Entschließung des Europäischen Parlaments vom 4. Juli 2013 zur Lage in Dschibuti (2013/2690(RSP))
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf seine vorangegangene Entschließungen vom 15. Januar 2009(1) zur Lage am Horn von Afrika und vom 18. Dezember 1997 zur Lage der Menschenrechte in Dschibuti(2),
– unter Hinweis auf die am 24. Februar 2013 in Dschibuti abgegebene gemeinsame Erklärung der internationalen Beobachtermissionen (bestehend aus der Afrikanischen Union (AU), der Arabischen Liga, der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) und der Zwischenstaatlichen Behörde für Entwicklung (IGAD)), die die Parlamentswahl vom 22. Februar 2013 in der Republik Dschibuti überwacht haben,
– unter Hinweis auf die Afrikanische Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker, die Dschibuti ratifiziert hat,
– unter Hinweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahre 1948,
– unter Hinweis auf das am 23. Juni 2000 unterzeichnete und am 22. Juni 2010 überarbeitete Cotonou-Abkommen,
– unter Hinweis auf die Erklärung des Sprechers von Catherine Ashton, Hohe Vertreterin der Union, vom 12. März 2013 zur Lage nach der Parlamentswahl in Dschibuti,
– gestützt auf Artikel 122 Absatz 5 und Artikel 110 Absatz 4 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass Dschibuti und seine strategische Infrastruktur (Häfen und Zollfreigebiete) aufgrund der Lage an der Spitze des Horns von Afrika und an der Einfahrt zum Roten Meer eine wichtige Rolle für die gesamte Region spielt;
B. in der Erwägung, dass Dschibuti einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung von Piraterie und Terrorismus in der Region geleistet hat;
C. in der Erwägung, dass in Dschibuti von der Unabhängigkeit im Jahr 1977 bis zum Jahr 2003 ein Einparteiensystem bestand;
D. in der Erwägung, dass sich das Land seit der letzten Parlamentswahl vom 22. Februar 2013 in einer schweren politischen Krise befindet;
E. in der Erwägung, dass Ismail Omar Guelleh, der 1999 an die Macht gekommen war und 2005 mit 100 % der Stimmen wiedergewählt wurde, angekündigt hat, 2016 nicht noch einmal kandidieren zu wollen; in der Erwägung, dass Präsident Guelleh im April 2011 mit knapp 80 % der Stimmen wiedergewählt und die damalige Wahl von weiten Teilen der Opposition boykottiert wurde, nachdem das Parlament von Dschibuti die Verfassung geändert und dabei Präsident Guelleh das Recht eingeräumt hatte, für eine weitere Amtszeit zu kandidieren;
F. in der Erwägung, dass die Oppositionsparteien aufgrund der Einführung eines neuen Wahlsystems, das teilweise einem Verhältniswahlrecht gleichkommt, so dass die Vertretung von Minderheitsparteien im Parlament möglich war, auf eine pluralistische Demokratie hofften und erstmals seit dem Machtantritt von Ismail Omar Guelleh beschlossen hatten, an der Parlamentswahl vom 22. Februar 2013 teilzunehmen;
G. in der Erwägung, dass die Wahl von Beobachtern der AU, der Arabischen Liga, der OIC und der IGAD beaufsichtigt wurden und dass die Beobachter 154 Wahllokale und 12 Auszählungszentren überwacht und betont haben, dass die Wahl transparent verlaufen und kein Fall von Betrug oder Verwendung gefälschter Wahlzettel festgestellt worden sei;
H. in der Erwägung, dass die „Union pour la Majorité Présidentielle“ (UMP) laut den vom Verfassungsrat bekannt gegebenen Ergebnissen 68 % der Stimmen auf sich vereint hat;
I. in der Erwägung, dass die Opposition, die erstmals seit der Unabhängigkeit des Landes in das Parlament einziehen kann, massiven Wahlbetrug beklagt und sich zum Wahlsieger erklärt hat; in der Erwägung, dass der Verfassungsrat den Einspruch der Opposition zur Anfechtung der Wahlergebnisse abgelehnt hat;
J. in der Erwägung, dass die Opposition das aus der Wahl hervorgegangene Parlament boykottiert; in der Erwägung, dass die Behörden einem Teil der Opposition vorwerfen, nach der beanstandeten Wahl vom vergangenen Februar neben der Nationalversammlung eine „Legitime Nationalversammlung“ (ANL) begründet zu haben; in der Erwägung, dass der Spitzenkandidat der „Union pour le Salut National“ (USN) aus dem Wahlkreis Dschibuti-Stadt, Ismail Guedi Hared, der Präsident der „Legitimen Nationalversammlung“ ist;
K. in der Erwägung, dass die Ergebnisse der Parlamentswahl vom 22. Februar, die in den einzelnen Wahllokalen erzielt wurden, trotz der Nachfragen der Europäischen Union immer noch nicht veröffentlicht worden sind, was den Verdacht des Wahlbetrugs erregt;
