Gemeinsamer Entschließungsantrag - RC-B7-0504/2012Gemeinsamer Entschließungsantrag
RC-B7-0504/2012

GEMEINSAMER ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zur Lage der Migranten in Libyen

21.11.2012 - (2012/2879(RSP))

eingereicht gemäß Artikel 122 Absatz 5 und Artikel 110 Absatz 4 der Geschäftsordnung
anstelle der Entschließungsanträge der Fraktionen:
S&D (B7‑0504/2012)
ECR (B7‑0507/2012)
PPE (B7‑0516/2012)
Verts/ALE (B7‑0518/2012)
ALDE (B7‑0519/2012)

Bernd Posselt, Elmar Brok, Cristian Dan Preda, Filip Kaczmarek, Roberta Angelilli, Mario Mauro, Tunne Kelam, Eija-Riitta Korhola, Sergio Paolo Francesco Silvestris, Zuzana Roithová, Monica Luisa Macovei, Sari Essayah, Giovanni La Via, Laima Liucija Andrikienė, Elena Băsescu, Philippe Boulland, Eduard Kukan, Jean Roatta im Namen der PPE-Fraktion
Ana Gomes, Véronique De Keyser, Pier Antonio Panzeri, Pino Arlacchi, Joanna Senyszyn, Liisa Jaakonsaari im Namen der S&D-Fraktion
Marietje Schaake, Louis Michel, Edward McMillan-Scott, Sarah Ludford, Anneli Jäätteenmäki, Jelko Kacin, Johannes Cornelis van Baalen, Ivo Vajgl, Marielle de Sarnez, Kristiina Ojuland, Robert Rochefort, Hannu Takkula, Ramon Tremosa i Balcells, Izaskun Bilbao Barandica, Sonia Alfano, Annemie Neyts-Uyttebroeck im Namen der ALDE-Fraktion
Hélène Flautre, Franziska Katharina Brantner, Isabelle Durant, Barbara Lochbihler, Judith Sargentini, Malika Benarab-Attou, Rui Tavares, Nicole Kiil-Nielsen, Raül Romeva i Rueda im Namen der Verts/ALE-Fraktion
Charles Tannock, Geoffrey Van Orden im Namen der ECR-Fraktion

Verfahren : 2012/2879(RSP)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
RC-B7-0504/2012
Eingereichte Texte :
RC-B7-0504/2012
Angenommene Texte :

Entschließung des Europäischen Parlaments zur Lage der Migranten in Libyen

(2012/2680 (RSP))

Das Europäische Parlament,

–   unter Hinweis auf das Abkommen der Vereinten Nationen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1951 und das diesbezügliche Protokoll von 1967,

–   unter Hinweis darauf, dass Libyen am 25. April 1981 das Übereinkommen der Organisation für Afrikanische Einheit zur Regelung der spezifischen Aspekte der Flüchtlingsprobleme in Afrika ratifiziert hat,

–   unter Hinweis auf die Afrikanische Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker und deren Protokoll über die Einrichtung des Afrikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte und Rechte der Völker, die Libyen am 26. März 1987 bzw. am 19. November 2003 ratifiziert hat,

–   unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu Libyen, insbesondere seine Entschließung vom 15. September 2011[1],

–   unter Hinweis auf das ENP-Paket zu Libyen vom 15. Mai 2012,

–   unter Hinweis auf seine Entschließung vom 14. Juni 2012 zu den Menschenrechten und der Sicherheitslage in der Sahelzone[2],

–   in Kenntnis der Schlussfolgerungen des Rates „Auswärtige Angelegenheiten“ vom 23. Juli 2012,

–   unter Hinweis auf seine Entschließung vom 12. September 2012 zum Jahresbericht des Rates an das Europäische Parlament über die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik[3],

–   unter Hinweis auf die Erklärungen der Vizepräsidentin der Kommission/Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik zu Libyen vom 13. Juli 2012 und 3. November 2012 zu Libyen,

–   unter Hinweis auf den am 30. August 2012 angenommenen Bericht des Generalsekretärs über die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Libyen,

–   gestützt auf Artikel 122 Absatz 5 und Artikel 110 Absatz 4 seiner Geschäftsordnung,

A. in der Erwägung, dass Libyen im Juli 2012 auf bemerkenswert friedliche und geordnete Art und Weise seine ersten demokratischen und freien Wahlen abgehalten hat; in der Erwägung, dass das Land am 9. August 2012 den ersten friedlichen Machtübergang seiner Geschichte vom Nationalen Übergangsrat zum Allgemeinen Nationalkongress erlebt hat, der eine Verfassung verabschieden und weitere wesentliche legislative Reformen durchführen soll;

B.  in der Erwägung, dass die seit über 50 Jahren erste aus demokratischen Wahlen hervorgegangene libysche Regierung am 14. November 2012 ihren Amtseid abgelegt hat;

