GEMEINSAMER ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zu den Fällen des Nobelpreisträgers Liu Xiaobo und von Lee Ming-che
5.7.2017 - (2017/2754(RSP))
anstelle der Entschließungsanträge der Fraktionen:
Verts/ALE (B8-0459/2017)
S&D (B8-0460/2017)
ALDE (B8-0461/2017)
ECR (B8-0462/2017)
PPE (B8-0463/2017)
Cristian Dan Preda, Michaela Šojdrová, Sandra Kalniete, David McAllister, Mairead McGuinness, Elmar Brok, José Ignacio Salafranca Sánchez-Neyra, Patricija Šulin, Jarosław Wałęsa, Ivan Štefanec, Luděk Niedermayer, Tomáš Zdechovský, Jaromír Štětina, Pavel Svoboda, Agnieszka Kozłowska-Rajewicz, Milan Zver, Dubravka Šuica, Sven Schulze, Elisabetta Gardini, Krzysztof Hetman, Claude Rolin, Brian Hayes, Joachim Zeller, Eduard Kukan, Lefteris Christoforou, Adam Szejnfeld, Bogdan Brunon Wenta, Romana Tomc, Roberta Metsola, Jiří Pospíšil, Csaba Sógor, Marijana Petir, Tunne Kelam, Seán Kelly, Stanislav Polčák, Željana Zovko, Ivana Maletić, Andrey Kovatchev, Laima Liucija Andrikienė, László Tőkés, Anna Záborská, Lars Adaktusson, Elżbieta Katarzyna Łukacijewska, Inese Vaidere im Namen der PPE-Fraktion
Elena Valenciano, Soraya Post im Namen der S&D-Fraktion
Charles Tannock, Karol Karski, Ryszard Antoni Legutko, Ryszard Czarnecki, Hans-Olaf Henkel, Anna Elżbieta Fotyga, Bas Belder, Branislav Škripek, Ruža Tomašić im Namen der ECR-Fraktion
Hilde Vautmans, Petras Auštrevičius, Beatriz Becerra Basterrechea, Izaskun Bilbao Barandica, Gérard Deprez, Martina Dlabajová, Fredrick Federley, Nathalie Griesbeck, Marian Harkin, Ivan Jakovčić, Petr Ježek, Ilhan Kyuchyuk, Louis Michel, Urmas Paet, Maite Pagazaurtundúa Ruiz, Jozo Radoš, Marietje Schaake, Pavel Telička, Ramon Tremosa i Balcells, Ivo Vajgl, Johannes Cornelis van Baalen, Cecilia Wikström, Filiz Hyusmenova im Namen der ALDE-Fraktion
Helga Trüpel, Reinhard Bütikofer, Ulrike Lunacek, Heidi Hautala, Barbara Lochbihler, Ernest Urtasun, Jordi Solé, Igor Šoltes, Davor Škrlec, Bronis Ropė, Tamás Meszerics im Namen der Verts/ALE-Fraktion
Fabio Massimo Castaldo, Ignazio Corrao, Isabella Adinolfi im Namen der EFDD-Fraktion
Entschließung des Europäischen Parlaments zu den Fällen des Nobelpreisträgers Liu Xiaobo und von Lee Ming-che
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf seine vorangegangenen Entschließungen zur Lage in China, insbesondere die Entschließung vom 21. Januar 2010 zu Menschenrechtsverletzungen in China, insbesondere zum Fall Liu Xiaobo[1], vom 14. März 2013 zu den Beziehungen zwischen der EU und China[2] und vom 12. März 2015 zum Jahresbericht 2013 über Menschenrechte und Demokratie in der Welt und die Politik der Europäischen Union in diesem Bereich[3],
– unter Hinweis auf die Erklärung der Vizepräsidentin der Kommission und Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, vom 30. Juni 2017 zum Zustand von Liu Xiaobo,
– unter Hinweis auf die 35. Dialogrunde zwischen der EU und China zum Thema Menschenrechte am 22. und 23. Juni 2017 in Brüssel und auf die Erklärung des Vorsitzenden des Unterausschusses Menschenrechte (DROI) anlässlich dieses Dialogs,
– unter Hinweis auf das Gipfeltreffen EU-China am 1. und 2. Juni 2017 in Brüssel,
– unter Hinweis auf die Erklärung der Europäischen Union auf der 34. Tagung des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen (UNHRC) am 14. März 2017,
– unter Hinweis auf die Erklärung des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) vom 9. Dezember 2016 zum Internationalen Tag der Menschenrechte,
– unter Hinweis auf die 2003 begründete strategische Partnerschaft zwischen der EU und China und auf die gemeinsame Mitteilung der Kommission und des EAD vom 22. Juni 2016 an das Europäische Parlament und den Rat mit dem Titel „Elemente für eine neue China-Strategie der EU“,
– unter Hinweis auf die „Charta 08“, ein Manifest, das von mehr als 350 politisch engagierten Bürgern Chinas sowie Wissenschaftlern und Menschenrechtsverfechtern des Landes verfasst wurde, das Forderungen nach Reformen in Gesellschaft, Justiz und Regierung enthält und das am 10. Dezember 2008, dem 60. Jahrestag der Annahme der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, veröffentlicht wurde,
– unter Hinweis auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966,
