Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. September 2011 zu einer EU-Strategie zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf seine Erklärungen vom 22. April 2008 zur Beendigung der Obdachlosigkeit(1) und vom 16. Dezember 2010 zu einer EU-Strategie zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit(2),
– unter Hinweis auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 34,
– unter Hinweis auf die Revidierte Europäischen Sozialcharta des Europarats, insbesondere auf Artikel 31,
– unter Hinweis auf den Gemeinsamen Bericht der Kommission und des Rates über Sozialschutz und soziale Eingliederung 2010,
– unter Hinweis auf die Erklärung des Rates vom 6. Dezember 2010 zum Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung: Gemeinsam die Armut bekämpfen – 2010 und darüber hinaus,
– unter Hinweis auf die Schlussempfehlungen der Europäischen Konsenskonferenz zum Thema Obdachlosigkeit vom 9. und 10. Dezember 2010,
– in Kenntnis der Mitteilung der Kommission vom 16. Dezember 2010 „Europäische Plattform gegen Armut und soziale Ausgrenzung: Ein europäischer Rahmen für den sozialen und territorialen Zusammenhalt“ (KOM(2010)0758),
– in Kenntnis der Stellungnahmen des Ausschusses der Regionen vom 3. Juni 1999 zum Thema „Obdachlosigkeit und Wohnungsnot“ (CdR 376/98 fin), vom 6. Oktober 2010 zum Thema „Bekämpfung der Obdachlosigkeit“ (CdR 18/2010 fin) und vom 31. März 2011 „Europäische Plattform gegen Armut und soziale Ausgrenzung“ (CdR 402/2010 fin),
– unter Hinweis auf die Anfrage vom 11. Juli 2011 an die Kommission zu einer EU-Strategie zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit (O-000153/2011 – B7-0421/2011),
– gestützt auf Artikel 115 Absatz 5 und Artikel 110 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass weiterhin in allen Mitgliedstaaten der EU Menschen von Obdachlosigkeit betroffen sind und dass Obdachlosigkeit eine nicht hinnehmbare Verletzung der Menschenwürde darstellt;
B. in der Erwägung, dass Obdachlosigkeit eine der extremsten Formen von Armut und Entbehrung darstellt und in den letzten Jahren in mehreren EU-Mitgliedstaaten zugenommen hat;
C. in der Erwägung, dass das Jahr 2010 zum Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung ausgerufen wurde;
D. in der Erwägung, dass sich Obdachlosigkeit als eine eindeutige Priorität innerhalb des Prozesses der sozialen Eingliederung in der EU herausgestellt hat;
E. in der Erwägung, dass die politische Koordinierung auf EU-Ebene auf dem Gebiet der Obdachlosigkeit im Rahmen der offenen Koordinierungsmethode für Sozialschutz und soziale Eingliederung im Laufe des vergangenen Jahrzehnts die Anstrengungen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene verstärkt und deren Wert gesteigert hat und dass im Rahmen eines deutlicher von Strategie geprägten Konzepts auf dieser Arbeit aufgebaut werden muss;
F. in der Erwägung, dass Obdachlosigkeit von ihrem Wesen her viele Facetten aufweist und eine politische Antwort mit vielen Facetten erfordert;
G. in der Erwägung, dass die Strategie Europa 2020 und ihr Kernziel, bis 2020 mindestens 20 Millionen Menschen aus der Gefährdung durch Armut und Ausgrenzung zu befreien, in den Kampf gegen alle Formen von Armut und sozialer Ausgrenzung einschließlich der Obdachlosigkeit neuen Schwung bringt;
H. in der Erwägung, dass ein Schlüsselelement der Strategie Europa 2020 die Leitinitiative „Europäische Plattform gegen Armut und soziale Ausgrenzung“ ist;
I. in der Erwägung, dass dieser Rahmen den Weg zu verstärktem und ehrgeizigerem Vorgehen gegen Obdachlosigkeit auf EU-Ebene ebnet, indem Methoden und Mittel herausgearbeitet werden, um die von der Kommission begonnene Arbeit zur Obdachlosigkeit unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Konsenskonferenz vom Dezember 2010 optimal fortzusetzen;
J. in der Erwägung, dass der Ausschuss der Regionen eine ehrgeizige europäische Agenda für sozialen Wohnungsbau skizziert hat, die auf die Koordinierung von Maßnahmen in Bezug auf die Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus, die Nutzung der Strukturfonds und eine verstärkte Energieeffizienz abzielt; in der Erwägung, dass die EU-Strategie zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit zu dieser Agenda beitragen sollte;
1. fordert die Mitgliedstaaten auf, Fortschritte auf dem Weg zum Ziel der Beendigung der Obdachlosigkeit bis 2015 zu erzielen;
2. fordert die Entwicklung einer ehrgeizigen, integrierten und durch nationale und regionale Strategien untermauerten EU-Strategie mit dem langfristigen Ziel, die Obdachlosigkeit innerhalb des breiteren Rahmens der sozialen Eingliederung zu beenden;
3. fordert die Kommission auf, eine Arbeitsgruppe zu einer EU-Strategie zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit einzusetzen und alle an der Bekämpfung der Obdachlosigkeit beteiligten Akteure einschließlich nationaler, regionaler und lokaler politischer Entscheidungsträger, Forscher, nichtstaatlicher Organisationen, die Obdachlosen Dienstleistungen anbieten, von Obdachlosigkeit Betroffener und benachbarter Bereiche wie Wohnungswesen, Beschäftigung und Gesundheitswesen einzubeziehen;
4. fordert, bei der Entwicklung einer EU-Strategie die ETHOS-Typologie (European Typology of Homelessness and Housing Exclusion) zu berücksichtigen; fordert den Ausschuss für Sozialschutz und seine Untergruppe Indikatoren auf, eine Einigung unter den Mitgliedstaaten auf die Anwendung dieser Definition voranzutreiben; fordert Eurostat auf, im Rahmen der Statistiken der Europäischen Union über Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC) Daten über Obdachlosigkeit in der EU zu erheben;
