Entschließung des Europäischen Parlaments vom 24. November 2010 zu dem Übereinkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie (ACTA)
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf die Artikel 207 und 218 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV),
– unter Hinweis auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union,
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 10. März 2010 zu der Transparenz und dem Stand der Verhandlungen über das Abkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie (ACTA),
– unter Hinweis auf seinen Beschluss vom 20. Oktober 2010 zur Revision der Rahmenvereinbarung über die Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und der Kommission,
– unter Hinweis auf die Aussprache vom 20. Oktober 2010 im Plenum über das Übereinkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie,
– unter Hinweis auf den Entwurf des Übereinkommens zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie vom 2. Oktober 2010,
– unter Hinweis auf die Entscheidung des Europäischen Bürgerbeauftragten zu der Beschwerde 90/2009/(JD)OV über den Zugang zu Dokumenten, die das ACTA betreffen,
– unter Hinweis auf die Verordnung (EG) Nr. 1383/2003 des Rates,
– unter Hinweis auf die interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission über „Bessere Rechtsetzung“ (2003/C 321/01),
– unter Hinweis auf das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) der Welthandelsorganisation (WTO),
– gestützt auf Artikel 115 Absatz 5 und Artikel 110 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass der Kampf gegen Produkt- und Markenpiraterie ein wichtiges Element der politischen Strategie der EU ist, mit der das Ziel verfolgt wird, Gerechtigkeit, gleiche Wettbewerbsbedingungen für unsere Hersteller und die Erhaltung von Beschäftigung und Arbeitsplätzen für diese Bürger und Akteure, die die geltenden Rechtsnormen beachten, herbeizuführen,
B. in der Erwägung, dass der Kampf gegen Produkt- und Markenpiraterie, die ein weltweites Phänomen ist, eine engere internationale Zusammenarbeit der wichtigen Akteure auf der Weltbühne erforderlich macht, damit dieser Kampf mehr Wirkung erzielt,
C. in der Erwägung, dass trotz mehrerer Versuche, einen multilateralen Ansatz zu finden – der das Hauptziel der EU-Strategie bleibt – dieser Ansatz wegen des Widerstands und Widerspruchs anderer weltweiter Akteure nicht verfolgt werden konnte und dass daher ein plurilaterales Übereinkommen das beste Mittel zu sein scheint, spezielle Anliegen auf internationaler Ebene zur Geltung zu bringen,
D. in der Erwägung, dass das ACTA, wie die Kommission wiederholt dargelegt hat, nur Maßnahmen zur Durchsetzung betrifft und keine Bestimmungen enthält, die die materiellen Rechtsvorschriften der EU und anderer ACTA-Vertragsparteien über die Rechte des geistigem Eigentums ändern, dass es aber statt dessen erstmalig einen umfassenden internationalen Rahmen bietet, der die Parteien bei ihren Bemühungen unterstützen soll, die Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums wirksam zu bekämpfen, und daher keine Änderungen am gemeinschaftlichen Besitzstand mit sich bringt,
E. unter Hinweis darauf, dass das ACTA in vielen Bereichen, auch bei den Bestimmungen über den digitalen Bereich und den Geltungsbereich zwingend vorgeschriebene Maßnahmen an den Grenzen, über das TRIPS-Übereinkommen hinausgeht und dadurch den Rechteinhabern mehr Schutz bietet,
F. in der Erwägung, dass sich nach einer nachdrücklichen Forderung des Parlaments die Transparenz bei den Verhandlungen deutlich verbessert hat und dass es seit der Verhandlungsrunde in Neuseeland umfassend über den Gang der Verhandlungen informiert wurde und den ausgehandelten Text eine Woche nach dem Abschluss der letzten Verhandlungsrunde in Japan zur Kenntnis genommen hat,
