Entschließung des Europäischen Parlaments zur Straflosigkeit in Afrika, insbesondere im Fall Hissène Habré
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf den Vertrag über den Internationalen Strafgerichtshof,
– unter Hinweis auf die Resolution 1638 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, in der die Mission der Vereinten Nationen in Liberia aufgefordert wird, den ehemaligen Präsidenten Taylor im Falle seiner Rückkehr nach Liberia festzunehmen und in Haft zu halten und ihn zur strafrechtlichen Verfolgung vor dem Sondergerichtshof für Sierra Leone an Sierra Leone zu überstellen bzw. seine Überstellung zu unterstützen,
– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zum Tschad und zu Liberia, insbesondere die Entschließung vom 24. Februar 2005(1) zur Auslieferung von Charles Taylor,
– unter Hinweis auf die 38. Ordentliche Tagung der Afrikanischen Kommission für Menschenrechte und Rechte der Völker vom 21. November bis 5. Dezember 2005 in Banjul (Gambia),
– gestützt auf Artikel 115 Absatz 5 seiner Geschäftsordnung,
A. unter Hinweis auf das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs sowie unter Betonung der Tatsache, dass die Vereinten Nationen vor 50 Jahren erstmals die Notwendigkeit der Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs anerkannt haben, um diejenigen strafrechtlich zu verfolgen, die eines Verbrechens wie Völkermord verdächtig sind,
B. in der Erwägung, dass Kofi Annan ,der Generalsekretär der Vereinten Nationen, erklärt hat, dass eine Amnestie für schwere Menschenrechtsverletzungen nach Ansicht der Vereinten Nationen weiterhin unannehmbar und durch nichts zu rechtfertigen ist, vor allem nicht bei Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen,
C. besorgt über die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen in Teilen des afrikanischen Kontinents sowie darüber, dass die für diese Verbrechen Verantwortlichen selten vor Gericht gestellt werden, während den Opfern häufig wirksame Rechtsmittel verwehrt werden,
D. in der Erwägung, dass im Völkerrecht klar geregelt ist, dass Kriegsverbrecher immer vor Gericht zu stellen sind und dass die Staaten verpflichtet sind, Personen auszuliefern, die im Verdacht stehen, Kriegsverbrechen begangen zu haben,
E. mit der Feststellung, dass in der Gründungsakte der Afrikanischen Union in Artikel 4 (o) Straflosigkeit ausdrücklich verurteilt und abgelehnt wird,
F. erfreut über die Erklärungen der Afrikanischen Union gegen Straflosigkeit sowie in der Auffassung, dass ihre Glaubwürdigkeit zunehmen wird, wenn sie ihre Entschlossenheit beweist, praktische Maßnahmen gegen Straflosigkeit bei Menschenrechtsverletzungen zu ergreifen,
G. in der Erwägung, dass zahllose Verbrechen, auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die von afrikanischen Diktatoren und ihren Komplizen begangen wurden, weiterhin ungestraft bleiben, wodurch den nächsten Angehörigen der Opfer weiteres Unrecht angetan und der Begehung neuerlicher Verbrechen Vorschub geleistet wird,
H. mit der weiteren Feststellung, dass 27 afrikanische Staaten das Römische Statut ratifiziert und einige von ihnen Anstrengungen unternommen haben, der Anwendung des Statuts auf nationaler Ebene Rechtskraft zu verleihen,
I. in der Erwägung, dass verschiedene ehemalige afrikanische Diktatoren, insbesondere Charles Taylor, Mengistu Haile Mariam und Hissène Habré sowie ihre Komplizen, die schwerwiegende Verbrechen begangen haben, nun in Ruhe ihren Lebensabend verbringen und völlige Straflosigkeit genießen,
J. in der Erwägung, dass gegen den im Exil lebenden ehemaligen Präsidenten des Tschad Hissène Habré wegen der in der Zeit seiner Herrschaft von 1982 bis 1990 begangenen Menschenrechtsverletzungen ein internationaler Haftbefehl ausgestellt wurde,
K. in der Erwägung, dass die Opfer den Fall Habré genutzt haben, um der Gerechtigkeit breitere Geltung zu verschaffen und ihr im Tschad und anderswo neue Wege zu eröffnen,
L. in der Erwägung, dass die Afrikanische Union am 24. Januar 2006 beschlossen hat, eine Rechtsexpertengruppe zu schaffen, die Empfehlungen darüber aussprechen soll, wo und wie Hissène Habré vor Gericht gestellt werden soll, wobei einem "afrikanischen Mechanismus" der Vorzug gegeben werden soll,
M. in der Erwägung, dass der nigerianische Präsident Obasanjo wohl in nächster Zukunft bekannt geben wird, dass er Charles Taylor ausliefern wird, damit dieser für seine mutmaßlichen Verbrechen vor Gericht gestellt werden kann, wodurch Nigeria Gelegenheit erhält, sein Engagement für die Rechtstaatlichkeit in Westafrika unter Beweis zu stellen,
N. in der Erwägung, dass 2002 der Sondergerichtshof für Sierra Leone gegründet wurde, um die Hauptverantwortlichen für die während des bewaffneten Konflikts in Sierra Leone begangenen Kriegsverbrechen zur Verantwortung zu ziehen; ferner in der Erwägung, dass Charles Taylor von dem Sondergerichtshof wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in 17 Fällen angeklagt wurde,
O. in der Erwägung, dass der brutale ehemalige Diktator von Äthiopien, Oberst Mengistu, in Simbabwe immer noch Asyl genießt,
