Entschließung des Europäischen Parlaments vom 20. Januar 2011 zu Iran – der Fall von Nasrin Sotoudeh
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu Iran, insbesondere jene, die die Frage der Menschenrechte betreffen, und vor allem auf die Entschließungen vom 10. Februar 2010(1) und vom 8. September 2010(2),
– unter Hinweis auf die Erklärung der Hohen Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Navy Pillay, vom 23. November 2010, in der sie sich besorgt über den Fall von Nasrin Sotoudeh äußert und die Auffassung vertritt, dass dieser als Teil eines breit angelegten scharfen Vorgehens gesehen werden müsse und dass die Lage der Menschenrechtsaktivisten in Iran immer schwieriger werde,
– unter Hinweis darauf, dass die Staaten nach der von der Generalversammlung der Vereinten Nationen 1998 einvernehmlich angenommenen Erklärung zu Menschenrechtsaktivisten verpflichtet sind, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass die zuständigen Stellen Menschenrechtsaktivisten vor jeder Art von Gewalt, Bedrohung, Vergeltung, tatsächlicher oder rechtlicher Diskriminierung, Druck sowie jeglichen anderen Willkürhandlungen schützen, die eine Folge des rechtmäßigen Engagements dieser Aktivisten für die Menschenrechte sind,
– unter Hinweis auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie das Übereinkommen über die Rechte des Kindes, zu deren Vertragsstaaten Iran gehört,
– unter Hinweis auf die Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 21. Dezember 2010 zur Lage der Menschenrechte in der Islamischen Republik Iran,
– gestützt auf Artikel 122 Absatz 5 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass Nasrin Sotoudeh, eine bekannte iranische Menschenrechtsanwältin, wegen „Aktivitäten gegen die nationale Sicherheit“, „Mitgliedschaft im Zentrum für Menschenrechtsverteidiger“, Nichttragens des Hidschab (islamische Bekleidung) während einer Videobotschaft und „staatsfeindlicher Propaganda“ zu elf Jahren Haft verurteilt wurde, sowie in der Erwägung, dass ferner ein zwanzigjähriges Berufsverbot als Anwältin und ein ebenso langes Ausreiseverbot gegen sie verhängt wurde, die beide nach Verbüßung ihrer Strafe in Kraft treten,
B. in der Erwägung, dass Nasrin Sotoudeh, die zweifache Mutter ist, am 4. September 2010 verhaftet, lange in Einzelhaft gehalten und Berichten zufolge gefoltert wurde und dass sie keinen Kontakt zu ihrer Familie und ihrem Rechtsbeistand haben durfte, sowie in der Erwägung, dass sie nach einem Hungerstreik, in den sie aus Protest gegen ihre Haftbedingungen und gegen die Weigerung, ihr ein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren zu gewähren, getreten war, fast gestorben wäre,
C. in der Erwägung, dass Nasrin Sotoudehs Ehemann, Reza Khandan, am 15. Januar 2011 bei der Polizei vorgeladen, über Nacht festgehalten und dank der Bürgschaft eines Dritten wieder freigelassen wurde und dass er verfolgt wird, weil er sich für seine Frau einsetzt,
D. in der Erwägung, dass Nasrin Sotoudeh die niederländische Staatsangehörige Zahra Bahrami als Rechtsanwältin vertreten hat, die nach den Protesten am Ashura-Tag am 27. Dezember 2009 verhaftet worden war und vor Kurzem zum Tode verurteilt wurde,
E. in der Erwägung, dass die Verurteilung von Nasrin Sotoudeh Bestandteil eines systematischen Vorgehens gegen Menschenrechtsanwälte und –aktivisten in Iran ist, wozu auch die Verurteilung von Shiva Nazar Ahari, der Mitbegründerin der Menschenrechtsorganisation „Committee of Human Rights Reporters“ und bekannten Menschenrechtsaktivistin, am 7. Januar 2011 zu vier Jahren Haft und 74 Peitschenhieben und die Verurteilung von Mohammad Seifzadeh, eines bekannten Rechtsanwalts, am 30. Oktober 2010 zu neun Jahren Haft und einem zehnjährigen Berufsverbot als Anwalt gehören, in der Erwägung, dass der Menschenrechtsanwalt Mohammad Oliyifard eine einjährige Haftstrafe dafür verbüßt, dass er sich für seine Klienten eingesetzt hat, sowie in der Erwägung, dass mit Mohammad Ali Dadkhah, Abdolfattah Soltani und Houtan Kian weitere Menschenrechtsaktivisten in Iran akut von Verfolgung bedroht sind,
F. in der Erwägung, dass mehr als ein Jahr nach den Demonstrationen vom Ashura-Tag im Dezember 2009 Hunderte von iranischen Bürgern, die damals verhaftet wurden, immer noch inhaftiert sind und die Behörden weiterhin das ganze Jahr über Menschen festgenommen haben, insbesondere anlässlich des Tags der Studenten am 7. Dezember 2010, sowie in der Erwägung, dass sich nach Berichten von Amnesty International mehr als 70 Studenten nach wie vor in Haft befinden,
G. in der Erwägung, dass auch Journalisten und Blogger weiterhin belangt werden, wobei derzeit über 30 Journalisten inhaftiert sein sollen, und selbst gefeierten Vertretern der iranischen Kultur wie dem Filmregisseur Dschafar Panahi, der im Dezember 2010 mit einem zwanzigjährigen Berufsverbot als Regisseur belegt und zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde, das Recht auf freie Meinungsäußerung verwehrt wird,
H. in der Erwägung, dass erzwungene Geständnisse, Folter und Misshandlung von Häftlingen, Schlafentzug, Einzelhaft, geheime Inhaftierungen, grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung, körperliche Misshandlung einschließlich sexueller Gewalt sowie Straffreiheit für Vertreter des Staates in Iran nach wie vor weit verbreitet sind, was starke Zweifel an der Fairness und der Transparenz der Rechtspflege in diesem Land weckt,
