Entschließung des Europäischen Parlaments zum 12. Gipfeltreffen EU-Russland vom 6. November 2003 in Rom
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu Russland,
– in Kenntnis des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens zwischen der Europäischen Union und Russland, das am 1. Dezember 1997 in Kraft trat,
– in Kenntnis der Gemeinsamen Strategie der Europäischen Union für Russland vom 4. Juni 1999, deren Geltungsdauer bis zum 24. Juni 2004 verlängert wurde,
– unter Hinweis auf seine Entschließungen vom 10. April 2002(1), 16. Januar 2003(2) und 3. Juli 2003(3) zu Tschetschenien,
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 15. Mai 2003 zum Gipfeltreffen EU/Russland(4),
– in Kenntnis der Mitteilung der Kommission vom 11. März 2003 an den Rat und das Europäische Parlament "Größeres Europa – Nachbarschaft: Ein neuer Rahmen für die Beziehungen der EU zu ihren östlichen und südlichen Nachbarn" (KOM(2003) 104),
– unter Hinweis auf das Sechste Treffen des Kooperationsrates EU-Russland vom 15. April 2003,
– unter Hinweis auf die Gemeinsame Erklärung des 12. Gipfeltreffens EU-Russland, das am 6. November 2003 in Rom stattfand,
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 20. November 2003(5) zu der oben genannten Mitteilung vom 11. März 2003,
– in Kenntnis der Erklärung des Ratsvorsitzes vom 8. Oktober 2003 und der Erklärung des Rates "Allgemeine Angelegenheiten" vom 17. November 2003,
A. in der Erwägung, dass eine verstärkte und umfassende Zusammenarbeit mit Russland strategische Bedeutung für die Verwirklichung von Stabilität und Sicherheit in ganz Europa hat,
B. in der Erwägung, dass sich durch die Erweiterung die Grenzen der Europäischen Union mit Russland verlängern werden, wodurch die Bindungen zwischen den beiden Seiten noch enger werden und die Notwendigkeit gutnachbarschaftlicher Beziehungen noch dringlicher wird,
C. in der Erwägung, dass die Grundlagen der Russland-Politik der Union, insbesondere das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen, die Gemeinsame Strategie und das Programm TACIS, bereits vor einigen Jahren geschaffen wurden und aktualisiert werden müssen,
D. in der Erwägung, dass das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen, insbesondere von der russischen Seite, noch zu wenig genutzt wird und langwierige Beschlussfassungsverfahren bezüglich der Aufteilung der Zuständigkeiten innerhalb der russischen Regierung die optimale Ausnutzung seiner Möglichkeiten beeinträchtigen,
E. in der Erwägung, dass die Weiterentwicklung des demokratischen Prozesses in Russland, vor allem im Bereich freier und fairer Wahlen, der Informationsfreiheit, der Freiheit der Medien und der Rechtsstaatlichkeit, und die Einbeziehung Russlands in umfassendere politische, wirtschaftliche, wissenschaftliche und sicherheitspolitische Strukturen miteinander verknüpfte Prozesse sind,
F. in der Erwägung, dass die Krise in Tschetschenien noch nicht beigelegt ist und weiterhin Verstöße gegen die Menschenrechte bei den russischen Sicherheitskräften und Truppen, die angeblich unter der Kontrolle des neugewählten tschetschenischen Präsidenten stehen, begangen werden, die sich zunehmend auf die Nachbarrepublik Inguschetien ausweiten; in der Erwägung, dass auch weiterhin angeblich von tschetschenischen Kämpfern begangene Angriffe gegen russische Truppen, gegen Mitglieder der tschetschenischen Verwaltung, gegen die unbewaffnete Zivilbevölkerung und gegen Personen im Umfeld von Präsident Achmad Kadyrow erfolgen,
G. in der Erwägung, dass die Union ihrer Verantwortung, eine vorrangige Rolle in der Weltpolitik zu spielen, nicht gerecht wird, wenn sie gegenüber diesem Konflikt die Augen verschließt,
H. unter Hinweis auf die jüngsten nicht transparenten Maßnahmen der russischen Justiz, z.B. in Bezug auf "Yukos" und das Institut "Offene Gesellschaft",
1. nimmt die auf dem Gipfeltreffen erzielte Vereinbarung zur Kenntnis, die strategische Partnerschaft zwischen der Union und Russland auf der Grundlage gemeinsamer Werte und mit dem Ziel, Stabilität, Sicherheit und Wohlstand in einem Europa ohne Trennlinien zu konsolidieren, zu verstärken; unterstreicht jedoch im Hinblick auf die zweigleisige Politik gegenüber Russland, dass das Verständnis und die Definition dieser gemeinsamen Werte verbessert werden sollten;
2. begrüßt das Engagement, eine weitere Annäherung und umfassende Integration der sozialen und wirtschaftlichen Strukturen der erweiterten Europäischen Union und Russlands zu fördern, "gemeinsame Räume" zwischen beiden Seiten zu schaffen und dafür zu sorgen, dass der Ständige Partnerschaftsrat EU-Russland seine Tätigkeit aufnimmt;
