Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. September 2011 zu dem 27. Jahresbericht über die Kontrolle der Anwendung des EU-Rechts (2009) (2011/2027(INI))
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf die Interinstitutionelle Vereinbarung zur besseren Rechtsetzung(1),
– in Kenntnis des 27. Jahresberichts über die Kontrolle der Anwendung des EU-Rechts (2009) (KOM(2010)0538),
– in Kenntnis der Arbeitsdokumente der Kommissionsdienststellen (SEK(2010)1143) und (SEK(2010)1144),
– in Kenntnis des Berichts der Kommission mit dem Titel „Evaluierungsbericht zum Projekt EU-Pilot (KOM(2010)0070),
– in Kenntnis der Mitteilung der Kommission über die Anwendung von Artikel 260 Absatz 3 AEUV (SEK(2010)1371),
– in Kenntnis der Mitteilung der Kommission vom 5. September 2007 mit dem Titel „Ein Europa der Ergebnisse – Anwendung des Gemeinschaftsrechts“ (KOM(2007)0502),
– unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 20. März 2002 über die Beziehungen zum Beschwerdeführer bei Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht (KOM(2002)0141),
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 25. November 2010 zum 26. Jahresbericht der Kommission über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts (2008)(2),
– unter Hinweis auf die Antwort der Kommission auf seine Entschließung vom 25. November 2010 zum 26. Jahresbericht über die Kontrolle der Anwendung des Rechts der Europäischen Union (2008),
– gestützt auf Artikel 119 Absatz 1 seiner Geschäftsordnung,
– in Kenntnis des Berichts des Rechtsausschusses sowie der Stellungnahmen des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz und des Petitionsausschusses (A7-0249/2011),
A. in der Erwägung, dass der Vertrag von Lissabon am 1. Dezember 2009 in Kraft getreten und damit eine Reihe neuer Rechtsgrundlagen eingeführt worden ist, die die Umsetzung, Anwendung und Durchsetzung des EU-Rechts erleichtern sollen,
B. in der Erwägung, dass sich gemäß Artikel 298 AEUV die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union zur Ausübung ihrer Aufgaben auf eine offene, effiziente und unabhängige europäische Verwaltung stützen,
1. ist der Ansicht, dass gemäß Artikel 17 EUV die Hauptrolle der Kommission darin besteht, dass sie die „Hüterin der Verträge“ ist; ist in diesem Zusammenhang der Auffassung, dass die Befugnis und Pflicht der Kommission, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen einen Mitgliedstaat einzuleiten, der gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen, auch eine die Grundrechte der Bürger betreffende Verpflichtung, verstoßen hat, ein Grundpfeiler der EU-Rechtsordnung ist und als solcher in Einklang mit dem Konzept einer auf der Rechtsstaatlichkeit beruhenden Union steht;
2. betont die grundlegende Bedeutung der Rechtsstaatlichkeit als Bedingung nicht nur für die Rechtmäßigkeit jeder Form der Regierung und Verwaltung und für echte Demokratie, in der konkretes Handeln in Einklang mit den festgeschriebenen allgemeinen Rechtsnormen steht, sondern auch für die Vorhersehbarkeit und Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen und als Garantie dafür, dass die Bürger die ihnen gesetzlich zustehenden Rechte uneingeschränkt und wirksam wahrnehmen können;
3. betont, dass, wie der 27. Jahresbericht über die Kontrolle der Anwendung des EU-Rechts zeigt, die Kommission zwar einen Rückgang der Zahl der von ihr eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren festgestellt hat, Ende 2009 jedoch nach wie vor mit etwa 2 900 Beschwerden und Vertragsverletzungsangelegenheiten befasst war, und dass die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von Richtlinien immer noch in mehr als der Hälfte der Fälle hinter dem Zeitplan zurücklagen, eine Situation, die alles andere als zufriedenstellend ist und für die die Behörden der Mitgliedstaaten den größten Teil der Verantwortung tragen;
