Entschließung des Europäischen Parlaments zur Lage der Menschenrechte in Äthiopien
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu Äthiopien,
– gestützt auf Artikel 115 Absatz 5 seiner Geschäftsordnung,
A. angesichts der gewaltsamen Niederschlagung der Protestkundgebungen am 8. Juni 2005, nachdem die Bekanntgabe der Endergebnisse der Parlamentswahlen vom 15. Mai 2005 vertagt worden war, und bei der es 36 Tote, über 100 Verletzte und mehrere Tausend Festnahmen gab,
B. in der Erwägung, dass nach äthiopischem Recht jede festgenommene Person binnen 48 Stunden einem Richter vorzuführen ist,
C. in der Erwägung, dass der Wahlprozess bis zu diesem Zeitpunkt ohne größere Zwischenfälle abgelaufen war und die äthiopische Bevölkerung ihr Vertrauen in die Demokratie dadurch bewiesen hat, dass rund 90% der Wahlberechtigten am 15. Mai 2005 an den Wahlen teilgenommen haben,
D. in der Erwägung, dass bei der Wahlkommission 299 Beschwerden wegen Wahlbetrugs eingegangen sind und die Wahlkommission beschlossen hat, in 135 Wahlkreisen eine Untersuchung durchzuführen,
E. in der Erwägung, dass als Ergebnis dieser Untersuchungen in einigen Wahlkreisen eine erneute Stimmenauszählung oder Neuwahlen beschlossen werden könnten,
F. in der Erwägung, dass die zunächst für den 8. Juni 2005 und dann für den 8. Juli 2005 vorgesehene endgültige Bekanntgabe der Wahlergebnisse verschoben werden muss, bis die Ergebnisse der Prüfung der Beschwerden vorliegen,
G. in der Erwägung, dass die Abstimmung für die Wahl der 23 Abgeordneten aus der Region Somalia im August 2005 stattfinden soll,
H. in der Erwägung, dass sich die Regierung und die Oppositionsparteien in einer gemeinsamen Erklärung am 10. Juni 2005 verpflichtet haben, sich um eine Lösung aller Probleme mit legalen und friedlichen Mitteln zu bemühen,
I. in der Erwägung, dass die politische Stabilität in Äthiopien für alle Länder am Horn von Afrika von entscheidender Bedeutung ist,
1. verurteilt das gewaltsame Vorgehen gegen Zivilisten und führende Vertreter und Anhänger der Opposition und die Tötung von mindestens 36 Personen;
2. bringt sein Mitgefühl und seine Solidarität mit dem äthiopischen Volk zum Ausdruck und spricht den Familien der Opfer sein Beileid aus;
3. wünscht, dass eine unparteiische Untersuchungskommission die für den tragischen Verlauf der Ereignisse vom 8. Juni 2005 Verantwortlichen ermittelt und die Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden;
4. fordert die Freilassung von Journalisten und sonstigen Personen, gegen die keinerlei Beschuldigungen mehr vorliegen, und fordert ferner, dass die inhaftierten Personen unter strengster Einhaltung der äthiopischen Gesetze und der äthiopischen Verfassung nach internationalen Rechtsnormen für die Wahrung der Menschenrechte behandelt werden;
5. begrüßt die kürzlich erfolgte Freilassung von rund 4 000 Häftlingen und die Ankündigung der Regierung, wonach die Gefangenen im Militärcamp von Ziway nun Kontakt zu ihren Familien und zum Internationalen Komitee vom Roten Kreuz aufnehmen dürfen; unterstreicht in diesem Zusammenhang die wichtige Rolle, die das IKRK bei der Unterstützung der Häftlinge und der Untersuchung der Einhaltung der Menschenrechte in den Gefängnissen spielen kann und spielen muss;
6. begrüßt, dass Vertreter der Opposition und internationale Beobachter am Prozess der Prüfung der Wahlbeschwerden teilnehmen können, um zu zweifelsfreien Ergebnissen zu gelangen;
7. fordert mit Nachdruck, dass die Vereinbarung vom 10. Juni 2005 streng eingehalten wird, und wünscht, dass die Europäische Union weiterhin zu einer friedlichen und demokratischen Lösung der politischen Krise in Äthiopien beiträgt, indem sie insbesondere Beobachter zur Teilnahme an dem Prozess zur Untersuchung der angefochtenen Wahlergebnisse entsendet;
8. ruft die Europäische Union und die internationale Gemeinschaft auf, wachsam zu bleiben und alles daran zu setzen, um zu einer friedlichen Lösung der gegenwärtigen Spannungen beizutragen und sicherzustellen, dass der Demokratisierungsprozess in Äthiopien nicht zum Stillstand kommt;
9. fordert die äthiopische Regierung auf, die Beschränkungen für die Berichterstattung über Tätigkeiten und Aussagen der Opposition in den Medien unverzüglich aufzuheben, und fordert, dass umgehend in Absprache mit den Medien ein Verhaltenskodex für die Presse festgelegt wird;
10. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission und der äthiopischen Regierung zu übermitteln.