Entschließung des Europäischen Parlaments zu Äthiopien
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu der Krise nach den Wahlen und schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen in Äthiopien, insbesondere die vom 7. Juli 2005 zur Lage der Menschenrechte in Äthiopien(1), vom 13. Oktober 2005 zur Lage in Äthiopien(2) und vom 15. Dezember 2005 zu der Lage in Äthiopien und dem neuen Grenzkonflikt(3),
– gestützt auf Artikel 115 Absatz 5 seiner Geschäftsordnung,
A. beunruhigt über die Festnahme und Ausweisung von zwei Beamten der Kommission aus Äthiopien, denen vorgeworfen wurde, sie hätten versucht, der Rechtsanwältin und Frauenrechtlerin Yalemzewd Bekele, die für die Europäische Kommission in Addis Abeba tätig ist, bei der Ausreise aus dem Land zu helfen,
B. in der Erwägung, dass es Berichte über anhaltende Festnahmen, Schikanierung, willkürliche Inhaftierung, Demütigung und Einschüchterung von Oppositionspolitikern, Aktivisten der Zivilgesellschaft, Studenten und anderen gewöhnlichen Bürgern gibt,
C. in der Erwägung, dass Yalemzewd Bekele, die einige Tage lang ohne Kontakt zur Außenwelt inhaftiert war, am 27. Oktober 2006 nach einer entsprechenden hochrangigen Intervention der Europäischen Union freigelassen wurde,
D. in der Erwägung, dass das äthiopische Parlament Ende November 2005 eine von der Regierung unterstützte Untersuchungskommission eingesetzt hat, die beauftragt wurde, die Morde vom Juni und November 2005 zu untersuchen,
E. in der Erwägung, dass Mitglieder der Untersuchungskommission von der äthiopischen Regierung unter Druck gesetzt wurden, die Ergebnisse abzuändern, und dass drei von ihnen, darunter der Vorsitzende und der stellvertretende Vorsitzende, das Land verlassen haben, nachdem sie sich den Anordnungen der Regierung zur Abänderung der Ergebnisse des Schlussberichts widersetzt hatten,
F. in der Erwägung, dass es den Mitgliedern der Untersuchungskommission gelungen ist, das Land mit dem Schlussbericht zu verlassen, und dass in diesem Dokument der Umgang der Regierung mit der Krise aufgrund der Demonstrationen im Juni und November 2005, bei denen 193 Bürger den Tod fanden, scharf verurteilt wurde,
G. in der Erwägung, dass nach den Massenverhaftungen von Regierungsgegnern, Menschenrechtsaktivisten und Journalisten bei den Demonstrationen im Juni und November 2005 nach wie vor 111 führende Mitglieder von Oppositionsparteien, Journalisten und Menschenrechtsverteidiger nach wie vor in Gewahrsam sind und mit einem Gerichtsverfahren rechnen müssen, in dem sie u.a. wegen "Verbrechen gegen die Verfassung", "Anstiftung zu bewaffnetem Aufstand, Organisation oder Anführung eines bewaffneten Aufstands" und "versuchten Völkermords" angeklagt werden,
H. unter Hinweis darauf, dass es sich bei den politischen Gefangenen, die nach der Wahl inhaftiert wurden, unter anderem um Hailu Shawel, Präsident der Koalition für Einheit und Demokratie, handelt, sowie um Professor Mesfin Woldemariam, ehemaliger Vorsitzender des Äthiopischen Rats für Menschenrechte, Dr. Yacob Hailemariam, ehemaliger UN-Sondergesandter und ehemaliger Anklagevertreter am Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda, Birtukan Mideksa, ehemalige Richterin, Dr. Birhanu Nega, gewählter Bürgermeister von Addis Abeba, Netsanet Demissie, Direktor der Organisation für Soziale Gerechtigkeit in Äthiopien, und Daniel Bekele von der Hilfsorganisation Action Aid Äthiopien,
I. besorgt über die jüngste Festnahme von Wassihum Melese und Anteneh Getne, Mitglieder der Äthiopischen Lehrergewerkschaft, und darüber, dass diese neuerlichen Festnahmen offensichtlich eine Reaktion auf Beschwerden der Äthiopischen Lehrergewerkschaft gegen die Einmischung der Regierung in die Tätigkeiten der Gewerkschaft und gegen die Einschüchterung ihrer führenden Mitglieder sind,
