Entschließung des Europäischen Parlaments vom 25. November 2010 zu Birma – Durchführung der Wahlen und Freilassung der Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu Birma, von denen die letzte am 20. Mai 2010 angenommen wurde(1),
– unter Hinweis auf die Artikel 18 bis 21 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948,
– unter Hinweis auf Artikel 25 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte von 1966,
– unter Hinweis auf die Erklärung des Ratsvorsitzes der Europäischen Union vom 23. Februar 2010, in der zu einem umfassenden Dialog zwischen den Staatsorganen und den demokratischen Kräften in Birma aufgerufen wird,
– unter Hinweis auf die Erklärung seines Präsidenten, Jerzy Buzek, vom 11. März 2010 zu den neuen Wahlgesetzen Birmas,
– unter Hinweis auf die Erklärung des Vorsitzenden des 16. ASEAN-Gipfeltreffens, das am 9. April 2010 in Hanoi stattfand,
– unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates zu Birma, die auf der 3009. Tagung des Rates „Auswärtige Angelegenheiten“ vom 26. April 2010 in Luxemburg angenommen wurden,
– unter Hinweis auf die Erklärung zu Birma in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 19. Juni 2010,
– unter Hinweis auf den Bericht des VN-Generalsekretärs vom 28. August 2009 über die Lage der Menschenrechte in Birma,
– unter Hinweis auf die Erklärung des VN-Generalsekretärs Bank Ki-moon vom 26. Oktober 2010 in Bangkok,
– unter Hinweis auf die Erklärung des Vorsitzes des 8. Asien-Europa-Treffens vom Oktober 2010,
– unter Hinweis auf den Bericht des VN-Sonderberichterstatters vom 15. September 2010 zu der Lage der Menschenrechte in Birma,
– unter Hinweis auf die Erklärung der Vizepräsidentin der Kommission/Hohen Vertreterin der Union für auswärtige Angelegenheiten und Sicherheitspolitik vom 7. November 2010 zu den Wahlen in Birma,
– unter Hinweis auf die Erklärung des VN-Generalsekretärs und des Präsidenten des Europäischen Parlaments, Jerzy Buzek, vom 8. November 2010 zu den Wahlen in Birma,
– unter Hinweis auf die Erklärung des VN-Generalsekretärs vom 13. November 2010 zu der Freilassung von Daw Aung San Suu Kyi,
– unter Hinweis auf die Erklärung der Präsidenten des Europäischen Rates und der Vizepräsidentin der Kommission/Hohen Vertreterin der Union für auswärtige Angelegenheiten und Sicherheitspolitik vom 13. November 2010 zu der Freilassung von Aung San Suu Kyi,
– unter Hinweis auf die Birma betreffenden Schlussfolgerungen des Rates vom 22. November 2010,
– gestützt auf Artikel 122 Absatz 5 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass Aung San Suu Kyi am Abend des 13. November 2010, weniger als eine Woche nach den umstrittenen landesweiten Wahlen, aus dem Hausarrest entlassen wurde, unter dem sie während 15 der letzten 21 Jahre gelebt hatte,
B. unter Hinweis darauf, dass in Birma am 7. November 2010 die ersten landesweiten Wahlen seit über 20 Jahren stattgefunden haben und dass die vorherigen Wahlen 1990 von der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) von Aung San Suu Kyi gewonnen wurden,
C. unter Hinweis darauf, dass die letzten Wahlen auf der umstrittenen, 2008 eingeführten Verfassung beruhten, die dem birmanischen Militär ein Viertel aller Parlamentssitze garantiert und dass sie, was niemanden überrascht hat, von der Union Solidarity and Development Party (USDP), die vom Militär unterstützt wird, gewonnen wurde,
D. unter Hinweis darauf, dass die birmanischen Machthaber im Vorfeld der Wahlen vom 7. November mehrere neue Gesetze in Kraft gesetzt haben, die die Redefreiheit und die Freiheit zur Kritik an der Regierung einschränken, die politischen Tätigkeiten und den Wahlkampf von Parteien stark einschränken und den inländischen Forderungen nach Freilassung politischer Häftlinge einen starken Riegel vorschieben, und unter Hinweis darauf, dass die Wahlen internationalen Maßstäben nicht genügten,
