Entschließung des Europäischen Parlaments vom 2. September 2008 über bestimmte Aspekte der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung (2007/2258(INI))
Das Europäische Parlament,
– in Kenntnis des Berichts der Kommission über bestimmte Aspekte der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung (KOM(2007)0207) ("Bericht der Kommission"),
– unter Hinweis auf die Richtlinie 2000/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Mai 2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung (Vierte Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie)(1),
– gestützt auf Artikel 45 seiner Geschäftsordnung,
– in Kenntnis des Berichts des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz sowie der Stellungnahme des Rechtsausschusses (A6-0249/2008),
A. in der Erwägung, dass der freie Personenverkehr in der Europäischen Union, insbesondere im Zusammenhang mit den letzten beiden Erweiterungsrunden und der entsprechenden Erweiterung der Schengen-Gruppe, zu einem raschen Anstieg der Zahl der Personen und der Fahrzeuge geführt hat, die zu geschäftlichen und privaten Zwecken die nationalen Grenzen überschreiten;
B. in der Erwägung, dass der Schutz von Unfallopfern als prioritäre Aufgabe klare, präzise und wirkungsvolle Rechtsvorschriften über die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung auf EU-Ebene erfordert,
C. in der Erwägung, dass die Kommission gemäß der Vierten Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie gehalten war, dem Europäischen Parlament und dem Rat über die Einführung und die Wirksamkeit von nationalen Sanktionen im Rahmen des Verfahrens des mit Gründen versehenen Schadenersatzangebots bzw. der mit Gründen versehenen Antwort und auch über deren Gleichwertigkeit Bericht zu erstatten und, falls erforderlich, Vorschläge zu unterbreiten,
D. in der Erwägung, dass im Bericht der Kommission nationale Sanktionsbestimmungen untersucht werden und der Frage nachgegangen wird, ob der Mechanismus der Schadenregulierungsbeauftragten funktioniert und ob es bereits freiwillige Rechtsschutzversicherungen gibt, die potenzielle Verkehrsunfallopfer zusätzlich abschließen können,
E. in der Erwägung, dass das Verfahren des mit Gründen versehenen Schadenersatzangebots in Artikel 4 Absatz 6 der Vierten Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie geregelt wird, der zufolge Opfer von Verkehrsunfällen, die sich im Ausland ereignet haben, das Recht haben, ihren Entschädigungsanspruch über den im Wohnsitzland des Geschädigten benannten Schadenregulierungsbeauftragten des Versicherungsunternehmens geltend zu machen,
F. in der Erwägung, dass Sanktionen vorgesehen sind, wenn die Opfer nicht innerhalb von drei Monaten von dem Versicherungsunternehmen eine mit Gründen versehene Antwort erhalten,
G. in der Erwägung, dass eine Klarstellung der Funktionsweise dieser Bestimmung nach wie vor notwendig ist,
H. in der Erwägung, dass die Kommission bei der Umsetzung politischer Maßnahmen der Europäischen Union die Erweiterung und insbesondere die relativ hohen Kosten für die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung in den neuen Mitgliedstaaten umfassend berücksichtigen muss,
I. in der Erwägung, dass im Zusammenhang mit dem Verfahren des mit Gründen versehenen Schadenersatzangebots bzw. der mit Gründen versehenen Antwort in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Sanktionsbestimmungen in Kraft gesetzt wurden,
J. in der Erwägung, dass Konsultationen mit den nationalen Behörden unter anderem auch in den neuen Mitgliedstaaten bestätigt haben, dass die derzeitigen Sanktionsbestimmungen – wo es solche gibt – angemessen sind und in allen Teilen der Europäischen Union wirksam umgesetzt werden,
K. in der Erwägung allerdings, dass einige Mitgliedstaaten keine spezifischen Sanktionen vorgesehen haben und ausschließlich auf die Verpflichtung des Versicherers vertrauen, die gesetzlich vorgeschriebenen Zinsen auf die Schadenersatzsumme zu zahlen, wenn das Angebot bzw. die mit Gründen versehene Antwort nicht innerhalb von drei Monaten vorliegt,