L. in der Erwägung, dass die Zahl der im Wahlkreis Dschibuti-Stadt registrierten Wähler von einer offiziellen Mitteilung zur anderen variierte;
M. in der Erwägung, dass die gewaltsame Unterdrückung von Demonstrationen, auf denen Oppositionsparteien kritisierten, dass die Parlamentswahlen nicht ordnungsgemäß abgelaufen seien, Berichten zufolge mindestens zehn Todesopfer gefordert hat, die von den Ordnungskräften erschossen wurden;
N. unter Hinweis auf die Massenfestnahmen von oppositionellen Demonstranten; in der Erwägung, dass nichtstaatliche Organisationen wegen verdächtiger Todesfälle, Folter und des Verschwindens von Personen Alarm schlagen;
O. in der Erwägung, dass seit der Wahl vom 22. Februar dem Vernehmen nach etwa tausend Mitglieder der Opposition für längere oder kürzere Zeit inhaftiert wurden;
P. in der Erwägung, dass sich Berichten zufolge derzeit etwa 60 politische Gefangene in Haft befinden; unter Hinweis auf die ständige Unterdrückung politischer Aktivisten der Opposition;
Q. unter Hinweis auf die gegen die meisten Oppositionsführer und zahlreiche Journalisten eingeleiteten Verfahren;
R. in der Erwägung, dass der Journalist Mydaneh Abdallah Okieh, der auch für die Kommunikation der Oppositionskoalition USN verantwortlich ist, der „üblen Nachrede gegen die Polizei“ beschuldigt wird, weil er in dem sozialen Netzwerk Facebook Bilder von Demonstranten veröffentlicht hat, die Opfer von Unterdrückung geworden sind; in der Erwägung, dass das Berufungsgericht das Strafmaß seines Urteils am 26. Juni^2013 von 45 Tagen auf fünf Monate erhöht hat;
S. in der Erwägung, dass drei Anführer der Oppositionskoalition USN im April 2013 zu zwei Jahren Haft und zur Aberkennung ihrer politischen und bürgerlichen Rechte verurteilt worden sind; in der Erwägung, dass die Prüfung der von ihnen eingelegten Berufung auf den 25. November 2013 vertagt wurde;
T. in der Erwägung, dass der Sprecher der USN-Opposition, Daher Ahmed Farah, am 4. März 2013 festgenommen wurde; in der Erwägung, dass er für schuldig befunden wurde, nach der Parlamentswahl vom Februar 2013 zu einem Aufstand aufgerufen zu haben; in der Erwägung, dass in derselben Rechtssache zwei weitere Personen angeklagt waren, von denen die eine zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt und die andere freigesprochen wurde; in der Erwägung, dass das Berufungsgericht Daher Ahmed Farah am 26. Juni 2013 erneut zu zwei Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt hat;
U. unter Hinweis auf die äußerst besorgniserregenden Haftbedingungen in den Gefängnissen von Dschibuti;
V. in der Erwägung, dass die Verfassung von 1992 Grundfreiheiten und Grundsätze einer verantwortungsvollen Staatsführung anerkennt;
W. in der Erwägung, dass Artikel 10 der Verfassung vorsieht, dass „das Recht auf Verteidigung, einschließlich des Rechts, sich Rat bei einem Anwalt seiner Wahl einzuholen, in allen Phasen des Verfahrens zu gewährleisten ist“;
X. in der Erwägung, dass Dschibuti den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte unterzeichnet hat;
Y. in der Erwägung, dass Frauen in Dschibuti verschiedenen Formen der Gewalt – darunter Vergewaltigung, Genitalverstümmelung, häusliche Gewalt, sexuelle Belästigung und Verheiratung von Minderjährigen – ausgesetzt sind, die das körperliche und psychische Wohl von Frauen sehr stark in Mitleidenschaft ziehen;
Z. in der Erwägung, dass Dschibuti auf dem von „Reporter ohne Grenzen“ erstellten weltweiten Index der Pressefreiheit 2013 den 167. Platz (von insgesamt 179 Ländern) belegt; unter Hinweis auf das in Dschibuti bestehende Einreiseverbot für ausländische Journalisten und die dadurch entstehenden Schwierigkeiten, zuverlässige Informationen über die Geschehnisse im Land zu erhalten;
AA. in der Erwägung, dass die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) im März 2012 geschätzt hat, dass 180 000 Menschen in Dschibuti Nahrungsmittelhilfe benötigen;
AB. in der Erwägung, dass die meiste finanzielle Unterstützung für Dschibuti in den vergangenen 20 Jahren von der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten geleistet wurde; in der Erwägung, dass die von den Vereinigten Staaten, Japan und Frankreich für die Nutzung ihrer Militärstützpunkte geleisteten Zahlungen eine Einkommensquelle darstellen, dank der ein kontinuierliches Wachstum in Dschibuti gesichert ist;
AC. in der Erwägung, dass die Achtung der Menschenrechte, der demokratischen Grundsätze und der Rechtsstaatlichkeit die Grundlage der Partnerschaft zwischen den AKP-Staaten und der EU bildet und ein wesentlicher Bestandteil des Cotonou-Abkommens ist;