3. begrüßt insbesondere die Unterstützung des Konzepts eines Gemeinsamen Europäischen Wirtschaftsraums, das einen Plan für die wirtschaftliche Integration bietet, und fordert beide Seiten auf, diese Arbeit fortzusetzen und Vorschläge zu unterbreiten, wie Handel und Investitionen gefördert und so rasch wie möglich greifbare Ergebnisse erzielt werden können;
4. erkennt an, dass es wünschenswert ist, die langfristigen Beziehungen zwischen der Union und Russland auf dem Energiesektor zu stärken, um die gegenseitige Energiesicherheit zu gewährleisten, und begrüßt die Fortschritte, die im Rahmen des laufenden Energiedialogs erzielt wurden, der darauf ausgerichtet ist, eine Energiepartnerschaft zwischen Russland und der Union als Bestandteil des Gemeinsamen Europäischen Wirtschaftsraums zu begründen; unterstreicht die wichtige Rolle Russlands als Energielieferant der Union sowie die Bedeutung der Union für Investitionen in diesem Bereich, insbesondere für dringende Wartungsarbeiten und Investitionen in neue, ökologisch verlässlichere Techniken;
5. begrüßt die Vereinbarung, die Arbeiten zur Schaffung eines gemeinsamen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts auszuweiten, wobei der Schwerpunkt auf gemeinsamen demokratischen Werten, insbesondere der Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit, liegt; erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass die Rechtsvorschriften von den russischen Behörden und insbesondere der Justiz fair, transparent, nichtdiskriminierend und unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit angewandt werden müssen; ist der Auffassung, dass Angeklagte ein faires Verfahren erhalten müssen, damit sie die Möglichkeit haben, sich zu verteidigen;
6. fordert den Rat und die Kommission in diesem Zusammenhang auf, den demokratischen Prozess und vor allem die Durchführung von Justizreformen in Russland weiterhin zu unterstützen, da die Nichtachtung dieser Schlüsselgrundsätze nicht nur die Fortschritte untergraben würde, die Russland bei der Schaffung eines positiven Umfelds für die Entwicklung von Handel und Investitionen durch russische und ausländische Unternehmen erzielt hat, sondern auch die Integration Russlands in den Gemeinsamen Europäischen Wirtschaftsraum verzögern könnte;
7. begrüßt die Erneuerung des Abkommens über Zusammenarbeit in Wissenschaft und Technologie sowie die russische Beteiligung am Bologna-Prozess, der die gegenseitige Anerkennung von Diplomen vorsieht; weist insbesondere darauf hin, dass dieses Abkommen die Beteiligung russischer Wissenschaftler am Sechsten EG-Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung ermöglicht; ruft beide Seiten auf, spezifische Programme zur Förderung ihrer Zusammenarbeit in den Bereichen Spitzentechnologie und wissenschaftliche Forschung, einschließlich Flugzeugbau, Weltraumforschung, Kernenergie, Telekommunikation und gesamteuropäisches Verkehrssystem, zu verabschieden;
8. begrüßt die Schaffung eines gemeinsamen Raums der äußeren Sicherheit sowie den hohen Grad an Einvernehmen in Bezug auf eine Reihe von aktuellen internationalen Themen und die zentrale Rolle der Vereinten Nationen bei internationalen Fragen; schließt sich beiden Seiten bei der Verurteilung aller Terrorakte und bei der Hervorhebung der Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit zur Bekämpfung des Terrorismus in all seinen Formen an;
9. äußert sich in diesem Zusammenhang tief besorgt über anhaltende Berichte über schwere Verstöße gegen die Menschenrechte in Tschetschenien und fordert die russischen Behörden nachdrücklich auf, eine ungehinderte Beobachtung der Achtung der Menschenrechte durch internationale Organisationen in Tschetschenien zuzulassen, unverzüglich den russischen Behörden, die versuchen, innerhalb des Landes vertriebene Tschetschenen und tschetschenische Flüchtlinge zu einer Rückkehr zu zwingen, solange Einhalt zu gebieten, bis sie freiwillig in Sicherheit und Würde an ihren Herkunftsort oder den Ort ihrer Wahl zurückkehren können, und unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, um jene Personen vor Gericht zu stellen, die für die schweren Verstöße während des Konflikts in Tschetschenien verantwortlich sind, sowie konkrete Informationen über alle strafrechtlichen Untersuchungen mutmaßlicher Verbrechen zur Verfügung zu stellen, die sich als Verletzung der Menschenrechte oder des humanitären Rechts erweisen können;
10. fordert den Rat und die Kommission ferner auf, erneut ihre Besorgnis über die Entführung des niederländischen Mitarbeiters von "Ärzte ohne Grenzen", Arjan Erkel, zum Ausdruck zu bringen;
11. begrüßt den Beschluss des britischen Gerichts, die von den russischen Behörden beantragte Auslieferung des tschetschenischen Führers Achmed Sachajew abzulehnen;
