GEMEINSAMER ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zu den Versuchen der erneuten Vorlage eines Gesetzes über ausländische Agenten in Georgien und den damit verbundenen Einschränkungen für die Zivilgesellschaft
24.4.2024 - (2024/2703(RSP))
anstelle der folgenden Entschließungsanträge:
B9‑0244/2024 (Verts/ALE)
B9‑0246/2024 (Renew)
B9‑0247/2024 (S&D)
B9‑0248/2024 (PPE)
B9‑0251/2024 (ECR)
Miriam Lexmann, Michael Gahler, Rasa Juknevičienė, David McAllister, Andrius Kubilius, Isabel Wiseler‑Lima, Traian Băsescu, Vladimír Bilčík, Andrzej Halicki, Sandra Kalniete, Leopoldo López Gil, Antonio López‑Istúriz White, Michaela Šojdrová, Eugen Tomac
im Namen der PPE-Fraktion
Pedro Marques, Tonino Picula, Sven Mikser, Raphaël Glucksmann
im Namen der S&D-Fraktion
Urmas Paet, Olivier Chastel, Vlad Gheorghe, Bernard Guetta, Michael Kauch, Ilhan Kyuchyuk, Nathalie Loiseau, Dragoş Pîslaru, Ramona Strugariu, Dragoş Tudorache, Hilde Vautmans, Moritz Körner
im Namen der Renew-Fraktion
Markéta Gregorová
im Namen der Verts/ALE-Fraktion
Anna Fotyga, Angel Dzhambazki, Jacek Saryusz‑Wolski, Assita Kanko, Witold Jan Waszczykowski, Roberts Zīle, Adam Bielan, Eugen Jurzyca, Hermann Tertsch
im Namen der ECR-Fraktion
Entschließung des Europäischen Parlaments zu den Versuchen der erneuten Vorlage eines Gesetzes über ausländische Agenten in Georgien und den damit verbundenen Einschränkungen für die Zivilgesellschaft
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu Georgien,
– unter Hinweis auf die gemeinsame Erklärung des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und des für Nachbarschaft und Erweiterung zuständigen Mitglieds der Kommission vom 17. April 2024 zu der Annahme des Gesetzes über die Transparenz der Einflussnahme aus dem Ausland,
– unter Hinweis auf die Erklärung des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) vom 4. April 2024 zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Transparenz der Einflussnahme aus dem Ausland,
– unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 14. und 15. Dezember 2023,
– unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 8. November 2023 mit dem Titel „Mitteilung 2023 über die Erweiterungspolitik der EU“ (COM(2023)0690),
– unter Hinweis auf das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Georgien andererseits[1],
– unter Hinweis auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte,
– unter Hinweis auf die Europäische Menschenrechtskonvention,
– unter Hinweis auf die gemeinsame Erklärung des Vorsitzenden des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, der Vorsitzenden der Delegation für die Beziehungen zum Südkaukasus und des Ständigen Berichterstatters des Europäischen Parlaments für Georgien vom 18. April 2024 zu der erneuten Vorlage des Entwurfs eines Gesetzes über die Transparenz der Einflussnahme aus dem Ausland in Georgien,
– gestützt auf Artikel 132 Absätze 2 und 4 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass die Ausübung des Rechts auf Meinungsfreiheit sowie auf freie Meinungsäußerung, der Vereinigungsfreiheit und des Rechts, sich friedlich zu versammeln, in der Verfassung Georgiens verankerte Grundrechte darstellen;
B. in der Erwägung, dass sich Georgien als Unterzeichnerstaat der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie als Mitglied des Europarates und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa dazu verpflichtet hat, die Grundsätze der Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit sowie die Grundfreiheiten und die Menschenrechte zu achten;
