GEMEINSAMER ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zur brutalen Niederschlagung der jüngsten Proteste im Iran
18.12.2019 - (2019/2993(RSP))
anstelle der folgenden Entschließungsanträge:
B9-0271/2019 (Verts/ALE)
B9-0272/2019 (S&D)
B9-0273/2019 (ECR)
B9-0274/2019 (Renew)
B9-0275/2019 (PPE)
Michael Gahler, Željana Zovko, Sandra Kalniete, David McAllister, Ivan Štefanec
im Namen der PPE-Fraktion
Kati Piri, Jytte Guteland
im Namen der S&D-Fraktion
Luisa Porritt, Frédérique Ries, Catherine Bearder, Phil Bennion, Jane Brophy, Judith Bunting, Dinesh Dhamija, Barbara Ann Gibson, Klemen Grošelj, Christophe Grudler, Billy Kelleher, Moritz Körner, Shaffaq Mohammed, Lucy Nethsingha, Sheila Ritchie, María Soraya Rodríguez Ramos, Caroline Voaden, Irina Von Wiese
im Namen der Renew-Fraktion
Ernest Urtasun, Hannah Neumann
im Namen der Verts/ALE-Fraktion
Anna Fotyga, Jan Zahradil, Witold Jan Waszczykowski, Charlie Weimers, Bert Jan Ruissen
im Namen der ECR-Fraktion
Fabio Massimo Castaldo
Cornelia Ernst
Entschließung des Europäischen Parlaments zur brutalen Niederschlagung der jüngsten Proteste im Iran
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zum Iran, darunter seine jüngste Entschließung vom 19. September 2019 zum Iran, insbesondere zur Lage von Frauenrechtsaktivisten und inhaftierten EU-Bürgern, die zusätzlich die iranische Staatsangehörigkeit besitzen[1],
– unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates vom 4. Februar 2019 zum Iran,
– unter Hinweis auf die vom Vizepräsidenten der Kommission und Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik (HR/VP), Josep Borrell Fontelles, am 8. Dezember 2019 im Namen der EU abgegebene Erklärung zu den jüngsten Protesten im Iran,
– unter Hinweis auf die Erklärung der Sprecherin des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) vom 21. November 2019 zu den Entwicklungen im Iran,
– unter Hinweis auf den Beschluss des Rates vom 12. April 2018, mit dem die restriktiven Maßnahmen als Reaktion auf schwere Menschenrechtsverletzungen im Iran um weitere zwölf Monate verlängert wurden,
– unter Hinweis auf die EU-Leitlinien zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern,
– unter Hinweis auf die entsprechenden Leitlinien der EU zur Todesstrafe und betreffend Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe und auf die Menschenrechtsleitlinien der EU in Bezug auf die Freiheit der Meinungsäußerung – online und offline,
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 25. Oktober 2016 zur Strategie der EU gegenüber dem Iran nach dem Abschluss des Nuklearabkommens[2],
– unter Hinweis auf die Resolution 73/181 der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 17. Dezember 2018 zur Lage der Menschenrechte in der Islamischen Republik Iran,
– unter Hinweis auf den Bericht des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen für die Menschenrechtssituation in der Islamischen Republik Iran vom 30. Januar 2019,
– unter Hinweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948,
– unter Hinweis auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) von 1966, zu dessen Vertragsparteien der Iran gehört,
– gestützt auf Artikel 132 Absätze 2 und 4 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass Zehntausende Menschen aus dem gesamten Iran, unter denen alle gesellschaftlichen Gruppen vertreten waren, bei den größten Unruhen seit 40 Jahren ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ausgeübt und ihren Unmut über die wirtschaftlichen Missstände im Zusammenhang mit der Erhöhung der Kraftstoffpreise um mindestens 50 % zum Ausdruck gebracht haben;
