Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. März 2009 zu dem Schutz der Verbraucher, insbesondere Minderjähriger, bei der Nutzung von Videospielen (2008/2173(INI))
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 22. April 2008 über den Schutz der Verbraucher, insbesondere Minderjähriger, bei der Nutzung von Videospielen (KOM(2008)0207),
– unter Hinweis auf die Entschließung des Rates vom 1. März 2002 zum Schutz der Verbraucher, insbesondere Minderjähriger, durch Kennzeichnung bestimmter Video- und Computerspiele nach Zielaltersgruppen(1),
– unter Hinweis auf die Empfehlung 2006/952/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Schutz Minderjähriger und den Schutz der Menschenwürde und über das Recht auf Gegendarstellung im Zusammenhang mit der Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Industriezweiges der audiovisuellen Dienste und Online-Informationsdienste(2),
– unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 20. Dezember 2007 über ein europäisches Konzept für die Medienkompetenz im digitalen Umfeld (KOM(2007)0833),
– gestützt auf Artikel 45 seiner Geschäftsordnung,
– in Kenntnis des Berichts des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz sowie der Stellungnahmen des Ausschusses für Kultur und Bildung und des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (A6-0051/2009),
A. in der Erwägung, dass Videospiele in Europa weit verbreitet sind und immer beliebter werden und der Markt für Videospiele rasch wächst,
B. in der Erwägung, dass Videospiele überwiegend gewaltfrei sind und ihre Nutzer häufig nicht nur unterhalten, sondern auch zur Entwicklung bestimmter Fähigkeiten beitragen und Wissen vermitteln,
C. in der Erwägung, dass Videospiele ursprünglich vorwiegend für Minderjährige produziert wurden, inzwischen jedoch immer mehr Videospiele speziell für Erwachsene entwickelt werden,
D. in der Erwägung, dass der Markt für Videospiele global ist,
E. in der Erwägung, dass es in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten fällt, über Maßnahmen zur Einschränkung des Verkaufs von Videospielen bzw. über deren Verbot zu entscheiden,
F. in der Erwägung, dass der Schutz der geistigen Gesundheit von Kindern Nulltoleranz und ein entschiedenes Vorgehen im Falle von Verstößen gegen Vorschriften zum Schutz von Kindern in Verbindung mit der Nutzung von Videospielen erfordert,
1. begrüßt die oben genannte Mitteilung der Kommission über den Schutz der Verbraucher, insbesondere Minderjähriger, bei der Nutzung von Videospielen;
2. unterstreicht den Beitrag der Spieleindustrie zur Verwirklichung der Ziele der Lissabon-Agenda und betont die multikulturellen Aspekte vieler Spiele;
3. betont, dass Videospiele ein ausgezeichnetes Mittel der Anregung darstellen und nicht nur zur Unterhaltung, sondern auch zu Bildungszwecken genutzt werden können; ist der Ansicht, dass sich Schulen mit Videospielen befassen und Schüler und Eltern über den Nutzen und die Nachteile von Videospielen unterrichten sollten;
4. hebt hervor, dass Videospiele für Bürger aller Altersgruppen und Gesellschaftsschichten eine der beliebtesten Freizeitbetätigungen sind; erkennt den erzieherischen Wert von Videospielen auch im Hinblick auf die leichtere Heranführung von Minderjährigen an die neuen Technologien an; teilt jedoch die Sorge der Kommission wegen der potenziellen Gefahren, die mit einer unsachgemäßen Nutzung von Videospielen durch Minderjährige verbunden sind;
5. ist der Ansicht, dass Videospiele das Erlernen von Fakten und Fähigkeiten, die in der Informationsgesellschaft von Bedeutung sind, wie zum Beispiel strategisches und innovatives Denken, Kreativität und Zusammenarbeit, unterstützen können;
6. verweist auf den Nutzen von Videospielen in der Medizin und insbesondere darauf, dass sich die sogenannte "Videospieltherapie" als wirksam für die Rehabilitation von Schlaganfallpatienten, Menschen mit traumatischen Gehirnverletzungen, Menschen mit Muskelproblemen und autistischen Kindern erwiesen hat;