1. ist zutiefst besorgt über die Lage in Dschibuti, seit der Parlamentswahl vom 22. Februar 2013 und über das angespannte politische Klima im Land; ist insbesondere besorgt angesichts der Berichte über Massenfestnahmen von Mitgliedern der Opposition, Unterdrückung von Demonstrationen, die zum Protest gegen Unregelmäßigkeiten bei der Wahl veranstaltet werden, und wegen der Angriffe auf die Freiheit der Medien;
2. fordert die Staatsorgane Dschibutis auf, der Unterdrückung politischer Gegner ein Ende zu setzen und jeden freizulassen, der sich aus politischen Gründen in Haft befindet;
3. fordert die Staatsorgane Dschibutis auf, die Achtung der in den von Dschibuti unterzeichneten nationalen und internationalen Übereinkommen anerkannten Menschenrechte zu gewährleisten und die bürgerlichen und politischen Rechte und Freiheiten zu wahren, einschließlich des Rechts auf friedliche Demonstrationen und der Pressefreiheit;
4. verurteilt nachdrücklich die sexuelle Gewalt gegen Frauen und weist darauf hin, dass der Regierung von Dschibuti die Verantwortung obliegt, die Straflosigkeit zu beenden, indem diejenigen, die für sexuelle Gewalt gegen Frauen verantwortlich sind, zur Rechenschaft gezogen werden;
5. fordert, dass die Verteidigungsrechte gewahrt werden, darunter insbesondere das Recht von Angeklagten, in allen Phasen des gegen sie laufenden Verfahrens einen Anwalt ihrer Wahl zu Rate zu ziehen; fordert die Behörden auf, den Angehörigen von inhaftierten Personen zu gestatten, diese mit materieller Hilfe und insbesondere mit medizinischen Produkten zu versorgen;
6. fordert die Regierung von Dschibuti auf, mithilfe der Institutionen, von denen die Wahlergebnisse für gültig erklärt wurden, darunter insbesondere die Afrikanische Union, entsprechend den Ankündigungen des Staatschefs vom 27. Juni 2013 anlässlich des Jahrestags der Unabhängigkeit von Dschibuti einen politischen Dialog mit der Opposition in Gang zu setzen; fordert die Europäische Union auf, die Arbeit regionaler Organisationen zu unterstützen und zu den Bemühungen beizutragen, eine politische Lösung für die gegenwärtige Krise zu finden;
7. fordert, dass unverzüglich gerichtliche Untersuchungen eingeleitet werden, um das Verhalten von Polizei und Militär während der Demonstrationen aufzuklären und diejenigen, die gegen die Menschenrechte verstoßen haben, zu bestrafen;
8. begrüßt, dass die Wahl vom 22. Februar 2013 friedlich verlaufen ist, wie es von mehreren Vertretern der internationalen Gemeinschaft, darunter die Vizepräsidentin /Hohe Vertreterin und die Leiter der vier nach Dschibuti entsandten Wahlbeobachtungsmissionen, betont wurde, begrüßt, dass sich die Bevölkerung von Dschibuti und alle politischen Parteien durch die Beteiligung an der Wahl für die Zukunft ihres Landes einsetzen;
9. begrüßt, dass an der Wahl am 22. Februar 2013 erstmals seit der Unabhängigkeit von Dschibuti im Jahr 1977 auch Oppositionskräfte, d. h. die „Union pour le Salut National“ (USN), teilgenommen haben;
10. bekräftigt die Forderung der Europäischen Union, dass die Ergebnisse aus jedem der am 22. Februar 2013 genutzten Wahllokale veröffentlicht werden;
11. fordert alle politischen Kräfte in Dschibuti auf, die Rechtsstaatlichkeit einschließlich des Rechts auf friedliche Demonstrationen zu achten und keine Gewalt oder repressiven Maßnahmen anzuwenden;
12. bekundet seine Absicht, die Entwicklung der Lage in Dschibuti genau zu verfolgen und im Falle eines Verstoßes gegen das Cotonou-Abkommen (2000) und insbesondere gegen Artikel 8 und 9 restriktive Maßnahmen vorzuschlagen; fordert die Kommission auf, auch ihrerseits die Lage genau zu beobachten;
13. fordert den EAD, die Kommission und ihre Partner nachdrücklich auf, gemeinsam mit den Dschibutiern an einer langfristigen politischen Reform zu arbeiten, die insbesondere durch die bereits bestehenden engen Beziehungen erleichtert werden sollte, da Dschibuti im Kampf gegen den Terrorismus in der Region und bei der Bereitstellung militärischer Stützpunkte in der Vergangenheit eine wesentliche Rolle gespielt hat;
14. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung der Regierung von Dschibuti, den Organen der Afrikanischen Union, der Zwischenstaatlichen Behörde für Entwicklung, der Arabischen Liga, der Organisation für Islamische Zusammenarbeit, der Vizepräsidentin der Kommission / Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und den Ko-Präsidenten der Paritätischen Parlamentarischen Versammlung AKP-EU zu übermitteln.