Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. April 2015 zu dem 100. Jahrestag des Völkermords an den Armeniern (2015/2590(RSP))
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf die Konvention der Vereinten Nationen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes aus dem Jahr 1948,
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 18. Juni 1987 zu einer politischen Lösung der armenischen Frage(1),
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 12. März 2015 zu dem Jahresbericht 2013 über Menschenrechte und Demokratie in der Welt und die Politik der Europäischen Union in diesem Bereich(2),
– unter Hinweis auf das Protokoll über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Republik Armenien und der Republik Türkei und das Protokoll über die Entwicklung der Beziehungen zwischen der Republik Armenien und der Republik Türkei, die am 10. Oktober 2009 in Zürich unterzeichnet wurden,
– unter Hinweis auf die Erklärung Seiner Heiligkeit Papst Franziskus vom 12. April 2015,
– gestützt auf Artikel 123 Absätze 2 und 4 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass sich der im Osmanischen Reich begangene Völkermord an den Armeniern im Jahr 2015 zum hundertsten Mal jährt;
B. in der Erwägung, dass immer mehr Mitgliedstaaten, einschließlich ihrer Parlamente, den im Osmanischen Reich begangenen Völkermord an den Armeniern anerkennen;
C. in der Erwägung, dass der Wille, zu verhindern, dass es in Europa erneut zu Kriegen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit kommt, zu den wichtigsten Beweggründen für die europäische Einigungsbewegung gehört;
D. in der Erwägung, dass die Türkei und Armenien mit der Normalisierung ihrer diplomatischen Beziehungen begonnen und dazu im Jahr 2009 in Zürich Protokolle über die Aufnahme und die Entwicklung diplomatischer Beziehungen unterzeichnet haben;
E. in der Erwägung, dass es von entscheidender Bedeutung ist, das Gedenken an die Vergangenheit wachzuhalten, da es ohne Wahrheit und Erinnerung keine Aussöhnung geben kann;
1. gedenkt im Vorfeld des 100. Jahrestages der anderthalb Millionen unschuldigen armenischen Opfer, die im Osmanischen Reich ums Leben gekommen sind; schließt sich dem Gedenken an den 100. Jahrestag des Völkermords an den Armeniern in einem Geiste der europäischen Solidarität und Gerechtigkeit an; fordert die Kommission und den Rat auf, sich dem Gedenken anzuschließen;
2. verweist auf seine Entschließung vom 18. Juni 1987, in der es unter anderem die Auffassung vertrat, dass es sich bei den tragischen Ereignissen, die sich in den Jahren 1915–1917 zugetragen und sich gegen die Armenier des Osmanischen Reiches gerichtet haben, um Völkermord im Sinne der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes aus dem Jahr 1948 handelt; verurteilt alle Verbrechen gegen die Menschlichkeit und alle Völkermorde und bedauert zutiefst jeden Versuch, diese zu leugnen;
3. gedenkt der unschuldigen Opfer aller Völkermorde und Verbrechen gegen die Menschlichkeit; schlägt vor, einen internationalen Tag zum Gedenken an Völkermorde einzuführen, um so erneut auf das Recht aller Völker und Nationen weltweit auf Frieden und Würde aufmerksam zu machen;
4. weist mit Nachdruck darauf hin, dass die rechtzeitige Verhütung und die wirksame Bestrafung von Völkermorden und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu den vorrangigsten Anliegen der internationalen Gemeinschaft und der Europäischen Union gehören sollten;
5. begrüßt die Erklärungen des Präsidenten der Republik Türkei, Recep Tayyip Erdoğan, und des Premierministers der Republik Türkei, Ahmet Davutoğlu, in denen sie ihr Beileid bekunden und als Schritt in die richtige Richtung die Gräueltaten gegen die Armenier des Osmanischen Reichs anerkennen; fordert die Türkei auf, das Gedenken an den 100. Jahrestag des Völkermords an den Armeniern zum Anlass zu nehmen, ihre Bemühungen, einschließlich der Gewährung des Zugangs zu den Archiven, fortzusetzen, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen, den Völkermord an den Armeniern anzuerkennen und so den Weg für eine wirkliche Aussöhnung der Türken und der Armenier zu ebnen;
6. begrüßt die Botschaft Seiner Heiligkeit Papst Franziskus vom 12. April 2015 zum Gedenken an den 100. Jahrestag des Völkermordes an den Armeniern in einem Geiste des Friedens und der Aussöhnung;
7. fordert die Türkei auf, die zum Schutz des kulturellen Erbes eingegangenen Verpflichtungen zu achten und uneingeschränkt zu erfüllen und insbesondere in gutem Glauben ein umfassendes Verzeichnis der im vergangenen Jahrhundert innerhalb ihres Hoheitsbereichs zerstörten oder vernichteten armenischen und sonstigen Kulturgüter zu erstellen;
8. fordert Armenien und die Türkei auf, sich Beispiele für eine erfolgreiche Aussöhnung europäischer Nationen zum Vorbild zu nehmen und eine Agenda in den Mittelpunkt zu rücken, bei der die Zusammenarbeit der Völker an erster Stelle steht; ist überzeugt, dass dies in einem Geiste des Vertrauens und der Achtung zur historischen Aussöhnung der Armenier und der Türken beitragen wird; unterstützt zivilgesellschaftliche Initiativen zwischen der Türkei und Armenien, mit denen eine Normalisierung der Beziehungen angestrebt wird; fordert die Türkei und Armenien auf, zu einer Normalisierung ihrer Beziehungen überzugehen, indem sie ohne Vorbedingungen die Protokolle über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen ratifizieren und umsetzen, die Grenze öffnen und ihre Beziehungen insbesondere im Hinblick auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und die wirtschaftliche Integration aktiv verbessern;
9. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der Vizepräsidentin der Kommission und Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten, der Regierung und dem Parlament der Republik Armenien sowie der Regierung und dem Parlament der Republik Türkei zu übermitteln.