Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Bericht der Kommission über die Wettbewerbspolitik 2004 (2005/2209(INI))
Das Europäische Parlament,
– in Kenntnis des Berichts der Kommission über die Wettbewerbspolitik 2004 (SEK(2005)0805),
– in Kenntnis der Schlussfolgerungen des Vorsitzes der Tagungen des Europäischen Rates vom 23. und 24. März 2000 in Lissabon, vom 15. und 16. Juni 2001 in Göteborg, vom 14. und 15. Dezember 2001 in Laeken, vom 15. und 16. März 2002 in Barcelona und vom 20. und 21. März 2003, 25. und 26. März 2004 und 22. und 23. März 2005 in Brüssel,
– in Kenntnis des Berichts der Hochrangigen Sachverständigengruppe unter Vorsitz von Wim Kok mit dem Titel "Die Herausforderung annehmen: die Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung" vom November 2004,
– unter Hinweis auf die Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln(1) und die Verordnung (EG) Nr. 773/2004 der Kommission vom 7. April 2004 über die Durchführung von Verfahren auf der Grundlage der Artikel 81 und 82 EG-Vertrag durch die Kommission(2),
– unter Hinweis auf die Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen(3),
– unter Hinweis auf die Verordnung (EG) Nr. 794/2004 der Kommission vom 21. April 2004 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 des EG-Vertrags(4), die Verordnung (EG) Nr. 364/2004 der Kommission vom 25. Februar 2004 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 70/2001 im Hinblick auf die Erstreckung ihres Anwendungsbereichs auf Forschungs- und Entwicklungsbeihilfen(5) und die Verordnung (EG) Nr. 363/2004 der Kommission vom 25. Februar 2004 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 68/2001 über die Anwendung der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag auf Ausbildungsbeihilfen(6),
– in Kenntnis der Mitteilung der Kommission "Leitlinien der Gemeinschaft für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten"(7),
– in Kenntnis der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften über Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, insbesondere des Altmark-Urteils(8),
– gestützt auf Artikel 45 und Artikel 112 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
– in Kenntnis des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Währung (A6-0065/2006),
1. begrüßt, dass die gemeinschaftliche Wettbewerbspolitik seit dem 1. Mai 2004 auf zehn neue Mitgliedstaaten ausgedehnt wurde, deren nationale Wettbewerbsbehörden (NCAs) bei der Aufnahme dieser Staaten in die Europäische Union dem Europäischen Netzwerk der Wettbewerbsbehörden (ECN) beigetreten sind;
2. betont, dass die Wettbewerbspolitik ein entscheidendes Instrument für den Erfolg der Lissabon-Strategie, Europa zum dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen, und die Erreichung ihrer Ziele ist, da sie ein ausgewogenes und transparentes Funktionieren des Binnenmarkts gewährleistet, die Märkte offen hält, Wachstum, Effizienz und Innovationen fördert, um ein höheres Maß an nachhaltigem Wert zu schaffen und insbesondere den Verbrauchern immer bessere Leistungen anzubieten;
3. ist nach wie vor der Überzeugung, dass eine aktivere und gewichtigere Rolle des Parlaments bei der Entwicklung der Wettbewerbspolitik zu mehr Transparenz und Legitimität beitragen kann, und weist erneut darauf hin, dass das Parlament bestrebt ist, das Mitentscheidungsverfahren auszuweiten;
4. unterstützt generell die Wettbewerbspolitik der Europäischen Union und würdigt die Modernisierungsreform, die die Kommission auf diesem Gebiet durchgeführt hat;
5. bedauert, dass der Bericht der Kommission aus 2004 noch immer keine Bewertung der Auswirkungen der wichtigsten Entscheidungen der Kommission auf die betreffenden Märkte, insbesondere bei Unternehmenszusammenschlüssen und staatlichen Beihilfen, enthält;
6. fordert nachdrücklich eine rasche Durchführung des letzten Teils der Modernisierung der Wettbewerbspolitik, nämlich die Anwendung des Verbots der missbräulichen Ausnutzung marktbeherrschender Stellungen gemäß Artikel 82 des Vertrags; unterstreicht, dass hierbei der Dynamik der sich globalisierenden Märkte Rechnung getragen werden muss;
7. begrüßt, dass die Entscheidungen der Kommission in Wettbewerbsfragen durch die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften jetzt weniger häufig in Frage gestellt werden, bedauert aber, dass es nach wie vor sehr unterschiedliche Aussagen darüber gibt, wie die Kommission die Altmark-Prüfungskriterien in der Praxis auslegt; fordert die Kommission auf, eine klare und präzise Mitteilung über Auslegungsfragen zum vierten Kriterium des Altmark-Urteils zu veröffentlichen;