4. stellt fest, dass das Vertragsverletzungsverfahren aus zwei Phasen besteht, der Verwaltungsphase (Vorverfahren) und der gerichtlichen Phase vor dem Gerichtshof; ist der Auffassung, dass die Rolle der Bürger als Beschwerdeführer in der Verwaltungsphase, wenn es darum geht, die Einhaltung des Unionsrechts vor Ort sicherzustellen, von entscheidender Bedeutung ist, was von der Kommission in der oben aufgeführten Mitteilung vom 20. März 2002 auch anerkannt wird; erachtet es demnach für äußerst wichtig, die Transparenz, Fairness und Rechtssicherheit der Verfahren zu gewährleisten, die die Bürger dazu befähigen, Verstöße gegen das Unionsrecht aufzudecken und die Kommission davon in Kenntnis zu setzen;
5. stellt fest, dass die Kommission mit Hilfe des Projekts „EU-Pilot“ „ein stärkeres Engagement und eine engere Zusammenarbeit und Partnerschaft zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten“(3) herbeiführen will, und in enger Zusammenarbeit mit den nationalen Verwaltungen überlegt, wie die Anwendung des EU-Rechts angegangen werden kann; ist der Ansicht, dass diese Initiative teilweise der neuen Notwendigkeit einer Zusammenarbeit zwischen allen Organen der Europäischen Union im Anschluss an die Annahme des Vertrags von Lissabon entspricht, fordert die Kommission allerdings eindringlich auf zu gewährleisten, dass die Bürgerinnen und Bürger immer einbezogen werden, wenn sie die Einhaltung des EU-Rechts prüft;
6. stellt fest, dass die Bürger auf der einen Seite so dargestellt werden, als spielten sie eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, für die Einhaltung des EU-Rechts vor Ort zu sorgen(4), während sie auf der anderen Seite – im EU-Pilot – von jeglichem nachfolgenden Verfahren ausgeschlossen werden könnten; ist der Ansicht, dass dieser Ausgang vermieden werden sollte, indem EU-Pilot als eine Möglichkeit der „Mediation“ behandelt wird, bei der die Bürger umfassend eingebunden und als das Verfahren auslösende Beschwerdeführer einbezogen werden; ist der Auffassung, dass dies die Ziele des Vertrags besser widerspiegeln würde, nämlich dass „Entscheidungen möglichst offen und möglichst bürgernah getroffen werden“ (Artikel 1 EUV)' dass „die Organe ... der Union unter weitestgehender Beachtung des Grundsatzes der Offenheit“ handeln (Artikel 15 AEUV) und dass „die Union ... in ihrem gesamten Handeln den Grundsatz der Gleichheit ihrer Bürgerinnen und Bürger, denen ein gleiches Maß an Aufmerksamkeit seitens der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union zuteil wird“, achtet (Artikel 9 EUV);
7. verweist auf die Zahl der Petitionen, für die im Rahmen des Sekundärrechts der EU oder direkt anwendbarer Vertragsnormen keine Lösung gefunden werden kann, die aber dennoch auf Verstöße gegen die Grundsätze hinweisen, die Voraussetzung für den Beitritt zur Union sind und den Werten entsprechen, die in Artikel 2 EUV verankert sind, wobei Artikel 7 EUV die zum Schutz dieser Werte geltenden Verfahren regelt;
8. stellt fest, dass der Ermessensspielraum, den die Verträge der Kommission im Zusammenhang mit dem Vertragsverletzungsverfahren einräumen, die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, die Anforderungen der Transparenz und der Offenheit und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren muss und das oberste Ziel dieses Ermessens, das darin besteht, die fristgemäße und korrekte Anwendung des Unionsrechts zu gewährleisten, niemals gefährden darf; bekräftigt, dass „freies Ermessen gepaart mit einem totalen Mangel an Transparenz (...) mit Rechtsstaatlichkeit völlig unvereinbar“ ist(5);
9. fordert die Kommission auf, die laufenden Vertragsverletzungsverfahren transparenter zu machen und die EU-Bürger so schnell wie möglich und in angemessener Form über die Folgemaßnahmen zu ihren Anfragen zu unterrichten; fordert die Kommission auf, eine Referenzfrist festzulegen, bis zu der die Mitgliedstaaten den Urteilen des Gerichtshofs nachkommen müssen;