5. fordert als zentralen Bestandteil der EU-Strategie zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit einen von der Kommission und den Mitgliedstaaten vereinbarten Rahmen zur Verfolgung der Entwicklung nationaler und regionaler Strategien gegen die Obdachlosigkeit; fordert in diesem Zusammenhang eine Strategie jährlicher oder zweijährlicher Berichterstattung über erzielte Fortschritte;
6. ist der Auffassung, dass folgende (in dem Gemeinsamen Bericht über Sozialschutz und soziale Eingliederung 2010 formulierten) Schlüsselelemente von Strategien zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit beobachtet und in Berichten erfasst werden sollten:
–
eindeutige Ziele, besonders im Hinblick auf die Vermeidung von Obdachlosigkeit, eine Verringerung ihrer Dauer, eine Verringerung der schlimmsten Formen der Obdachlosigkeit, die qualitative Verbesserung der Leistungen für Obdachlose und den Zugang zu erschwinglichem Wohnraum,
–
ein integrierter Ansatz, der alle einschlägigen Politikfelder abdeckt,
–
eine ordentliche Verwaltung,
–
die Erhebung triftiger Daten,
–
eine starke Wohnungsbaupolitik,
–
die Berücksichtigung sich verändernder Profile der obdachlosen Bevölkerung und insbesondere der Auswirkung der Migration;
7. fordert, dass sich dieser Beobachtungsrahmen insbesondere mit dem Fortschritt der Mitgliedstaaten auf dem Weg zur Beendung der Obdachlosigkeit im öffentlichen Raum und der Beendung der Langzeitobdachlosigkeit befasst;
8. fordert, dass eine EU-Strategie zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit über die Beobachtung und Berichterstattung hinausgeht und ein Paket von Maßnahmen umsetzt, um die Entwicklung und Aufrechterhaltung wirksamer nationaler und regionaler Strategien gegen Obdachlosigkeit zu unterstützen;
9. fordert eine anspruchsvolle Forschungsagenda, um im Rahmen einer EU-Strategie zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit Wissen und Verständnis aufzubauen, sowie fortlaufendes wechselseitiges Lernen und einen staatenübergreifenden Austausch zu Schlüsselthemen im Kampf gegen Obdachlosigkeit;
10. fordert, unter dem Kapitel der gesellschaftlichen Erneuerung der Europäischen Plattform gegen Armut und soziale Ausgrenzung Konzepte mit dem Schwerpunkt auf dem Wohnungsbau besonders zu berücksichtigen, um die Faktengrundlage über wirksame Kombinationen von Wohnraumbeschaffung und begleitender Betreuung für ehemalige Obdachlose zu untermauern und Informationen für evidenzbasierte Praxis- und Politikentwicklung zu liefern;
11. fordert, bei einer EU-Strategie zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit den Schwerpunkt auf die Förderung hochwertiger Leistungen für Obdachlose zu legen, und fordert die Kommission auf, wie in der Mitteilung über die Europäische Armutsplattform dargelegt, einen freiwilligen Qualitätsrahmen zu entwickeln;
12. fordert die Entwicklung starker Verknüpfungen zwischen der EU-Strategie zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit und EU-Finanzierungsströmen – besonders aus den Strukturfonds; fordert die Kommission auf, die Verwendung der EFRE-Finanzierungsfazilität auch zur Beschaffung von Wohnraum für Randgruppen zu fördern, um der Obdachlosigkeit in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten Herr zu werden;
13. fordert dazu auf, die Obdachlosigkeit als einen Aspekt des Kampfs gegen Armut und soziale Ausgrenzung in alle einschlägigen Politikbereiche einzubeziehen;
14. ist der Auffassung, dass eine EU-Strategie zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit uneingeschränkt mit dem Vertrag von Lissabon im Einklang stehen sollte, der „die wichtige Rolle und [den weiten] Ermessensspielraum der nationalen, regionalen und lokalen Behörden in der Frage, wie Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse auf eine den Bedürfnissen der Nutzer so gut wie möglich entsprechende Weise zur Verfügung zu stellen, in Auftrag zu geben und zu organisieren sind“, vorsieht; geht davon aus, dass es den Mitgliedstaaten obliegt, die Aufgaben erschwinglichen und sozialen Wohnungsbaus zu definieren, und dass eine EU-Strategie zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit uneingeschränkt mit der Politik des sozialen Wohnungsbaus der Mitgliedstaaten im Einklang stehen sollte, die rechtlich den Grundsatz der Förderung des Miteinanders verschiedener sozialer Gruppen und der Bekämpfung sozialer Segregation beinhaltet;
15. fordert die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) auf, sich stärker mit den Auswirkungen extremer Armut und sozialer Ausgrenzung im Bereich des Zugangs zu den Grundrechten und deren Wahrnehmung zu befassen, wobei sie berücksichtigen sollte, dass die Erfüllung des Rechts auf eine Wohnung eine grundlegende Voraussetzung für die Inanspruchnahme zahlreicher weiterer Rechte ist, zu denen auch politische und soziale Rechte gehören;
16. fordert den Rat „Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz“ auf zu erörtern, wie eine EU-Strategie zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit zu entwickeln ist;
17. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, dem Ausschuss der Regionen, dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, dem Ausschuss für Sozialschutz und dem Europarat