7. ist der Ansicht, dass harmonisierte Bestimmungen für die Kennzeichnung von Videospielen dazu führen, dass die Kennzeichnungssysteme bekannter werden, und gleichzeitig das wirksame Funktionieren des Binnenmarktes fördern; begrüßt deshalb die Tätigkeit des Rates und der Kommission zur Förderung der Annahme EU-weiter Kennzeichnungsregelungen für Videospiele und zur Schaffung eines freiwilligen Verhaltenskodexes für interaktive Spiele, die Kinder als Zielgruppe haben;
8. nimmt zur Kenntnis, dass sich die Marktbedingungen wesentlich verändert haben, denn früher wurden Videospiele überwiegend in Geschäften gekauft und auf einem Computer oder einer Spielkonsole gespielt, während heute Spiele im Internet erworben und heruntergeladen werden können;
9. nimmt zur Kenntnis, dass Videospiele auf unterschiedlichen Plattformen gespielt werden können, zum Beispiel auf Spielkonsolen und Personalcomputern, jedoch auch zunehmend auf mobilen Geräten, wie zum Beispiel Mobiltelefonen;
10. weist darauf hin, dass Videospiele immer interaktiver werden oder sogar einen dynamischen Inhalt haben, der es den Nutzern erlaubt, Teile des Spiels selbst zu entwickeln; stellt fest, dass Nutzer sich zunehmend an Diskussionsforen (Text Chat und Voice Chat) und an Online-Gemeinschaften, die in bestimmte Videospiele integriert sind, beteiligen können; verweist auf die Differenzierung des Marktes, die zur Folge hat, dass mehr Spiele speziell für Erwachsene entwickelt werden;
11. ist der Ansicht, dass die aktuellen Entwicklungstrends deutlich zeigen, wie wichtig der angemessene Schutz von Minderjährigen ist, indem u.a. dafür gesorgt wird, dass schädliche Inhalte für sie nicht zugänglich sind;
12. verweist darauf, dass die Kontrolle durch die Eltern immer schwieriger wird, da Online-Videospiele nicht in einer stofflichen Verpackung mit klarer und einfach lesbarer Kennzeichnung verkauft werden und Kinder ohne Wissen oder Zustimmung ihrer Eltern Videospiele herunterladen können, die für ihr Alter nicht geeignet sind;
13. stellt fest, dass Gewalt in Videospielen zwar nicht automatisch zu gewalttätigem Verhalten führt, einigen Wissenschaftlern zufolge jedoch Personen, die lange Zeit Gewaltszenen in Videospielen ausgesetzt sind, negativ beeinflusst werden und unter bestimmten Umständen ein gewalttätiges Verhalten entwickeln können; stellt deshalb fest, dass ein Vorsorgeansatz verfolgt werden sollte, wenn es um die Auswirkungen der Spiele auf das Verhalten – vor allem von Kleinkindern – geht;
14. betont, dass einige Spieler ein problematisches Suchtverhalten an den Tag legen; ruft Produzenten, Einzelhändler, Eltern und andere Akteure dazu auf, Maßnahmen zu treffen, um jedwede negativen Auswirkungen zu vermeiden;
15. unterstreicht, dass die aktuellen Entwicklungen die Notwendigkeit einer wirksamen Altersüberprüfung für Spiele und insbesondere für Online-Spiele verstärken;
16. ist der Ansicht, dass unterschiedliche Ansätze zur Verstärkung der Kontrolle von Videospielen untersucht werden sollten, räumt jedoch gleichzeitig ein, dass wahrscheinlich keines dieser Systeme eine absolute Garantie dafür bieten kann, dass Kinder keinen Zugang zu ungeeigneten Videospielen erlangen;
17. ruft die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, in Zusammenarbeit mit der Branche zu untersuchen, ob es sinnvoll ist, einen "roten Knopf" zu entwickeln, der in (mobile) Konsolen oder Spieleinrichtungen und in Computer integriert werden kann und bestimmte Spiele deaktiviert oder den Zugang zu einem Spiel während einer bestimmten Tageszeit bzw. den Zugang zu bestimmten Teilen des Spiels sperrt;
18. fordert zusätzliche Bemühungen in dieser Hinsicht – einschließlich der Möglichkeit der Aufnahme einer akustischen Warnung in das europäische Alterseinstufungssystem PEGI (Pan-European Game Information) – und rechnet damit, dass der gewerbliche Spielesektor systematisch Zugangsmodelle für Online-Spiele vorsieht, um sicherzustellen, dass Minderjährige keinen schädlichen Online-Inhalten ausgesetzt sind;
19. unterstreicht die Bedeutung angemessener Kontrollmaßnahmen für Online-Käufe von Videospielen, einschließlich von Käufen per Kreditkarte oder Gutschein;