J. in der Erwägung, dass Premierminister Meles Zenawi einer der Gäste der Kommission bei den Europäischen Entwicklungstagen ist, die vom 13. bis 17. November 2006 in Brüssel veranstaltet werden,
K. in der Erwägung, dass Äthiopien das AKP-EU-Abkommen von Cotonou unterzeichnet hat, in dessen Artikel 9 und 96 festgelegt ist, dass die Achtung sämtlicher Menschenrechte und Grundfreiheiten ein wesentliches Element der Zusammenarbeit AKP-EU ist,
1. begrüßt die Bemühungen der Europäischen Union um die Freilassung von Yalemzewd Bekele und bedauert zutiefst die Ausweisung der Kommissionsbeamten Björn Jonsson und Enrico Sborgi aus Äthiopien;
2. fordert die äthiopische Regierung auf, den Schlussbericht der Untersuchungskommission unverändert und in voller Länge unverzüglich zu veröffentlichen; fordert, dass der Bericht den einschlägigen Gerichten vorgelegt wird, und fordert diese nachdrücklich auf, ihn gebührend zu berücksichtigen, um faire Gerichtsverfahren zu ermöglichen;
3. fordert die äthiopischen Behörden auf, die Einschüchterung und Schikanierung von nationalen führenden Kräften, einschließlich Richtern und Mitgliedern der Lehrergewerkschaft, die ihre beruflichen Pflichten erfüllen, zu unterlassen;
4. fordert die äthiopische Regierung auf, alle politischen Gefangenen – Journalisten, Gewerkschaftsaktivisten, Menschenrechtsverteidiger oder gewöhnliche Bürger – unverzüglich und bedingungslos freizulassen und ihren Verpflichtungen hinsichtlich der Menschenrechte, der demokratischen Grundsätze und der Rechtsstaatlichkeit nachzukommen;
5. fordert die äthiopische Regierung auf, die Gesamtzahl der landesweit inhaftierten Personen bekannt zu geben, Besuche des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz zuzulassen und allen Häftlingen Zugang zu ihren Familienangehörigen, Rechtsbeistand und die medizinische Versorgung, die sie aufgrund ihres Gesundheitszustands möglicherweise benötigen, zu ermöglichen;
6. fordert die äthiopische Regierung auf, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die Afrikanische Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker zu achten, einschließlich des Rechts auf friedliche Versammlung und des Rechts auf freie Meinungsäußerung, und die Unabhängigkeit der Justiz zu gewährleisten;
7. bedauert zutiefst die Einladung der Kommission an Premierminister Meles Zenawi, im Rahmen der Europäischen Entwicklungstage eine Ansprache zu halten, insbesondere zu Fragen der Staatsführung, womit das falsche Signal hinsichtlich der Politik der Europäischen Union in den Bereichen Achtung der Menschenrechte, demokratische Grundsätze, Rechtsstaatlichkeit und verantwortungsvolle Staatsführung gesendet wird;
8. fordert den Rat und die Kommission auf, die Lage in Äthiopien genau zu verfolgen, und vertritt die Ansicht, dass die Programme der Entwicklungszusammenarbeit im Rahmen des Abkommens von Cotonou von der Achtung der Menschenrechte und von verantwortungsvoller Staatsführung abhängig gemacht werden sollten, wie dies in den Artikeln 9 und 96 klar festgelegt ist;
9. fordert den Rat und die Kommission auf, Mittel und Wege zu erkunden, um einen allumfassenden inter-äthiopischen Dialog unter Beteiligung der politischen Parteien, der Organisationen der Zivilgesellschaft und aller Interessengruppen zu organisieren, um eine dauerhafte Lösung der derzeitigen politischen Krise zu erarbeiten;
10. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der äthiopischen Regierung, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen und dem Vorsitzenden der Afrikanischen Union zu übermitteln.