E. unter Hinweis darauf, dass die der Junta wohlgesinnte Union Solidarity and Development Party in fast allen Wahlkreisen ihre Kandidaten durchbringen konnte, während die für die Demokratie eintretenden Parteien wie die National Democratic Force nur in einigen wenigen Wahlkreisen Kandidaten durchbringen durften, hauptsächlich weil sie wenig Zeit hatten, Wahlkampfgelder zu sammeln bzw. sich sinnvoll zu organisieren,
F. unter Hinweis darauf, dass die Nationale Liga für Demokratie angesichts der Bedingungen für die Wahlteilnahme beschlossen hat, die Wahlen zu boykottieren, und dass diese Partei per Gesetz vom 6. Mai 2010 aufgelöst wurde, nachdem sie sich für die Wahlen nicht hatte registrieren lassen,
G. in der Erwägung, dass die Wahlen in einem Klima von Angst, Einschüchterung und Resignation durchgeführt wurden und dass Hunderttausenden birmanischer Bürger, auch buddhistischen Mönchen und politischen Häftlingen, das aktive und passive Wahlrecht verwehrt wurde,
H. in der Erwägung, dass es viele Beschwerden über die Grundlagen und die Durchführung der Wahlen gegeben hat, bei denen das Wahlgeheimnis nicht geschützt wurde, staatliche Bedienstete genötigt wurden und mit militärischen Maßnahmen beispielsweise die Volksgruppe der Karen gezwungen wurde, für der Junta wohlgesinnte Parteien zu stimmen,
I. in der Erwägung, dass Aung San Suu Kyi aufgrund der umstrittenen Verfassung von 2008 daran gehindert ist, ein öffentliches Amt zu übernehmen,
J. in der Erwägung, dass die Freilassung von Aung San Suu Kyi, wenn sie nicht zurückgenommen wird, als ein erster Schritt in die richtige Richtung ausgelegt werden könnte und dass dennoch viele sich besorgt über die Sicherheit von Aung San Suu Kyi ausgesprochen und festgestellt haben, dass sie von den staatlichen Sicherheitsdiensten überwacht wird,
K. in der Erwägung, dass zwar Aung San Suu Kyi freigelassen ist, dass aber über 2.200 weitere Fürsprecher der Demokratie gefangen bleiben, auch viele der buddhistischen Mönche, die 2007 die Proteste gegen die Regierung anführten, und die Journalisten, die darüber berichteten,
L. in der Erwägung, dass die Regierung von Birma seit 2003 sämtliche Vorschläge der Vereinten Nationen und der gesamten Staatengemeinschaft für die Reform ihres siebenteiligen „Fahrplans für Demokratie“ abgelehnt hat,
M. in der Erwägung, dass das birmanische Militär weiterhin abscheuliche Menschenrechtsverletzungen gegen Zivilpersonen im Gebiet der Volksgruppe Karen an der thailändischen Grenze begeht und dass zu diesen Handlungen Tötungen ohne Gerichtsverfahren, Zwangsarbeit und sexuelle Gewalt gehören, und in der Erwägung, dass am Tag nach den Wahlen Tausende birmanischer Flüchtlinge wegen Zusammenstößen zwischen der birmanischen Armee und Aufständischen aus anderen Volksgruppen die Grenze nach Thailand überquerten,
N. unter Hinweis darauf, dass Birma weiterhin in großem Umfang und systematisch Kindersoldaten zwangsrekrutiert,
O. unter Hinweis darauf, dass die Vereinten Nationen, die EU und ihre Mitgliedstaaten, die USA und viele Regierungen anderer Staaten in aller Welt erklärt haben, es komme entscheidend auf Dreierverhandlungen zwischen Aung San Suu Kyi und der Nationalen Liga für Demokratie, Vertretern der ethnischen Minderheiten in Birma und der birmanischen Junta an, wenn eine langfristige Lösung für Birmas Probleme gefunden werden solle, und in der Erwägung, dass die Regierung Birmas noch immer die Aufnahme solcher Verhandlungen verweigert,
P. in der Erwägung, dass die EU seit 1996 Restriktionen gegen das birmanische Regime verhängt hat, zu denen das Einfrieren der Guthaben von rund 540 Einzelpersonen und 62 juristischen Personen, Reiseverbote, ein Verbot der Ausfuhr militärischer Ausrüstungen und, seit kurzer Zeit, ein Verbot, das Ausrüstungen für Holzeinschlag und Bergbau und die Einfuhr bestimmter Arten von Holz, wertvollen Steinen und Mineralien betrifft – so lange bis Anzeichen eines wirklichen Wandels in Richtung Demokratie, Menschenrechte, Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit vorliegen,