10. stellt fest, dass die Kommission, um „EU-Pilot“ einsatzfähig zu machen, eine vertrauliche Online-Datenbank für die Kommunikation zwischen den Kommissionsdienststellen und den Behörden der Mitgliedstaaten eingerichtet hat; weist erneut auf den Mangel an Transparenz gegenüber den Beschwerdeführern im „EU-Pilot“ und auf das Ersuchen des Parlaments hin, Zugang zu der Datenbank zu erhalten, in die alle Beschwerden eingegeben werden, damit es seine Aufgabe der Überprüfung der Rolle der Kommission als Hüterin der Verträge erfüllen kann;
11. begrüßt die Zusagen der Kommission, vertritt jedoch die Ansicht, dass weitere Anstrengungen von Seiten aller Beteiligten – Mitgliedstaaten, Kommission, Rat und Parlament – notwendig sind, um die Union und ihren Binnenmarkt für alle Bürger, ihre Organisationen und Unternehmen zu einer greifbaren Realität zu machen;
12. ist der Ansicht, dass das „EU-Pilot“-Projekt einen Beitrag zur Lösung von Problemen leisten könnte mit denen Bürger und Unternehmen im Binnenmarkt konfrontiert sind, und fordert die Kommission auf, das Projekt von 24 auf 27 Mitgliedstaaten auszuweiten;
13. begrüßt den nachdrücklichen Hinweis der Kommission auf die Notwendigkeit, die Verhütung von Vertragsverletzungen unter Einsatz aller zur Verfügung stehenden Mittel zu verbessern und sicherzustellen, dass ausreichende Finanzmittel verfügbar sind;
14. betont, dass die Gewährleistung der einheitlichen Anwendung des EU-Rechts durch die Mitgliedstaaten und die Sicherstellung der diesbezüglichen Rolle des Gerichtshofs es verlangen, dass die Kommission sorgfältige Untersuchungen durchführt und gegebenenfalls Vertragsverletzungsverfahren im Fall von Petitionen oder Beschwerden einleitet, die sich auf die Weigerung eines nationalen Gerichts beziehen, seiner Verpflichtung gemäß den Verträgen und dem gemeinsamen Besitzstand nachzukommen, ein Vorabentscheidungsverfahren zu beantragen;
15. begrüßt, dass durch den Einsatz des Verfahrens der Pilotprojekte die Untersuchungen im Zusammenhang mit mutmaßlichen Verletzungen verkürzt werden können, vertritt jedoch die Ansicht, dass eine weitere Klärung und zusätzliche Informationen seitens der Kommission benötigt werden, damit das Parlament den Erfolg dieser Methode im Hinblick auf die tatsächliche Einhaltung durch die Mitgliedstaaten beurteilen kann;
16. stellt fest, dass in der Antwort der Kommission auf seine Entschließung vom 25. November 2010 nur auf Rechtssachen Bezug genommen wird(6), die die Notwendigkeit für die Kommission bestätigten, die Vertraulichkeit von Dokumenten sicherzustellen, die Vertragsverletzungsverfahren und Vorverfahren betreffen; erinnert die Kommission daran, dass der Gerichtshof in solchen Fällen nie bestritten hat, dass ein überwiegendes öffentliches Interesse den Zugang zu Dokumenten rechtfertigen könnte; stellt ferner fest, dass der Bürgerbeauftragte gegenüber der Freigabe von Vertragsverletzungsverfahren betreffenden Dokumenten eine positive Einstellung zu erkennen gegeben hat(7);
17. vertritt die Ansicht, dass ein größerer Zugang zu Informationen über Vertragsverletzungsangelegenheiten gewährt werden könnte, ohne den Zweck der Untersuchungen zu gefährden, und dass ein überwiegendes öffentliches Interesse den Zugang zu diesen Informationen durchaus rechtfertigen würde, besonders in Fällen, in denen die menschliche Gesundheit und irreversible Umweltschäden auf dem Spiel stehen; würde darüber hinaus eine Erleichterung des Zugangs zu bereits öffentlich verfügbaren Informationen über Vertragsverletzungsangelegenheiten begrüßen;
18. fordert die Kommission demnach erneut auf, ein Verfahrensgesetz in Form einer Verordnung auf der neuen Rechtsgrundlage von Artikel 298 AEUV vorzuschlagen, in dem die einzelnen Aspekte des Vertragsverletzungsverfahrens, einschließlich Mitteilungen, verbindlicher Fristen, des Anhörungsrechts, der Begründungspflicht und des Rechts einer jeden Person auf Zugang zu ihrer Akte, aufgeführt sind, um so die Rechte der Bürger zu stärken und die Transparenz zu gewährleisten;
