Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. Dezember 2013 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates mit Kriterien zur Festlegung, wann Altpapier gemäß Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie 2008/98/EG über Abfälle nicht mehr als Abfall anzusehen ist (D021155/01 – 2012/2742(RPS))
Das Europäische Parlament,
– in Kenntnis des Vorschlags für eine Verordnung des Rates mit Kriterien zur Festlegung, wann Altpapier gemäß Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie 2008/98/EG über Abfälle nicht mehr als Abfall anzusehen ist (COM(2013)0502),
– unter Hinweis auf den im März 2011 veröffentlichten wissenschaftlichen und technischen Bericht des JRC über Kriterien für das Ende der Abfalleigenschaft für Altpapier: technische Vorschläge,
– gestützt auf die Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter Richtlinien(1), insbesondere auf Artikel 6 Absatz 1,
– gestützt auf die Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verbringung von Abfällen(2), insbesondere auf Artikel 49,
– unter Hinweis auf den Beschluss der Kommission 2011/753/EU mit Vorschriften und Berechnungsmethoden für die Überprüfung der Einhaltung der Zielvorgaben gemäß Artikel 11 Absatz 2 der Richtlinie 2008/98/EG(3), insbesondere auf Artikel 2 Absatz 2,
– unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 26. Januar 2011 mit dem Titel „Ressourcenschonendes Europa – eine Leitinitiative innerhalb der Strategie Europa 2020“ (COM(2011)0021),
– in Kenntnis der Stellungnahme des in Artikel 39 der Richtlinie 2008/98/EG genannten Ausschusses vom 9. Juli 2012,
– gestützt auf Artikel 5a Absatz 4 Buchstabe e des Beschlusses 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse(4),
– gestützt auf Artikel 88 Absätze 2 und 3 und Artikel 4 Buchstabe c seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass die Festlegung von Kriterien für das Ende der Abfalleigenschaft gemäß der Richtlinie 2008/98/EG ein wichtiges Mittel zur Förderung des Recyclings und eines Marktes für Sekundärrohstoffe darstellen und somit zu einer Verbesserung der Ressourceneffizienz führen kann;
B. in der Erwägung, dass in dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates festgelegt wird, dass Altpapier, dessen Nicht-Papier-Bestandteile höchstens 1,5 % des Lufttrockengewichts ausmachen, kein Abfall mehr ist, wenn es bei Erfüllung zusätzlicher Kriterien zur Verwendung als Papierfasern für die Papierherstellung bestimmt ist;
C. in der Erwägung, dass gemischtes Altpapier mit einem Nicht-Papier-Anteil von mehr als 30 % des Lufttrockengewichts in seiner Gesamtheit als Nicht-Papier-Bestandteil anzusehen ist; in der Erwägung, dass ein Papierkarton aus gemischtem Papier üblicherweise höchstens 30 % an Nicht-Papier-Bestandteilen (24 % Polyethylen, 6 % Aluminium) enthält und somit nicht als Nicht-Papier-Bestandteil anzusehen wäre; in der Erwägung, dass ein Altpapierstrom folglich eine beliebige Anzahl an Papierkartons aus gemischtem Papier (mit dem entsprechend hohen Anteil an Nicht-Papier-Bestandteilen sowie nicht vernachlässigbaren anhaftenden Restbestandteilen wie Flüssigkeiten, Lebensmitteln und anderen organischen Materialien) enthalten und nicht mehr als Abfall, sondern als Erzeugnis angesehen werden könnte;
D. in der Erwägung, dass nach Artikel 3 Nummer 17 der Richtlinie 2008/98/EG der Ausdruck Recycling „jedes Verwertungsverfahren, durch das Abfallmaterialien zu Erzeugnissen, Materialien oder Stoffen entweder für den ursprünglichen Zweck oder für andere Zwecke aufbereitet werden,“ bezeichnet;
E. in der Erwägung, dass nach der vorgeschlagenen Verordnung das Ende der Abfalleigenschaft dann eintritt, wenn Altpapier zur Verwendung als Papierfasern für die Papierherstellung bestimmt ist, d. h., vor der tatsächlichen Aufbereitung in einer Papierfabrik; in der Erwägung, dass dies nicht mit der bestehenden Definition von „Recycling“ in Einklang zu bringen ist, da gemäß dieser Definition die Aufbereitung von Abfallmaterialien vorgeschrieben ist;
