Entschließung des Europäischen Parlaments zu Frauen im Entscheidungsprozeß
Das Europäische Parlament,
- gestützt auf Artikel 2, Artikel 3 Absatz 2, Artikel 13, Artikel 137 Absatz 1 fünfter Spiegelstrich und Artikel 141 des EG-Vertrags,
- unter Hinweis auf den Internationalen Frauentag, der am 8. März 2000 begangen wird,
- unter Hinweis darauf, daß mit der Begehung des Internationalen Frauentags am 8. März eines jeden Jahres 1910 in Kopenhagen begonnen wurde,
- unter Hinweis auf seine seit 1984 angenommenen Entschließungen, die auf Berichten des Ausschusses für die Rechte der Frau und des Ausschusses für die Rechte der Frau und Chancengleichheit basierten, insbesondere seine Entschließung vom 11. Februar 1994 zu Frauen im Entscheidungsprozeß(1)
, in der Vorschläge für ein Aktionsprogramm enthalten waren,
- unter Hinweis auf die Wiener Menschenrechtskonfererenz von 1993 und die Aktionsplattform, die im Anschluß an die Vierte Weltfrauenkonferenz vom 15. September 1995 in Peking beschlossen wurde,
- unter Hinweis auf den siebten, kritischen Fragenbereich dieser Konferenz, bei dem die Regierungen die Zusage gaben, den Frauen einen gleichberechtigten Zugang zu Machtstrukturen und Entscheidungsprozessen zu gewähren und sie voll hieran teilnehmen zu lassen,
- in Kenntnis der Entschließung des Rates vom 27. März 1995 und der Empfehlung des Rates 96/694 vom 2. Dezember 1996 über die ausgewogene Mitwirkung von Frauen und Männern am Entscheidungsprozeß,
- in Kenntnis der Ministererklärung vom 17. April 1999 in Paris zu Frauen und Männern in Führungspositionen,
A. in der Erwägung, daß die Kommission gemäß dem Ersuchen in der oben genannten Empfehlung des Rates einen Bericht über die ausgewogene Beteiligung von Frauen und Männern am Entscheidungsprozeß vorlegen soll,
B. in der Erwägung, daß im Rahmen der Verbesserung der Ausgewogenheit zwischen den Geschlechtern in öffentlichen und privaten Entscheidungsgremien in der gesamten Europäischen Union sowohl die verspätete Anerkennung des Frauenwahlrechts als auch fest verwurzelte Einstellungen und Verhaltensweisen in der Gesellschaft als Ganzes überwunden werden müssen, was eine Verbesserung der Bewußtseinsbildung, die Bereitstellung von Ausbildung für Frauen, die Entscheidungspositionen anstreben, und die Erleichterung ihres Zugangs zu solchen Positionen erfordert,
C. in der Erwägung, daß öffentliche und private Einrichtungen sich Ziele für die Behebung des Ungleichgewichts zwischen den Geschlechtern setzen sollten; ferner in der Erwägung, daß eine 40%ige Beteiligung als vernünftiges Ziel festgelegt werden sollte, in deren Rahmen die Leistung auf jährlicher Grundlage verglichen werden kann, wie es derzeit bei den Beschäftigungsleitlinien der Fall ist,
D. in tiefem Bedauern darüber, daß es sowohl in Europa als auch weltweit nach wie vor Ungleichheit, Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und eine Unterrepräsentation von Frauen in Politik und öffentlichen und privaten Einrichtungen gibt - trotz der Vielzahl von politischen Erklärungen und Empfehlunen, Programmen und Projekten und der auf europäischer und nationaler Ebene erlassenen speziellen Rechtsvorschriften,
E. mit der Feststellung, daß eine höhere Beteiligung von Frauen am politischen Leben oft auf die in den betreffenden Ländern geltenden Systeme einer proportionalen Vertretung zurückzuführen ist;
F. in der Erwägung, daß der Vertrag von Amsterdam einen erheblichen Fortschritt insofern darstellt, als darin positive Aktionen als legitimes Mittel zur Beseitigung der Ungleichheit zwischen Frauen und Männern am Arbeitsplatz anerkannt werden,