C. in der Erwägung, dass sich Libyen in einer postrevolutionären Zeit voller Herausforderungen befindet, angefangen von der Sicherheit (Abrüstung, Demobilisierung und Wiedereingliederung der revolutionären Milizen sowie Reform der nationalen Streitkräfte, Polizei, Grenztruppen und sonstiger staatlicher Sicherheitskräfte) über die nationale Aussöhnung, die Übergangsjustiz und die Durchsetzung der Rechtstaatlichkeit und der Achtung der Menschenrechte bis hin zur notwendigen Einleitung zahlreicher anderer Reformen von wesentlicher Bedeutung für den Aufbau demokratischer Institutionen und eines demokratischen Staates;

D. in der Erwägung, dass sich Libyen unter anderem im Gesundheits- und Bildungssektor, in der Landwirtschaft sowie bei Bewirtungs- und Reinigungsdiensten traditionell auf Wanderarbeitnehmer gestützt hat; in der Erwägung, dass Libyen immer noch eine wichtige Drehscheibe für Asylsuchende und Flüchtlinge ist, die vor Konflikten in Afrika, Asien und im Nahen Osten fliehen;

E.  in der Erwägung, dass die Fähigkeit der Behörden, die Ankunft von Menschen zu kontrollieren, die meist über die 4 378 km lange Landgrenze Libyens ins Land gelangen, äußerst begrenzt ist;

F.  in der Erwägung, dass während der Herrschaft von Oberst Gaddafi zwischen 1,5 und 2,5 Millionen Ausländer in Libyen gearbeitet haben; in der Erwägung, dass zahlreiche Migranten seit Beginn der Befreiung am 17. Februar 2011 in Söldnergruppen unter Gaddafis Herrschaft gezwungen wurden und ein großer Teil von ihnen nun ohne Gerichtsverfahren inhaftiert oder aus dem Land geflohen ist; in der Erwägung, dass nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration bis Ende November 2011 bereits etwa 800 000 Migranten aus Libyen in die Nachbarländer geflohen waren, viele von ihnen jedoch mittlerweile wieder zurückgekehrt bzw. neu angekommen sind;

G. in der Erwägung, dass Menschenrechtsverletzungen und –verstöße gegen Migranten, Asylsuchende und Flüchtlinge in Libyen an der Tagesordnung sind und dass Ausländer ohne Papiere weiterhin von Ausbeutung, Rassismus, willkürlichen Festnahmen, Verprügelungen und Folterung – selbst in Haft – bedroht sind;

H.  in der Erwägung, dass Ausländer in Libyen wegen des Sicherheitsvakuums, der Verbreitung von Waffen, des Fehlens einer nationalen Asylgesetzgebung und von Gesetzen für Wanderarbeitnehmer, des unzureichenden Justizsystems und einer schwachen Regierung immer noch in besonderem Maße Missbrauch ausgesetzt sind; in der Erwägung, dass ausländische Staatsangehörige, einschließlich schwangerer Frauen, Frauen mit jungen Kindern und unbegleitete Kinder zusammen mit Erwachsenen in einer Vielzahl von speziell für irreguläre Migranten angelegten Haftanstalten inhaftiert sind oder von den Milizen selbst festgehalten werden;

I.   in der Erwägung, dass in den jüngsten Berichten des Internationalen Bunds der Ligen für die Menschenrechte, Migreurop, Amnesty International und Justice Without Borders for Migrants, die sich auf eine Reihe von Untersuchungen in Libyen im Juni 2012 stützen, auf wiederholte Misshandlungen von Migranten in acht Haftanstalten in Kufra, Tripoli, Bengasi und im Nafusa-Gebirge hingewiesen wurde;

J.   in der Erwägung, dass Libyen das VN-Abkommen über die Rechtstellung der Flüchtlinge von 1951 noch nicht ratifiziert hat;

K. in der Erwägung, dass der UNHCR zwar jetzt in Libyen präsent ist, jedoch noch keinen Rechtsstatus besitzt;

L.  in der Erwägung, dass einige Mitgliedstaaten ihre Gespräche mit Libyen über die Kontrolle der Migration wieder aufgenommen haben;

M. in der Erwägung, dass eine voll funktionsfähige und demokratische Regierung in Libyen Voraussetzung für die Verhandlungen der EU, der Vereinten Nationen und anderer internationaler Partner über alle Kooperationsabkommen mit Libyen ist;

1.  begrüßt die Einsetzung der ersten libyschen Regierung, die ihre Legitimierung aus demokratischen Wahlen ableitet, und ermutigt die Mitglieder der Regierung, entschlossene Schritte zum Aufbau der Grundlagen demokratischer, rechenschaftspflichtiger und funktionierender staatlicher Strukturen in Libyen zu unternehmen; fordert alle internationalen Akteure, insbesondere die EU, auf, die libysche Regierung und den Allgemeinen Nationalkongress bei dieser gewaltigen Aufgabe zu unterstützen;