1. verweist darauf, dass ohne einen internationalen Strafgerichtshof als Durchsetzungsmechanismus zur Feststellung individueller Verantwortlichkeit Akte des Völkermords und eklatante Menschenrechtsverletzungen häufig straflos bleiben würden;
2. betont, dass es nunmehr Völkergewohnheitsrecht ist, dass die Täter, ungeachtet ihres Status, bei Menschenrechtsverletzungen keine Amnestie oder Immunität genießen, und unterstützt nachdrücklich, dass die für Verbrechen und Gräueltaten Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden;
3. betont erneut, dass die Bekämpfung der Straflosigkeit einer der Eckpfeiler der Menschenrechtspolitik der Union ist und fordert die Kommission, den Rat und die Mitgliedstaaten der Afrikanischen Union auf, diesem Problem auch weiterhin die gebührende Aufmerksamkeit zu widmen;
4. vertritt die Ansicht, dass sich ein dauerhafter Frieden nicht durch Absprachen über den Schutz derer erreichen lässt, die für systematische Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind;
5. fordert die Mitgliedstaaten der Afrikanischen Union, die das Römische Statut noch nicht ratifiziert haben, nachdrücklich auf, dies zu tun und einen nationalen Aktionsplan zur wirksamen Umsetzung des Römischen Statuts auf nationaler Ebene zu verabschieden;
6. ersucht die Versammlung der Staats- und Regierungschefs der Afrikanischen Union, ihren Mitgliedstaaten eindringlich nahe zu legen, Straflosigkeit zu verurteilen und abzulehnen;
7. fordert die Afrikanische Union auf, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, die zu regionalen Anstrengungen bei der Bekämpfung der Straflosigkeit beitragen;
8. ersucht die Afrikanische Union, ihre Strafrechtsorgane weiter zu entwickeln und eine bessere gerichtliche Zusammenarbeit in Strafsachen zu organisieren, sowohl zwischen ihren Mitgliedern als auch mit den Behörden anderer Kontinente, um die Zahl der Fälle von Straflosigkeit bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die von afrikanischen Regierungen oder von Staatsangehörigen anderer Kontinenten bzw. mit deren Mithilfe begangen wurden, zu verringern;
9. erinnert daran, dass die internationale Gemeinschaft einen Mechanismus geschaffen hat, um mit Hilfe von ad hoc eingesetzten Gerichten die Verantwortlichen für Verbrechen und Gräueltaten, wie etwa in Ruanda und in Sierra Leone, zur Rechenschaft zu ziehen, und betont, dass die internationale Gemeinschaft mit einer Stimme sprechen muss, um dazu beizutragen, dass die Verantwortlichen wirksam zur Rechenschaft gezogen werden;
10. verweist auf die Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda in Arusha sowie auf die außerordentlich großen Schwierigkeiten, auf die externe Ermittler gestoßen sind, als die für den Völkermord in Ruanda im Jahr 1994 verantwortlichen Personen vor Gericht gestellt werden sollten;
11. hält es für besonders schockierend, dass die Verantwortlichen für die Menschenrechtsverletzungen bei dem Massaker an Zivilpersonen in der Demokratischen Republik Kongo, wo während des sechsjährigen Konflikts mindestens drei Millionen Menschen gestorben sind, und auch in der Region der Großen Seen weiterhin Straflosigkeit genießen;
12. fordert Senegal auf, Hissène Habré durch seine Auslieferung an Belgien, wenn es dazu in Afrika keine Alternative gibt, in Einklang mit dem UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe ein faires Gerichtsverfahren zu garantieren;
13. fordert die Afrikanische Union auf, im Rahmen des Falles Hissène Habré dafür Sorge zu tragen, dass Senegal seine internationalen Verpflichtungen als Vertragsstaat des Übereinkommens gegen Folter erfüllt;
14. hält die Maßnahme der afrikanischen Staatschefs in der Frage Habré für einen wichtigen Schritt, da die afrikanischen Staatschefs klar zum Ausdruck gebracht haben, dass es notwendig ist, Straflosigkeit zu bekämpfen;
15. fordert die Regierung Nigerias auf, im fortbestehenden Interesse am liberianischen Friedensprozess und in Unterstützung des Rechtstaatsprinzips zu handeln, indem sie Charles Ghankay Taylor unverzüglich der Gerichtsbarkeit des Sondergerichtshofs für Sierra Leone überantwortet;
16. begrüßt, dass Liberias neu gewählte Präsidentin Johnson-Sirleaf vor kurzem Nigeria um die Auslieferung von Charles Taylor gebeten hat, und spendet ihr dafür Beifall, dass sie ihre Zusage eingehalten hat, dass ihre Präsidentschaft für die Übernahme von Verantwortung und Rechtstaatlichkeit stehen wird;
17. fordert die Mitgliedstaaten auf, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um sicherzustellen, dass Staatsangehörige europäischer Länder, die Verbrechen begangen oder an Verbrechen in Afrika und in Entwicklungsländern anderswo mitgewirkt haben, entsprechend strafrechtlich verfolgt werden und dass die Opfer solcher Verbrechen eine Wiedergutmachung erhalten;
18. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, dem AKP-EU-Ministerrat, den Regierungen von Tschad, Liberia, Nigeria und Senegal, der Afrikanischen Union und dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zu übermitteln.