G. mit der Feststellung, daß Frauen noch immer für gleichwertige Arbeit weniger Lohn erhalten als Männer, obwohl vor über 25 Jahren eine Richtlinie erlassen wurde, in der der Grundsatz der Gleichbehandlung festgeschrieben wurde, öfter als Männer in Arbeitsverhältnissen anzutreffen sind, die durch einen irregulären Status und eine geringere Sicherheit gekennzeichnet sind, und in der Familie den größten Teil der Verantwortung tragen, während im Berufsleben die Entscheidungen nach wie vor größtenteils von Männern getroffen werden,
H. erfreut über die wachsende Zahl weiblicher Mitglieder des Europäischen Parlaments, die rund 30% der im Juli 1999 gewählten Mitglieder ausmachen, während ihr Anteil 1994 nur bei 27% lag; des weiteren erfreut darüber, daß das Europäische Parlament zum zweiten Mal seit seiner ersten Direktwahl im Jahr 1979 eine Frau zu seiner Präsidentin gewählt hat,
I. mit der Feststellung, daß die Frauen in den Entscheidungsorganen auf allen Ebenen und in allen EU-Organen unterrepräsentiert sind, z.B. im Europäischen Parlament, wo die Frauen nur 20% aller Verwaltungsräte, 22% der Direktoren und 15% der Abteilungsleiter stellen und auf Generaldirektorsebene überhaupt nicht vertreten sind,
J. mit der Feststellung, daß trotz umfassender statistischer Bestandsaufnahmen nach wie vor vieles nicht erfaßt ist, vor allem was die Rolle der Frauen in wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen anbelangt,
K. in der Erwägung, daß die anhaltende Unterrepräsentation der Frauen - die über die Hälfte der Bevölkerung ausmachen - im politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereich in einer Demokratie nicht akzeptabel ist,
L. in tiefem Bedauern darüber, daß die Frauen - die Hauptopfer von Menschenrechtsverletzungen wie Vergewaltigung, sexuellem Mißbrauch, häuslicher Gewalt, Menschenhandel usw. - in den gerichtlichen und gesetzgeberischen Gremien, die über die genannten Verbrechen entscheiden und über Rechtsvorschriften beschließen, unterrepräsentiert sind, was zur Folge hat, daß diesen Verbrechen geringe oder gar keine Priorität eingeräumt wird und die Täter, auch wenn sie bekannt sind, oft nicht strafrechtlich verfolgt werden,
M. in tiefem Bedauern darüber, daß die Stimmen der Frauen - die zu den Hauptleidtragenden bewaffneter Konflikte gehören - bei den grundlegenden Entscheidungen über friedenserhaltende Maßnahmen und bei der Aufstellung von Wiederaufbauprogrammen nach Beendigung der Konflikte ungehört bleiben,
N. in der Überzeugung, daß die Vertretung von Frauen in Führungspositionen auf der Basis der Gleichstellung mit den Männern nicht nur eine notwendige Voraussetzung für die erfolgreiche Beendigung der Ungleichheit, der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der Gewalt gegen Frauen ist, sondern auch dem Funktionieren der Gesellschaft als Ganzes zuträglich ist,
1. bekräftigt seine obengenannte Entschließung vom 11. Februar 1994;
2. fordert angesichts der Tatsache, daß seit der Annahme der obengenannten Entschließung sechs Jahre vergangen sind, die Kommission auf, vor Ablauf des Jahres einen Bericht über die tatsächlich getroffenen Maßnahmen und gegebenenfalls eine statistische Auswertung des Ergebnisses vorzulegen;
3. stellt fest, daß der Rückgriff auf Quoten als Übergangsmaßnahme zu einer ausgewogenen Vertretung von Männern und Frauen im politischen Leben beiträgt, und fordert die Schaffung politischer Ausbildungs- und Informationsmöglichkeiten für weibliche Kandidaten durch die Parteien, damit diese sich voller Selbstvertrauen im politische Leben engagieren können;
