Entschließung des Europäischen Parlaments zu einem eventuellen Verstoß gegen das Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften durch einen Mitgliedstaat (2005/2187(INI))
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf Artikel 10 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften vom 8. April 1965 sowie auf Artikel 6 Absatz 2 des Akts vom 20. September 1976 zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments,
– in Kenntnis der Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 12. Mai 1964 und vom 10. Juli 1986(1),
– in Kenntnis der Anträge von Jean-Charles Marchiani auf Verteidigung seiner Immunität gegenüber der französischen Justiz,
– unter Hinweis auf seinen Beschluss vom 5. Juli 2005(2), in dem es beschlossen hat, die Immunität von Jean-Charles Marchiani zu verteidigen,
– gestützt auf Artikel 121 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
– in Kenntnis des Berichts des Rechtsausschusses (A6-0316/2005),
A. in der Erwägung, dass der französische Kassationshof in seinem Urteil Nr. 1784 vom 16. März 2005 angenommen hat, aus keinem Rechts- oder Vertragstext und aus keinem Verfassungsgrundsatz gehe hervor, dass Artikel 100-7 Absatz 1 der Französischen Strafprozessordnung auf die Mitglieder des Europäischen Parlaments anwendbar sei, weswegen er Artikel 10 des erwähnten Protokolls nicht beachtet und damit einem europäischen Abgeordneten französischer Staatsangehörigkeit die in Artikel 100-7 der Französischen Strafprozessordnung den inländischen Parlamentsmitgliedern eingeräumte Unverletzlichkeit verweigert hat,
B. in der Erwägung, dass das Europäische Parlament in dem genannten Beschluss vom 5. Juli 2005 die Unwirksamkeitserklärung oder den Widerruf sowie in jedem Fall die Aufhebung jeder tatsächlichen oder rechtlichen Wirkung dieses Urteils vom 16. März 2005 gefordert hat,
C. in der Erwägung, dass der Justizminister der Französischen Republik auf die Mitteilungen des Europäischen Parlaments, in denen es auf den genannten Beschluss vom 5. Juli 2005 aufmerksam gemacht hat, hin erklärt hat, dass das Urteil des Kassationshofs rechtskräftig sei, weswegen es rechtlich unmöglich sei, es für nichtig zu erklären oder zu widerrufen, wie dies in der genannten Entschließung gefordert wird,
D. unter Hinweis auf die Tatsache, dass das Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften Teil des Primärrechts der Gemeinschaften ist,
E. in der Erwägung, dass das zuständige französische Gericht durch die Weigerung, Artikel 100-7 Absatz 1 der Französischen Strafprozessordnung auf ein Mitglied des Europäischen Parlaments französischer Staatsangehörigkeit anzuwenden, gegen das Primärrecht der Gemeinschaft verstoßen hat,
F. in der Erwägung, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ein Mitgliedstaat für die Entscheidung eines nationalen Gerichts haften kann(3),
G. unter Hinweis auf die Tatsache, dass es der Kommission als Hüterin der Verträge obliegt, das Verfahren nach Artikel 226 des EG-Vertrags einzuleiten,
1. beschließt, die Kommission aufzufordern, das Verfahren nach Artikel 226 des EG-Vertrags gegen die Französische Republik wegen eines Verstoßes gegen das Primärrecht der Gemeinschaft einzuleiten,
2. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung unverzüglich der Kommission sowie den zuständigen Stellen der Französischen Republik zu übermitteln.