I. in der Erwägung, dass außergerichtliche Hinrichtungen nicht untersucht werden und stattdessen die trauernden Angehörigen der Opfer von Verhaftung bedroht sind, wie im Fall von Mahdi Ramazani, der im Dezember 2010 am Grab seines Sohnes verhaftet wurde und von dem eine Bürgschaft in maßlos übertriebener Höhe verlangt wird, die er zu leisten außerstande ist,
J. in der Erwägung, dass Iran der internationalen Gemeinschaft zugesichert hat, dass es den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte einhalten wird,
1. fordert die Regierung der Islamischen Republik Iran auf, Nasrin Sotoudeh und alle anderen Gefangenen aus Gewissensgründen unverzüglich und bedingungslos freizulassen, und ist der Auffassung, dass Nasrin Sotoudehs Verurteilung aus politischen Gründen erfolgt ist und darauf abzielt, eine der führenden Menschenrechtsaktivistinnen Irans aus dem Verkehr zu ziehen;
2. verurteilt auf das Schärfste das außergewöhnlich harte Urteil gegen Nasrin Sotoudeh und die Einschüchterungsmaßnahmen gegen ihren Ehemann und spricht ihr für ihren Mut und ihr Engagement seine Hochachtung aus;
3. fordert die Islamische Republik Iran auf, die Normen einzuhalten, die sich aus den Grundprinzipien der Vereinten Nationen betreffend die Rolle der Rechtsanwälte ergeben, in denen es heißt, dass es Rechtsanwälten ermöglicht werden muss, ihre Aufgaben „ohne Einschüchterung, Behinderung, Schikanen oder unstatthafte Beeinflussung“ wahrzunehmen, und in denen Rechtsanwälten die Freiheit der Meinungsäußerung zuerkannt wird, darunter „das Recht, sich an öffentlichen Erörterungen über Angelegenheiten des Rechts, der Rechtspflege und der Förderung und des Schutzes der Menschenrechte zu beteiligen“;
4. bedauert zutiefst, dass die Rechtspflege in Iran von einem Mangel an Fairness und Transparenz gekennzeichnet ist, und fordert die offiziellen Stellen Irans auf, in den Rechtsvorschriften und in der Praxis ordnungsgemäße Gerichtsverfahren zu gewährleisten; fordert den Chef der iranischen Justiz, Ajatollah Sadegh Amoli Laridschani, auf, eine unabhängige Kommission zur Untersuchung der Verfolgung von Menschenrechtsanwälten einzurichten und alle Amtsträger, die an unrechtmäßigen Verfahren beteiligt waren, zur Rechenschaft zu ziehen;
5. fordert die staatlichen Stellen Irans auf, die Straffreiheit von Menschenrechtsverletzern in den Sicherheitskräften zu bekämpfen; wiederholt seine Forderung, eine unabhängige Untersuchung der außergerichtlichen Hinrichtungen, die seit den umstrittenen Präsidentschaftswahlen vom Juni stattgefunden haben sollen, durchzuführen und Personen, die der Gesetzesübertretung beschuldigt werden, vor Gericht zu bringen;
6. fordert die iranische Regierung auf, umfassend mit allen internationalen Menschenrechtsmechanismen zusammenzuarbeiten, die Sondierungen bezüglich einer Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen in den Bereichen Menschenrechte und Justizreform fortzusetzen und die Empfehlungen der allgemeinen regelmäßigen Überprüfung vollständig umzusetzen;
7. fordert die erneute Schaffung eines Mandats der Vereinten Nationen für einen Sonderberichterstatter für die Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen und die Förderung der Rechenschaftspflicht derjenigen, die im Iran Menschenrechtsverletzungen begehen;
8. fordert die staatlichen Stellen Irans auf, dem Roten Halbmond Zugang zu allen Häftlingen zu gewähren und internationalen Menschenrechtsorganisationen die Beobachtung der Lage im Land zu gestatten;
9. fordert die staatlichen Stellen Irans auf, das Urteil gegen Zahra Bahrami zu überprüfen und ihr ein faires Gerichtsverfahren sowie – aufgrund ihrer niederländischen Staatsangehörigkeit und im Einklang mit den internationalen Normen – Zugang zu den niederländischen Behörden zu gewähren;
10. fordert den Europäischen Auswärtigen Dienst auf, weitere Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Europäischen Instrument für Demokratie und Menschenrechte zu ersinnen, um die Sicherheit der Menschenrechtsaktivisten in Iran aktiv zu schützen, und bestärkt die Mitgliedstaaten und örtlichen Stellen, Initiativen wie das europäische „Shelter City“-Programm und das internationale Netzwerk „Städte der Zuflucht“ zu unterstützen;
11. fordert, dass die Liste der Personen und Organisationen, für die ein Einreiseverbot in die EU gilt und deren Vermögenswerte eingefroren sind, auf diejenigen iranischen Amtsträger ausgeweitet wird, die für Menschenrechtsverletzungen, Unterdrückung und die Einschränkung der Freiheitsrechte in Iran verantwortlich sind;
12. fordert die Vertreter der EU und die Vizepräsidentin der Kommission / Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik auf, die Menschenrechtsgespräche mit der Islamischen Republik Iran wiederaufzunehmen;
13. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung der Vizepräsidentin der Kommission / Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, dem Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Irans sowie der Regierung und dem Parlament der Islamischen Republik Iran zu übermitteln.