19. stellt fest, dass sich viele Petitionen auf Interessenkonflikte zwischen Entscheidungsträgern beziehen, und befürwortet entschieden die Annahme einer Verordnung zu den Verwaltungsverfahren der EU, die auch allgemeine Grundsätze betreffend Vetragsverletzungsverfahren enthalten sollte;
20. nimmt in diesem Zusammenhang die Antwort der Kommission auf das Ersuchen des Parlaments betreffend ein Verfahrensgesetz zur Kenntnis, in der sie Zweifel bezüglich der Möglichkeit der Annahme einer künftigen Verordnung auf der Grundlage von Artikel 298 AEUV zum Ausdruck bringt, und diese mit dem der Kommission durch die Verträge eingeräumten Ermessensspielraum bei ihren Entscheidungen darüber, wie sie in Bezug auf Vertragsverletzungsverfahren und die damit zusammenhängenden Arbeiten zur Sicherstellung der korrekten Anwendung des EU-Rechts vorgeht, begründet; ist überzeugt, dass ein solches Verfahrensgesetz die Ermessensfreiheit der Kommission in keiner Weise einschränken, sondern lediglich gewährleisten würde, dass die Kommission bei der Wahrnehmung dieses Ermessens die Grundsätze einer „offene[n], effiziente[n] und unabhängige[n] europäische[n] Verwaltung“, auf die in Artikel 298 AEUV und Artikel 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union Bezug genommen wird, achten würde;
21. begrüßt den Beschluss des Rechtsausschusses, die Petition 1028/2009 mit der Forderung nach verbindlichen Rechtsnormen für Vetragsverletzungsverfahren im Rahmen der von ihm eingerichteten Arbeitsgruppe zu Artikel 298 AEUV zu behandeln;
22. erinnert die Kommission daran, dass die oben erwähnte Mitteilung vom 20. März 2002 über die Beziehungen zum Beschwerdeführer bei Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht Verfahrensschritte enthält, die die Kommission bezüglich der Regelung ihrer Ermessensfreiheit für akzeptabel hält, und dass daher nichts dem entgegenstehen sollte, eine Verordnung auf dieses Instrument zu stützen; nimmt die Absicht der Kommission, diese Mitteilung zu überprüfen, zur Kenntnis; fordert die Kommission dringend auf, im Zusammenhang mit dem Vertragsverletzungsverfahren keine nicht zwingenden Rechtsinstrumente („soft law“) anzuwenden, sondern eine Verordnung vorzuschlagen, damit das Parlament als Mitgesetzgeber in einem solch wesentlichen Punkt der EU-Rechtsordnung umfassend beteiligt wird;
23. stellt insbesondere fest, dass die Kommission ihre allgemeine Strategie zur Registrierung von Beschwerden überdenken und die Beziehung zu den Beschwerdeführern im Lichte der Erfahrungen mit den derzeit getesteten neuen Methoden neu gestalten will; ist beunruhigt darüber, dass die Kommission darauf verzichtet, das Vertragsverletzungsverfahren als ein wichtiges Mittel zu nutzen, um sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten das Unionsrecht fristgemäß und korrekt anwenden; unterstreicht, dass dies eine Pflicht ist, die der Kommission durch die Verträge auferlegt wird, und sie nicht einseitig beschließen kann, dieser Pflicht nicht mehr nachzukommen; fordert die Kommission auf, mit Hilfe kohärenter Daten den angeblichen Erfolg dieser „neuen Methoden“ mit detaillierten Angaben zur Pre- und Postphase von EU-Pilot zu belegen und in die künftige Verordnung Grundsätze und Bedingungen für die Registrierung von Beschwerden und andere etwaige Rechte von Beschwerdeführern aufzunehmen;
24. begrüßt das in Artikel 260 AEUV enthaltene neue Element, das es der Kommission, wenn sie nach Artikel 258 AEUV beim Gerichtshof Klage erhebt, erlaubt, den Gerichtshof zu ersuchen, Geldbußen gegen einen Mitgliedstaat wegen zu später Umsetzung einer Richtlinie zu verhängen; fordert die Kommission zum Zwecke der Gewährleistung einer größeren Transparenz auf, Informationen über die Nutzung dieses neuen Ermessensspielraums bereitzustellen;
25. hält es für äußerst wichtig, dass die Kommission dieses und alle anderen etwaigen Mittel nutzt, um zu gewährleisten, dass die Mitgliedstaaten die Rechtsvorschriften der Union, insbesondere im Umweltbereich, rechtzeitig und korrekt umsetzen;