G. in der Erwägung, dass der ausgehandelte Text – nachdem in Form eines Verweises in der Präambel des Übereinkommens auf die am 14. November 2001 angenommene Erklärung von Doha zum TRIPS-Übereinkommen und zur öffentlichen Gesundheit Bezug genommen wird – den wichtigsten Anliegen, die das Europäische Parlament in den vergangenen Monaten zum Ausdruck gebracht hat, Rechnung trägt, wie der Achtung der Grundrechte, dem Schutz der Privatsphäre und dem Datenschutz, der Achtung der wichtigen Rolle eines freien Internet, dem Schutz der Rolle von Dienstleistungsanbietern und der Wahrung des Zugangs zu Arzneimitteln,
H. in der Erwägung, dass die Kommission wiederholt die Durchsetzung des Schutzes geografischer Herkunftsangaben als wichtig hervorgehoben hat und dass die Vertragsparteien übereingekommen sind, dass das ACTA eine Grundlage für die Durchsetzung geografischer Herkunftsangaben schaffen wird,
I. unter Hinweis darauf, dass die Kommission als Hüterin der Verträge dazu verpflichtet ist, bei der Aushandlung internationaler Abkommen, die die Rechtsvorschriften in der EU betreffen, die Wahrung des gemeinschaftlichen Besitzstands sicherzustellen, und dass die Kommission sich dazu verpflichtet hat, das Parlament in jeder Phase der Aushandlung internationaler Abkommen unverzüglich und umfassend zu informieren,
J. in der Erwägung, dass dringend dafür gesorgt werden muss, dass die Maßnahmen zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums so angelegt sind, dass Innovation und Wettbewerb nicht behindert, die Rechte des geistigen Eigentums nicht eingeschränkt und der Schutz personenbezogener Daten nicht beeinträchtigt, der freie Informationsfluss nicht gehemmt und der rechtmäßige Handel nicht in unzulässiger Weise erschwert werden,
K. in der Erwägung, dass eine von der EU erzielte Einigung über das ACTA dem gemeinschaftlichen Besitzstand, und zwar insbesondere den rechtlichen Verpflichtungen der EU zum Schutz der Privatsphäre und zum Datenschutz, lückenlos entsprechen muss, die insbesondere in den Richtlinien 95/46/EG und 2002/58/EG sowie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Gerichtshofs zu finden sind,
L. in der Erwägung, dass der Text des ACTA infolge des Inkrafttretens des Vertrags von Lissabon im Dezember 2009 der Zustimmung des Parlaments bedarf, bevor das Übereinkommen in der EU in Kraft tritt,
1. begrüßt die Veröffentlichung des Entwurfs des Übereinkommens zur Produkt- und Markenpiraterie vom 2. Oktober 2010 im Anschluss an die Verhandlungsrunde von Tokio und erwartet, dass die Kommission dem Parlament und der Öffentlichkeit den endgültigen Text des ACTA nach dem Treffen zu technischen Verhandlungen, das vom 30. November bis 3. Dezember 2010 in Sydney stattfindet, bekannt gibt;
2. weist erneut darauf hin, dass die Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie eine Priorität seiner internen und internationalen politischen Strategie ist und dass die internationale Zusammenarbeit entscheidend dazu beiträgt, dieses Ziel zu erreichen;
3. ist sich vollständig darüber im Klaren, dass das ausgehandelte Übereinkommen das komplexe und vielschichtige Problem der Produkt- und Markenpiraterie nicht lösen wird; betrachtet es jedoch als einen Schritt in die richtige Richtung; in
4. begrüßt die wiederholten Erklärungen der Kommission, wonach die Umsetzung der ACTA-Bestimmungen – insbesondere zu den Verfahren der Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums im digitalen Umfeld – vollständig dem gemeinschaftlichen Besitzstand entspricht und weder Personendurchsuchungen noch das sogenannte Three-Strikes-Verfahren mit diesem Übereinkommen eingeführt werden; betont, dass die Unterzeichner des ACTA und insbesondere die EU durch das Übereinkommen nicht ermächtigt werden dürfen, das Three-Strikes-Verfahren oder ähnliche Verfahren einzuführen;