F. in der Erwägung, dass solches Abfallmaterial, das nach der Sammlung und Sortierung erlangt wurde, lediglich vorbehandelt (nicht aufbereitet) wurde und ohne eine Aufbereitung nicht verwendet werden kann;
G. in der Erwägung, dass sich durch eine Festlegung des Endes der Abfalleigenschaft auf einen Zeitpunkt, zu dem noch kein Recycling stattgefunden hat, ein Widerspruch zu zahlreichen bestehenden gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften im Zusammenhang mit Umweltzeichen, der Vergabe öffentlicher Aufträge, dem Ökodesign und REACH ergeben würde, da in diesen Vorschriften mit „Recycling“ bislang auf den Prozess Bezug genommen wird, an dessen Ende das gebrauchsfertige recycelte Erzeugnis steht, und dass diese Festlegung außerdem Artikel 2 Absatz 2 des Beschlusses der Kommission 2011/753/EU widerspricht, in dem klar zwischen „vorbereitenden Maßnahmen“ und „endgültigem Recycling“ unterschieden wird;
H. in der Erwägung, dass gemäß Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie 2008/98/EG bestimmte festgelegte Abfälle nicht mehr als Abfälle anzusehen sind, wenn sie ein Verwertungsverfahren, wozu auch ein Recyclingverfahren zu rechnen ist, durchlaufen haben und spezifische Kriterien erfüllen, die gemäß den in dem Artikel aufgeführten Bedingungen festzulegen sind; in der Erwägung, dass gemäß diesen Kriterien a) der Stoff oder Gegenstand den bestehenden Rechtsvorschriften und Normen für Erzeugnisse genügen muss (Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe c) und b) die Verwendung des Stoffs oder Gegenstands insgesamt nicht zu schädlichen Umwelt- oder Gesundheitsfolgen führen darf (Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe d);
I. in der Erwägung, dass der Grenzwert für Nicht-Papier-Bestandteile in Höhe von 1,5 % auf der europäischen Norm EN 643 beruht; in der Erwägung, dass diese Norm der Studie des JRC zufolge eine wichtige Rolle beim Handel mit Altpapier spielt und in ihr verschiedene europäische Standardsorten für Altpapier festgelegt werden; in der Erwägung, dass eine Bezugnahme auf diese Norm bei der Festlegung der Kriterien für das Ende der Abfalleigenschaft eindeutig im Widerspruch zu Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie 2008/98/EG steht, in dem ausdrücklich auf „Normen für Erzeugnisse“ und nicht auf Normen für Abfall Bezug genommen wird;
J. in der Erwägung, dass in den einschlägigen Normen für Erzeugnisse aus Papier wie beispielsweise der ISO 1762 über anorganische Verunreinigungen, der ISO 5350-1 und 5350-2 über Verunreinigungen und der ISO 624 über Extraktivstoffe (Kohlenhydrate mit geringem Molekulargewicht) ein Reinheitsgrad von 1 ppm verlangt wird, also 15 000 mal weniger als der vorgeschlagene Grenzwert;
K. in der Erwägung, dass die Mitberücksichtigung von gemischtem Papier der ausdrücklichen Empfehlung in der Studie des JRC entgegensteht, in der mehrlagiges Altpapier aus dem Geltungsbereich der Kriterien für die Festlegung des Endes der Abfalleigenschaft ausgenommen wird, da im Falle einer Ausfuhr insbesondere in Drittländer eine zusätzliche Gefahr für die Umwelt von ihm ausgeht;
L. in der Erwägung, dass im Falle einer Ausfuhr aus der Union gemäß Artikel 49 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 die zuständige Behörde am Versandort in der Union vorschreibt und sich bemüht, sicherzustellen, dass alle ausgeführten Abfälle im Empfängerdrittstaat in umweltgerechter Weise behandelt werden, wozu unter anderem der Nachweis durch die zuständige Behörde gehört, dass die Anlage, die die Abfälle erhält, im Einklang mit Standards zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt betrieben wird, die den im Unionsrecht festgelegten Standards weitgehend entsprechen;