26. betont, dass die rechtzeitige Umsetzung von EU-Richtlinien wesentlich für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes im Interesse der Verbraucher und der Unternehmen in der EU ist; begrüßt die bei der Umsetzung dieses Ziels erzielten Fortschritte, ist aber weiterhin besorgt über die große Anzahl der wegen verspäteter Umsetzung von Richtlinien eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren;
27. befürwortet die Initiativen von Mitgliedstaaten für eine optimierte Umsetzung der Binnenmarktrichtlinien, einschließlich der Schaffung von geeigneten Anreizen für die zuständigen Stellen sowie der Einrichtung von Warnsystemen für das Herannahen des Umsetzungstermins;
28. fordert die Kommission auf, auf der Grundlage ihrer Empfehlung vom 29. Juni 2009 zur Optimierung der Funktionsweise des Binnenmarktes weiterhin den Austausch bewährter Verfahrensweisen bei der Umsetzung der Binnenmarktsvorschriften zu fördern(8);
29. stellt fest, dass die nationalen Gerichte einen wesentlichen Beitrag zur Anwendung des EU-Rechts leisten, und unterstützt uneingeschränkt die Bemühungen der EU, die juristische Aus- und Fortbildung für nationale Richter, Juristen, Beamte und Bedienstete in den nationalen Behörden zu verbessern und zu koordinieren;
30. betont, dass die Kommission zwar richtig darauf hinweist, dass es in erster Linie Aufgabe der Gerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten ist, Verstößen gegen das EU-Recht nachzugehen, die Bürger sich jedoch oft mit erheblichen Schwierigkeiten aufgrund der nationalen Gerichtsverfahren konfrontiert sehen, die kostspielig oder zu langwierig sein können; hält es daher für zweckmäßig, die Leitlinien im Stockholmer Programm zu befolgen;
31. begrüßt, dass die Kommission stärkeren Gebrauch von Untersuchungsmissionen macht, um Verstöße vor Ort zu untersuchen, und vertritt die Ansicht, dass eine Koordinierung mit den vom EP und besonders dem Petitionsausschuss durchgeführten Missionen und die Herstellung von Synergien unter Wahrung der Unabhängigkeit der beteiligten Institutionen angestrebt werden sollten.
32. stellt fest, dass es neben der Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren durch die Kommission und unabhängig davon für Bürger, Unternehmen oder Interessengruppen der Zivilgesellschaft die Möglichkeit gibt, vor den Verwaltungsberufungsinstanzen oder den Gerichten bezüglich der Anwendung des EU-Rechts zu klagen, und dass dies nicht im Widerspruch zur Durchführung von Vertragsverletzungsverfahren durch die Kommission steht;
33. bedauert, dass zu viele Vertragsverletzungsverfahren lange Zeit anhängig sind, bevor sie abgeschlossen werden oder Klage beim Gerichtshof erhoben wird; fordert die Mitgliedstaaten und die Kommission auf, ihre Bemühungen um die Herbeiführung einer Lösung bei Vertragsverletzungsverfahren zu verstärken, und ersucht die Kommission, für Vertragsverletzungen in verschiedenen Bereichen eine systematischere und transparentere Prioritätensetzung vorzunehmen;
34. ist besorgt über die große Anzahl von Vertragsverletzungen im Bereich der Anerkennung von Berufsqualifikationen sowie in den Bereichen Dienstleistungen und öffentliches Auftragswesen; ist der Auffassung, dass eine weitere Klarstellung des Rechtsrahmens in diesen Bereichen hilfreich wäre, um die nationalen Behörden beim Umsetzungsprozess zu unterstützen;
35. begrüßt die Einrichtung einer öffentlichen Datenbank, die Rechtsvorschriften und die Rechtsprechung im Bereich unlauterer Geschäftspraktiken umfasst; ist der Auffassung, dass solche Initiativen auch in anderen Bereichen in Betracht gezogen werden sollten;
36. verweist auf die Bedeutung von SOLVIT, wenn es darum geht, den Verbrauchern und Unternehmen in der EU dabei zu helfen, ihre Rechte im Binnenmarkt wahrzunehmen; begrüßt die bei der Verbesserung von SOLVIT erzielten Fortschritte und fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, SOLVIT weiter zu stärken;
