GEMEINSAMER ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zur Kindersklaverei in Haiti
7.2.2018 - (2018/2562(RSP))
anstelle der Entschließungsanträge der Fraktionen:
ECR (B8-0100/2018)
Verts/ALE (B8-0101/2018)
PPE (B8-0104/2018)
ALDE (B8-0107/2018)
S&D (B8-0108/2018)
Cristian Dan Preda, Bogdan Brunon Wenta, Jeroen Lenaers, Jarosław Wałęsa, Tomáš Zdechovský, Tunne Kelam, Michaela Šojdrová, Romana Tomc, Elisabetta Gardini, Laima Liucija Andrikienė, Roberta Metsola, Ivan Štefanec, Eduard Kukan, Milan Zver, Patricija Šulin, Bogdan Andrzej Zdrojewski, Krzysztof Hetman, Agnieszka Kozłowska-Rajewicz, Dubravka Šuica, Francis Zammit Dimech, László Tőkés, David McAllister, Adam Szejnfeld, Mairead McGuinness, Csaba Sógor, Manolis Kefalogiannis, Sandra Kalniete, Ramona Nicole Mănescu, Pavel Svoboda, Seán Kelly, Deirdre Clune, Inese Vaidere, Željana Zovko, Stanislav Polčák, Anna Maria Corazza Bildt, José Ignacio Salafranca Sánchez-Neyra im Namen der PPE-Fraktion
Elena Valenciano, Victor Boştinaru, Soraya Post, Norbert Neuser im Namen der S&D-Fraktion
Charles Tannock, Valdemar Tomaševski, Jan Zahradil, Jana Žitňanská, Branislav Škripek, Ruža Tomašić, Karol Karski, Pirkko Ruohonen-Lerner, Angel Dzhambazki, Notis Marias im Namen der ECR-Fraktion
Catherine Bearder, Nedzhmi Ali, Petras Auštrevičius, Beatriz Becerra Basterrechea, Izaskun Bilbao Barandica, Dita Charanzová, Gérard Deprez, Martina Dlabajová, Nathalie Griesbeck, Marian Harkin, Filiz Hyusmenova, Ivan Jakovčić, Ilhan Kyuchyuk, Patricia Lalonde, Louis Michel, Javier Nart, Urmas Paet, Maite Pagazaurtundúa Ruiz, Jozo Radoš, Frédérique Ries, Robert Rochefort, Marietje Schaake, Jasenko Selimovic, Pavel Telička, Ramon Tremosa i Balcells, Ivo Vajgl, Johannes Cornelis van Baalen, Hilde Vautmans, Cecilia Wikström im Namen der ALDE-Fraktion
Michèle Rivasi, Bart Staes, Igor Šoltes, Davor Škrlec, Florent Marcellesi, Judith Sargentini, Barbara Lochbihler, Klaus Buchner, Ernest Urtasun, Alyn Smith im Namen der Verts/ALE-Fraktion
Fabio Massimo Castaldo, Rolandas Paksas, Ignazio Corrao, Isabella Adinolfi, Piernicola Pedicini im Namen der EFDD-Fraktion
Lola Sánchez Caldentey
Entschließung des Europäischen Parlaments zur Kindersklaverei in Haiti
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu Haiti,
– unter Hinweis auf die gemeinsame Erklärung der Vizepräsidentin der Kommission und Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und des für Entwicklung zuständigen Mitglieds der Kommission vom 12. Juni 2017 anlässlich des Welttages gegen Kinderarbeit,
– unter Hinweis auf den Jahresbericht des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen, in dem die Fortschritte und Herausforderungen im Bereich der Menschenrechte in Haiti im Jahr 2017 hervorgehoben werden,
– unter Hinweis auf die von den AKP-Staaten und der EU in Auftrag gegebene Migrationsstudie vom 20. Juli 2017 über den Menschenhandel in Haiti,
– unter Hinweis auf den Umsetzungsbericht Haitis, der vom Ausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte des Kindes am 15. Januar 2016 geprüft wurde,
– unter Hinweis auf die allgemeine regelmäßige Überprüfung Haitis im Rahmen der Tagung des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen vom 31. Oktober bis 11. November 2016,
– unter Hinweis auf das Fakultativprotokoll der Vereinten Nationen zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte,
– unter Hinweis auf das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen,
– unter Hinweis auf das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs,
– unter Hinweis auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes,
– unter Hinweis auf das Zusatzübereinkommen der Vereinten Nationen über die Abschaffung von Sklaverei, Sklavenhandel und sklavereiähnlichen Institutionen und Praktiken vom 7. September 1956, insbesondere Artikel 1 Buchstabe d,