20. ist der Ansicht, dass die Entwicklungen auf dem Gebiet von Videospielen und insbesondere von Online-Videospielen es erfordern, dass der Inhalt von Videospielen mehr ins öffentliche Bewusstsein gerückt wird, dass Eltern eine stärkere Kontrolle ausüben und Instrumente wie das System PEGI geschaffen werden; begrüßt die von der Branche bereits getroffenen Maßnahmen zur Einrichtung von Selbstkontrolle;
21. begrüßt das System PEGI Online, bei dem es sich um eine logische Weiterentwicklung von PEGI handelt und das sich auf Videospiele bezieht, die über das Internet bereitgestellt werden, z. B. Download- oder Online-Spiele; begrüßt seine anhaltende Kofinanzierung durch die Kommission im Rahmen des Programms "Sicheres Internet", dessen Ziel darin besteht, Probleme in Verbindung mit der sicheren Nutzung des Internet durch Kinder und neuen Online-Technologien zu bewältigen; fordert die Kommission auf, in Verbindung mit dem Programm zur Förderung eines sichereren Internets eine systematische Studie über die Wirkung von Videospielen auf Minderjährige zu fördern;
22. begrüßt die Arbeit des Europarates zur Aufstellung von Leitlinien für Videospiele sowie zur Förderung des Wissens über Internet-Sicherheit im Allgemeinen unter Kindern;
23. ist der Auffassung, dass nationale Informations- und Sensibilisierungskampagnen für Verbraucher – vor allem Eltern – durchgeführt werden sollten, um ihnen Hilfestellung bei der Auswahl von Videospielen zu geben, die für das Alter und den Wissensstand ihrer Kinder geeignet sind, und Produkte zu vermeiden, die nicht angemessen gekennzeichnet sind; hält die Mitgliedstaaten dazu an, diesbezüglich bewährte Praktiken auszutauschen;
24. ist der Ansicht, dass das System PEGI für die Einstufung von Spielen ein wichtiges Instrument ist, das die Transparenz für Verbraucher, insbesondere für Eltern, beim Kauf von Spielen verbessert hat, da es ihnen ermöglicht wird, wohlüberlegt zu entscheiden, ob ein Spiel für Kinder geeignet ist; bedauert jedoch, dass viele Verbraucher und insbesondere viele Eltern offensichtlich kein ausreichendes Wissen über Videospiele und ihre möglichen Auswirkungen auf Kinder haben;
25. fordert die Kommission auf, Maßnahmen vorzuschlagen, die zu einem sichereren Umfeld für Online-Videospiele beitragen, einschließlich innovativer Methoden, die Minderjährige am Zugang zu Online-Videospielen hindern, deren Inhalt für sie ungeeignet ist;
26. ruft die Mitgliedstaaten zu einer anhaltenden engen Zusammenarbeit mit dem Ziel des Schutzes von Minderjährigen auf; ruft die Hersteller von Videospielen und Spielkonsolen auf, die Systeme PEGI und PEGI Online weiter zu verbessern und insbesondere regelmäßig die Kriterien für die Alterseinstufung und Kennzeichnung auf den neuesten Stand zu bringen, PEGI aktiver bekannt zu machen und die Liste der Unterzeichner zu erweitern; fordert die Mitgliedstaaten mit Nachdruck auf, dafür Sorge zu tragen, dass nationale Bewertungssysteme nicht auf eine Art und Weise entwickelt werden, die zur Fragmentierung des Marktes führt;
27. ruft die Kommission und die Mitgliedstaaten dazu auf, mit Verbraucherorganisationen und anderen Beteiligten zusammenzuarbeiten, um mithilfe von Aufklärungskampagnen das Wissen über die vorhandenen Klassifikationssysteme und namentlich das System PEGI unter den Verbrauchern und insbesondere unter jungen Verbrauchern und deren Eltern zu erhöhen; unterstreicht die Bedeutung der Verbreitung dieser Informationen an Schulen;
28. fordert die Mitgliedstaaten mit Nachdruck auf, Kampagnen zur Information der Eltern und der Lehrer durchzuführen, um die technologische Generationskluft zu überwinden und die Systeme PEGI und PEGI Online sowie eine sicherere und bewusstere Nutzung der neuen Technologien einschließlich der Videospiele zu fördern;
29. fordert die Kommission auf, kurzfristig den Austausch bewährter Praktiken unter den zuständigen nationalen Bildungsbehörden zu erleichtern, um die Vermittlung der Kompetenz für den Umgang mit Spielen in die Bildungsziele von Primär- und Sekundarschulen einzubeziehen; ruft alle Beteiligten dazu auf, regelmäßig Erfahrungen und Informationen auszutauschen, um die bestmöglichen Maßnahmen in Bezug auf Videospiele festlegen zu können;