1. begrüßt die vor kurzem erfolgte Freilassung von Aung San Suu Kyi, bedauert jedoch, dass sie erst nach den Wahlen freigelassen wurde, sodass es ihr unmöglich war, aktiv am Wahlkampf für die Opposition teilzunehmen; verlangt, dass ihr die soeben zurückgewonnene Freiheit bedingungslos und ohne Einschränkungen gewährt wird;
2. bedauert zutiefst, dass die herrschende Militärjunta Birmas es abgelehnt hat, am 7. November freie und gerechte Wahlen in Birma abzuhalten;
3. bedauert die von der herrschenden Militärjunta gegen die wichtigsten Oppositionsparteien verhängten Beschränkungen und die Einschränkungen der Freiheit der Presse zur Berichterstattung über die Wahlen und zur Beobachtung der Wahlen;
4. bedauert den Mangel an Transparenz bei der Durchführung der Auszählung der Stimmzettel, die Weigerung des Militärs, internationale Beobachter zuzulassen, und die Verzögerung bei der Bekanntgabe der Ergebnisse;
5. bedauert es, dass die neue Verfassung dem birmanischen Militär mindestens ein Viertel aller Parlamentssitze garantiert, was dazu ausreicht, verfassungsrechtliche Änderungen durchweg mit Veto zu belegen, und es dem Militär auch ermöglicht, sämtliche bürgerlichen Freiheiten und die Tätigkeit des Parlaments auszusetzen, wann immer es das für nötig hält;
6. weist auf die Einschränkung der Teilnahme der Oppositionsparteien an der Wahl hin, die die schwierige Entscheidung treffen mussten, ob sie die Wahl boykottierten oder nicht, und ist der Auffassung, dass die Mitwirkung der Opposition und der Vertreter anderer Volksgruppen in landesweiten und regionalen Versammlungen, auch wenn sie von sehr geringem Umfang ist, den Anfang einer Normalisierung bedeuten und eine Chance für den Wandel bieten könnte;
7. missbilligt nachdrücklich die anhaltenden Verletzungen der Grundfreiheiten und der grundlegenden demokratischen Rechte der Bevölkerung Birmas durch die birmanische Militärjunta;
8. legt der Regierung Birmas nahe, sämtliche verbleibenden 2.200 politischen Häftlinge des Landes unverzüglich und ohne Vorbedingungen freizulassen und ihre politischen Rechte ohne Einschränkung wiederherzustellen; verlangt von den birmanischen Staatsorganen, keine weiteren politisch begründeten Verhaftungen vorzunehmen;
9. fordert das birmanische Regime nachdrücklich auf, die Beschränkungen der Versammlungsfreiheit, des freien Personenverkehrs und der Meinungsfreiheit aufzuheben, und verlangt ein Ende der politisch begründeten Pressezensur und der politisch begründeten Überwachung des Internet und des Mobilfunknetzes;
10. missbilligt nachdrücklich die Gewalthandlungen, die sich nach umfangreichen Beschwerden wegen Einschüchterungen im Westen Birmas in der Stadt Myawaddy ereignet haben; stellt fest, dass die heftigen Schießereien zwischen birmanischem Militär und Aufständischen anderer Volksgruppen Tausende von Menschen genötigt haben, die Grenze mit Thailand zu überqueren;
11. bedauert zutiefst, dass der birmanische Staat sämtliche Angebote in Sachen technische Hilfe und Beobachtungstätigkeiten der Vereinten Nationen abgelehnt hat, und missbilligt die Einschränkungen gegen ausländische Medien, die aus dem Land berichten wollten;
12. missbilligt es, dass bei mindestens neun Zeitungen und Zeitschriften die Veröffentlichung durch den Presseüberwachungsrat verzögert wurde mit der Behauptung, die Regeln seien nicht eingehalten worden, als ein Bild von der Freilassung von Aung San Suu Kyi veröffentlicht wurde;
