GEMEINSAMER ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zu Guantánamo: Gefangene im Hungerstreik
22.5.2013 - (2013/2601(RSP))
anstelle der Entschließungsanträge der Fraktionen:
Verts/ALE (B7‑0234/2013)
S&D (B7‑0236/2013)
ALDE (B7‑0239/2013)
GUE/NGL (B7‑0240/2013)
Véronique De Keyser, Ana Gomes, Joanna Senyszyn, María Muñiz De Urquiza, Pino Arlacchi, Libor Rouček, Liisa Jaakonsaari, Mitro Repo, Lidia Joanna Geringer de Oedenberg, Richard Howitt, Marc Tarabella, Antigoni Papadopoulou im Namen der S&D-Fraktion
Sophia in ‘t Veld, Marietje Schaake, Annemie Neyts-Uyttebroeck, Alexander Graf Lambsdorff, Louis Michel, Johannes Cornelis van Baalen, Ramon Tremosa i Balcells, Marielle de Sarnez, Graham Watson, Sonia Alfano, Sarah Ludford, Kristiina Ojuland, Izaskun Bilbao Barandica, Robert Rochefort, Hannu Takkula, Anneli Jäätteenmäki, Alexandra Thein im Namen der ALDE-Fraktion
Barbara Lochbihler, Hélène Flautre, Rui Tavares, Raül Romeva i Rueda, Carl Schlyter, Malika Benarab-Attou, Mark Demesmaeker, Nikos Chrysogelos, Catherine Grèze im Namen der Verts/ALE-Fraktion
Marie-Christine Vergiat, Marisa Matias, Alda Sousa im Namen der GUE/NGL-Fraktion
Laima Liucija Andrikienė, Bernd Posselt
Entschließung des Europäischen Parlaments zu Guantánamo: Gefangene im Hungerstreik
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf die internationalen Verträge über Menschenrechte und Grundfreiheiten und die diesbezüglichen Standards, insbesondere das absolute Verbot von Folter, Misshandlung, Verschwindenlassen und Massenhinrichtungen, das Recht, nicht ohne Gerichtsverfahren inhaftiert zu werden, und das Recht auf ein faires Verfahren,
– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu Guantánamo vom 11. September 2012 zu der behaupteten Beförderung und dem rechtswidrigen Festhalten von Gefangenen in europäischen Staaten durch die CIA: Weiterbehandlung des Berichts des TDIP-Ausschusses des EP[1], vom 18. April 2012 zur Lage der Menschenrechte in der Welt und über die Politik der Europäischen Union zu diesem Thema, einschließlich der Auswirkungen für die strategische Menschenrechtspolitik der EU[2], und vom 9. Juni 2011 zu Guantánamo: unmittelbar bevorstehende Entscheidung über ein Todesurteil[3],
– unter Hinweis auf die Erlasse von Präsident Obama vom 22. Januar 2009, in denen er die Schließung des Gefangenenlagers Guantánamo Bay bis zum 22. Januar 2010 angeordnet hatte,
– unter Hinweis auf die Gemeinsame Erklärung der EU und ihrer Mitgliedstaaten und der USA vom 15. Juni 2009 über die Schließung des Gefangenenlagers Guantánamo Bay sowie auf die Schlussfolgerungen der Tagung des Rates „Justiz und Inneres“ vom 4. Juni 2009 und den Mechanismus für den Informationsaustausch,
– unter Hinweis auf die Erklärung der Hohen Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte vom 5. April 2013,
– unter Hinweis auf die Erklärung des Leiters des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Peter Maurer, vom 11. April 2013, in der er seine Ablehnung der Zwangsernährung von im Massenhungerstreik befindlichen Gefangenen im Gefangenenlager Guantánamo Bay zum Ausdruck bringt und den Präsidenten Barack Obama auffordert, mehr zu tun, um die „unhaltbare“ rechtliche Notlage der dort festgehaltenen Gefangenen zu beheben,
– unter Hinweis auf den gemeinsamen offenen Brief vom 11. April 2013, der von 26 internationalen nichtstaatlichen Organisationen, die sich auf dem Gebiet der Menschenrechte engagieren, unterzeichnet wurde und in dem der US-Präsident dringend aufgefordert wird, das Gefangenenlager Guantánamo Bay gemäß seiner Zusage von 2009 zu schließen,
– gestützt auf die Artikel 122 Absatz 5 und Artikel 110 Absatz 4 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass eine große Gruppe von Gefangenen im Gefangenenlager Guantánamo Bay am 6. Februar 2013 in den Hungerstreik getreten ist, um gegen ihre Haftbedingungen und ihre fortdauernde Inhaftierung in Guantánamo zu protestieren; in der Erwägung, dass sich nach Angaben der Militärbehörden 100 Gefangene an dem Hungerstreik beteiligen, 29 zwangsernährt und fünf im Krankenhaus behandelt werden;
B. in der Erwägung, dass elf Jahre nach Einrichtung des Gefängnisses 86 der 166 Gefangenen, deren Entlassung bewilligt wurde, jedoch nach wie vor auf unbestimmte Zeit festgehalten werden, und dass nur sechs Personen angeklagt wurden;