12. unterstützt die Erklärung seines Präsidenten zur unzureichenden Behandlung der Themen Tschetschenien und Kyoto in der Gemeinsamen Erklärung des Gipfeltreffens;
13. bedauert die Erklärungen des amtierenden EU-Ratsvorsitzenden zum Abschluss des Gipfeltreffens EU-Russland, in denen er seine Unterstützung für die Haltung der russischen Regierung im Zusammenhang mit der Menschenrechtssituation in Tschetschenien und dem Zustand der Demokratie in der Russischen Föderation äußerte;
14. fordert den Rat und die Kommission mit Nachdruck auf, die Tschetschenien-Frage als separaten Punkt im Rahmen der Beziehungen EU-Russland weiterhin vorrangig zu behandeln und die russischen Behörden erneut aufzufordern, die Verhandlungen mit allen Parteien wiederaufzunehmen, um eine sofortige politische Lösung des Konflikts zu erreichen, der nicht allein als Element der Terrorismusbekämpfung angesehen werden kann, wobei deutlich gemacht werden sollte, dass die Union bereit ist, als Vermittler tätig zu werden;
15. weist darauf hin, dass die politische Lösung der Transnistrien-Frage nur in Kombination mit dem vollständigen Abzug der russischen Truppen aus der Republik Moldau möglich ist, und fordert Russland dringend auf, seinen internationalen Verpflichtungen nachzukommen und seine Truppen innerhalb der auf den OSZE-Tagungen in Istanbul und Porto vorgegebenen Frist zurückzuziehen;
16. begrüßt die Übereinkunft, den Dialog über die Nichtverbreitung von Kernwaffen, Abrüstung, Rüstungskontrolle und Koordinierung von Maßnahmen im Rahmen der bestehenden internationalen Verträge zu verstärken; weist erneut darauf hin, wie wichtig die Abrüstung bei Atom- und Chemiewaffen für das Nichtverbreitungssystem ist, und fordert Russland und die EU-Mitgliedstaaten auf, in diesen Bereichen eine führende Rolle zu übernehmen;
17. begrüßt die Unterzeichnung des Abkommens zwischen der Russischen Föderation und Europol und drängt Russland, die Verhandlungen über ein Rückführungsabkommen zwischen der Europäischen Union und Russland zügig zum Abschluss zu bringen, schärfer gegen das organisierte Verbrechen vorzugehen und die Zusammenarbeit im Bereich der Grenzverwaltung zu fördern;
18. nimmt mit Befriedigung das Engagement zur Kenntnis, das Kaliningrad-Paket, einschließlich der Einleitung einer Durchführbarkeitsstudie für eine Hochgeschwindigkeitszugverbindung vor Ende 2003 und ihrer fristgerechten Fertigstellung, so rasch wie möglich und vollständig umzusetzen; begrüßt das Inkrafttreten der Grenzvereinbarung zwischen Russland und Litauen und fordert Russland auf, seine Grenzvereinbarung mit Estland und Lettland zu unterzeichnen und zu ratifizieren;
19. ist weiterhin davon überzeugt, dass es möglich und erstrebenswert ist, auf einen raschen Beitritt Russlands zur WTO hinzuarbeiten, und ruft beide Seiten auf, ihre Anstrengungen zu verstärken und die noch ungelösten Fragen zum Abschluss der Verhandlungen über den bilateralen Marktzugang und den Schutz ausländischer Direktinvestitionen im Zusammenhang mit dem Beitritt Russlands zur WTO zu regeln und dabei für beide Seiten akzeptable und wirtschaftlich tragfähige Bedingungen zu gewährleisten;
20. bedauert, dass die Umweltprobleme, für die die Union und Russland gemeinsam Verantwortung tragen, auf dem Gipfel nicht erörtert wurden; weist darauf hin, dass die bedrohte Umwelt in der Ostseeregion zu den Fragen gehört, denen hohe Priorität hätte beigemessen werden müssen;
21. betont, dass Russland die ESPO-Konvention über Umweltverträglichkeitsprüfungen im grenzüberschreitenden Rahmen ratifizieren und beachten muss, um wirksame Umweltschutzmaßnahmen für die Ostsee durchzusetzen; weist darauf hin, dass die gesamte Ölförderung im Bereich der Ostsee unabhängig vom Förderstandort einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) unterzogen werden muss; weist darauf hin, dass diese UVP im Einklang mit internationalen Normen durchgeführt werden, allen anderen Ländern zugänglich sein und auch für den Bau neuer Großraumhäfen bzw. die Verlängerung der Betriebszeit von Kernkraftwerken gelten muss;
22. erwartet von Russland konkrete und rasche Maßnahmen zu dem EU-Vorschlag, die Ausmusterung von Einhüllentankern zu beschleunigen;
23. fordert die Duma auf, ihre Verpflichtungen einzuhalten und möglichst rasch das Kyoto-Protokoll als ein Schlüsselelement für die Ausweitung des Multilateralismus zu ratifizieren;
24. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Parlamenten der Mitgliedstaaten und der Beitrittsländer sowie dem Präsidenten, dem Parlament und der Regierung der Russischen Föderation zu übermitteln.