Entschließung des Europäischen Parlaments vom 23. Oktober 2008 zu dem Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter in Venezuela
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu Venezuela, insbesondere die Entschließung vom 24. Mai 2007 zum Fall des Fernsehsenders RCTV in Venezuela(1),
– unter Hinweis auf den Bericht von Human Rights Watch vom September 2008 über die Lage der Menschenrechte in Venezuela in den letzten zehn Jahren mit dem Titel "A Decade under Chavez: Political intolerance and lost opportunities for advancing human rights in Venezuela",
– gestützt auf Artikel 115 Absatz 5 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass die venezolanischen Behörden verschiedene Listen mit Namen von Bürgern ("Tascón-Liste", "Maisanta-Liste", "Russián-Liste") verwenden, um öffentliche Beamte zu entlassen, Bürgern ihr Recht vorzuenthalten, öffentliche Ämter zu bekleiden, und diese daran zu hindern, behördliche Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen und behördliche Formalitäten zu erfüllen,
B. in der Erwägung, dass die Verwendung dieser Listen zu politischen Zwecken die bürgerlichen und politischen Rechte der Gegner der derzeitigen venezolanischen Regierung beschneidet, insbesondere das passive Wahlrecht und das Recht der Wähler, ihre lokalen, regionalen und nationalen Behördenvertreter frei zu wählen,
C. in der Erwägung, dass die oberste Rechnungsprüfungsbehörde Venezuelas ("Contralor General de la República") eine Verwaltungsmaßnahme erlassen hat, mit der ein Berufsverbot für eine große Anzahl von Vertretern der Opposition verhängt wurde, sodass diese nicht als Kandidaten für die im November 2008 geplanten Regional- und Kommunalwahlen antreten können,
D. in der Erwägung, dass die venezolanischen Behörden den Direktor der nichtstaatlichen Organisation Human Rights Watch für Lateinamerika, José Miguel Vivanco, und dessen Stellvertreter, Daniel Wilkinson, willkürlich aus Venezuela ausgewiesen haben, weil diese einen kritischen Bericht über die bürgerlichen Freiheiten und die Achtung der Menschenrechte während der zehnjährigen Amtszeit von Präsident Hugo Chávez vorgelegt hatten,
E. in der Erwägung, dass diese Vorfälle nur die letzten in einer langen Reihe von Maßnahmen der Regierung sind, mit denen die Opposition, die Dissidenten und die internationalen Beobachter im Land zum Schweigen gebracht werden sollen,
F. in der Erwägung, dass am 1. Oktober 2008 Julio Soto, der Studentenführer der Partei COPEI und Vorsitzende der Stundentenvereinigung "Federación de Centros Universitarios" an der Universität des Bundesstaates Zulia, in der Stadt Maracaibo in seinem Fahrzeug von Kugeln durchlöchert wurde und dass dieses unter mysteriösen Umständen begangene Verbrechen bisher nicht aufgeklärt worden ist,
1. äußert sich besorgt angesichts der von der obersten Rechnungsprüfungsbehörde vorgelegten Liste der von der Wahl ausgeschlossenen Personen;
2. fordert die venezolanische Regierung nachdrücklich auf, diese behördlich veranlassten Verbote der Übernahme öffentlicher Ämter im Rahmen der Artikel 42 und 65 der venezolanischen Verfassung zu prüfen, in denen das Recht einer endgültigen Entscheidung allein der Judikative zuerkannt wird, wie es in jedem Rechtsstaat gewöhnlich der Fall ist;
3. fordert die venezolanische Regierung ferner dringlich auf, die von Venezuela unterzeichneten und ratifizierten internationalen Vereinbarungen, wie die Amerikanische Menschenrechtskonvention, in Bezug auf die in den Artikeln 23 Absatz 1 Buchstabe b und 23 Absatz 2 enthaltenen politischen Rechte sowie die Artikel 2 und 25 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte einzuhalten;
4. lehnt die Verfolgung und willkürliche Ausweisung von Menschenrechtsaktivisten kategorisch ab und ist der Auffassung, dass diese Ausweisung einen äußerst schwerwiegenden Präzedenzfall darstellt, was die Gefahr für die Ausübung der Meinungsfreiheit und für das Recht auf Kritik betrifft, die zum Wesen jeder demokratischen Gesellschaft gehören;
5. verurteilt aufs Schärfste die Ermordung des Studentenführers Julio Soto, spricht den Familienmitgliedern und Verwandten des Opfers sein Beileid aus und fordert die venezolanischen Behörden auf, alle notwendigen Anstrengungen zu unternehmen, um dieses Verbrechen so schnell wie möglich aufzuklären, damit die Täter und Verantwortlichen der Justiz zugeführt werden können und dieses Verbrechen nicht ungestraft bleibt;
6. fordert die Regierung Chávez nachdrücklich auf, alle diese Praktiken einzustellen und unter Wahrung aller in der Verfassung von 1999 festgelegten Grundsätze eine partizipativere Demokratie in Venezuela zu fördern;
7. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission, dem Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten, der Parlamentarischen Versammlung Europa-Lateinamerika, dem Parlament des Mercosur sowie der Regierung und dem Parlament der Bolivarischen Republik Venezuela zu übermitteln.