C. in der Erwägung, dass beim US-Bezirksgericht für den Bezirk Columbia am 26. März 2013 ein Dringlichkeitsantrag eingereicht wurde, dem zufolge das Wachpersonal in Guantánamo Bay den Gefangenen sauberes Trinkwasser und ausreichende Kleidung verweigert hatte, um gegen den Hungerstreik vorzugehen;
D. in der Erwägung, dass in der gemeinsamen Erklärung der EU und der USA vom 15. Juni 2009 auf die Zusage von Präsident Obama hingewiesen wurde, das Gefangenenlager Guantánamo Bay bis zum 22. Januar 2010 zu schließen; in der Erwägung, dass jedoch die mit der Schließung von Guantánamo Bay beauftragte Behörde im Januar 2013 abgeschafft wurde und der Kongress bis heute alle Bemühungen der Regierung Obamas blockiert hat, Guantánamo Bay zu schließen; in der Erwägung, dass die US-Regierung mitgeteilt hat, dass sie sich weiterhin für die Schließung von Guantánamo einsetzt;
E. in der Erwägung, dass die Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte vom 5. April 2013 mitteilte, die andauernde unbefristete Inhaftierung vieler Gefangener könne als willkürliche Festnahme betrachtet werden und verstoße klar gegen die Zusagen [der USA], aber auch gegen das Völkerrecht und internationale Standards, die sie einhalten müssen, und dass sie die Schließung des Gefangenenlagers Guantánamo forderte;
F. in der Erwägung, dass es am 13. April 2013, kurz nach dem Besuch einer Delegation des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Wachpersonal und Gefangenen kam, bei denen nicht tödliche Schüsse fielen und improvisierte Waffen eingesetzt wurden, nachdem entschieden worden war, Gefangene von Camp 6 in das stärker isolierte Camp 5 zu verlegen;
G. in der Erwägung, dass Präsident Obama seine Haltung bekräftigt hat, wonach Guantánamo Bay „geschlossen werden” müsse, und er erklärt hat, dass das Gefangenenlager dem internationalen Ansehen der Vereinigten Staaten schade und Extremisten als Mittel zur Anwerbung von Gleichgesinnten diene;
H. in der Erwägung, dass Strafverteidiger und das IKRK die Verzweiflung der Gefangenen angesichts der fehlenden Aussicht auf Freilassung als einen wichtigen Grund für den Hungerstreik nennen, insbesondere nachdem Präsident Obama im Januar 2013 das Ermächtigungsgesetz zur Landesverteidigung („National Defense Authorization Act“, NDAA) verlängert hat, welches unter anderem Bestimmungen zur Beibehaltung von Guantánamo Bay in der absehbaren Zukunft vorsieht;
I. in der Erwägung, dass das NDAA es den Inhaftierten praktisch unmöglich macht, heimzukehren, da darin festgelegt ist, dass Gefangene nicht in ein Land zurückkehren dürfen, in dem die Gefahr besteht, dass die Fähigkeit der Regierung zur Kontrolle der zurückgekehrten Person voraussichtlich erheblich beeinträchtigt ist;
J. in der Erwägung, dass im Fall der fünf angeblichen „wichtigen Häftlinge“, für die bereits ein Verfahren läuft, die Vertraulichkeit der Verteidigung erheblich verletzt wurde, da Materialien und Tausende E-Mails von Computern verschwunden sind und Abhörvorrichtungen als Rauchmelder getarnt wurden; ferner in der Erwägung, dass der zuständige Richter die Verfahren infolgedessen auf unbestimmte Zeit verschoben hat; in der Erwägung, dass der leitende Verteidiger angeordnet hat, dass die Anwälte der Verteidigung für besonders wichtige und vertrauliche Arbeit keine Computer mehr verwenden;
K. in der Erwägung, dass es inzwischen nur noch eine zivile Flugverbindung nach Guantánamo gibt, die sehr starken Beschränkungen unterliegt, was den Zugang der Presse sowie von Rechtsanwälten und Menschenrechtsverteidigern zu dem Lager stark einschränkt;
1. nimmt die enge transatlantische Beziehung zur Kenntnis, die sich auf gemeinsame Kernwerte und die Achtung grundlegender universeller und nicht zur Disposition stehender Menschenrechte gründet – wie etwa das Recht auf ein faires Verfahren und das Verbot willkürlicher Inhaftierung; begrüßt die enge transatlantische Zusammenarbeit in einer großen Bandbreite internationaler Menschenrechtsfragen;
2. äußert seine Besorgnis um das Wohlergehen der im Hungerstreik befindlichen Gefangenen und derjenigen, die zwangsernährt werden, und äußert sich tief besorgt über den psychischen und körperlichen Zustand der Gefangenen, von denen einige Folter oder unmenschliche und erniedrigende Behandlung erfahren haben;