– unter Hinweis auf das Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) Nr. 182 zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit und das Übereinkommen der IAO Nr. 138 über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung,
– unter Hinweis auf die 34. Sitzung der Paritätischen Parlamentarischen Versammlung AKP-EU in Port-au-Prince (Haiti),
– unter Hinweis auf das Cotonou-Abkommen,
– unter Hinweis auf die Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung,
– unter Hinweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen,
– gestützt auf Artikel 135 Absatz 5 und Artikel 123 Absatz 4 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass Haiti eines der ärmsten Länder der Welt ist mit massiver Korruption, schlechter Infrastruktur, mangelnder Gesundheitsversorgung, niedrigem Bildungsniveau und historisch bedingter politischer Instabilität – den Hauptursachen für die bittere Armut in dem Land;
B. in der Erwägung, dass der Einsatz von Kindern als Hausangestellte, der oft mit dem kreolischen Begriff „Restavek“ umschrieben wird, in ganz Haiti systematisch erfolgt und hauptsächlich auf die schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen und die kulturelle Einstellung gegenüber Kindern zurückzuführen ist;
C. in der Erwägung, dass Restavek eine Form des inländischen Menschenhandels und der modernen Sklaverei ist, von der etwa 400 000 Kinder in Haiti – 60 % davon Mädchen – betroffen sind; in der Erwägung, dass viele haitianische Kinder keine Geburtsurkunden besitzen und von Menschenhandel und Missbrauch bedroht sind; in der Erwägung, dass laut Unicef Gewalt an und Missbrauch von Kindern, einschließlich körperlicher Bestrafung und geschlechtsspezifischer Gewalt, ein erhebliches Problem darstellt; in der Erwägung, dass jede vierte Frau und jeder fünfte Mann vor Vollendung des 18. Lebensjahres Opfer sexuellen Missbrauchs wurden; in der Erwägung, dass 85 % der Kinder im Alter von 2 bis 14 Jahren zu Hause Opfer gewalttätiger Disziplinierung werden, 79 % körperlicher Bestrafung ausgesetzt sind und 16 % extreme körperliche Züchtigung erleiden; in der Erwägung, dass schätzungsweise 30 000 Kinder in etwa 750 meist privat geführten und finanzierten Waisenhäusern leben;
D. in der Erwägung, dass die dem Restavek-Phänomen zum Opfer fallenden Kinder typischerweise in arme, ländliche Familien hineingeboren werden, die nur wenige oder gar keine Möglichkeiten haben, ihr Einkommen zu verbessern, und gegen Nahrungsmittel oder Geld ein Kind an eine andere Familie verkaufen;
E. in der Erwägung, dass die Regierung von Haiti einige Anstrengungen unternommen hat, um gegen die Ausbeutung von Restavek-Kindern vorzugehen, wie z.B. die Verabschiedung eines umfassenden Gesetzes zur Bekämpfung des Menschenhandels, Maßnahmen zur Identifizierung und Unterstützung von Kindern, die häusliche Zwangsarbeit verrichten müssen, und Aufklärungskampagnen; in der Erwägung, dass der Staat in der Pflicht steht, die Eltern zu unterstützen, damit sie ihrer Verantwortung gerecht werden können;
F. in der Erwägung, dass viele haitianische Kinder keine ausreichende Schulbildung erhalten; in der Erwägung, dass laut Unicef in Haiti 18 % der Kinder im Alter von 6 bis 11 Jahren keine Grundschule besuchen; in der Erwägung, dass etwa die Hälfte aller Haitianer ab 15 Jahren Analphabeten sind, da 85 % der Schulen von privaten Einrichtungen betrieben werden und für Familien mit niedrigem Einkommen unerschwinglich sind; in der Erwägung, dass der Hurrikan Matthew den Zugang zu Bildung erheblich beeinträchtigt hat, da durch ihn in den am stärksten betroffenen Gebieten 1 633 von 1 991 Schulen beschädigt wurden;
G. in der Erwägung, dass mehr als 175 000 Menschen, darunter Zehntausende Kinder, die nach dem Hurrikan Matthew im Oktober 2016 umgesiedelt wurden, nach wie vor unter äußerst prekären und unsicheren Bedingungen leben; in der Erwägung, dass das Erdbeben von 2010 mehr als 220 000 Menschenleben forderte und rund 800 000 Kinder in die Flucht schlug, wodurch viele von ihnen in die Sklaverei gezwungen wurden;
