Entschließung des Europäischen Parlaments zum 50. Jahrestag der ungarischen Revolution von 1956 und ihrer historischen Bedeutung für Europa
Das Europäische Parlament,
– gestützt auf Artikel 103 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass die Europäische Union sich auf die Grundsätze Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten stützt – Grundsätze, die allen Mitgliedstaaten gemeinsam sind,
B. in der Erwägung, dass die Länder Mittel- und Osteuropas durch die in Jalta beschlossene Teilung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg für mehr als vier Jahrzehnte ihrer Souveränität und Freiheit beraubt wurden,
C. in der Erwägung, dass die kommunistischen Regime in Mittel- und Osteuropa nicht auf der Zustimmung oder dem Willen des Volkes beruhten und durch die militärische Besetzung seitens der Sowjetunion und die Kollaboration der kommunistischen Parteien aufrechterhalten wurden,
D. in Erinnerung an den Mut und die Entschlossenheit der Ungarn, die am 23. Oktober 1956 auf die Straße gingen, um gegen die diktatorische Herrschaft der Kommunistischen Partei zu protestieren,
E. in Hochachtung für die Beharrlichkeit der Ungarn, die ihren Kampf für Freiheit, nationale Unabhängigkeit und Bürgerrechte trotz des Ausbleibens jeglicher militärischen Unterstützung aus dem Westen und der Intervention und überwältigenden militärischen Überlegenheit der Sowjetunion fortsetzten,
F. in Anerkennung der Zivilcourage und des politischen Mutes des Reformkommunisten und Ministerpräsidenten Ungarns Imre Nagy, der den elementaren Ausdruck des Volkswillens richtig verstand und sich bereit erklärte, die politische Leitfigur einer Revolution des Volkes für Freiheit und Demokratie zu sein, der schließlich sein Leben opferte und durch seine Hinrichtung im Jahre 1958 – weil er dem Druck nicht nachgegeben hatte, der Revolution öffentlich zu entsagen – zu einem Märtyrer der Freiheit wurde,
G. in Anerkennung der Opfer der Revolution – der 2 170 in den Kampfhandlungen Getöteten – und der durch die grausamen Vergeltungsmaßnahmen Umgekommenen – der 228 zwischen 1956 und 1961 Hingerichteten, der 20 000 zwischen 1956 und 1958 Festgenommenen und Inhaftierten und der Tausenden, die nach der Revolution jahrzehntelang von der wieder an die Macht gelangten kommunistischen Führung diskriminiert wurden,
H. unter Bekundung seiner Dankbarkeit für die Solidarität der Menschen in vielen Ländern des Westens, die in den Jahren 1956 und 1957 194 000 ungarische Flüchtlinge willkommen hießen,
I. in Anerkennung des zentralen Wertes der Solidarität zwischen den Nationen im Allgemeinen und zwischen verschiedenen Nationen Mittel- und Osteuropas, die für ihre Freiheit gekämpft haben, im Besonderen – die Ungarn, Tschechen, Slowaken, Polen, Deutschen, Esten, Letten und Litauer,
J. in Anerkennung der historischen und politischen Verbindung zwischen der ungarischen Revolution vom Oktober 1956 und verschiedenen anderen Formen des Widerstands und Widerstandsbewegungen, wie etwa den Massenprotesten in Ostdeutschland im Juni 1953, den Posener Demonstrationen im Juni 1956 in Polen, dem Prager Frühling von 1968, der Entstehung der Solidarność-Bewegung 1980 in Polen und den Demokratiebewegungen in der ehemaligen UdSSR, insbesondere den Demokratiebewegungen der baltischen Völker,
K. in Anerkennung der Tatsache, dass die ungarische Revolution ein historischer Versuch war, ein geteiltes Europa wiederzuvereinigen, und als solche einen Eckpfeiler unseres gemeinsamen europäischen Geschichtserbes darstellt,
L. in Anerkennung der Art und Weise, wie die ungarische Revolution zu einem verstärkten Zusammenhalt in der demokratischen Welt und zu der letztendlichen Gründung der Europäischen Gemeinschaften im Jahre 1957 beigetragen hat und den demokratischen politischen Veränderungen vorausging, die in den Jahren 1989-1990 in Mittel- und Osteuropa stattfanden, wodurch die friedliche Wiedervereinigung Europas durch den europäischen Integrationsprozess ermöglicht wurde,
1. anerkennt die ungarische Revolution von 1956 als eine der symbolischen Demonstrationen des Strebens nach Freiheit und Demokratie im 20. Jahrhundert, die dem Kommunismus im Ostblock trotzten;
2. würdigt die tapferen Frauen und Männer Ungarns, die durch ihre Selbstaufopferung anderen Nationen im Würgegriff der kommunistischen Herrschaft einen Funken Hoffnung gaben;
3. unterstreicht, dass die demokratische Staatengemeinschaft die repressive und undemokratische kommunistische Ideologie unmissverständlich zurückweisen und die Grundsätze Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit verteidigen und eine entschiedene Haltung einnehmen muss, wenn sie verletzt werden;
4. fordert alle demokratischen Länder auf, die Verbrechen aller totalitären Regime klar zu verurteilen;
5. fordert die Auflegung eines europäischen Programms zur Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen Forschungs- und Dokumentationszentren in den Mitgliedstaaten, die die Verbrechen totalitärer Regime aufarbeiten;
6. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission sowie den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten zu übermitteln.