Entschließung des Europäischen Parlaments vom 19. Januar 2011 zur Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und zur Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung in Litauen
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf die internationalen Abkommen, durch die die Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet werden und Diskriminierung verboten wird, insbesondere die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK),
– unter Hinweis auf die Artikel 6 und 7 des Vertrags über die Europäische Union und Artikel 19 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, in denen die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten zur Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten verpflichtet und europäische Mittel zur Bekämpfung von Diskriminierung und Menschenrechtsverletzungen vorgesehen werden,
– unter Hinweis auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 11, in dem das Recht auf freie Meinungsäußerung gewährleistet wird, und Artikel 21, in dem die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung verboten wird,
– unter Hinweis auf die Änderungsentwürfe zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten der Republik Litauen (Nr. XIP-2595),
– unter Hinweis auf den Entwurf einer Stellungnahme des Justizministeriums der Republik Litauen (Nr. 11-30-01),
– unter Hinweis auf die Maßnahmen der Europäischen Union zur Bekämpfung von Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung und Homophobie,
– unter Hinweis auf den Bericht der Agentur für Grundrechte über „Homophobie, Transphobie und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung und der Geschlechtsidentität“ vom November 2010,
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 17. September 2009 zur Lage in Litauen nach der Annahme des Gesetzes zum Schutz von Minderjährigen(1),
– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zur Homophobie, zum Schutz von Minderheiten und zu Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierung und insbesondere auf die Entschließungen zur Homophobie in Europa(2),
– gestützt auf Artikel 115 Absatz 5 und Artikel 110 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass der Seimas am 16. Dezember 2010 eine Abstimmung über einen Gesetzentwurf vertagt hat, durch den das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten dahingehend geändert würde, dass bei „öffentlicher Unterstützung homosexueller Beziehungen“ eine Geldstrafe zwischen LTL 2 000 und 10 000 (EUR 580 - 2 900) verhängt werden kann, weil die Änderungsvorschläge dazu von den zuständigen parlamentarischen Ausschüssen noch nicht geprüft wurden und ihre Prüfung durch die nationalen litauischen Behörden noch nicht abgeschlossen ist,
B. in der Erwägung, dass der Ausschuss für Erziehung, Wissenschaft und Kultur des Seimas am 8. Dezember 2010 den Begriff „sexuelle Ausrichtung“ aus dem Verzeichnis der schutzwürdigen Belange in den die Chancengleichheit betreffenden Bestimmungen des Bildungsgesetzes (Artikel 5 Absatz 1) gestrichen hat,
C. in der Erwägung, dass die Änderungsentwürfe zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten gegen Artikel 25 der Verfassung der Republik Litauen, in dem es heißt, dass „kein Mensch daran gehindert werden darf, Informationen und Ideen zu begehren, zu empfangen und weiterzugeben“, und gegen Artikel 29 verstoßen, in dem festgelegt wird, dass „alle Menschen vor dem Gesetz, vor Gericht und anderen staatlichen Institutionen und Beamten gleich sind. Die Rechte des Einzelnen dürfen wegen seines Geschlechts, seiner Rasse, seiner Nationalität, seiner Sprache, seiner Herkunft, seines sozialen Status, seiner Weltanschauung, seiner Überzeugungen oder Ansichten weder eingeschränkt werden, noch dürfen dafür Privilegien gewährt werden“,
D. in der Erwägung, dass der Justizminister der Republik Litauen die Auffassung vertritt, die Änderungsentwürfe zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten stünden im Widerspruch zu den Verpflichtungen Litauens gemäß seiner Verfassung, der Europäischen Charta der Grundrechte, der Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte,
E. in der Erwägung, dass im jüngsten Bericht der Agentur für Grundrechte über „Homophobie, Transphobie und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung und der Geschlechtsidentität“ vom November 2010 die Schlussfolgerung gezogen wird, dass durch „die Änderungen potenziell fast jede öffentliche Äußerung, Darstellung oder Aufklärung über Homosexualität kriminalisiert“ wird,