L. in der Erwägung, dass das System der Schadenregulierungsbeauftragten in der Mehrzahl der Mitgliedstaaten relativ gut bekannt ist,
M. in der Erwägung, dass in die von der Kommission durchgeführten Konsultationen – zur Bewertung der Frage, inwieweit den Bürgern das System der Schadenregulierungsbeauftragten bekannt ist – ausschließlich die Mitgliedstaaten und die Versicherungswirtschaft einbezogen worden sind, ohne die Bürger und die Verbraucherverbände, d. h. diejenigen, die das größte Interesse daran haben, dass das System auf angemessene Weise funktioniert, adäquat einzubeziehen,
N. in der Erwägung, dass in den meisten Mitgliedstaaten Rechtsschutzversicherungen für von den Opfern zu tragende Anwalts- und Gerichtskosten angeboten werden; in der Erwägung, dass über 90 % aller Fälle außergerichtlich reguliert und dass Anwalts- und Gerichtskosten in vielen Mitgliedstaaten erstattet werden; in der Erwägung, dass Rechtsschutzversicherer zudem bereits seit Jahren Versicherungsschutz für alle Arten grenzüberschreitender Fälle bieten und dementsprechend eigene Abteilungen eingerichtet haben, die sich mit Schadenersatzansprüchen aus dem Ausland befassen und eine rasche Regulierung ermöglichen,
O. in der Erwägung, dass die Frage, ob derartige begründete Anwalts- und Gerichtskosten in allen Mitgliedstaaten durch die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung gedeckt sein sollten, nach wie vor offen ist,
P. in der Erwägung jedoch, dass die Deckung der begründeten Anwalts- und Gerichtskosten in sämtlichen Mitgliedstaaten durch die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung zu einem größeren Schutz und einem größeren Vertrauen der europäischen Verbraucher beiträgt;
Q. in der Erwägung, dass sich die Versicherungsmärkte in den neuen Mitgliedstaaten stetig entwickeln; in der Erwägung, dass die Rechtsschutzversicherung in einigen neuen Mitgliedstaaten jedoch ein relativ neues Produkt ist, das gefördert werden muss, da diese Versicherungsart vergleichsweise unbekannt ist,
R. in der Erwägung, dass die obligatorische Deckung von Anwalts- und Gerichtskosten das Vertrauen der Verbraucher in die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung stärken sollte, dies insbesondere in Fällen, in denen Rechtsmittel eingelegt werden sollen, da die Verbraucher in vielen neuen Mitgliedstaaten vor hohen Anwalts- und Gerichtskosten zurückschrecken, die durch die Pflichtversicherung gedeckt würden,
S. in der Erwägung, dass eine obligatorische Rechtsschutzversicherung eine zusätzliche und kompliziertere Arbeitsbelastung für die Justiz mit sich bringen und möglicherweise zu entsprechenden Verzögerungen bei der Schlichtung von Streitigkeiten sowie zu einem höheren Anteilunberechtigter Schadenersatzforderungen führen würde,
T. in der Erwägung, dass die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung und die Rechtsschutzversicherung unterschiedliche Ziele haben und verschiedene Funktionen erfüllen, wobei die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung ermöglicht, dass die Verbraucher nach einem Straßenverkehrsunfall die aus jeder beliebigen gegen sie erhobenen Schadenersatzforderung erwachsenden Kosten tragen können, während die Rechtsschutzversicherung die Anwalts- und Gerichtskosten deckt, die entstehen, wenn nach einem Straßenverkehrsunfall eine Schadenersatzforderung an eine dritte Partei gestellt wird,
U. in der Erwägung, dass an die Öffentlichkeit gerichtete Kampagnen von nationalen Behörden, der Privatversicherungswirtschaft und Verbraucherorganisationen für die Entwicklung innerstaatlicher Märkte wichtig sind,
1. begrüßt den Bericht der Kommission und hält es für wichtig, dass alle Betroffenen, insbesondere die Verbraucher, uneingeschränkt und wirksam in den Konsultationsprozess im Rahmen der Entwicklung einer EU-Strategie auf diesem Gebiet einbezogen werden;
2. fordert daher dazu auf, dass Verbraucherorganisationen, die insbesondere die Interessen von Unfallopfern vertreten, systematisch in den Prozess der Bewertung der Wirksamkeit der in den Mitgliedstaaten in Kraft befindlichen Systeme einbezogen werden;
