Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. Februar 2012 zu der Durchführbarkeit der Einführung von Stabilitätsanleihen (2011/2959(RSP))
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf die Verordnung (EU) Nr. 1173/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über die wirksame Durchsetzung der haushaltspolitischen Überwachung im Euro-Währungsgebiet(1),
– in Kenntnis des Grünbuchs der Kommission vom 23. November 2011 über die Durchführbarkeit der Einführung von Stabilitätsanleihen,
– unter Hinweis auf die von Vizepräsident Rehn am 23. November 2011 im Ausschuss für Wirtschaft und Währung abgegebene Erläuterung des Themas und die Aussprache mit dem deutschen Sachverständigenrat für Wirtschaft über den europäischen Schuldentilgungsfonds am 29. November 2011,
– unter Hinweis auf Präsident Van Rompuys Zwischenbericht zu dem Thema „Auf dem Weg zu einer stärkeren Wirtschaftsunion“ vom 6. Dezember 2011,
– gestützt auf Artikel 115 Absatz 5 und Artikel 110 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass es die Kommission aufgefordert hat, einen Bericht über die Möglichkeit der Einführung von Euro-Anleihen vorzulegen, die wesentlicher Teil der Vereinbarung zwischen dem Parlament und dem Rat über das Paket zur wirtschaftspolitischen Steuerung („Six-Pack“) ist;
B. in der Erwägung, dass der Euroraum sich in einer außergewöhnlichen Situation befindet, da seine Mitgliedstaaten zwar über eine gemeinsame Währung, jedoch weder über eine gemeinsame Finanzpolitik noch über einen gemeinsamen Anleihemarkt verfügen;
C. in der Erwägung, dass der Emission von Anleihen unter gesamtschuldnerischer Haftung ein Prozess mit dem Ziel einer tieferen Integration vorausgehen muss;
1. erklärt sich erheblich besorgt über die anhaltenden Spannungen auf den Anleihemärkten der Staaten des Euroraums, die sich in den vergangenen zwei Jahren in Spread-Ausweitungen, einer hohen Volatilität und der Anfälligkeit für spekulative Angriffe niedergeschlagen haben;
2. vertritt die Auffassung, dass der Euroraum als Emittent der weltweit zweitwichtigsten Währung für die Stabilität des internationalen Währungssystems mitverantwortlich ist;
3. betont, dass es im langfristigen strategischen Interesse des Euroraums und seiner Mitgliedstaaten liegt, dass die Emission des Euro, der sich zu einer weltweiten Reservewährung entwickeln könnte, alle erreichbaren Vorteile einbringt;
4. nimmt insbesondere zur Kenntnis, dass der US-Staatsanleihemarkt und die Gesamtheit der Anleihemärkte der Staaten des Euroraums zwar größenmäßig vergleichbar sind, jedoch nicht in Bezug auf die Liquidität, das Angebot und die Preisgestaltung; weist darauf hin, dass es für den Euroraum von Interesse sein könnte, einen gemeinsamen liquiden und diversifizierten Anleihemarkt zu schaffen, und dass ein Markt für Stabilitätsanleihen eine tragfähige Alternative zum Markt für US-Dollar-Anleihen bieten und den Euro zu einer weltweiten „sicheren Zuflucht“ machen könnte;
5. vertritt die Auffassung, dass der Euroraum und seine Mitgliedstaaten für die langfristige Stabilität dieser Währung verantwortlich sind, die von mehr als 330 Millionen Menschen sowie von vielen Unternehmen und Investoren genutzt wird, was indirekt weltweite Auswirkungen hat;
6. weist darauf hin, dass Stabilitätsanleihen sich von Anleihen unterscheiden würden, die von föderalen Staaten, wie beispielsweise den USA und Deutschland, herausgegeben werden, und daher im engeren Sinn weder mit US-Staatsanleihen noch mit Bundesanleihen vergleichbar sind;
7. begrüßt die Vorlage des Grünbuchs, mit dem der seit langem bestehenden Forderung des Europäischen Parlaments entsprochen wird, und betrachtet es als einen hilfreichen Ausgangspunkt für weitere Überlegungen; steht der konkreten Erörterung aller Themen - der Stärken wie auch der Schwächen - im Zusammenhang mit der Durchführbarkeit der Einführung von Stabilitätsanleihen bei unterschiedlichen Optionen offen und bereitwillig gegenüber; fordert die Kommission auf, die Sachlage nach einer umfassenden öffentlichen Debatte, an der das Europäische Parlament, die nationalen Parlamente und die EZB, wenn diese es für angemessen hält, mitwirken sollten, eingehender zu bewerten; vertritt die Auffassung, dass keine der drei von der Kommission vorgeschlagenen Optionen eine angemessene Reaktion auf die derzeitige Staatsverschuldungskrise ist;