4. dringt bei den Mitgliedstaaten darauf, sich aktiv für die Verwirklichung einer ausgewogeneren Vertretung von Frauen und Männern in allen EU-Einrichtungen einzusetzen;
5. begrüßt die Absicht der Kommission, einen Vorschlag für ein Fünftes Aktionsprogramm für die Chancengleichheit vorzulegen;
6. erinnert daran, daß die Einbeziehung des Ziels der Chancengleichheit von Männern und Frauen in alle Politikbereiche eine langfristige Umgestaltungsstrategie ist, die ein tiefgreifendes Umdenken bei der Gestaltung und Vermittlung von Politik voraussetzt, und daß sie dazu dienen sollte, die positiven Maßnahmen zu ergänzen;
7. begrüßt die Absicht der Kommission, die Mitwirkung von Frauen in ihren Ausschüssen und Arbeitsgruppen zu fördern, sowie ihre Zusage, die Zahl der Frauen in den Entscheidungsprozessen innerhalb ihrer Verwaltung zu erhöhen;
8. fordert die Kommission auf, der Verbesserung der statistischen Datenbank Priorität einzuräumen, um eine vollständige, EU-weite statistische Übersicht über Frauen in Entscheidungsprozessen zu erhalten, die regelmäßig aktualisiert wird;
9. gelangt zu dem Schluß, daß im Entscheidungsprozeß sowohl Männer als auch Frauen vonnöten sind und daß sich die besonderen Eigenschaften der beiden Geschlechter ergänzen, was nur zu einer besseren Verwaltung beitragen kann;
10. fordert die Mitgliedstaaten auf, Ausbildungskurse für Führungskräfte - Männer wie Frauen - zu unterstützen, um Arbeitsverhältnisse zu fördern, die frei von Diskriminierung sind;
11. fordert die Mitgliedstaaten auf, in den öffentlichen Verwaltungen für die Möglichkeit einer Weiterentwicklung zu sorgen, und zwar mit Blick auf die Förderung der Laufbahnentwicklung von Frauen;
12. fordert die Sozialpartner auf, für eine ausgewogene Vertretung von Frauen und Männern in verantwortungsvollen Positionen und Entscheidungsprozessen einzutreten und bei der Berufung und beruflichen Weiterbildung ihrer Vertreter in den verschiedenen Gremien des sozialen Dialogs die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um dies zu erreichen;
13. fordert die Kommission auf, die Regierungen unter Rückgriff auf die geltenden Vertragsbestimmungen zu ermutigen, Strategien und Programme zu entwickeln und durchzuführen, die auf eine ausgewogene Vertretung der Geschlechter in Entscheidungsgremien und in den am Erweiterungsprozeß beteiligten Gremien und Delegationen abzielen;
14. fordert die Mitgliedstaaten auf, die Zahl der Frauen bei friedenserhaltenden, friedensschaffenden, friedenskonsolidierenden und konfliktverhütenden Aktivitäten, an denen die Mitgliedstaaten beteiligt sind, zu erhöhen; ersucht seinen zuständigen Ausschuß, der Rolle der Frauen in diesen Bereichen besondere Aufmerksamkeit zu schenken und Empfehlungen für eine Einbeziehung des Ziels der Chancengleichheit von Männern und Frauen in alle Bereiche der Konfliktlösung zu unterbreiten;
15. hofft, daß der von der Europäischen Union und den NRO festgelegte Standpunkt auf der bevorstehenden UN-Konferenz über die Weiterbehandlung der Aktionsplattform "Peking plus fünf” im Juni dieses Jahres in New York eine wichtige Rolle spielen wird daß die Regierungen ihn entschlossen umsetzen werden, um ihren Verpflichtungen durch Einleitung konkreter Maßnahmen nachzukommen;
16. beauftragt seine Präsidentin, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den übrigen EU-Organen und -Einrichtungen und den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten zu übermitteln.