3. begrüßt diese Ex-post-Bewertung legislativer Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass die Regeln wie beabsichtigt funktionieren und alle unvorhergesehenen Fehlanwendungen aufgezeigt werden;
4. hält es für wesentlich, dass die Verbraucher mehr Vertrauen in die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherungssysteme für den grenzüberschreitenden Kraftfahrzeugverkehr innerhalb der Europäischen Union setzen, insbesondere Kraftfahrzeugführer aus den alten Mitgliedstaaten, die in die neuen Mitgliedstaaten reisen, und umgekehrt;
5. geht davon aus, dass die Förderung bestehender rechtlicher und marktkonformer Lösungen, die die Verbraucher schützen, das Vertrauen der Verbraucher in die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung stärkt;
6. ist der Auffassung, dass die Mitgliedstaaten zudem für das ordnungsgemäße Funktionieren ihrer nationalen Versicherungssysteme entsprechend den EU-Rechtsvorschriften über das Verfahren des mit Gründen versehenen Schadenersatzangebots bzw. der mit Gründen versehenen Antwort und von den Opfern zu tragenden Anwalts- und Gerichtskosten verantwortlich sind;
7. fordert die Kommission auf, nach wie vor darauf zu achten, dass die Marktmechanismen effizient funktionieren, und dem Parlament in regelmäßigen Abständen darüber Bericht zu erstatten;
8. ist der Auffassung, dass die alleinige Verpflichtung des Versicherers, die rechtlich vorgeschriebenen Verzugszinsen zu zahlen, kein Sanktionsinstrument ist und folglich stärkere Kontrollen und geeignete Maßnahmen seitens der Kommission in diesem Sinne erforderlich sind, um zu gewährleisten, dass die Märkte in sämtlichen Mitgliedstaaten reibungslos funktionieren und die Verbraucher effektiv geschützt werden;
9. betont, dass die Arbeitsbeziehungen zwischen der Kommission, den nationalen Behörden, der Versicherungswirtschaft und den Verbrauchern gestärkt werden sollten, um die fortwährende Versorgung mit genauen Daten über die geltenden Verfahren zur Durchsetzung der Vorschriften sicherzustellen;
10. ist in Übereinstimmung mit der allgemeinen Haltung der Europäischen Union gegenüber Sanktionen der Auffassung, dass das Subsidiaritätsprinzip angewandt werden muss und eine Harmonisierung der nationalen Sanktionsbestimmungen nicht erforderlich ist;
11. ist der Auffassung, dass nationale Regulierungseinrichtungen besser dafür geeignet sind, das höchstmögliche Maß an Verbraucherschutz auf dem jeweiligen nationalen Markt zu gewährleisten;
12. empfiehlt daher unter Verweis auf das Verfahren des mit Gründen versehenen Schadenersatzangebots bzw. der mit Gründen versehenen Antwort, den Mitgliedstaaten die Einführung von Sanktionen und die Entscheidung darüber zu überlassen, welche Vorkehrungen in welchem Umfang angemessen sind;
13. fordert die Mitgliedstaaten auf, für den Fall der Nichteinhaltung der Dreimonatsfrist für die Einreichung einer mit Gründen versehenen Antwort auf eine Schadenersatzforderung bzw. eines mit Gründen versehenen Schadenersatzangebots für wirksame Sanktionen zu sorgen;
14. hält eine aufmerksame Prüfung der Gründe für die Nichteinhaltung der vertraglichen Verpflichtungen seitens der Versicherungsgesellschaften für zweckmäßig, bevor Sanktionen verhängt werden, wobei die nicht von den Gesellschaften selbst abhängigen Faktoren in besonderem Maße berücksichtigt werden sollten; hält eine fortlaufende Überwachung der nationalen Märkte durch die Kommission für wünschenswert, die den einzelstaatlichen Behörden ihre Unterstützung anbieten sollte, wenn diese sie bei ihr anfordern;
15. bekräftigt erneut, dass es wichtig ist, das Vertrauen der Bürger in das Funktionieren des Systems der Schadenregulierungsbeauftragten zu stärken, indem es durch Öffentlichkeitskampagnen und durch andere geeignete Maßnahmen propagiert wird;
