Entschließung des Europäischen Parlaments zu den fortdauernden Menschenrechtsverletzungen durch das Taliban-Regime in Afghanistan
Das Europäische Parlament,
- unter Hinweis auf seine Entschließung vom 15. März 2001 zur Lage in Afghanistan und zur Zerstörung des Kulturerbes(1)
,
A. empört über den Beschluss der Taliban-Führung vom 24. Mai 2001, die Hindu- und Sikh-Minderheiten zu zwingen, ein besonderes gelbes Abzeichen auf der Kleidung zu tragen,
B. in Erwägung des jüngsten Erlasses, der - unter dem Vorwand einer Auslegung des islamischen Gesetzes - afghanischen wie ausländischen Frauen das Autofahren untersagt, obwohl diese Textauslegung des Korans und der Scharia durch die Taliban von der weltweiten muslimischen Gemeinschaft weitgehend angefochten wird,
C. in der Erwägung, dass das Taliban-Regime in Afghanistan ungeachtet mehrerer internationaler Appelle in keiner Weise zu erkennen gegeben hat, dass es die Praxis der Verbrechen gegen Frauen, der öffentlichen Verstümmelung und des Vollzugs der Todesstrafe, der Ermordung von Homosexuellen, der Massaker an Minderheiten, der Zerstörung nichtislamischer Kunstschätze und der Verstöße gegen zahlreiche weitere grundlegende Menschenrechte einstellen wird,
D. beunruhigt über die Schließung des italienischen Hospitals in Kabul, dessen Personal von der religiösen Polizei der Taliban misshandelt und/oder verhaftet wurde,
E. unter Hinweis auf die Politik der Unterstützung des internationalen Terrorismus und von Osama bin Laden, dessen Auslieferung die Taliban verweigern, durch die afghanische Regierung,
F. bestürzt über den jüngsten strikten Verhaltenskodex für die Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und ausländische Besucher, die gezwungen werden, Zusagen zu unterschreiben, mit denen sie sich der Auslegung des islamischen Gesetzes durch die Taliban unterwerfen, beispielsweise im Hinblick auf Bekleidungsvorschriften oder Ehebruch, der mit öffentlicher Hinrichtung geahndet wird,
G. äußerst besorgt über neuerliche Angriffe gegen die Berufstätigkeit von Frauen durch die Taliban, die es ablehnen, dass das Welternährungsprogramm (WEP) der Vereinten Nationen afghanische Frauen für die Durchführung einer Untersuchung über die Aufteilung von Lebensmitteln einsetzt,
H. in der Erwägung, dass Afghanistan die schlimmste Dürre seit 30 Jahren droht, die durch die ohnehin schon große Zahl von Flüchtlingen und Vertriebenen im Land noch verschlimmert wird, und dass schätzungsweise 5 Millionen Menschen von internationalen Lebensmittellieferungen abhängen werden,
I. in der Erwägung, dass die Regierungen Pakistans und Saudi-Arabiens das Taliban-Regime ganz offen finanziell und politisch unterstützen,
J. in der Erwägung, dass die weltweite muslimische Gemeinschaft und Mufti Nasr Farid Wasil, die höchste islamische religiöse Autorität Ägyptens und der sunnitischen Muslime, abstreiten, dass die Taliban das richtige Verständnis des Islam vertreten, und auch deren Fatwas (religiöse Urteile) ablehnen,
1. bekräftigt seine nachdrückliche Verurteilung der von den Taliban verfolgten Politik der systematischen Missachtung der Menschenwürde;
2. ist der Überzeugung, dass Fortschritte auf dem Weg zu Demokratie, Achtung der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit die einzige Möglichkeit sind, die von den Vereinten Nationen verhängten Sanktionen gegen Afghanistan aufzuheben;
3. verurteilt mit allem Nachdruck insbesondere den neuen Beschluss der Taliban, Mitglieder religiöser Minderheiten zum Tragen von Abzeichen zu zwingen, und betont, dass dieser Beschluss in der jüngeren Geschichte keine anderen Vorläufer hat als die Verfolgung der Juden durch die Nationalsozialisten;
4. weist das Taliban-Regime darauf hin, dass die Praxis, Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten zu zwingen, besondere Kleidung zu tragen, eine inakzeptable Form der nach dem Völkerrecht untersagten Diskriminierung darstellt;
5. verurteilt die neuen Verstöße gegen die Rechte der Frau und ist der Auffassung, dass die jüngsten Verbote der Taliban die ohnehin erschreckende Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen des Taliban-Regimes noch vermehren, das wegen seiner Politik der geschlechtsspezifischen Apartheid und der systematischen Unterdrückung praktisch aller individuellen Freiheiten berüchtigt ist;
6. stellt fest, dass die Politik und die Art der Rechtsprechung der Taliban nicht die wahren Werte und Ideen des Islam widerspiegeln und von der Mehrheit der muslimischen Gemeinschaft kategorisch abgelehnt werden;
7. warnt die Taliban, dass derartige barbarische Maßnahmen ihr Regime noch weiter isolieren werden, und wiederholt seine Aufforderung an Pakistan und Saudi-Arabien, jegliche Form der Unterstützung der Taliban einzustellen;
8. fordert Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Pakistan auf, ihre diplomatische Anerkennung des Taliban-Regimes zu revidieren;
9. begrüßt die Empfehlung eines Überwachungssystems zur Durchsetzung eines Waffenembargos gegen die Taliban, die die UN-Sachverständigengruppe am 6. Juni 2001 ausgesprochen hat, einschließlich eines UN-Überwachungsbüros und von Kontrollteams in den sechs an Afghanistan angrenzenden Ländern, und fordert diese Länder zu uneingeschränkter Zusammenarbeit auf;
10. bedauert jedoch, dass bisher noch kein Termin für den Beginn der Durchführung der Maßnahmen festgelegt wurde;
11. fordert den Rat auf, seinen Druck auf das Taliban-Regime zu erhöhen, und wiederholt seine Forderung an den Rat, einen politischen Beitrag zur Wiederherstellung des Friedens in Afghanistan, u.a. durch Koordinierung ihrer Initiativen gegenüber den angrenzenden Ländern, insbesondere Indien, Russland und Iran, zu leisten;
12. fordert die Vereinten Nationen auf, einen unabhängigen Untersuchungsausschuss über Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan einzusetzen, um die sich ständig verschlechternde Situation besser überwachen und Vorbereitungen für ein internationales Ad-hoc-Tribunal für Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter der Herrschaft des Taliban-Regimes treffen zu können;
13. fordert die Kommission auf, ein ECHO-Büro in Dushanbe zu eröffnen, um besser auf die katastrophale humanitäre Lage im nördlichen Teil des Landes reagieren zu können;
14. fordert die Kommission auf, angemessene Sofortmaßnahmen vorzusehen, die erforderlich sind, um die Lebensbedingungen der Bevölkerung zu verbessern, insbesondere in den von Oppositionskräften kontrollierten Gebieten sowie in den Flüchtlingslagern in Iran und Pakistan;
15. beauftragt seine Präsidentin, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der Taliban-Regierung, der Nordallianz sowie den Regierungen Pakistans, Saudi-Arabiens, der Vereinigten Arabischen Emirate, Indiens, Chinas, Russlands, Irans, Usbekistans und Tadschikistans zu übermitteln.