F. in der Erwägung, dass der Seimas im Juni 2009 mit überwältigender Mehrheit dafür stimmte, das „Gesetz über den Schutz von Minderjährigen vor schädlichen Folgen öffentlicher Informationen“ dahingehend zu ändern, dass Minderjährigen der Zugang zu Informationen über Homosexualität verboten wird,
G. in der Erwägung, dass die Bedeutung von „Offenbarung oder Unterstützung einer bestimmten sexuellen Ausrichtung“ in der Werbegesetzgebung unklar bleibt,
H. in der Erwägung, dass eine Reihe von besorgniserregenden Vorfällen, wie die Annahme des Gesetzes über den Schutz von Minderjährigen vor schädlichen Folgen öffentlicher Informationen, der Versuch der lokalen Behörden, die Abhaltung von Demonstrationen für Gleichstellung und Homosexuellen-Paraden zu verbieten, und die Verwendung von aufstachelnden oder drohenden Ausdrucksweisen und von Hasstiraden durch Politiker und Parlamentarier, Anlass für diese Entschließung waren,
I. in der Erwägung, dass die Vizepräsidentin der Kommission Viviane Reding, die Hohe Vertreterin der Europäischen Union Catherine Ashton, der Präsident des Europäischen Rates Herman van Rompuy und der Präsident des Europäischen Parlaments Jerzy Buzek am 17. Mai 2010, dem Internationalen Tag gegen Homophobie, jegliche Form von Homophobie und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung einhellig verurteilt haben,
J. in der Erwägung, dass Homosexualität 1990 von der Weltgesundheitsorganisation nicht mehr als Geisteskrankheit eingestuft wurde, ferner in der Erwägung, dass es in keiner glaubwürdigen Studie Anhaltspunkte dafür gibt, dass die sexuelle Aufklärung von Kindern und Jugendlichen deren sexuelle Ausrichtung beeinflussen könnte, und in der Erwägung, dass die Aufklärung über sexuelle Vielfalt Toleranz und die Akzeptanz von Unterschieden fördert,
1. verteidigt die Grundwerte und -prinzipien, auf denen die Union beruht, vor allem die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte aller Minderheiten;
2. bekräftigt, dass die Organe und die Mitgliedstaaten der Europäischen Union gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Europäischen Charta der Grundrechte und Artikel 6 des Vertrags über die Europäische Union verpflichtet sind, die Achtung, den Schutz und die Förderung der Menschenrechte in der Europäischen Union ohne Unterscheidung nach der sexuellen Ausrichtung zu gewährleisten;
3. fordert den Seimas auf, die Änderungsentwürfe zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten abzulehnen, die sexuelle Ausrichtung in das Verzeichnis der schutzwürdigen Belange im Bildungsgesetz aufzunehmen, Minderjährigen freien Zugang zu Informationen über die sexuelle Ausrichtung zu gewähren, und die Bedeutung des Verbots in der Werbegesetzgebung näher zu erläutern;
4. weist darauf hin, dass über die vorgeschlagenen Änderungen noch nicht im Plenum des litauischen Parlaments abgestimmt wurde und dass ihre Prüfung durch die nationalen litauischen Behörden noch nicht abgeschlossen ist;
5. verweist auf die konsequente Haltung, die die Präsidentin der Republik Litauen Dalia Grybauskaitė immer wieder an den Tag gelegt hat, indem sie den homophoben Gesetzentwurf als schädlich für die Bürger und das Ansehen Litauens anprangerte, und fordert die Präsidentin auf, ihr Veto gegen die Änderungen des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten einzulegen, falls sie gebilligt werden sollten;
6. begrüßt, dass Homophobie vor kurzem als strafschärfender Umstand bei Verbrechen eingestuft wurde;
7. lobt die bisher von der Kommission durchgeführten bilateralen Maßnahmen; fordert die Kommission auf, eine rechtliche Bewertung der vorgeschlagenen Änderungen zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vorzunehmen und einen EU-Fahrplan mit konkreten Maßnahmen zur Bekämpfung von Homophobie und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung zu veröffentlichen;
8. begrüßt die Absicht der litauischen Regierungsstellen, die Änderungsvorschläge, die europäischem Recht insbesondere in Bezug auf das Prinzip der Nichtdiskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung widersprechen, zu überprüfen;
9. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten und der Bewerberländer, der Präsidentin und dem Parlament der Republik Litauen, der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte und dem Kommissar für Menschenrechte des Europarats zu übermitteln.