– gestützt auf Artikel 135 Absatz 5 und Artikel 123 Absatz 4 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass der prominente chinesische Publizist und Menschenrechtsverfechter Liu Xiaobo in den vergangenen 30 Jahren vier Mal eine Gefängnisstrafe verbüßen musste; in der Erwägung, dass er 2009 wegen der „Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt“ eine elfjährige Freiheitsstrafe antreten musste, nachdem er sich an der Formulierung eines unter dem Namen „Charta 08“ bekannten Manifests beteiligt hatte; in der Erwägung, dass es Liu Xiaobo bei dem Strafverfahren gegen ihn nicht gestattet war, sich in dem Gerichtsverfahren vertreten zu lassen oder selbst vor Gericht aufzutreten, und dass Diplomaten aus über zehn Staaten, darunter mehrere EU-Mitgliedstaaten, während des gesamten Prozesses der Zutritt zum Gericht verwehrt wurde;
B. in der Erwägung, dass sich Liu Xiaobos Ehefrau, Liu Xia, obwohl keine Anklage gegen sie erhoben wurde, unter Hausarrest gestellt wurde, nachdem ihr Ehemann 2010 den Friedensnobelpreis erhalten hatte, und sie seitdem außer mit nahen Verwandten und einigen Freunden nahezu keine zwischenmenschlichen Kontakte pflegen darf;
C. in der Erwägung, dass das Nobelpreiskomitee Liu Xiaobo am 8. Oktober 2010 den Friedensnobelpreis in Anerkennung seines „langen und gewaltlosen Kampfes für fundamentale Menschenrechte in China“ verliehen hat;
D. in der Erwägung, dass Liu Xiaobo vor kurzem aus einem Gefängnis in der nordöstlichen Provinz Liaoning in ein Krankenhaus in der Provinzhauptstadt Shenyang verlegt worden ist, wo er wegen seines ernsten Gesundheitszustands behandelt wird, nachdem bei ihm Leberkrebs im Endstadium festgestellt worden ist;
E. in der Erwägung, dass die chinesischen staatlichen Stellen die Anträge von Liu Xiaobo und seiner Ehefrau, sich im Ausland behandeln zu lassen bzw. in seine Wohnung in Peking gebracht zu werden, abgelehnt haben;
F. in der Erwägung, dass 154 Nobelpreisträger in einem gemeinsamen Schreiben an den Präsidenten der Volksrepublik China vom 29. Juni 2017 die chinesische Regierung gedrängt haben, Liu Xiaobo und seiner Ehefrau die Ausreise zwecks medizinischer Behandlung zu erlauben;
G. in der Erwägung, dass der renommierte taiwanische Demokratieverfechter Lee Ming-che, der für sein Menschenrechtsengagement in den sozialen Medien bekannt ist, verschwunden ist, nachdem er von Macau nach Zhuhai in der chinesischen Provinz Guangdong (Kanton) gereist war; in der Erwägung, dass das Büro für taiwanische Angelegenheiten der Volksrepublik China auf einer Pressekonferenz bestätigt hat, dass Lee Ming-che in Haft genommen wurde und man Ermittlungen wegen des Verdachts der „Beteiligung an die nationale Sicherheit gefährdenden Handlungen“ gegen ihn eingeleitet hat;
H. in der Erwägung, dass die chinesischen Staatsorgane bislang keine stichhaltigen Beweise für die gegen ihn erhobenen schweren Anschuldigungen präsentiert haben; in der Erwägung, dass die Festnahme von Lee Ming-che zu einem Zeitpunkt erfolgte, als sich die Beziehungen zwischen China und Taiwan zusehends verschlechterten; in der Erwägung, dass Lee Ming-che seine Freunde in China über Internetplattformen, die von der chinesischen Regierung misstrauisch beäugt und kontrolliert werden, immer wieder mit Informationen über die demokratische politische Kultur in Taiwan versorgte;
I. in der Erwägung, dass China bei der Verwirklichung der wirtschaftlichen und sozialen Rechte in den vergangenen Jahren Fortschritte erzielt hat, wobei das Recht der Bürger auf ein auskömmliches Leben im Vordergrund steht, wohingegen sich die Menschenrechtslage in dem Land seit 2013 kontinuierlich verschlechtert und die Regierung eine immer feindlichere Haltung gegenüber friedlichen abweichenden Stimmen, der Rechtsstaatlichkeit sowie der Meinungs- und Religionsfreiheit einnimmt, wofür auch der aktuelle Fall des Bischofs Peter Shao Zhumin ein Beleg ist, der am 18. Mai 2017 gezwungen wurde, seine Diözese in Wenzhou zu verlassen;