13. fordert das birmanische Regime nachdrücklich auf, in Gespräche mit Aung San Suu Kyi und der Nationalen Liga für Demokratie sowie mit Vertretern der ethnischen Minderheiten einzutreten; begrüßt in diesem Zusammenhang die Vermittlungsbemühungen des Generalsekretärs der Vereinten Nationen und des VN-Sonderberichterstatters für Birma;
14. fordert nicht nur die Staatengemeinschaft, einschließlich Chinas, Indiens und Russlands als Haupthandelspartner Birmas, sondern auch den ASEAN auf, die Unterstützung des undemokratischen Regimes zu beenden, das sich auf Kosten der Bevölkerung im Sattel hält, und mit mehr Nachdruck auf einen positiven Wandel in Birma zu dringen; ist der Überzeugung, dass die ASEAN-Charta den ASEAN-Mitgliedstaaten eine besondere Verantwortung und die moralische Verpflichtung zuweist, im Fall systematischer Menschenrechtsverletzungen in einem Mitgliedstaat tätig zu werden;
15. befürwortet erneut die Entscheidung des Rates vom 26. April 2010, die in dem derzeitigen EU-Beschluss vorgesehenen restriktiven Maßnahmen um ein Jahr zu verlängern; legt den Staatsorganen Birmas nahe, die nötigen Schritte zu unternehmen, damit diese Maßnahmen überprüft werden können;
16. erklärt sich besorgt über die Verhältnisse in Gefängnissen und anderen Hafteinrichtungen, über anhaltende Meldungen von Misshandlungen politischer Häftlinge, zu denen auch Folter zählt, und über die Verlegung politischer Häftlinge in isolierte Gefängnisse, die weit von ihren Angehörigen entfernt sind und in denen sie keine Lebensmittel und Arzneimittel erhalten dürfen; fordert den birmanischen Staat auf, unverzüglich die medizinische Behandlung sämtlicher Häftlinge zuzulassen und dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz zu gestatten, Besuche aller Häftlinge wiederaufzunehmen;
17. erklärt sich zutiefst besorgt über den Wiederbeginn bewaffneter Konflikte in bestimmten Gebieten und fordert die Regierung Birmas auf, in allen Landesteilen die Zivilbevölkerung zu schützen; fordert alle Konfliktbeteiligten auf, sich an geltende Waffenstillstandsvereinbarungen zu halten;
18. fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, ihren ganzen wirtschaftlichen und politischen Einfluss aufzubieten, um Freiheit und Demokratie in Birma herbeizuführen; fordert die Mitgliedstaaten und die EU auf, weiterhin Gelder für Flüchtlinge an der Grenze zwischen Thailand und Birma bereitzustellen;
19. wiederholt und bekräftigt die Einladung seines Präsidenten an Aung San Suu Kyi zur Teilnahme an der Verleihung des Sacharow-Preises im Dezember in Straßburg; hebt hervor, dass ihr, falls sie daran teilnehmen kann, offiziell der Sacharow-Preis überreicht wird, der ihr 1990 für all das verliehen wurde, was sie zur Förderung von Demokratie und Freiheit in Birma geleistet hat;
20. verlangt, dass die Meinungsfreiheit und die physische Freiheit für Aung San Suu Kyi, auch ihr uneingeschränktes Recht, sich frei und sicher innerhalb und außerhalb Birmas zu bewegen und nach Birma zurückzukehren, vom birmanischen Regime und den ihm unterstehenden Behörden garantiert wird;
21. begrüßt den Beschluss seines Präsidenten, eine Delegation des Parlaments nach Birma zu entsenden, um Aung San Suu Kyi den Sacharow-Preis zu überreichen, falls sie an der Preisverleihung in Straßburg nicht teilnehmen kann;
22. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung Aung San Suu Kyi, dem Rat, der Kommission, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten, dem Sondergesandten der EU für Birma, dem birmanischen Staatsrat für Frieden und Entwicklung, den Regierungen der Mitgliedstaaten von ASEAN und ASEM, dem ASEM-Sekretariat, dem ASEAN Inter-Parliamentary Myanmar Caucus, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, dem Hochkommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte und dem Menschenrechts-Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Birma zu übermitteln.