16. fordert die Mitgliedstaaten und die Kommission auf, das Vertrauen der Verbraucher zu stärken, indem sie geeignete Maßnahmen unterstützen, die die Verbraucher stärker auf die nationalen Informationszentren für Versicherungsfragen aufmerksam machen und sie dazu veranlassen, diese Zentren stärker in Anspruch zu nehmen, z. B. die Einführung der Auflage für die Versicherer, die Kontaktdaten betreffend das Informationszentrum im fraglichen Mitgliedstaat in ihr vertragliches Informationspaket einzubeziehen;
17. ruft die Mitgliedstaaten außerdem dazu auf, die Versicherungsunternehmen zu verpflichten, den Verbrauchern als Teil des vorvertraglichen Informationspakets umfassende Informationen darüber zur Verfügung zu stellen, wie das System der Schadenregulierungsbeauftragten funktioniert und welchen Nutzen und welche Vorteile es für die Versicherten hat;
18. fordert die Kommission dazu auf, das Funktionieren des Systems weiterhin zu überwachen und bei Bedarf oder auf Ersuchen der nationalen Behörden zu koordinieren und zu helfen;
19. ist außerdem der Auffassung, dass die obligatorische Deckung der Anwalts- und Gerichtskosten durch die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung zum einen den Anreiz, Schadenersatzansprüche außergerichtlich zu regulieren, deutlich schwächen, die Zahl der Gerichtsverfahren unter Umständen erhöhen und mithin zu einer ungerechtfertigten Steigerung der Arbeitsbelastung der Justiz führen würde, während sie zum anderen das Risiko mit sich bringen würde, dass der existierende und sich entwickelnde Markt für freiwillige Rechtsschutzversicherungen destabilisiert wird;
20. gelangt daher zu der Einschätzung, dass die negativen Effekte der Einführung eines Systems der obligatorischen Deckung der Anwalts- und Gerichtskosten durch die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung schwerer wiegen würden als der potenzielle Nutzen eines solchen Systems;
21. fordert die Kommission auf, in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten die notwendigen Schritte zu unternehmen, um insbesondere in den neuen Mitgliedstaaten stärker auf Rechtsschutzversicherungen sowie andere Versicherungsprodukte aufmerksam zu machen, wobei der Schwerpunkt darauf liegen sollte, die Verbraucher darüber zu unterrichten, welche Vorteile ihnen die eine oder andere Art von Versicherungsschutz bringt;
22. misst in diesem Zusammenhang der Rolle der nationalen Regulierungsbehörden entscheidende Bedeutung für die Umsetzung bewährter Methoden anderer Mitgliedstaaten bei;
23. ruft daher die Kommission auf, den Verbraucherschutz in erster Linie dadurch zu stärken, dass sie die Mitgliedstaaten auffordert, ihre nationalen Regulierungsbehörden und nationalen Versicherungsunternehmen dazu zu bewegen, auf freiwillige Rechtsschutzversicherungen aufmerksam zu machen;
24. ist der Auffassung, dass in den vorvertraglichen Informationen über die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung Auskünfte über die Möglichkeit des Abschlusses einer Rechtsschutzversicherung enthalten sein könnten;
25. ruft die Mitgliedstaaten auf, die nationalen Regulierungsbehörden und die Versicherungsvermittler dazu aufzufordern, ihre Kunden über mögliche Risiken und zusätzliche freiwillige Versicherungen zu ihrem potenziellen Nutzen zu informieren, so zum Beispiel über Rechtsschutz-, Pannenhilfe- und Diebstahlversicherungen;
26. fordert die Mitgliedstaaten, die noch keine alternativen Systeme für die Lösung von Streitfällen bei Schadenersatzforderungen eingeführt haben, dazu auf, die Einführung derartiger Systeme auf der Grundlage bewährter Methoden anderer Mitgliedstaaten in Erwägung zu ziehen;
27. fordert die Kommission auf, die Ergebnisse der in Auftrag gegebenen Studien über unterschiedliche Schadenersatzansprüche für Personenschäden im Anschluss an die Annahme der Rom-II-Verordnung(2) nicht voreilig zu bewerten, die eine Lösung nach dem Versicherungsprinzip und eine entsprechende Änderung der Vierten Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie nahe legen könnten;
28. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission zu übermitteln.
Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht ("Rom II") (ABl. L 199 vom 31.7.2007, S. 40).