M. in der Erwägung, dass – auch gemischtes – Altpapier, das aus der Abfalleigenschaft entlassen wird, obwohl es noch nicht ordnungsgemäß recycelt wurde, frei auf den Weltmärkten gehandelt werden kann und dass die Schutzmechanismen der Verordnung über die Verbringung von Abfällen in Bezug auf eine umweltverträgliche Bewirtschaftung nicht mehr anwendbar sind; in der Erwägung, dass die Befreiung von Abfallströmen mit einem hohen Anteil an Nicht-Papier-Bestandteilen, der im Übrigen aufgrund der Nichtberücksichtigung von handelsüblichem gemischtem Papier weit höher als der Grenzwert von 1,5 % liegen könnte, von den Anforderungen der Verordnung über die Verbringung von Abfällen eindeutig in Widerspruch zu Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie 2008/98/EG stehen könnte, gemäß dem die Verwendung des Stoffs insgesamt nicht zu schädlichen Umweltfolgen führen darf;
N. in der Erwägung, dass das vorgeschlagene Managementsystem zum Nachweis der Einhaltung der in Artikel 3 des Entwurfs einer Verordnung des Rates genannten Kriterien, und insbesondere der Bestimmung, dass Nicht‑Papier‑Materialien in Sendungen von gemischtem Altpapier für die Verwertung bestimmt sind, für Abfall, der nicht mehr als Abfall anzusehen ist, daher frei gehandelt wird, möglicherweise durch viele Hände geht und auf jeden Fall keine umweltverträgliche Behandlung des betreffenden Materials mehr erfordert, nahezu nicht umsetzbar sein dürfte;
O. in der Erwägung, dass eine Förderung des vermehrten weltweiten Handels mit diesem mutmaßlich nicht mehr als Abfall anzusehenden Papier durch die Umgehung umwelt- und gesundheitsbezogener Schutzmechanismen nicht nur zusätzliche negative Umweltauswirkungen während des Transports mit sich bringen würde, sondern aufgrund der geringeren Verfügbarkeit von Altpapier auch zu einem Rückgang der europäischen Recyclingquote von Papier führen könnte, sodass Papierhersteller dieses fehlende Altpapier zumindest teilweise durch mehr in Europa hergestellte Primärfaserstoffe ersetzen müssten, was mit einem höheren Energieeinsatz und folglich einem höheren CO2-Ausstoß einhergeht und somit wiederum dem Kriterium entgegenstehen würde, gemäß dem insgesamt schädliche Umweltfolgen zu vermeiden sind;
P. in der Erwägung, dass die Mitteilung der Kommission über „Ressourcenschonendes Europa“ eine Strategie beinhaltet, durch die in der EU eine auf einer Recycling-Gesellschaft gegründete „Kreislaufwirtschaft“ entstehen soll, sodass weniger Abfall verursacht und Abfall als Ressource verwendet wird; in der Erwägung, dass die vorgeschlagenen Kriterien für die Festlegung des Endes der Abfalleigenschaft einer weiteren Erhöhung der Recyclingquoten in der EU eindeutig entgegenstehen und somit der Vorschlag in seiner gegenwärtigen Fassung nicht mit Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie 2008/98/EG vereinbar wäre;
1. spricht sich gegen die Annahme des Vorschlags für eine Verordnung des Rates mit Kriterien zur Festlegung, wann Altpapier gemäß Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie 2008/98/EG über Abfälle nicht mehr als Abfall anzusehen ist, aus;
2. vertritt die Auffassung, dass dieser Vorschlag für eine Verordnung des Rates nicht mit dem Ziel und dem Inhalt des Basisrechtsakts vereinbar ist;
3. vertritt die Auffassung, dass dieser Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die der Kommission im Basisrechtsakt übertragenen Durchführungsbefugnisse hinausgeht;
4. ist der Auffassung, dass die Kommission die Auswirkungen des Vorschlags für eine Verordnung auf das Recycling von Papier, auf die Wertschöpfungskette von Altpapier, auf die Verbringung von Altpapier und die allgemeinen Auswirkungen des Vorschlags für eine Verordnung auf die Umwelt nicht ausreichend bewertet hat; legt der Kommission nahe, den Vorschlag für eine Verordnung zu überprüfen und die vorgeschlagenen Kriterien für das Ende der Abfalleigenschaft vor dem Hintergrund der in dieser Entschließung vorgebrachten Bedenken zu verbessern;
5. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission sowie den Parlamenten und Regierungen der Mitgliedstaaten zu übermitteln.