2.  fordert Libyen auf, Rechtsvorschriften in Einklang mit seinen internationalen Verpflichtungen zu erlassen, insbesondere hinsichtlich der Sicherstellung der Achtung der allgemeinen Menschenrechte; räumt jedoch ein, dass derartige Anstrengungen Zeit brauchen, wo die neugewählte Regierung doch erst vor kurzem ihren Amtseid geleistet hat; erkennt an, dass die Überwindung des verheerenden Vermächtnisses des unterdrückerischen Gaddafi-Regimes ein entschlossenes Vorgehen und eine angemessene Schulung erfordert, bis umfassend rechenschaftspflichtige und auf Rechten beruhende Rechts-, Justiz- und Sicherheitssysteme eingeführt sind;

3.  äußert sich besorgt über die derzeit besonders gefährdete Sicherheitslage und Menschenrechtssituation von Ausländern in Libyen, insbesondere von Menschen aus Ländern südlich der Sahara und Ostafrika, die Arbeit suchen oder politisches Asyl beantragen, sowie der immer noch inhaftierten Menschen; ist insbesondere über die Lebensbedingungen und die Behandlung von Migranten, die in Haftanstalten, insbesondere in Kufra, Tripoli, Bengasi und im Nafusa-Gebirge, inhaftiert sind;

4.  äußert seine tiefe Besorgnis über die extremen Haftbedingungen, denen Ausländer, darunter auch Frauen und Kinder, unterworfen sind – viele von ihnen sind Opfer sexueller und geschlechtsbezogener Gewalt –, und ist ebenfalls zutiefst darüber besorgt, dass sie keinen Zugang zu einem angemessenen Rechtsrahmen und Rechtsschutz haben und demzufolge auf unbestimmte Zeit inhaftiert bleiben und dass ihnen kein Rechtsbehelf gegen ihre Abschiebung zur Verfügung steht;

5.  legt den staatlichen Stellen Libyens nahe, alle ausländischen Staatsangehörigen, ungeachtet ihres aufenthaltsrechtlichen Status, vor Gewalt, Ausbeutung, Bedrohung, Einschüchterung und Missbrauch zu schützen;

6.  fordert die Regierung Libyens und den Allgemeinen Nationalkongress auf, Rechtsvorschriften zu erlassen und allen nationalen und lokalen Stellen Anweisungen zu erteilen, um eine faire Behandlung, die Nichtdiskriminierung und den notwendigen Schutz für alle Flüchtlinge, Asylsuchenden und Migranten zu gewährleisten, wobei besonderes Augenmerk auf die Sicherheit und die Rechte von Frauen und Kindern zu richten ist;

7.  erwartet von der neuen libyschen Regierung, dass sie das Abkommen der Vereinten Nationen über die Rechtstellung der Flüchtlinge von 1951 und das diesbezügliche Protokoll von 1967 unverzüglich ratifiziert und ein Asylrecht verabschiedet, das mit dem Völkerrecht und internationalen Standards in Einklang steht;

8.  fordert die neue libysche Regierung auf, dem UNHCR unverzüglich Rechtsstatus einzuräumen und seine Arbeit zu erleichtern; ruft zu einer engeren Zusammenarbeit zwischen der EU, dem UNHCR und anderen in die Lage nach Beendigung des Konflikts eingebundenen Organisationen der Vereinten Nationen auf;

9.  fordert die neue libysche Regierung auf, die Arbeit aller Organisationen zu erleichtern, die zum Schutz und zur Unterstützung von Asylsuchenden, Flüchtlingen und Migranten beitragen;

10. fordert Libyen auf, Rechtsvorschriften zur Regelung der Einreise und des Aufenthalts ausländischer Staatsangehöriger in das Land zu erlassen und auch ein funktionierendes Asylsystem zu schaffen; fordert die EU auf, ihren Nachbar Libyen dabei technisch und politisch zu unterstützen und auch Maßnahmen zur Verbesserung der derzeitigen Haftanstalten vorzusehen;

11. fordert Libyen auf, einen Rechtsstatus für Wanderarbeitnehmer in Libyen zu erlassen und ihnen umfassenden Schutz ihrer Menschenrechte, einschließlich der Arbeitnehmerrechte in Einklang mit den einschlägigen IAO-Normen zu gewähren;

12. fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, umsichtig vorzugehen, wenn sie künftige Kooperationsabkommen und Abkommen über die Migrationskontrolle mit der neuen libyschen Regierung aushandeln, und dafür zu sorgen, dass solche Abkommen auch wirksame Kontrollmechanismen für den Schutz der Menschenrechte von Migranten, Flüchtlingen und Asylsuchenden beinhalten;

13. fordert in Libyen tätige ausländische Unternehmen, insbesondere europäische Unternehmen, auf, als Grundsatz ihres gesamten Handelns stets ihrer sozialen Unternehmensverantwortung voll gerecht zu werden und für die Umsetzung der sozialen Unternehmensverantwortung insbesondere gegenüber Wanderarbeitnehmern zu sorgen;

14. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung der Vizepräsidentin der Kommission/Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, der libyschen Regierung und dem Allgemeinen Nationalkongress, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, der Arabischen Liga und der Afrikanischen Union zu übermitteln.