J. in der Erwägung, dass die chinesische Regierung neue Gesetze erlassen hat, wovon insbesondere das Gesetz über die Sicherheit des Staates, das Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus, das Gesetz zur Internetsicherheit und das Gesetz zur Regulierung ausländischer nichtstaatlicher Organisationen zu nennen wären, die unter dem Vorwurf, die Sicherheit des Staates zu gefährden, zur strafrechtlichen Verfolgung von Menschen missbraucht werden, die sich an öffentlichen Aktionen beteiligen und gewaltfreie Kritik an der Regierung üben; in der Erwägung, dass außerdem die Zensurmaßnahmen verschärft werden, die Überwachung und Kontrolle von Bürgern und gesellschaftlichen Gruppen zunimmt, was eine abschreckende Wirkung haben soll, damit sie sich nicht weiter für die Menschenrechte und rechtsstaatliche Verhältnisse einsetzen;
K. in der Erwägung, dass die griechische Regierung es vergangenen Monat abgelehnt hat, sich einer EU-Erklärung anzuschließen, in der das massive Vorgehen gegen politisch engagierte Bürger und Dissidenten in China beanstandet wurde, die am 15. Juni 2017 dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf unterbreitet werden sollte; in der Erwägung, dass die Europäische Union somit zum ersten Mal keine derartige Erklärung vor dem höchsten Menschenrechtsgremium der Vereinten Nationen abgegeben hat;
L. in der Erwägung, dass die Förderung und Achtung der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit auch künftig m Mittelpunkt der langjährigen Beziehungen zwischen der EU und China stehen sollten, was im Einklang mit der Verpflichtung der EU, diesen Werten in ihrem auswärtigen Handeln Rechnung zu tragen, und mit Chinas ausdrücklichem Interesse steht, dieselben Werte im Rahmen seiner eigenen Entwicklungszusammenarbeit und internationalen Zusammenarbeit zu achten;
1. fordert die chinesische Regierung auf, den Friedensnobelpreisträger von 2010, Liu Xiaobo, umgehend und bedingungslos freizulassen und den gegen seine Ehefrau Liu Xia verhängten Hausarrest umgehend und bedingungslos aufzuheben sowie Liu Xiaobo zu erlauben, sich an einem Ort seiner Wahl medizinisch behandeln zu lassen;
2. fordert die chinesischen Staatsorgane nachdrücklich auf, Liu Xiaobo uneingeschränkten Zugang zu seiner Familie, seinen Freunden und seinem Rechtsbeistand zu gewähren;
3. fordert die chinesischen Staatsorgane auf, Lee Ming-che umgehend auf freien Fuß zu setzen, da keine stichhaltigen Beweise in seinem Fall vorgelegt wurden, präzise Angaben zu seinem Aufenthaltsort zu machen und bis zu seiner Freilassung dafür Sorge zu tragen, dass Lee Ming-che vor Folter und Misshandlungen geschützt ist und er Zugang zu seiner Familie, einem Rechtsanwalt seiner Wahl und zu angemessener medizinischer Versorgung erhält;
4. ist nach wie vor äußerst besorgt über die anhaltenden Bestrebungen der chinesischen Regierung, Vertreter der Zivilgesellschaft, darunter Menschenrechtsverfechter, politisch engagierte Bürger und Rechtsanwälte, zum Schweigen zu bringen;
5. weist darauf hin, dass die Europäische Union im Einklang mit ihrer Verpflichtung, gegenüber China auch bei den regelmäßigen und stärker zielgerichteten Menschenrechtsdialogen mit einer Stimme zu sprechen und ihre Standpunkte klar und nachdrücklich zu vertreten, das Thema der Menschenrechtsverletzungen in China unbedingt bei jedem politischen Dialog und Menschenrechtsdialog mit den chinesischen Staatsorganen zur Sprache bringen sollte; weist ferner darauf hin, dass sich China im Zuge seines fortschreitenden Reformprozesses und seines zunehmenden globalen Engagements dem internationalen Rechtsrahmen für die Menschenrechte angeschlossen hat, indem es ein breites Spektrum von Menschenrechtsabkommen unterzeichnet hat; fordert daher, dass der Dialog mit China fortgeführt wird, damit das Land seinen Verpflichtungen nachkommt;
6. fordert China auf, den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zu ratifizieren;
7. bedauert, dass die Europäische Union im Juni dieses Jahres vor dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf keine Erklärung zu den Menschenrechten in China abgegeben hat; fordert alle EU-Mitgliedstaaten auf, einen konsequenten, auf Werten beruhenden Ansatz gegenüber China zu verfolgen, und erwartet von ihnen, von unilateralen Initiativen oder Handlungen abzusehen, mit denen die Kohärenz, Wirksamkeit und Folgerichtigkeit von EU-Maßnahmen untergraben werden könnten;
8. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der Vizepräsidentin der Kommission und Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Regierung und dem Parlament der Volksrepublik China zu übermitteln.