30. betont, dass gegenwärtig nicht in allen Mitgliedstaaten geregelt ist, dass Einzelhändler Spiele mit Gewaltszenen ausschließlich an Erwachsene verkaufen dürfen; fordert die Inhaber von Internet-Cafés auf, Kinder am Spielen von Spielen zu hindern, die für höhere Altersklassen eingestuft sind; verweist auf die am 9. Dezember 2008 veröffentlichte Eurobarometer-Umfrage "Auf dem Weg zu einer sichereren Nutzung des Internets für Kinder in der EU - aus dem Blickwinkel der Eltern"(3), in der festgestellt wurde, dass 3,2 % der Kinder im Alter von 6 bis 17 Jahren ohne Beaufsichtigung durch Erwachsene in Internet-Cafés auf das Internet zugreifen; ist der Ansicht, dass ein gemeinsames Konzept für die Verhängung von harten Strafen gegen Einzelhändler und Inhaber von Internet-Cafés erforderlich ist; fordert deshalb die Mitgliedstaaten auf, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass Kinder Spiele erwerben und spielen, die für höhere Altersklassen gedacht sind, zum Beispiel durch Prüfung ihrer Identität; unterstützt den Vorschlag der Kommission, einen europaweit geltenden Verhaltenskodex für Einzelhändler und Hersteller von Videospielen einzuführen, um dem Verkauf von Videospielen mit gewalttätigem und schädlichem Inhalt an Minderjährige zu vorzubeugen;
31. fordert die Mitgliedstaaten auf, spezifische zivil- und strafrechtliche Rechtsvorschriften im Hinblick auf den Verkauf von Fernseh-, Video- und Computerspielen mit gewalttätigem Inhalt auszuarbeiten; ist der Ansicht, dass dabei den Online-Spielen, die sich in erster Linie an Kinder und Jugendliche wenden und darauf ausgerichtet sind, Gewinne zu erzielen, besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte;
32. fordert die Kommission auf, durch spezifische Rechtsvorschriften dem Missbrauch von Online-Spielen für unlautere kommerzielle Tätigkeiten entgegenzuwirken, beispielsweise solchen, die minderjährige Nutzer auf unredliche Weise dazu verleiten, rechtliche Verpflichtungen einzugehen (z. B. durch automatisches Abonnieren oder bösartige Dialer-Programme, die teure gebührenpflichtige Rufnummern anwählen) und solchen, die wettbewerbswidrige Werbebotschaften aussenden (z. B. Produktplatzierung oder andere verdeckte Marketingtechniken);
33. ruft die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, mit Behörden in anderen Teilen der Welt zusammenzuarbeiten, um die Verabschiedung internationaler Leitlinien, Kennzeichnungssysteme und Verhaltensregeln zur Förderung globaler Klassifikationssysteme für Videospiele und Online-Spiele anzuregen;
34. ist der Auffassung, dass die Branche dabei unterstützt werden sollte, die Systeme der Selbstkontrolle weiterzuentwickeln und zu verbessern, und dass gegenwärtig kein Bedarf an EU-weiten Rechtsvorschriften in diesem Bereich besteht;
35. verweist darauf, wie wichtig es ist, dass die Medien das Verantwortungsbewusstsein der Eltern erhöhen und die Ausstrahlung von Werbung für Erwachsenen-Videospiele auf Zeiten beschränken, in denen weniger Kinder fernsehen;
36. ist der Auffassung, dass die für das Verbot von Videospielen zuständigen staatlichen Behörden die entsprechenden Stellen in anderen Mitgliedstaaten unterrichten und das Verbot durch Versand einer automatischen Warnmeldung im System PEGI veröffentlichen sollten;
37. fordert die Kommission auf, im Rahmen des Programms MEDIA und nationaler steuerlicher Fördermaßnahmen neue Entwicklungen in diesem schnell wachsenden Bereich der kreativen Wissensgesellschaft zu unterstützen, insbesondere durch Förderung der bildungs-, multimedia- und kulturspezifischen Elemente von Videospielen sowie mithilfe der Förderung entsprechender Ausbildungsmöglichkeiten und Studiengänge;
38. fordert die Kommission auf, Leitlinien zu entwickeln, um mögliche Interessenkonflikte zwischen Einstufungsstellen zu vermeiden und die Unabhängigkeit solcher Organisationen von der Industrie verpflichteten Interessengruppen zu wahren;
39. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission sowie den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten zu übermitteln.