3. fordert die US-Behörden erneut auf, das Gefangenenlager Guantánamo Bay sofort zu schließen und den Einsatz von Folter und Misshandlung unter allen Umständen zu verbieten; fordert, dass diejenigen Insassen, die zur Entlassung freigegeben wurden, freigelassen und wieder in ihre Heimatländer zurückgeführt oder in andere Länder umgesiedelt werden und dass die übrigen Gefangenen vor einem Zivilgericht mit Standards für ein faires Verfahren angeklagt werden;
4. fordert, dass die US-Behörden eine unabhängige medizinische Untersuchung und Versorgung der Gefangenen gewährleisten, und unterstützt den Standpunkt des IKRK, das Zwangsernährung als Verletzung der grundlegenden Freiheiten des Einzelnen ablehnt; fordert die US-Behörden auf, sicherzustellen, dass die Anwälte der Gefangenen stets umfassend über die Entwicklungen im Zusammenhang mit der Gesundheit und dem Wohlergehen ihrer Mandanten informiert werden, und den Sachverständigen des UNHRC sowie den Medien angemessenen Zugang zu gewähren;
5. stimmt der Hohen Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte darin zu, dass es gemäß Völkerrecht keine Straffreiheit für Terrorakte, Straftaten oder Gräueltaten geben darf, dass die Menschenrechte hingegen universellen Charakter haben und für alle Menschen gelten, auch für Menschen, die schwerster Verbrechen verdächtig sind, und dass Menschen, die nicht in Freiheit leben, menschenwürdig unter Achtung der ihnen innewohnenden Würde behandelt werden müssen;
6. hebt hervor, dass die andauernde Inhaftierung dieser Männer ohne Anklage oder Verfahren gegen die fundamentalen Grundsätze der Gerechtigkeit verstößt; hebt ferner hervor, dass die willkürliche Inhaftierung klar gegen das Völkerrecht verstößt und dass dies die Position der Vereinigten Staaten als Hüter der Menschenrechte schwer schädigt;
7. äußert sich tief besorgt angesichts der weiterhin bestehenden Hindernisse, die durch das NDAA für die Schließung des Gefangenenlagers und für die Anklage der Gefangenen vor zivilen Gerichten, sofern dies gerechtfertigt ist, bzw. für ihre Freilassung entstanden sind; vertritt die Auffassung, dass diejenigen Gefangenen in Guantánamo, gegen die Anklage erhoben wurde, ein Verfahren vor zivilen Gerichten erhalten sollten, insbesondere da die Militärkommissionen nicht den internationalen Standards für ein faires Verfahren entsprechen;
8. fordert Präsident Obama nachdrücklich auf, einen Mitarbeiter des Weißen Hauses damit zu betrauen, bei der Rückführung bzw. Umsiedlung von Gefangenen, deren Haftentlassung genehmigt wurde, behilflich zu sein;
9. erinnert die Mitgliedstaaten an ihre Bereitschaft, die Vereinigten Staaten bei der Schließung von Guantánamo zu unterstützen, und fordert die Vizepräsidentin der Kommission / Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, eine gemeinsame Initiative der Mitgliedstaaten zu koordinieren, in der der US-Präsident nachdrücklich zum Handeln aufgefordert wird, und in der sie sich bereit erklären, weitere Gefangene aus Guantánamo in Europa aufzunehmen, insbesondere die zwölf Gefangenen, deren Haftentlassung bewilligt wurde und die nicht in ihre Heimatländer zurückkehren können;
10. erinnert außerdem an die Bereitschaft der Vereinigten Staaten, die Kosten, die den Mitgliedstaaten der EU im Zusammenhang mit der Aufnahme ehemaliger Gefangener entstehen, teilweise zu übernehmen, wie es in der gemeinsamen Erklärung der EU und der Vereinigten Staaten vom 15. Juni 2009 festgelegt wurde, und fordert die US-Regierung auf, ihre Verantwortung zur Unterstützung ehemaliger Gefangener nicht nur bei der Umsiedlung, sondern auch danach wahrzunehmen;
11. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Präsidenten der USA, dem Kongress und dem Senat der USA, dem Außenminister der USA, der Behörde für Militärkommissionen, der Vizepräsidentin der Kommission / Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, dem Rat, der Kommission, den Regierungen und Parlamenten der EU-Mitgliedstaaten, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, der Hohen Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, dem Präsidenten der Generalversammlung der Vereinten Nationen und den Regierungen der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen zu übermitteln.
- [1] Angenommene Texte, P7_TA(2012)0309.
- [2] Angenommene Texte, P7_TA(2012)0126.
- [3] ABl. C 380 E vom 11.12.2012, S. 132.