37. hält es für wichtig, die EU-Bürger genauer und auf praxisbezogene Weise über ihre Rechte im Binnenmarkt aufzuklären; unterstützt den weiteren Ausbau des Portals „Europa für Sie“;
38. weist darauf hin, dass Gerichtsverfahren sowohl für Privatpersonen als auch für Unternehmen kosten- und zweitaufwendig sind und eine erhebliche Belastung für die europäischen und nationalen Gerichte, die bereits jetzt überlastet sind, darstellen; betont die Bedeutung vorbeugender Maßnahmen und angemessener alternativer Streitbeilegungsmechanismen, mit denen die Belastung verringert wird;
39. weist darauf hin, dass das Petitionsverfahren weiterhin von den Bürgern, Organisationen der Zivilgesellschaft und Unternehmen hauptsächlich dazu genutzt wird, über die Nichteinhaltung des EU-Rechts durch die Behörden der Mitgliedstaaten auf unterschiedlichen Ebenen zu berichten und Beschwerde zu führen, wobei die Hauptthemen, auf die sich die Beschwerden beziehen, die Umwelt und den Binnenmarkt betreffen, aber auch die Themen Freizügigkeit, Grundrechte und Unionsbürgerschaft breiten Raum einnehmen;
40. stellt fest, dass viele Petitionen auf die Charta der Grundrechte Bezug nehmen, auch wenn diese auf die Handlungen der Mitgliedstaaten keine Anwendung findet, und dass andere sich wiederum auf die Werte berufen, auf die sich die EU gründet; ist besorgt darüber, dass die Bürger sich irregeführt fühlen könnten, was den tatsächlichen Anwendungsbereich der Charta anbelangt, und hält es für äußerst wichtig, dass die Bereiche der Anwendbarkeit und Durchsetzbarkeit der Charta der Grundrechte geklärt werden; betont, dass das Subsidiaritätsprinzip als Grundpfeiler der EU hinreichend erläutert werden muss, damit sich die Bürger keine falschen Vorstellungen über die Anwendbarkeit der Charta machen;
41. begrüßt die Aufnahme eines spezifischen Abschnitts zu Petitionen im 27. Jahresbericht, wie vom Parlament gefordert, in dem die Kommission einen Überblick über die eingegangenen neuen Petitionen gibt und feststellt, dass die meisten Petitionen, selbst wenn sie keine Verletzungen betreffen, Parlament und Kommission nützliche Informationen über die Wünsche und Erwartungen der Bürger bieten;
42. verlangt, dass der Rat gemäß seiner eigenen Aussage in Ziffer 34 der Interinstitutionellen Vereinbarung zur besseren Rechtssetzung die Mitgliedstaaten dazu auffordert, eigene Entsprechungstabellen zu erstellen, aus denen die Entsprechungen von Richtlinien und Umsetzungsmaßnahmen zu entnehmen sind, und diese zu veröffentlichen; betont, dass solche Vergleichsübersichten notwendig sind, da sie es der Kommission ermöglichen, die Umsetzungsmaßnahmen in allen Mitgliedstaaten wirksam zu kontrollieren;
43. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, dem Gerichtshof, dem Europäischen Bürgerbeauftragten und den Parlamenten der Mitgliedstaaten zu übermitteln.
Siehe die oben erwähnte Mitteilung der Kommission vom 20. März 2002, S. 5: „Die Kommission hat wiederholt eingeräumt, wie wichtig die Rolle des Beschwerdeführers bei der Aufdeckung von Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht ist“.
Entschließung des Europäischen Parlaments vom 25. November 2010 zum 26. Jahresbericht über die Kontrolle der Anwendung des Rechts der Europäischen Union (2008) (Angenommene Texte, P7_TA(2010)0437).
Urteile des Gerichts in der Rechtssache T-105/95, WWF UK/Kommission, Slg. 1997, II-313, und in der Rechtssache T-191/99, Petrie und andere/Kommission, Slg. 2001, II-3677, und Urteil des Gerichtshofs vom 21. September 2010 in den verbundenen Rechtssachen C-514/07 P, C-528/07 P und C-532/07 P, Königreich Schweden/Association de la presse internationale und Kommission, Association de la presse internationale ASBL/Kommission und Kommission/Association de la presse internationale, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht.