GEMEINSAMER ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zur Freiheit der Meinungsäußerung in der Türkei im Zusammenhang mit den aktuellen Festnahmen von Journalisten und führenden Medienvertretern und dem systematischen Druck auf die Medien
14.1.2015 - (2014/3011(RSP))
anstelle der Entschließungsanträge der Fraktionen:
S&D (B8‑0036/2015)
EFDD (B8‑0040/2015)
ALDE (B8‑0041/2015)
Verts/ALE (B8‑0042/2015)
PPE (B8‑0043/2015)
GUE/NGL (B8‑0044/2015)
ECR (B8‑0045/2015)
Renate Sommer, Cristian Dan Preda, Arnaud Danjean, Jacek Saryusz-Wolski, Elmar Brok, Andrej Plenković, Tunne Kelam, David McAllister, Philippe Juvin, Michael Gahler, Michaela Šojdrová, Barbara Matera, Davor Ivo Stier, Claude Rolin, Dubravka Šuica, Giovanni La Via, Pascal Arimont, Ivana Maletić, Lara Comi, József Nagy im Namen der PPE-Fraktion
Kati Piri, Knut Fleckenstein, Victor Boștinaru, Richard Howitt, Alessia Maria Mosca, Eugen Freund, Goffredo Maria Bettini, Alessandra Moretti, Liisa Jaakonsaari, Sorin Moisă, Tonino Picula, Javi López, Marlene Mizzi, Nicola Caputo, Pier Antonio Panzeri, Michela Giuffrida, Tanja Fajon, Miroslav Poche, Victor Negrescu, Neena Gill, Andrejs Mamikins, David Martin, Vincent Peillon, Soraya Post, Elena Valenciano im Namen der S&D-Fraktion
Charles Tannock, Mark Demesmaeker, Angel Dzhambazki, Branislav Škripek im Namen der ECR-Fraktion
Alexander Graf Lambsdorff, Johannes Cornelis van Baalen, Marietje Schaake, Ramon Tremosa i Balcells, Beatriz Becerra Basterrechea, Ivan Jakovčić, Jozo Radoš, Petr Ježek, Ivo Vajgl, Louis Michel, Gérard Deprez, Pavel Telička, Fredrick Federley, Petras Auštrevičius im Namen der ALDE-Fraktion
Takis Hadjigeorgiou, Patrick Le Hyaric, Curzio Maltese, Marie-Christine Vergiat, Dimitrios Papadimoulis, Georgios Katrougkalos, Kostadinka Kuneva, Kostas Chrysogonos, Neoklis Sylikiotis im Namen der GUE/NGL-Fraktion
Ska Keller, Ernest Maragall, Rebecca Harms, Bodil Ceballos, Judith Sargentini im Namen der Verts/ALE-Fraktion
Fabio Massimo Castaldo, Ignazio Corrao, Marco Affronte, Daniela Aiuto, Dario Tamburrano, Rolandas Paksas im Namen der EFDD-Fraktion
Entschließung des Europäischen Parlaments zur Freiheit der Meinungsäußerung in der Türkei im Zusammenhang mit den aktuellen Festnahmen von Journalisten und führenden Medienvertretern und dem systematischen Druck auf die Medien
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zur Türkei,
– unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates (Allgemeine Angelegenheiten) vom 16. Dezember 2014,
– unter Hinweis auf die Erklärung des Menschenrechtskommissars des Europarates vom 15. Dezember 2014,
– unter Hinweis auf die gemeinsame Erklärung der Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsidentin der Kommission und des für die Europäische Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen zuständigen Mitglieds der Kommission vom 14. Dezember 2014,
– unter Hinweis auf den Fortschrittsbericht 2014 vom 8. Oktober 2014 über die Türkei,
– unter Hinweis auf das Strategiepapier für die Türkei (2014–2020) der Kommission vom 26. August 2014,
– unter Hinweis auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1996, insbesondere Artikel 19,
– gestützt auf Artikel 123 Absätze 2 und 4 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass die türkische Polizei am 14. Dezember 2014 Journalisten und führende Medienvertreter festgenommen hat, darunter auch den Chefredakteur der türkischen Tageszeitung Zaman, Ekrem Dumanlı, und den Geschäftsführer des türkischen Rundfunkunternehmens Samanyolu TV, Hidayet Karaca; in der Erwägung, dass in einem von einem Richter in Istanbul ausgestellten Haftbefehl festgestellt wird, dass gegen diese Personen strafrechtliche Ermittlungen wegen der Bildung einer Organisation durchgeführt würden, die „mittels Druck, Einschüchterungen und Drohungen versucht habe, die staatliche Macht zu übernehmen“, und dabei auf „Lügen, Freiheitsentzug gegenüber Personen und Fälschung von Dokumenten“ zurückgegriffen habe;
B. in der Erwägung, dass einige der im Dezember 2014 festgenommenen Personen freigelassen wurden; in der Erwägung, dass ein Gericht in Istanbul am 19. Dezember 2014 bekannt gegeben hat, dass Ekrem Dumanlı unter Bewährungsauflagen und mit einem Reiseverbot bis zum Abschluss der strafrechtlichen Ermittlungen entlassen werde, dass Hidayet Karaca allerdings bis zum Abschluss der strafrechtlichen Ermittlungen weiterhin inhaftiert bleibt; in der Erwägung, dass ein Gericht in Istanbul am 31. Dezember 2014 den Einspruch eines Staatsanwalts gegen die Entlassung von Ekrem Dumanlı und sieben weiteren Personen zurückgewiesen hat;
C. in der Erwägung, dass die Reaktion der Regierung auf die Korruptionsvorwürfe im Dezember 2013 erhebliche Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz aufkommen lässt und die zunehmende Intoleranz gegenüber politischer Opposition, öffentlichem Protest und kritischen Medien gezeigt hat;
D. in der Erwägung, dass sich in der Türkei bereits sehr viele Journalisten in Haft befinden bzw. auf ein Gerichtsverfahren warten, und dass der Druck gegen Medien, auch gegen Inhaber und Geschäftsführer von Medienunternehmen sowie gegen Online-Plattformen und soziale Medien im Internet, in den letzten Jahren zugenommen hat; in der Erwägung, dass einschüchternde Erklärungen von Politikern und gegen kritische Journalisten eingeleitete Verfahren in Verbindung mit der Eigentumsstruktur in der Medienbranche zu weit verbreiteter Selbstzensur durch die Inhaber von Medienunternehmen und Journalisten und zu Entlassungen von Journalisten geführt haben; in der Erwägung, dass die türkische Regierung Journalisten hauptsächlich aufgrund des türkischen Gesetzes zur Bekämpfung des Terrorismus und der Artikel des Strafgesetzbuches über „terroristische Organisationen“ anklagt;
E. in der Erwägung, dass die niederländische Korrespondentin Frederike Geerdink am 6. Januar 2015 in Diyarbakır festgenommen, von der Polizei verhört und am selben Tag wieder freigelassen wurde, nachdem sich der niederländische Außenminister eingeschaltet hatte, der der Türkei zu diesem Zeitpunkt einen Besuch abstattete, und dass am 7. Januar 2015 ein weiterer niederländischer Journalist, Mehmet Ülger, bei seiner Ankunft am Flughafen von Istanbul festgenommen, auf einer Polizeiwache verhört und im späteren Verlauf des Tages wieder freigelassen wurde;
F. in der Erwägung, dass die Achtung der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte, zu denen auch das Recht auf freie Meinungsäußerung gehört, das Kernstück des europäischen Wertesystems bilden, zu dessen Wahrung sich die Türkei durch ihren Antrag auf EU‑Mitgliedschaft und die damit verbundenen Verhandlungen sowie durch ihre Mitgliedschaft im Europarat offiziell verpflichtet hat;
G. in der Erwägung, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten die Festnahmen, die am 14. Dezember 2014 stattfanden, scharf kritisiert und erklärt haben, dass sie „nicht mit den europäischen Werten vereinbar“ und „nicht mit der Medienfreiheit vereinbar“ seien; in der Erwägung, dass Präsident Erdoğan die Kritik vonseiten der EU entschieden zurückgewiesen hat;
1. verurteilt die Polizeirazzien der jüngsten Zeit und die Festnahme von mehreren Journalisten und führenden Medienvertretern am 14. Dezember 2014 in der Türkei; betont, dass durch diese Maßnahmen die Achtung der Rechtsstaatlichkeit und der Freiheit der Medien, die ein Grundprinzip der Demokratie ist, in Frage gestellt wird;
2. erinnert daran, dass eine freie und pluralistische Presse, ebenso wie angemessene Verfahren, die Unschuldsvermutung und richterliche Unabhängigkeit, ein wesentlicher Bestandteil jeder Demokratie sind; betont daher, dass es in Bezug auf die jüngste Runde der Verhaftungen in allen Fällen notwendig ist, (a) umfassend und transparent über die Vorwürfe gegen die Angeklagten zu informieren, (b) den Angeklagten vollständige Einsichtnahme in belastende Beweismittel und alle Rechte der Verteidigung zu gewähren sowie (c) für eine ordnungsgemäße Bearbeitung der Fälle zu sorgen, um die Richtigkeit der Anschuldigungen ohne Verzögerungen und jenseits jeden vernünftigen Zweifels festzustellen; weist die türkischen Staatsorgane erneut darauf hin, dass beim Umgang mit den Medien und mit Journalisten mit äußerster Sorgfalt vorzugehen ist, da die freie Meinungsäußerung und die Medienfreiheit für die Funktionsfähigkeit einer demokratischen und offenen Gesellschaft von zentraler Bedeutung sind;
3. ist besorgt über die Rückschritte bei demokratischen Reformen und insbesondere über die abnehmende Toleranz der Regierung gegenüber öffentlichem Protest und kritischen Medien; stellt in diesem Zusammenhang fest, dass die Festnahmen vom 14. Dezember 2014 in ein beklagenswertes Muster von erhöhtem Druck auf Presse und Medienunternehmen, darunter auch soziale Medien und Foren im Internet, und von Einschränkungen fallen; stellt fest, dass die Verbote von Websites in der Türkei ein unverhältnismäßiges Ausmaß angenommen haben; bedauert die hohe Anzahl an Journalisten, die sich in Untersuchungshaft befinden, wodurch sie effektiv bestraft werden, und fordert die türkischen Justizbehörden auf, diese Fälle so bald wie möglich zu prüfen und zu bearbeiten;
4. fordert die Türkei nachdrücklich auf, an Reformen zu arbeiten, die für angemessene gegenseitige Kontrollen sorgen sollten und durch die den Bürgern die uneingeschränkte Wahrnehmung von Freiheiten – wie Gedankenfreiheit, Freiheit der Meinungsäußerung und der Medien, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der Menschenrechte – garantiert wird;
5. betont, dass die Pressefreiheit und die Achtung demokratischer Werte für den Erweiterungsprozess der EU wichtig sind; betont, dass die freie Meinungsäußerung und die Medienfreiheit weiterhin durch eine Reihe von Bestimmungen der türkischen Rechtsordnung und deren Auslegung durch Angehörige der Justiz eingeschränkt werden; weist erneut darauf hin, dass die freie Meinungsäußerung und der Medienpluralismus ein Kernstück der europäischen Werte bilden und dass eine unabhängige Presse für eine demokratische Gesellschaft von grundlegender Bedeutung ist, da sie die Bürger dazu befähigt, sich aktiv und gut informiert an den Beschlussfassungsverfahren zu beteiligen, und sie deswegen die Demokratie festigt; fordert die Regierung der Türkei in diesem Zusammenhang nachdrücklich auf, die Medienfreiheit als vorrangige Angelegenheit zu betrachten und einen angemessenen Rechtsrahmen zu schaffen, durch den der Pluralismus entsprechend den internationalen Standards garantiert wird; fordert, das Ausüben von Druck und die Einschüchterung von kritischen Unternehmen und Journalisten zu unterlassen;
6. stellt fest, dass im Aktionsplan zur Verhinderung von Verstößen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention nicht die Überarbeitung aller einschlägigen Vorschriften des Gesetzes zur Bekämpfung des Terrorismus oder des Strafgesetzbuches, die zur Beschränkung der Freiheit der Meinungsäußerung angewendet wurden, vorgesehen ist; betont, dass die notwendige Reform dieser Gesetze eine vorrangige Angelegenheit ist;
7. betont, dass – wie den Schlussfolgerungen des Rates vom 16. Dezember 2014 zu entnehmen ist – mit dem Instrument für Heranführungshilfe (IPA II) für den Zeitraum 2014–2020 mehr Kohärenz zwischen der finanziellen Unterstützung und dem Gesamtfortschritt bei der Umsetzung der Heranführungsstrategie eingeführt werden soll, wozu auch die uneingeschränkte Achtung der Grundrechte und Grundfreiheiten gehört;
8. fordert, dass unabhängigen Medien im Rahmen des Instruments für Heranführungshilfe mehr Aufmerksamkeit zuteil wird; betont in diesem Zusammenhang außerdem, dass es wichtig ist, auch zivilgesellschaftliche Organisationen zu unterstützen, da nur eine transparente und gut funktionierende Zivilgesellschaft Vertrauen zwischen den einzelnen Komponenten einer lebendigen und demokratischen Gesellschaft aufbauen kann;
9. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der Vizepräsidentin der Kommission und Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und der Regierung und dem Parlament der Türkei zu übermitteln.