B. in der Erwägung, dass die iranischen Sicherheitskräfte trotz wiederholter internationaler Forderungen nach Zurückhaltung unverhältnismäßige Mittel und Gewalt gegen die Demonstranten eingesetzt haben; in der Erwägung, dass Berichten der Zivilgesellschaft zufolge iranische Sicherheitskräfte das Feuer auf unbewaffnete Demonstranten, die keine unmittelbare Gefahr darstellten, eröffnet und angeblich mit Tötungsabsicht geschossen haben;
C. in der Erwägung, dass nach Angaben von Amnesty International mindestens 304 Menschen, darunter auch Kinder, getötet und noch viel mehr Menschen verletzt wurden, und in der Erwägung, dass Tausende Demonstranten sowie Journalisten, Menschenrechtsverteidiger und Studenten festgenommen wurden; in der Erwägung, dass die Staatsorgane des Iran keine offiziellen Angaben zu der Zahl der Todesopfer gemacht und sich geweigert haben, die Leichname der Opfer ihren Familien zu übergeben;
D. in der Erwägung, dass die iranischen Staatsorgane am 16. November eine fünftägige Sperrung fast des gesamten Internetverkehrs verfügten, sodass die Menschen im Iran im Prinzip keine Möglichkeit mehr hatten, über das Internet zu kommunizieren, und keine Informationen zu dem brutalen Vorgehen verbreitet werden konnten; in der Erwägung, dass es sich bei der Sperrung des Internets um eine Verletzung des Grundrechts auf den Zugang zu Informationen handelt, durch die die Meinungsfreiheit unverhältnismäßig stark eingeschränkt wird, und dass sie zu einer gängigen Vorgehensweise der Staatsorgane geworden ist;
E. in der Erwägung, dass in seiner Entschließung vom 25. Oktober 2016 zur Strategie der EU gegenüber dem Iran nach dem Abschluss des Nuklearabkommens[3] betont wird, dass im Rahmen der Beziehungen der EU zum Iran die Menschenrechtsleitlinien der EU, auch zu Menschenrechtsverteidigern, hochgehalten werden müssen;
F. in der Erwägung, dass Menschenrechtsverteidiger, Journalisten, Rechtsanwälte und Online-Aktivisten im Iran aufgrund ihrer Arbeit nach wie vor Schikanen, willkürlichen Festnahmen, Inhaftierungen und Verfolgung ausgesetzt sind; in der Erwägung, dass der iranische Geheimdienst und weitere Kräfte ein scharfes Vorgehen gegen die Zivilgesellschaft in die Wege geleitet haben; in der Erwägung, dass 77 Mitglieder der reformorientierten Opposition, zumeist Mitglieder der Partei „Partizipationsfront“, eine offene Erklärung abgegeben haben, in der sie den übermäßigen Einsatz von Gewalt zur Niederschlagung der Proteste verurteilen; in der Erwägung, dass einige von ihnen wegen „Verbreitung von Propaganda gegen die Islamische Republik“ im Iran vor Gericht gestellt und zwei von ihnen, nämlich Mohammad Kianusch Rad und Mehdi Mahmudian, festgenommen wurden;
G. in der Erwägung, dass es iranischen Gerichten regelmäßig nicht gelingt, für faire Gerichtsverfahren zu sorgen, wobei der Zugang zu einem Rechtsbeistand verwehrt wird, Besuche durch Vertreter der Konsulate, der Vereinten Nationen oder humanitärer Organisationen abgelehnt werden und Geständnisse, die durch Folter zustande gekommen sind, als Beweismittel zugelassen werden; in der Erwägung, dass es keine unabhängigen Verfahren gibt, um die Rechenschaftspflicht innerhalb der Justiz zu sichern, und dass die Politisierung der Richter – insbesondere derjenigen, die den Revolutionsgerichten vorsitzen – nach wie vor Anlass zu ernster Besorgnis gibt;
1. spricht den Angehörigen der Opfer sein Mitgefühl aus; wünscht den Verletzten eine rasche Genesung;