5. begrüßt, dass in der Präambel des als Beratungsgrundlage dienenden Textentwurfs vom 2. Oktober 2010 das Ziel des ACTA bekräftigt wurde, wirkungsvolle und angemessene Mittel für die Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums, die das TRIPS-Übereinkommen ergänzen, bereitzustellen, wobei die Unterschiede in den Rechtsordnungen und der Rechtspraxis der ACTA-Vertragsparteien zu berücksichtigen sind; verlangt, dass die Grundsätze, die in der Erklärung von Doha zum TRIPS-Übereinkommen und zur öffentlichen Gesundheit, die von der WTO am 14. November 2001 auf der Vierten Ministerkonferenz der WTO in Doha (Katar) angenommen wurde, die Elemente bilden, auf denen der als Beratungsgrundlage dienende Text des ACTA vom 2. Oktober 2010 beruht, und ist daher der Auffassung, dass eine Durchsetzung des ACTA stets mit diesen Grundsätzen übereinstimmen sollte;
6. betont, dass das ACTA am Besitzstand der EU hinsichtlich der Durchsetzung von Rechen des geistigem Eigentums nichts ändert, weil die Rechtsvorschriften der EU bereits deutlich weiter entwickelt als die gegenwärtigen internationalen Normen sind, und dass das Übereinkommen daher eine Gelegenheit bietet, bewährte Verfahren und Leitlinien in diesem Bereich auszutauschen;
7. betrachtet ACTA als ein Instrument zur Steigerung der Wirksamkeit der bisherigen Normen, das die Ausfuhren aus der EU begünstigen und die Inhaber von Rechten schützen wird, wenn sie auf dem Weltmarkt aktiv sind, wo sie gegenwärtig unter systematischen und weit verbreiteten Verstößen gegen ihre Urheberrechte, Marken, Patente, Muster und geografische Herkunftsangaben zu leiden haben;
8. betont die Bedeutung des Schutzes von geografischen Herkunftsangaben für europäische Unternehmen und die Beschäftigung in der EU; würdigt die Bemühungen der Kommission, den Schutz geografischer Herkunftsangaben in den Geltungsbereich des ACTA aufnehmen zu lassen;
9. bedauert, dass in Artikel 1.X des Übereinkommens die Piraterie in Bezug auf geografische Angaben nicht definiert ist, weil dieses Versäumnis für Verwirrung sorgen oder zumindest die Aufgaben der Verwaltungs- und Justizbehörden bei der Auslegung und der Umsetzung des ACTA komplizieren könnte;
10. begrüßt die Aufnahme von „kann“ in Artikel 2.14.3 („Jede Vertragspartei kann strafrechtliche Verfahren und Sanktionen ...“);
11. begrüßt es, dass die Vertragsparteien, nachdem die EU darauf bestanden hat, übereingekommen sind, dass die strafrechtliche Verfolgung von „Camcording“ lediglich fakultativ behandelt wird (Artikel 2.14.3 und Artikel 2.15);
12. begrüßt es, dass keine Seite von der Mitgliedschaft im ACTA ausgeschlossen wird und sich daher weitere Entwicklungs- und Schwellenländer dem Übereinkommen anschließen können, wodurch ein weit verbreiteter Schutz von Rechten des geistigen Eigentums gefördert und der weltweite Kampf gegen Produkt- und Markenpiraterie gestärkt wird; ist der Ansicht, dass das ACTA in Zukunft möglicherweise eine multilaterale Ebene erreicht;
13. betont, dass eine Entscheidung, die die Kommission als Teil des ACTA-Komitees fällt, vom Besitzstand gedeckt sein muss und keine einseitige Änderung des Inhalts des ACTA bewirken darf; ist daher der Ansicht, dass geplante Änderungen des ACTA vom Europäischen Parlament und vom Rat gemäß Artikel 207 und 218 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verabschiedet werden müssen;
14. fordert die Kommission auf zu bestätigen, dass die Umsetzung des ACTA keine Auswirkungen auf die Grundrechte und den Datenschutz, die laufenden Bemühungen der EU, die Maßnahmen zur Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums zu harmonisieren, und den elektronischen Geschäftsverkehr haben wird;
15. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission und den Regierungen und Parlamenten der Staaten zu übermitteln, die an den Verhandlungen über das ACTA beteiligt sind.