Entschließung des Europäischen Parlaments zu den Naturkatastrophen (Bränden und Überschwemmungen) dieses Sommers in Europa
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf die Artikel 2, 6 und 174 des EG-Vertrags,
– unter Hinweis auf seine Entschließungen vom 5. September 2002 zu der Flutkatastrophe in Mitteleuropa(1), vom 13. Januar 2005 zu dem Ergebnis der Klimakonferenz von Buenos Aires(2), vom 14. April 2005 zur Dürre in Portugal(3) und vom 12. Mai 2005 zur Dürre in Spanien(4),
– unter Hinweis auf das Kyoto-Protokoll zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (UNFCCC) vom 11. Dezember 1997 und die Ratifizierung des Kyoto-Protokolls durch die Europäische Gemeinschaft am 31. Mai 2002,
– in Kenntnis der Studie des Instituts für Umwelt und Nachhaltigkeit der Gemeinsamen Forschungsstelle der Kommission zum Klimawandel und zur Wasserdimension in Europa(5),
– in Kenntnis der Mitteilung der Kommission vom 3. November 1998 über eine Strategie der Europäischen Union für die Forstwirtschaft (KOM(1998)0649),
– in Kenntnis des Vorschlags der Kommission für das künftige Programm Life+ vom 29. September 2004 (KOM(2004)0621),
– unter Hinweis auf den neuen Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER),
– in Kenntnis der Mitteilung der Kommission vom 20. April 2005 über die Stärkung der Reaktion der EU auf Katastrophen und Kristen in Drittländern (KOM(2005)0153),
– in Kenntnis der Mitteilung der Kommission vom 20. April 2005 über die Verbesserung des Gemeinschaftsverfahrens für den Katastrophenschutz (KOM(2005)0137),
– gestützt auf Artikel 103 Absatz 4 seiner Geschäftsordnung,
A. angesichts der Instabilität des europäischen Klimas sowie der verheerenden Brände und schweren Überschwemmungen, die im Sommer 2005 Todesopfer gefordert und Zerstörungen auf dem gesamten europäischen Kontinent, darunter auch in den EU-Mitgliedstaaten, in den Bewerberländern und in den unmittelbaren Nachbarstaaten der Europäischen Union verursacht haben; in der Erwägung, dass der Hurrikan Katrina beispiellose Verwüstungen in den Staaten Louisiana, Mississippi und Alabama der USA angerichtet hat,
B. in der Erwägung, dass in den betroffenen Ländern Dutzende von Menschen – Feuerwehrleute, Soldaten, Zivilpersonen und freiwillige Helfer – beim Kampf gegen diese besonders heftigen Brände oder schweren Überschwemmungen ihr Leben verloren haben,
C. in der Erwägung, dass diese Katastrophen in Europa umfangreiche Schäden verursacht haben, d.h. hunderttausende Hektar Wald und unterschiedlichster Vegetation, Weinberge, Olivenbäume, Obstgärten, Häuser und landwirtschaftliche Infrastrukturen in Portugal, Spanien, Frankreich und Griechenland vernichtet haben,
D. in der Erwägung, dass ein Teil der Brände durch die Dürre und die hohen Temperaturen dieses Sommers, allerdings auch durch die Vernachlässigung des ländlichen Raums, die unzureichende Pflege der Wälder, die Anpflanzung ungeeigneter Baumarten und einen erheblichen Prozentsatz krimineller Aktivitäten ausgelöst wurde,
E. in der Erwägung, dass die in Südeuropa verzeichnete extreme und gravierende Trockenheit dazu beigetragen hat, die Bodenfeuchtigkeit zu verringern, womit die Gefahr von Waldbränden und ihrer Aggressivität steigt; in der Erwägung, dass die letzten Jahre durch zahlreiche Dürreperioden und eine immer größere Zahl von Waldbränden in den Regionen Südeuropas geprägt waren, was die Verödung vieler Regionen verstärkt und Landwirtschaft, Viehzucht und Forstwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen hat,
F. in der Erwägung, dass der Klimawandel eine der großen Herausforderungen im 21. Jahrhundert ist und weltweit beträchtliche negative Auswirkungen auf die Umwelt, die Wirtschaft und die Gesellschaft hat, auch in Form der zunehmenden Häufigkeit und Intensität extremer Wetterlagen auf der gesamten Erde; in der Erwägung, dass die Ziele des Kyoto-Protokolls eine wesentliche Bedingung für eine globale Strategie im Hinblick auf den Klimawandel sind, dass aber weitere Ziele für den Zeitraum nach 2012 gesetzt werden müssen;