8. nimmt zur Kenntnis, dass Stabilitätsanleihen nach der Einschätzung der Kommission in ihrem Grünbuch über die Durchführbarkeit der Einführung von Stabilitätsanleihen eine Vereinfachung der Übertragung der Geldpolitik im Euroraum sowie mehr Effizienz des Anleihemarktes und des Finanzsystems des Euroraums im weiteren Sinn bewirken würden;
9. gibt erneut seinem Standpunkt Ausdruck, dass für die gemeinsame Emission von Anleihen ein nachhaltig gestalteter finanzpolitischer Rahmen bestehen muss, mit dem sowohl eine stärkere Steuerung der Wirtschaftspolitik als auch ein stärkeres Wirtschaftswachstum im Euroraum angestrebt wird, und dass es wesentlich ist, schrittweise vorzugehen und in diesem Rahmen nach dem Vorbild der Maastricht-Kriterien für die Einführung der gemeinsamen Währung und unter Berücksichtigung aller diesbezüglichen Erfahrungen einen verbindlichen Fahrplan auszuarbeiten;
10. vertritt die Auffassung, dass mit den Zielen, die mit den Beschlüssen der Tagung des Europäischen Rates vom 8./9. Dezember 2011 zur Verbesserung der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen verfolgt werden, auch dazu beigetragen wird, die Bedingungen für die mögliche Einführung von Stabilitätsanleihen zu schaffen;
11. vertritt die Auffassung, dass Stabilitätsanleihen zusätzliche Anreize für die Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspakts schaffen könnten, wenn in diesem Rahmen die Probleme des moralischen Fehlverhaltens und der gesamtschuldnerischen Haftung gelöst werden; stellt fest, dass die Optionen, die im Grünbuch dargelegt werden, weiter behandelt werden müssen, unter anderem:
–
wirksame Marktanreize für den Schuldenabbau,
–
Zugangs- und Austrittsbedingungen, Vereinbarungen über Konditionalitäten, Vereinbarungen über die Laufzeit, Umverteilung der Finanzierungsvorteile der Mitgliedstaaten mit derzeitigem AAA-Rating,
–
ein System der Differenzierung der Zinssätze zwischen Mitgliedstaaten mit unterschiedlichem Rating,
–
Haushaltsdisziplin und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit,
–
prozyklische Effekte und Effekte in Richtung auf Schuldendeflation,
–
ausreichende Attraktivität für Marktinvestoren bei gleichzeitiger Eindämmung oder Vermeidung der Übersicherung oder Umverteilung der Risiken zwischen den Staaten,
–
Vorrangstatus von Stabilitätsanleihen vor einzelstaatlichen Anleihen im Fall des Zahlungsausfalls eines Mitgliedstaats,
–
Kriterien in Bezug auf die Vergabe der Darlehen an Mitgliedstaaten und Kapazität zur Einhaltung der Schuldendienstverpflichtung,
–
messbare und durchsetzbare Schuldenabbauprogramme.
–
Einzelheiten eines verbindlichen Fahrplans ähnlich den Maastricht-Kriterien für die Einführung der gemeinsamen Währung,
–
Kooperation der Mitgliedstaaten mit Liquiditätsproblemen mit dem EFSF/ESM,
–
angemessene rechtliche Voraussetzungen, einschließlich Vertrags- und Verfassungsänderungen;
12. vertritt die Auffassung, dass mit dem Vorhaben der Einführung von Stabilitätsanleihen im Euroraum mittelfristig die Stabilität begünstigt werden kann; fordert die Kommission jedoch auf, zügig Vorschläge zur entschiedenen Bekämpfung der derzeitigen Staatsverschuldungskrise vorzulegen, beispielsweise in Gestalt des durch den deutschen Sachverständigenrat für Wirtschaft vorgeschlagenen europäischen Schuldentilgungsfonds und/oder der Fertigstellung und Ratifizierung des ESM-Vertrags und/oder der Eurobills, d. h. kurzfristiger Euro-Anleihen, sowie der gemeinsamen Verwaltung der Emission staatlicher Schuldtitel;
13. weist darauf hin, dass mit dieser Entschließung eine erste Antwort auf das Grünbuch der Kommission gegeben wird und dass eine ausführlichere Reaktion in Form eines Initiativberichts folgen wird;
14. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission und der Europäischen Zentralbank zu übermitteln.