8. bedauert, dass den Dienstleistungen von allgemeinem Interesse im Bericht über die Wettbewerbspolitik 2004 kein eigenes Kapitel gewidmet wurde, wie es in den Berichten aus den Jahren 2001 bis 2003 der Fall war, und fordert die Kommission nachdrücklich auf, in ihren künftigen Berichten zu diesem Ansatz zurückzukehren;
9. begrüßt das Modernisierungspaket der Kommission, ihre neue Gruppenfreistellungsregelung für Technologietransfer-Vereinbarungen und die Fortschritte, die bei der Unterscheidung zwischen zugänglichen und nichtzugänglichen Dokumenten und bei der Festlegung von Regeln für die Behandlung vertraulicher Informationen im Zusammenhang mit Wettbewerbsverfahren erzielt wurden;
10. weist darauf hin, dass die Kommission im Jahr 2004 sehr wichtige Segmente, wie die Breitband-Internetdienste, das Roaming bei internationalen Mobilfunkgesprächen und die Telekommunikation im Allgemeinen untersucht hat, und ermutigt sie, die Entwicklung dieser Segmente genau zu verfolgen, um den Wettbewerb in Bereichen, die für die Entwicklung der Informationsgesellschaft von Bedeutung sind, zu fördern;
11. fordert von der Kommission eine Untersuchung und eingehende Analyse der Problematik der Kollektivverhandlungen in empfindlichen Wirtschaftszweigen wie der Landwirtschaft, insbesondere im Rahmen der Beziehungen zwischen kleinen und mittleren Erzeugern oder Erzeugervereinigungen einerseits und den großen Verarbeitungs- oder Vermarktungsunternehmen andererseits;
12. beglückwünscht die Kommission zu ihrem entschlossenen und professionellen Vorgehen bei der Bekämpfung der missbräuchlichen Ausnutzung marktbeherrschender Stellungen und begrüßt die Konsultation der Kommission zu einer wirksameren Anwendung von Artikel 82;
13. fordert die Kommission nachdrücklich auf, den Informationsaustausch zwischen den NCAs innerhalb des ECN zu optimieren und die Qualität der ausgetauschten Informationen zu verbessern, um eine einheitliche Durchführung der EG-Wettbewerbspolitik sicherzustellen;
14. ermuntert die Kommission, Anstrengungen zu unternehmen, um die korrekte Anwendung der Wettbewerbsregeln in allen Mitgliedstaaten zu fördern und rechtzeitig einzugreifen, wenn die Wettbewerbsregeln unzulänglich oder diskriminierend angewandt werden;
15. weist darauf hin, dass eine wirksame Wettbewerbspolitik stets die Interessen der Verbraucher vor Augen haben muss und kein Instrument für Marktstörungen sein darf;
16. ermutigt die Kommission, die bisweilen unklaren Beziehungen zwischen den NCAs und den "nationalen Champions" zu klären, um jeden Verdacht einer Komplizenschaft auszuräumen und die Interessen der Verbraucher zu schützen (so haben z.B. die Medien zu Beginn des Jahres 2005 geheime Vereinbarungen zwischen den drei größten französischen Mobilfunkbetreibern aufgedeckt); räumt ein, dass es bislang an dem nötigen zeitlichen Abstand fehlt, um die Wirksamkeit der Reformen zur Verlagerung der Durchführung des EG-Wettbewerbsrechts auf die NCAs bewerten zu können; unterstreicht, dass das ECN, dem die Kommission und die NCAs angehören, ein Kooperationsforum und eine wichtige Einrichtung zur Stärkung von Kohärenz und Effizienz bei der Anwendung der EG-Wettbewerbsregeln ist, und fordert seine Mitglieder nachdrücklich auf, sich aktiv einzubringen und das enorme Potenzial dieses Netzwerks im Einklang mit der strategischen Rolle, die der Wettbewerbspolitik in der Europäischen Union zufällt, auszuschöpfen;
17. beglückwünscht die Kommission zu ihrer Wachsamkeit in Bezug auf die Regelung von Zusammenschlüssen und Übernahmen, die zu einer Verstärkung marktbeherrschender Stellungen führen könnten;
18. äußert sich besorgt darüber, dass das Ziel einer vollständigen Liberalisierung des Gas- und Strommarktes in der Europäischen Union noch immer nicht erreicht ist, und begrüßt die von der Kommission eingeleitete sektorspezifische Untersuchung über die Funktionsweise des Binnenmarktes für Gas und Strom;
19. begrüßt die von der Kommission eingeleiteten sektorspezifischen Untersuchungen über Bankzahlungssysteme und die Unternehmensversicherung, fordert aber mit Nachdruck, dass die Untersuchung so durchgeführt wird, dass genügend Zeit zur Verfügung steht, damit der Kommission vollständige und gründliche Antworten übermittelt werden können;