G. angesichts des wirtschaftlichen und sozialen Schadens durch diese Brände und Überschwemmungen für die örtliche Wirtschaft, die Erwerbstätigkeit und den Fremdenverkehr,
H. in der Erwägung, dass diese Brände ein gemeinsames und immer wiederkehrendes Problem in ganz Südeuropa darstellen und dass die Besonderheiten der Wälder sowie die klimatischen Merkmale diese Region Europas zu einem der gefährdetsten Gebiete der Union machen,
I. in der Erwägung, dass die Länder Mittel-, Ost und Nordeuropas zum zweiten Mal in vier Jahren von schweren Überschwemmungen heimgesucht wurden, wobei Tausende von Familien mit ihren Häusern und ihrem sonstigen Hab und Gut, jedoch auch die öffentlichen Infrastrukturen und die Landwirtschaft unmittelbar betroffen waren,
J. in der Erwägung, dass die Mitgliedstaaten, insbesondere die Kohäsionsländer, sowie die Beitritts- und Nachbarländer Schwierigkeiten haben, Naturkatastrophen von einer derartigen Tragweite allein zu bewältigen und daher auf Solidarität und Unterstützung angewiesen sind,
K. in der Erwägung, dass das Ausmaß der Brände und die Schäden durch die Überschwemmungen oft über die Binnengrenzen hinausreichen und daher die gemeinsamen Ressourcen zur Bekämpfung von Naturkatastrophen sowie die gemeinschaftlichen Zivilschutzverfahren verstärkt werden müssen,
L. in der Erwägung, dass die Politik für die Entwicklung des ländlichen Raums nicht ausreicht, um dieses Problem zu bewältigen, und dass die Hilfen für die Landwirte zum Anlegen von Brandschneisen überraschenderweise aus dem neuen Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) nicht mehr finanziert werden,
M. in der Erwägung, dass die Mitteilung der Kommission über eine Waldstrategie für die Europäische Union keine speziellen Maßnahmen zur Brandbekämpfung vorsieht, obwohl es sich hierbei um einen der wichtigsten Faktoren für die Verschlechterung der Situation der Wälder in Europa handelt,
N. in Kenntnis der Mitteilung der Kommission über das Risiko- und Krisenmanagement in der Landwirtschaft sowie der Mitteilungen über die Reaktionsfähigkeit der Europäischen Union im Falle von Katastrophen und Krisen und die Verbesserung des Gemeinschaftsverfahrens für den Katastrophenschutz;
1. bringt seine Solidarität und sein tief empfundenes Mitgefühl mit den Angehörigen der ums Leben Gekommenen sowie mit den Bewohnern der in diesem dramatischen Sommer geschädigten Gebiete zum Ausdruck; würdigt den Einsatz der Feuerwehrleute und der zivilen Hilfskräfte, die sich unter Einsatz ihres Lebens an den Maßnahmen zum Löschen der Brände beteiligt haben;
2. ist der Auffassung, dass die Folgen dieser Katastrophen nicht nur eine nationale Bedeutung haben, sondern dass sie auch ein wirkliches europäisches Engagement erfordern;
3. begrüßt die von der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten zum Ausdruck gebrachte Solidarität mit den betroffenen Regionen sowohl in den Mitgliedstaaten als auch in den Bewerberländern und die ihren Behörden und Hilfsorganisationen geleistete wertvolle Hilfe;
4. zeigt sich besorgt über die zunehmende Zahl von Naturkatastrophen, die nach Meinung von Experten wegen der Verschärfung extremer Entwicklungen zu einem großen Teil auf den Klimawandel zurückgeführt werden können;
5. bekräftigt, dass das Kyoto-Protokoll das zentrale Instrument der weltweiten Strategie bleibt, dem Klimawandel Einhalt zu gebieten; fordert die Kommission auf, die Initiative zu ergreifen, um die Erfüllung der Verpflichtungen von Kyoto und Folgemaßnahmen zu gewährleisten; deutet die extremen Wetterlagen als weitere Anzeichen für die Notwendigkeit ehrgeiziger weltweiter Bemühungen, den Klimawandel aufzuhalten;