2. bedauert die weit verbreitete und unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt vonseiten des Iran gegen gewaltfreie Demonstranten, die lediglich ihr Recht auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit und friedliche Versammlung ausübten; betont, dass derartige Maßnahmen nicht hinnehmbar sind, und fordert die iranischen Staatsorgane nachdrücklich auf, die Gesamtzahl der Todesopfer und inhaftierten Personen bekannt zu geben, eine unverzügliche, unparteiische, unabhängige und transparente Untersuchung der mutmaßlichen übermäßigen Gewaltanwendung einschließlich direkter Angriffe auf Demonstranten durch Sicherheitskräfte durchzuführen und alle Gewalttäter zur Rechenschaft zu ziehen;
3. fordert, dass alle Demonstranten, Menschenrechtsverteidiger und Journalisten, die sich derzeit im Iran in Haft befinden, weil sie ihr legitimes Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit wahrgenommen haben, bedingungslos freigelassen werden; fordert die Staatsorgane zudem auf, alle Familien über den Aufenthaltsort ihrer inhaftierten Angehörigen zu informieren, und fordert, dass Rechtsanwälten und internationalen Beobachtern ungehinderter Zugang zu allen Personen gewährt wird, die während der Proteste inhaftiert wurden, und dass der internationalen Gemeinschaft die Identität der Häftlinge mitgeteilt wird; bekräftigt die früheren Forderungen des Parlaments nach Freilassung von Nazanin Zaghari-Ratcliffe und vielen weiteren Personen, die rechtswidrig inhaftiert wurden;
4. verurteilt die Entscheidung des Iran, den Internetzugang zu weltweiten Netzen zu sperren, wodurch die Kommunikation und der freie Informationsfluss für seine Bürger unterbunden wurde, aufs Schärfste; betont, dass derartige Maßnahmen einen eindeutigen Verstoß gegen die Redefreiheit darstellen; fordert die Staatsorgane des Iran eindringlich auf, sämtliche Sperrungen der internetbasierten Kommunikation und der internetbasierten Dienste aufzuheben;
5. betont, dass Grundrechte wie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit stets gewahrt werden müssen, und fordert die iranischen Staatsorgane auf, ihren internationalen Verpflichtungen, etwa aus dem IPBPR, nachzukommen;
6. fordert die Vereinten Nationen und insbesondere ihren Menschenrechtsrat auf, unverzüglich eine umfassende Untersuchung der Ereignisse der letzten Wochen unter Leitung des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen für die Menschenrechtssituation im Iran einzuleiten, um die Vorwürfe schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen in dem Land, die seit Beginn der Proteste laut geworden sind, aufzuklären und den Iran aufzufordern, den Personen, die diese Untersuchung durchführen, umfassenden und uneingeschränkten Zugang zu gewähren;
7. fordert die EU einschließlich des HR/VP auf, in bilateralen und multilateralen Foren und insbesondere im Rahmen des hochrangigen politischen Dialogs zwischen der EU und dem Iran gegenüber den iranischen Staatsorganen weiterhin Menschenrechtsanliegen zur Sprache zu bringen;
8. bekräftigt seine uneingeschränkte Unterstützung für die Sacharow-Preisträger Nasrin Sotudeh und Dschafar Panahi; bedauert, dass Nasrin Sotudeh nach wie vor inhaftiert ist und zu einer Haftstrafe von 33 Jahren und 148 Peitschenhieben verurteilt wurde, und besteht auf ihrer sofortigen und bedingungslosen Freilassung; fordert die iranischen Staatsorgane auf, das 2010 gegen Dschafar Panahi verhängte Reiseverbot aufzuheben;
9. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, dem Europäischen Auswärtigen Dienst, dem Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsidenten der Kommission, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten, dem Obersten Führer der Islamischen Republik Iran, dem Staatspräsidenten der Islamischen Republik Iran und den Mitgliedern des Madschles des Iran zu übermitteln.
- [1] Angenommene Texte, P9_TA(2019)0019.
- [2] ABl. C 215 vom 19.6.2018, S. 86.
- [3] ABl. C 215 vom 19.6.2018, S. 86.