdecke schafft Probleme angesichts der Ernährungsweise der Eisbären) und betont, dass bei internationalen Entscheidungen über diese Probleme alle Bevölkerungsgruppen und Nationen des Arktischen Raums ohne Einschränkung beteiligt und berücksichtigt werden müssen;
2. weist darauf hin, dass die Lufttemperatur in der Arktis im 20. Jahrhundert um nahezu 5° C gestiegen ist und dass dieser Anstieg zehnmal so schnell vor sich geht wie bei dem gemessenen weltweiten Mittelwert der Oberflächentemperatur; betont, dass in der Arktis für die nächsten 100 Jahre eine zusätzliche Erwärmung um 4 bis 7° C vorhergesagt wird, und ist deshalb der Auffassung, dass die Zeit der Diagnose zu Ende und die Zeit zum Handeln gekommen ist;
3. betont, dass die Arten und die menschlichen Gesellschaften im Arktischen Raum hochspezialisierte Anpassungen an die harten Lebensbedingungen im Polargebiet erreicht haben, sodass sie extrem empfindlich gegenüber ausgeprägten Veränderungen dieser Bedingungen sind; hegt erhebliche Sorgen um Walrösser, Eisbären, Robben und andere Meeressäuger, die zum Ausruhen sowie zur Ernährung, Jagd und Fortpflanzung Meereis brauchen und die durch den Klimawandel besonders gefährdet sind;
4. begrüßt die Abschlusserklärung, die die Konferenz der Parlamentarier des Arktischen Raums am 14. August 2008 in Fairbanks verabschiedet haben;
5. begrüßt es, dass der hohe Norden Gegenstand der Politik der Europäischen Union für die Nördliche Dimension ist, ist jedoch davon überzeugt, dass das Bewusstsein von der Bedeutung der Arktis im weltweiten Kontext zusätzlich gestärkt werden muss, indem eine eigenständige Politik der EU für den Arktischen Raum geschaffen wird;
6. betont die Bedeutung, die die Arktis in dieser Hinsicht für das Weltklima hat, und gibt der Hoffnung Ausdruck, dass sich die gegenwärtige Unterstützung für Forschungstätigkeiten in diesem Raum über das Internationale Polarjahr hinaus fortsetzt;
7. sieht der angekündigten Mitteilung der Kommission über die Politik für den Arktischen Raum mit großem Interesse entgegen und gibt der Hoffnung Ausdruck, dass darin die Grundlagen für eine sinnvolle Arktis-Politik in der EU gelegt werden; fordert die Kommission auf, in ihrer Mitteilung mindestens folgende Themen zu behandeln:
- a)Sachstand bezüglich des Klimawandels in diesem Raum und der Anpassung an den Klimawandel,
- b)Politikoptionen, die den indigenen Bevölkerungsgruppen und ihren Lebensgrundlagen Rechnung tragen,
- c)die Notwendigkeit, mit unseren Nachbarn im Arktischen Raum in Bezug auf staatenübergreifende Probleme und insbesondere die Sicherheit auf See zusammenzuarbeiten,
- d)im Einzelnen Optionen für eine künftige staatenübergreifende politische oder rechtliche Struktur zu sondieren, mit der für den Schutz der Umwelt und eine nachhaltige, geregelte Entwicklung dieses Raums gesorgt oder bei politischer Uneinigkeit über die Ressourcen und die Schifffahrtsstrecken im hohen Norden vermittelt werden kann;
8. fordert die Kommission auf, die Energie- und Sicherheitspolitik im Arktischen Raum auf ihre Tagesordnung zu setzen und insbesondere in ihrer zu erwartenden Mitteilung über diesen Raum geeignete Themen und Verfahren für die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und den Staaten des Arktischen Raums vorzuschlagen, besonders in den Bereichen Klimawandel, nachhaltige Entwicklung, Energieversorgungssicherheit und Sicherheit auf See;
9. weist darauf hin, dass der Arktische Raum wegen seiner Wirkung auf das Weltklima und der einzigartigen Merkmale der dortigen Natur besondere Berücksichtigung verdient, wenn die Europäische Union ihre Position für das Rahmenübereinkommen über den Klimaschutz auf der 15. Vertragsstaatenkonferenz 2009 in Kopenhagen vorbereitet;
10. vertritt die Auffassung, dass für den Seeverkehr in diesem Raum (touristischer Verkehr und mit Offshore-Bohrungen zusammenhängender Verkehr) nicht einmal annähernd solche internationalen Mindestregeln für die Sicherheit gelten, die in sonstigen internationalen Gewässern üblich sind – sei es bezüglich des Schutzes menschlichen Lebens oder des Schutzes der Umwelt – und fordert die Kommission auf, möglichst bald für entsprechende Änderungen der Vorschriften der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) zu sorgen;
11. betont die externen Aspekte der Energiepolitik und die Rolle des Arktischen Raums im Zuge der Formulierung der Energiepolitik für Europa (EPE), die vom Europäischen Rat auf der Tagung im März 2007 vorgeschlagen wurde;
12. unterstützt das Anliegen des Arktischen Rates, den Arktischen Raum als Raum mit geringen politischen Spannungen zu erhalten, der für internationale Forschungszusammenarbeit offen ist, damit es möglich wird, in einem ökologisch nachhaltigen Rahmen ohne Einschränkung das Potential dieses Raums als künftiger Energie liefernder Raum zu erschließen;
13. fordert die Kommission auf, im Arktischen Raum vorausschauend tätig zu werden, indem sie zumindest als ersten Schritt den Beobachterstatus im Arktischen Rat annimmt, und ist der Auffassung, dass die Kommission eigens eine Arktis-Dienststelle einrichten sollte;
14. empfiehlt der Kommission, die Eröffnung internationaler Verhandlungen über die Verabschiedung eines internationalen Vertrags über den Schutz der Arktis vorzubereiten, der den Madrider Vertrag von 1993 über die Antarktis zum Vorbild hat, aber den grundlegenden Unterschied berücksichtigt, dass die Arktis besiedelt ist und demzufolge die Völkerschaften und Nationen des arktischen Raums Rechte und Bedürfnisse haben; ist jedoch der Auffassung, dass sich ein solcher Vertrag anfänglich zumindest auf die unbesiedelten und von keinem Land beanspruchten Gebiete inmitten des Arktischen Ozeans beziehen könnte;
15. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission, den Regierungen der Mitgliedstaaten, Norwegens, Islands, Russlands, Kanadas und der Vereinigten Staaten sowie den Akteuren im Rahmen der regionalen Zusammenarbeit zu übermitteln.