6. hält es ebenfalls für notwendig, rasch eine Anpassung der Bestimmungen für den Solidaritätsfonds vorzunehmen, um die Unterstützung der von Katastrophen wie Dürre oder Waldbränden betroffenen Bevölkerungen explizit zu berücksichtigen und die nationalen Behörden zu verpflichten, die Bürger über die finanzielle Unterstützung der Europäischen Gemeinschaft zu informieren und diese Unterstützung in einzelnen Vorhaben sichtbar zu machen; besteht ferner auf der Notwendigkeit, diese Unterstützung unverzüglich auf die betroffenen Regionen und Länder anzuwenden;
7. weist auf den Solidaritätsfonds im Haushalt der Union hin und hofft, dass die Kommission die notwendigen Mittel rasch freigeben wird, sobald die betroffenen Mitgliedstaaten ihre Anträge auf finanzielle Unterstützung eingereicht haben, ebenso auf die Heranführungshilfe, um die Bewerberländer und die Drittstaaten dabei zu unterstützen, die Folgen der Überschwemmungen rasch zu bewältigen;
8. appelliert an die Kommission, ihre Zusammenarbeit mit den nationalen Behörden fortzusetzen, um die betroffene Bevölkerung zu unterstützen, die Umweltauswirkungen von Bränden und Überschwemmungen zu verringern, öffentliche Beihilfen bereitzustellen, um das Produktionspotential in den betroffenen Regionen wiederherzustellen, zu versuchen, die Schaffung von Arbeitsplätzen wieder anzukurbeln und die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um die mit dem Verlust von Arbeitsplätzen und anderen Einkommensquellen einhergehenden sozialen Kosten zu kompensieren; fordert die Kommission ferner nachdrücklich auf, alle relevanten gemeinschaftlichen Verwaltungsverfahren, insbesondere jene, die sich auf die Notwendigkeit zur Änderung der Programme im Rahmen der Strukturfonds und des Kohäsionsfonds richten, zügig durchzuführen und die allzu rigide Vorgehensweise bei der Anwendung dieser Fonds flexibler zu gestalten;
9. ersucht die Kommission und die Mitgliedstaaten, auf eine engere Zusammenarbeit bei den Zivilschutzmaßnahmen im Falle von Naturkatastrophen hinzuarbeiten, um durch Verfügbarmachung der erforderlichen Mittel für schnelle Alarmierungskoordination und für die Bereitstellung der Logistik deren verheerenden Auswirkungen vorzubeugen bzw. sie zu minimieren, insbesondere durch die Bereitstellung zusätzlicher Mittel für den Zivilschutz in bedeutenden Notfällen sowie durch die Einsetzung eines Europäischen Zivilschutzkorps mit besonderer Berücksichtigung der Gefährdungslage in Grenzregionen;
10. fordert den Rat auf, die Notwendigkeit langfristiger Investitionen in Maßnahmen, die solchen Katastrophen vorbeugen und/oder deren Schäden begrenzen können, nicht zu ignorieren, und daher seine Strategie aufzugeben, die künftige Finanzielle Vorausschau auf 1 % des Bruttonationaleinkommens der EU zu begrenzen;
11. ersucht die Kommission, die Gründe, Konsequenzen und Auswirkungen der Brände dieses Sommers, insbesondere für den europäischen Forstsektor, eingehend zu analysieren, Vorschläge für die Entwicklung einer gemeinschaftlichen Politik zur Kontrolle von Waldbränden vorzulegen und ein gemeinsames Protokoll gegen Feuer auszuarbeiten; fordert, dass die Wiederaufforstungspolitik für die betroffenen Gebiete auf der Beachtung der bioklimatischen und umweltbedingten Gegebenheiten basiert und Arten und Sorten verwendet werden, die resistenter gegen Brände und Trockenheit sind und den örtlichen Bedingungen entsprechen; besteht nachdrücklich auf Unterstützung der Union bei der Wiederaufforstung;
12. fordert die Kommission auf, Maßnahmen, u.a. auch zur Stärkung des öffentlichen Bewusstseins, zu unterstützen, die eine nachhaltigere Nutzung von Wasser, Böden und biologische Ressourcen, insbesondere in Südeuropa, fördern;