C. in der Erwägung, dass die Europäische Union von Georgien, einem Bewerberland für den EU-Beitritt, erwartet, dass es das Assoziierungsabkommen und andere internationale Verpflichtungen, die es eingegangen ist, uneingeschränkt einhält und insbesondere die Voraussetzungen erfüllt und die Schritte unternimmt, die in der Empfehlung der Kommission vom 8. November 2023 festgelegt sind; in der Erwägung, dass der Europäische Rat Georgien den Status eines Bewerberlandes nur unter der Abrede zuerkannt hat, dass diese Schritte unternommen würden; in der Erwägung, dass Georgien mit dieser Empfehlung aufgefordert wurde, dafür zu sorgen, dass die Zivilgesellschaft frei handeln kann (Schritt 9), und Desinformation über die EU und ihre Werte zu bekämpfen (Schritt 1), und in der Erwägung, dass der genannte Gesetzesentwurf beiden Zielen zuwiderläuft;
D. in der Erwägung, dass das georgische Parlament am 17. April 2024 das sogenannte Gesetz über die Transparenz der Einflussnahme aus dem Ausland mit 83 Stimmen ohne Gegenstimmen in erster Lesung gebilligt hat – trotz der Massendemonstrationen der Bürgerinnen und Bürger Georgiens und der Kritik der Präsidentin Georgiens, die den Gesetzesentwurf als eine „Sabotage des Weges des Landes nach Europa“ bezeichnet hatte, und obwohl der Gesetzesentwurf auf nationaler und internationaler Ebene verurteilt wurde und die europäischen Partner Georgiens wiederholt gefordert hatten, dass der Gesetzesentwurf zurückgezogen wird; in der Erwägung, dass Organisationen, die mehr als 20 % ihrer Mittel aus dem Ausland erhalten, durch das Gesetz verpflichtet würden, sich innerhalb von zwei Monaten als „Organisationen, die die Interessen einer ausländischen Macht verfolgen“ registrieren zu lassen und sich selbst so zu bezeichnen; in der Erwägung, dass diese Organisationen zusätzlichen Kontroll- und Berichterstattungspflichten unterliegen würden und unter Umständen Sanktionen, darunter auch Geldbußen in Höhe von bis zu 25 000 GEL (etwa 8 710 EUR), gegen sie verhängt werden könnten; in der Erwägung, dass durch das Gesetz die Möglichkeiten der Medien und der Organisationen der Zivilgesellschaft, frei zu handeln, erheblich eingeschränkt würden;
E. in der Erwägung, dass das legitime Ziel, die Transparenz nichtstaatlicher Organisationen, die Mittel aus dem Ausland erhalten, sicherzustellen, in keiner Weise als Rechtfertigung dafür herangezogen werden darf, dass Maßnahmen getroffen werden, mit denen ihre Aktivitäten – insbesondere im Bereich der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte – eingeschränkt werden;
F. in der Erwägung, dass dieser Gesetzesentwurf zu einer Zeit vorgelegt wird, die von zunehmenden Angriffen auf die Zivilgesellschaft und unabhängige Medien in Georgien und von Maßnahmen gegen die Förderung der Demokratie durch internationale Geber geprägt ist, und dass dies offenbar ein Versuch ist, den Raum für die Zivilgesellschaft einzuschränken und kritische Stimmen in der Öffentlichkeit zum Schweigen zu bringen, unter anderem indem der Zugang zu Finanzmitteln aus dem Ausland eingeschränkt wird; in der Erwägung, dass dieser Gesetzesentwurf lediglich die neueste von mehreren legislativen und anderen Initiativen der georgischen Regierung im Vorfeld der Wahl ist, zu denen auch gehört, dass Verfassungsänderungen zur Bekämpfung der „LGBT-Propaganda“ angekündigt wurden und eine Regelung zu verpflichtenden Geschlechterquoten für Frauen im Parlament rückgängig gemacht wurde, und mit denen demokratische Reformen gefährdet werden und zur Verbreitung von Desinformation über die EU, ihre Werte und ihre Politik beigetragen wird; in der Erwägung, dass das Europäische Parlament bereits in früheren Entschließungen Maßnahmen gefordert hat, um die destruktive Rolle zu schmälern, die die Interessen der Oligarchie in der Politik und Wirtschaft Georgiens spielen, darunter auch bei der politisch motivierten Verfolgung von Journalisten und politischen Gegnern wie dem ehemaligen Präsidenten Micheil Saakaschwili, dessen Freilassung aus humanitären Gründen das Parlament gefordert hat, damit er sich im Ausland medizinisch behandeln lassen kann;