H. in der Erwägung, dass Haiti ein Herkunfts-, Transit- und Zielland für Kinderzwangsarbeit und Kinderhandel ist; in der Erwägung, dass das Restavek-Phänomen auch eine internationale Dimension besitzt, da viele haitianische Kinder in die benachbarte Dominikanische Republik verschleppt werden;
I. in der Erwägung, dass die politische Sackgasse nach der Präsidentschaftswahl 2016 die Fähigkeit Haitis, wichtige Rechtsvorschriften und einen nationalen Haushalt zur Bewältigung dringender sozialer und wirtschaftlicher Herausforderungen zu verabschieden, erheblich beeinträchtigt hat;
J. in der Erwägung, dass die Straflosigkeit in Haiti durch die mangelnde Rechenschaftspflicht von Beamten und insbesondere durch den Mangel an systematischen Ermittlungen bei Gewaltanwendungen sowie durch weit verbreitete rechtswidrige bzw. willkürliche Verhaftungen durch die Polizei verstärkt wurde; in der Erwägung, dass Haiti im 176 Länder umfassenden Korruptionsindex von Transparency International auf Platz 159 geführt wird;
K. in der Erwägung, dass Haiti im Index der menschlichen Entwicklung des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) den 163. Platz belegt und fortdauernd humanitäre Hilfe und Entwicklungshilfe benötigt;
L. in der Erwägung, dass das haitianische Parlament im September 2017 den nationalen Haushaltsplan für das Jahr 2018 gebilligt hat, in dessen Rahmen eine unverhältnismäßige Steuererhöhung zulasten einer bereits verarmten Bevölkerung vorgesehen ist, was zu gewaltsamen Demonstrationen und Unruhen in der Hauptstadt Port-au-Prince geführt hat; in der Erwägung, dass der Minister für Wirtschaft und Finanzen, Patrick Salomon, einen Haushaltsplan vorgelegt hat, in dem beispielsweise dem Reinigen von Regierungsgebäuden Vorrang vor Programmen für die öffentliche Gesundheit eingeräumt wird;
M. in der Erwägung, dass die EU Haiti 420 Mio. EUR aus dem 11. Europäischen Entwicklungsfonds zugewiesen hat, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf der Ernährung von Kindern und Bildungsmaßnahmen zur Förderung der Entwicklung von Kindern liegt;
N. in der Erwägung, dass die EU im Jahr 2017 eine Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen unter dem französischen Titel „La promotion des droits des enfants et la protection des enfants victimes d’exploitation, discrimination, violence et abandon“ auf den Weg gebracht hat, deren wichtigstes Ziel darin besteht, in Gefangenschaft lebende Kinder zu ihren biologischen Familien zurückzuführen oder sie in Pflegefamilien unterzubringen;
1. bedauert die Tatsache, dass eine große Anzahl von Kindern in Haiti als Teil des Phänomens der Restavek gezwungen werden, ihre Familien zu verlassen, und Zwangsarbeit verrichten müssen; fordert ein Ende dieser Praxis;
2. äußert sich tief besorgt über die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in Haiti, darunter geschlechtsspezifische Gewalt, Freiheitsberaubung und die Praxis, Kindersklaven in Form von Restaveks zu halten; fordert die Regierung Haitis auf, solche Probleme vorrangig mit gesetzgeberischen Maßnahmen, konkret mit einer Reform des Strafgesetzbuchs, zu bekämpfen und wichtige Institutionen im Land, die infolge der jüngsten politischen Sackgasse ihre Arbeit eingestellt haben, zu reaktivieren, damit dringend notwendige Reformen durchgeführt werden können;
3. fordert die Regierung Haitis auf, dringend Maßnahmen umzusetzen, mit denen die Schwachstellen behoben werden, die dazu führen, dass Kinder häusliche Zwangsarbeit verrichten müssen, und mit denen Kinder, die Opfer von Vernachlässigung, Missbrauch, Gewalt und Kinderarbeit sind, geschützt werden;
4. fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, Haiti weiter bei der Umsetzung von Maßnahmen zu unterstützen, mit denen Kinder geschützt werden, wozu auch Programme und Partnerschaften zur Bekämpfung von Gewalt, Missbrauch und der Ausbeutung von Kindern gehören; fordert die Regierung von Haiti auf, mit genügend Mitteln ausgestattete Verfahren einzurichten und vorrangig zu verfolgen, mit denen dem Phänomen der Restavek ein Ende bereitet wird, wozu auch die Schulung von Mitarbeitern sozialer Dienste gehört, um dabei zu helfen, Restavek-Kinder aus Familien, die Missbrauch betreiben, herauszuholen und Rehabilitierungsmaßnahmen bereitzustellen, um den physischen und psychologischen Bedürfnissen der Kinder entsprechen zu können;
5. fordert die haitianische Regierung auf, ein Verwaltungssystem einzurichten, mit dem garantiert wird, dass alle neugeborenen Kinder bei der Geburt erfasst werden, sowie Maßnahmen zu ergreifen, um all diejenigen zu erfassen, die nicht bei der Geburt erfasst wurden, und ihren Wohnsitz zu registrieren;
6. fordert die staatlichen Stellen Haitis und die Geldgeber auf, einen erheblichen Teil der Mittel, die derzeit für teure, aber nicht hochwertige Waiseneinrichtungen ausgegeben werden, umzuwidmen, und zwar für von der Gemeinschaft erbrachte Dienstleistungen, mit denen die Möglichkeiten von Familien und Gemeinschaften, sich angemessen um ihre eigenen Kinder zu kümmern, gestärkt werden;
7. fordert die Regierung Haitis und diejenigen Mitgliedstaaten der EU, die dies noch nicht getan haben, auf, folgende Übereinkommen, die für die Bekämpfung von Kinderhandel und Sklaverei von entscheidender Bedeutung sind, vorbehaltlos zu ratifizieren:
• das Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und die Opt-in-Regelung für Untersuchungsverfahren und zwischenstaatliche Verfahren,
• das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen,
• das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe,
• das Römische Statut;
8. fordert die EU auf, im Rahmen ihrer Entwicklungshilfe einen besonderen Schwerpunkt auf die Unterstützung dringender Reformen des Justizsystems und der Schulung von Staatsanwälten und Richtern im Umgang mit Fällen von Vergewaltigung und sexueller Gewalt zu setzen und sicherzustellen, dass Polizei und Justiz dahingehend ausgebildet werden, mit Frauen und Mädchen, die geschlechtsspezifische Gewalt anzeigen, unvoreingenommen umzugehen;
9. stellt fest, dass das haitianische Parlament im September 2017 einen Jahreshaushaltsplan verabschiedet hat; weist auf die jüngsten Fortschritte im Hinblick auf das Recht auf Bildung hin, insbesondere durch das allgemeine, kostenlose und obligatorische Bildungsprogramm, das ein System wirksamer Überwachung und Durchsetzung und eine dauerhafte finanzielle Unterstützung sowohl durch Mittel aus dem nationalen Haushalt Haitis als auch durch Entwicklungshilfe der EU erfordert; fordert mehr Aufmerksamkeit für das Wohlergehen und die Rehabilitation von Restavek-Kindern, darunter derjenigen, die am stärksten benachteiligt oder behindert sind, Lernschwierigkeiten haben oder in ländlichen Gebieten leben, und zwar im Rahmen des nächsten EEF und des nationalen Richtprogramms Haitis, auch in Form eines regelmäßigen gemeinsamen Fortschrittsberichts in Bezug auf die ergriffenen Maßnahmen und deren Wirksamkeit zur Bekämpfung des Phänomens der Restavek;
10. erwartet von der EU und ihren Mitgliedstaaten, die Haiti nach dem Hurrikan Matthew Unterstützung zugesagt haben, dass sie ihre Zusagen erfüllen und dem Land dabei helfen, seine langfristigen Herausforderungen zu meistern;
11. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der Vizepräsidentin der Kommission und Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, dem AKP-EU-Ministerrat, den Organen des Cariforum, den Regierungen und Parlamenten Haitis und der Dominikanischen Republik sowie dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zu übermitteln.