13. bedauert den Beschluss des Rates, die Hilfen für die Landwirte zum Anlegen von Brandschneisen einzustellen, und spricht sich für die Wiedereinführung dieser Finanzhilfen aus; unterstreicht die Notwendigkeit, Maßnahmen für eine effektive Verhütung von Waldbränden zu entwickeln, und bekräftigt, dass die Kommission Überwachungs- und Präventivmaßnahmen fördern muss, insbesondere im Rahmen der "Forest Focus"-Verordnung und der neuen Waldstrategie für die Europäische Union, um die Wälder in der Gemeinschaft vor Bränden zu schützen und vor allem geeignete Maßnahmen zur Verhütung von Waldbränden zu finanzieren, so Brandschneisen, Waldwege, Zugangspunkte, Wasserstellen und Forstwirtschaftsprogramme;
14. empfiehlt die Einrichtung einer Europäischen Beobachtungsstelle für Dürre, Wüstenbildung, Überschwemmungen und weitere Effekte des Klimawandels, um Erkenntnisse zu sammeln und wirksamere Reaktionen zu gewährleisten;
15. ist der Auffassung, dass die durch die jüngsten Ereignisse verursachten Schäden bestätigen, dass Schadensverhütung weit weniger kostspielig ist als die Folgen der globalen Erwärmung, wobei auch anerkannt wird, dass viele der erforderlichen Maßnahmen zur Eindämmung des gefährlichen Klimawandels Win-win-Situationen im Hinblick auf die Verringerung der Erdölabhängigkeit, die Verbesserung der Luftqualität und im Hinblick auf Einsparungen bieten;
16. fordert, die Waldpolitik auf EU-Ebene durch die Betonung ihrer Bedeutung für die Multifunktionalität der europäischen Landwirtschaft mit zwei Zielen zu verstärken: Erhaltung und Beschäftigung der ländlichen Bevölkerung und entschiedene und erhebliche Ausweitung der Waldflächen;
17. fordert die Kommission auf, in die betreffenden Finanzierungsinstrumente die Möglichkeit der Kofinanzierung von technischer Ausrüstung zur Prävention und Bekämpfung der Waldbrände, einschließlich Fluggerät, als förderfähige Ausgabe aufzunehmen;
18. fordert, die strafrechtlichen Maßnahmen gegen Straftaten, durch die die Umwelt geschädigt wird, insbesondere im Zusammenhang mit der Auslösung von Waldbränden, zu verschärfen;
19. fordert, weitere Maßnahmen zu ergreifen, die über Raumordnungsvorschriften zur Verhinderung der Spekulation mit durch Waldbrände zerstörten Flächen hinaus auf eine obligatorische Wiederaufforstung der betroffenen Flächen sowie auf die richtige Pflege der Wälder durch die Eigentümer abzielen;
20. fordert die Kommission auf, die Forschungsmittel für die Verhütung von Überschwemmungen zu erhöhen und die in den Mitgliedstaaten in diesem Bereich bereits stattfindende Forschung zu koordinieren, um möglichst rasch eine kohärente Energie- und Verkehrspolitik auf dem Gebiet der Risikoprävention zu verwirklichen;
21. sagt seinerseits zu, alle erforderlichen Schritte zu unternehmen, um dafür zu sorgen, dass auf Gemeinschaftsebene eine mittel- und langfristige zukunftsorientierte Präventivstrategie gegen Waldbrände beschlossen wird;
22. ersucht die Konferenz der Präsidenten:
–
die Ausarbeitung eines Initiativberichts über Brände, Dürren und Überschwemmungen durch die Ausschüsse für Regionalentwicklung, Landwirtschaft sowie Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit auf der Grundlage eines Kooperationsverfahrens zu genehmigen,
–
eine gemeinsame Anhörung zu Bränden, Dürren und Überschwemmungen zu organisieren,
–
einen offiziellen Besuch der in diesem Sommer von Naturkatastrophen heimgesuchten Regionen in Mittel- und Südeuropa zu genehmigen;
23. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Regierungen der von den Bränden und Überschwemmungen betroffenen Mitgliedstaaten sowie den örtlichen Behörden in den betroffenen Gebieten zu übermitteln.
Verordnung (EG) Nr. 2152/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. November 2003 für das Monitoring von Wäldern und Umweltwechselwirkungen in der Gemeinschaft (Forest Focus) (ABl. L 324 vom 11.12.2003, S. 1). Geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 788/2004 (ABl. L 138 vom 30.4.2004, S. 17).