1. verurteilt aufs Schärfste die erneute Vorlage des umstrittenen Entwurfs eines Gesetzes über die Transparenz der Einflussnahme aus dem Ausland, das der Zivilgesellschaft und den unabhängigen Medien verheerende Beschränkungen auferlegen und sie dadurch ihrer Handlungsfreiheit berauben würde, weshalb der Gesetzesentwurf massive Proteste der georgischen Öffentlichkeit, von Organisationen der Zivilgesellschaft, unabhängigen Medien und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Georgien sowie der europäischen und internationalen Partner des Landes hervorgerufen hat;
2. betont, dass der Gesetzesentwurf nicht mit den Werten und demokratischen Grundsätzen der EU vereinbar ist, den Bestrebungen Georgiens im Hinblick auf eine EU-Mitgliedschaft zuwiderläuft, dem Ansehen Georgiens auf internationaler Ebene schadet und die euro-atlantische Integration des Landes gefährdet;
3. betont, dass keine EU-Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden sollten, solange dieses Gesetz Teil der georgischen Rechtsordnung ist;
4. fordert das Parlament Georgiens daher nachdrücklich auf, die parlamentarischen Verfahren zur Annahme des Gesetzes einzustellen, und fordert die Regierung Georgiens nachdrücklich auf, den Verpflichtungen nachzukommen, die sie im März 2023 eingegangen ist, als sie ankündigte, dass sie ihren Gesetzesentwurf zur Einführung von Beschränkungen für die Zivilgesellschaft und unabhängige Medien bedingungslos zurückziehen und ein solches Gesetz nicht erneut vorschlagen werde; fordert die Regierung Georgiens auf, auch keine weiteren Legislativvorschläge vorzulegen, die im Widerspruch zu den Grundsätzen der Demokratie, zur Rechtsstaatlichkeit, zu den Menschenrechten und zu den Grundfreiheiten stehen und somit den Kopenhagener Kriterien für die EU-Mitgliedschaft zuwiderlaufen würden;
5. hebt hervor, dass der Gesetzesentwurf die Bestrebungen der großen Mehrheit der Bevölkerung Georgiens, in einer demokratischen Gesellschaft zu leben, die demokratischen Reformen und die Reformen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit fortzusetzen, eine enge Zusammenarbeit mit den euro-atlantischen Partnern zu pflegen und sich dem Weg zur EU-Mitgliedschaft zu verpflichten, untergräbt;
6. betont, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Recht, sich friedlich zu versammeln, und das Recht auf friedlichen Protest Grundfreiheiten sind und insbesondere in einem EU-beitrittswilligen Land unter allen Umständen geachtet werden müssen;
7. fordert die Regierung Georgiens nachdrücklich auf, die verfassungsmäßigen Rechte der Bürgerinnen und Bürger Georgiens zu achten, und bringt vor diesem Hintergrund seine Besorgnis über die Berichte darüber zum Ausdruck, die Bereitschaftspolizei habe übermäßige Gewalt angewendet, um Demonstranten zu zerstreuen, die gegen den umstrittenen Gesetzesentwurf protestierten; fordert die staatlichen Stellen Georgiens auf, gegen die für die unrechtmäßige und übermäßige Anwendung von Gewalt Verantwortlichen zu ermitteln und sie zur Rechenschaft zu ziehen;
8. betont, dass die Rolle der Zivilgesellschaft und unabhängiger Medien als öffentliche Kontrollinstanzen für eine demokratische Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung ist sowie entscheidend dafür, dass die für den EU-Beitritt notwendigen Reformen vorangebracht werden, und fordert die staatlichen Stellen Georgiens daher auf, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um ein entsprechend günstiges Umfeld zu gewährleisten, in dem die Zivilgesellschaft und unabhängige Medien frei handeln können;