20. ist der Ansicht, dass im Falle wichtiger öffentlicher Netzdienstleistungen der Wettbewerb durch starke gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen gesteuert werden muss, damit die notwendigen Investitionen vorgenommen werden und keine neuen Monopole entstehen;
21. anerkennt den wichtigen Beitrag, den eine wirksame Wettbewerbspolitik zur Erreichung der Ziele der Lissabon-Strategie leistet;
22. begrüßt die umweltfreundlichen Kriterien, die die Kommission bei der Genehmigung mehrerer Beihilferegelungen für den Umweltschutz, unter anderem im Bereich des Eisenbahnverkehrs, zugrunde gelegt hat; fordert die Kommission nachdrücklich auf, die Bedingungen für die Transparenz dieser Beihilferegelungen weiterzuentwickeln, damit sie als Präzedenzfälle für andere Regionen und Mitgliedstaaten dienen können;
23. fordert die Kommission auf, ihre Doktrin der Bekämpfung von Monopolen und illegalen Kartellvereinbarungen und der Rechtfertigung staatlicher Beihilfen in begründeten Fällen in den künftigen Verhandlungen über die Gestaltung des internationalen Handels zu verteidigen; fordert die Kommission ferner nachdrücklich auf, die internationale Zusammenarbeit in Wettbewerbsfragen mit Hilfe mulilateraler oder bilateraler Instrumente zu fördern und Schwellen- und Entwicklungsländer zu ermutigen, sich zunehmend an dieser Zusammenarbeit zu beteiligen;
24. unterstreicht die Bedeutung einer Förderung der Verbraucherinformation, weist darauf hin, dass der Verbraucherinformation eine entscheidende Rolle bei der Herausbildung einer wirklichen Wettbewerbskultur zufällt, und unterstreicht die Notwendigkeit, auf Gemeinschaftsebene über eine private Entschädigung für wettbewerbswidriges Verhalten nachzudenken;
25. bekräftigt erneut, dass es für eine proaktivere Rolle des Parlaments bei der Entwicklung der Wettbewerbspolitik durch Verstärkung der Mitentscheidungsbefugnisse des Parlaments eintritt;
26. fordert die Kommission nachdrücklich auf, die Funktionsweise des Justizsystems in Bezug auf wettbewerbsrechtliche Fälle weiter zu untersuchen, um Verbesserungen in Form eines schnelleren Zugangs zur Justiz zu erwägen und für eine größtmögliche Erfahrung und Qualifikation der mit Wettbewerbsfällen befassten Richter zu sorgen;
27. fordert die Kommission eindringlich auf, die Ernennung eines Verbindungsbeauftragten für Verbraucherfragen dazu zu nutzen, einen intensiveren Dialog und eine engere Zusammenarbeit mit den Verbrauchern zu entwickeln;
28. vertritt die Auffassung, dass die wirksame Durchführung der Wettbewerbspolitik ein entscheidendes Instrument für die Schaffung einer effizienten Marktstruktur ist, die den Interessen der Verbraucher dient und wichtige und positive Auswirkungen auf das tägliche Leben der Verbraucher hat; möchte betonen, dass die stärkere Integration des Binnenmarktes es bisweilen natürlicher erscheinen lässt, die Wettbewerbssituation im gesamten Binnenmarkt anstatt auf einzelnen Untermärkten zu untersuchen; fordert die Kommission auf, klarere Richtlinien über ihre Marktdefinition in derartigen Fällen auszuarbeiten;
29. begrüßt die positive Antwort der Kommission auf die Empfehlungen des Parlaments zur weiteren Entwicklung der Europäischen Wettbewerbstage, einschließlich der Einbeziehung der Verbraucherorganisationen und der nationalen Medien in den Planungsprozess für die Europäischen Wettbewerbstage;
30. ermutigt die Kommission, sich in Übereinstimmung mit den neuen Leitlinien auf die entscheidenden Fragen zu konzentrieren, solche, die die Ziele der Union betreffen und Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Bürger haben, und ihre Aufgabe darin zu sehen, auf Wandel nicht nur zu reagieren, sondern ihn zu gestalten und, wenn nötig, herbeizuführen;
31. begrüßt das fortgesetzte Bekenntnis der Kommission zum Internationalen Wettbewerbsnetzwerk, insbesondere was ihre Arbeit betrifft, um China bei der Entwicklung seines Kartellgesetzentwurfs behilflich zu sein;
32. begrüßt die nach wie vor raschen Fortschritte der zehn neuen Mitgliedstaaten bei der Anpassung an die Wettbewerbsregeln, die EG-Fusionskontrolle und insbesondere das Beihilferecht und fordert die Kommission nachdrücklich auf, den Prozess der technischen Hilfe und Zusammenarbeit fortzusetzen;
33. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission zu übermitteln.