9. verurteilt, dass sich die Regierung Georgiens vom Beispiel ähnlicher, sehr umstrittener Rechtsvorschriften Russlands leiten lässt, darunter das Gesetz Russlands über ausländische Agenten, mit dem Organisationen und Aktivisten der Zivilgesellschaft bewusst gebrandmarkt und diskriminiert werden und das auch dazu genutzt wird, Widerstand gegen den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zu unterdrücken und alle noch verbleibenden kritischen Stimmen in dem Land zum Schweigen zu bringen;
10. erinnert daran, dass der Europäische Rat auf seiner Tagung vom 14./15. Dezember 2023 unter der Abrede, dass die in der Empfehlung der Kommission vom 8. November 2023 dargelegten einschlägigen Maßnahmen ergriffen werden, Georgien den Status eines Bewerberlandes zuerkannt hat; betont, dass Georgien mit dieser Empfehlung aufgefordert wurde, dafür zu sorgen, dass die Zivilgesellschaft frei handeln kann, und Desinformation über die EU und ihre Werte zu bekämpfen, und hebt hervor, dass der genannte Gesetzesentwurf beiden Zielen zuwiderläuft;
11. erinnert die Regierung Georgiens an die Verpflichtungen, die sie eingegangen ist, und die Werte und Grundsätze, denen sie sich verschrieben hat, als sie die EU-Mitgliedschaft beantragt hat, und fordert den Vizepräsidenten der Kommission und Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, das für Nachbarschaft und Erweiterung zuständige Mitglied der Kommission und die Präsidentin der Kommission auf, dies ebenfalls zu tun;
12. fordert die Kommission auf, eine Zwischenbewertung der Fortschritte Georgiens bei der Umsetzung der neun in der Empfehlung der Kommission vom 8. November 2023 genannten Schritte vorzulegen;
13. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die Auswirkungen dieses Gesetzesentwurfs auf die Rolle der EU als Geber in Georgien zu bewerten und gegenüber der Regierung und dem Parlament Georgiens diese möglichen Auswirkungen und die möglichen Folgen für die Bereitstellung von Finanzmitteln aus der EU im Allgemeinen deutlich zu machen;
14. fordert die Regierung Georgiens nachdrücklich auf, wieder den Weg in Richtung Europa einzuschlagen, ihrer Zusage nachzukommen, die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit, die Menschenrechte und die Grundfreiheiten zu achten, zu stärken und zu fördern, sowie im Geiste des Engagements und einer Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft Georgiens und der politischen Opposition auch tatsächlich auf die vollständige Umsetzung der Schritte hinzuwirken, die erforderlich sind, um die Voraussetzungen für den Bewerberstatus und eine EU-Mitgliedschaft zu erfüllen;
15. bekräftigt seine unerschütterliche Unterstützung für die legitimen europäischen Bestrebungen der Bevölkerung Georgiens und ihren Wunsch, in einem wohlhabenden Land ohne Korruption zu leben, das die Grundfreiheiten uneingeschränkt achtet, die Menschenrechte schützt und eine offene Gesellschaft und unabhängige Medien garantiert; betont, dass die Entscheidung, Georgien den Status eines Bewerberlandes zuzuerkennen, auf dem Wunsch beruhte, die Errungenschaften und die demokratischen Bestrebungen der Zivilgesellschaft Georgiens sowie die überwältigende Unterstützung seiner Bürgerinnen und Bürger für den EU-Beitritt des Landes zu würdigen;
16. fordert eine unparteiische und unabhängige, langfristige internationale Wahlbeobachtungsmission des Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, um die bevorstehende Parlamentswahl in dem Land im Oktober 2024 zu beobachten;
17. beauftragt seine Präsidentin, diese Entschließung dem Vizepräsidenten der Kommission und Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, dem Rat, der Kommission, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten, dem Europarat, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sowie der Präsidentin, der Regierung und dem Parlament Georgiens zu übermitteln.
- [1] ABl. L 261 vom 30.8.2014, S. 4.