24.Internationaler Roma-Tag – Antiziganismus in Europa und Anerkennung des Völkermords an den Roma im Zweiten Weltkrieg durch Begehen des Gedenktags in der EU
Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. April 2015 zum Internationalen Roma-Tag – Antiziganismus in Europa und Anerkennung durch die EU des Tags des Gedenkens an den Völkermord an den Roma während des Zweiten Weltkriegs (2015/2615(RSP))
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf die Präambel des Vertrags über die Europäische Union (EUV), insbesondere auf den zweiten Absatz sowie auf die Absätze vier bis sieben,
– unter Hinweis unter anderem auf Artikel 2, Artikel 3 Absatz 3 Unterabsatz 2 sowie die Artikel 6 und 7 EUV,
– unter Hinweis auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 7. Dezember 2000 (im Folgenden: „Charta“), die am 12. Dezember 2007 in Straßburg proklamiert wurde und im Dezember 2009 mit dem Vertrag von Lissabon in Kraft trat,
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 9. März 2011 zur Strategie der EU zur Integration der Roma(1), auf die Mitteilung der Kommission vom 5. April 2011 zu einem EU-Rahmen für nationale Strategien zur Integration der Roma bis 2020 (COM(2011)0173), auf die Mitteilung der Kommission vom 2. April 2014 über die Umsetzung des EU-Rahmens für nationale Strategien zur Integration der Roma (COM(2014)0209) sowie auf die Empfehlung des Rates vom 9. Dezember 2013 für wirksame Maßnahmen zur Integration der Roma in den Mitgliedstaaten,
– unter Hinweis auf die Ergebnisse der 2011 von der Agentur für Grundrechte durchgeführten Piloterhebung über Roma,
– unter Hinweis auf das Rahmenabkommen des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten und die europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten,
– unter Hinweis auf die Erklärung des Ministerkomitees der Europarates vom 1. Februar 2012 zum Anstieg des Antiziganismus und zur rassistisch motivierten Gewalt gegen Roma in Europa,
– unter Hinweis auf die allgemeine politische Empfehlung Nr. 13 der Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) zur Bekämpfung von Romafeindlichkeit und der Diskriminierung von Roma,
– unter Hinweis auf den von den Teilnehmerstaaten der OSZE unter Beteiligung der Mitglied- und Beitrittsstaaten der Europäischen Union angenommenen umfassenden, auf die Verbesserung der Lage von Roma und Sinti im OSZE-Gebiet gerichteten Aktionsplan, in welchem die Staaten sich unter anderem zu verstärkten Bemühungen um die Gewährleistung einer vollen und gleichberechtigten Teilhabe der Roma und Sinti an der Gesellschaft und um die Beendigung der Diskriminierung der Roma und Sinti verpflichten,
– gestützt auf Artikel 123 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass die Roma mit einer Bevölkerung von schätzungsweise 10 bis 12 Millionen in Europa die größte ethnische Minderheit Europas sind;
B. in der Erwägung, dass die Bezeichnung „Roma“ in dieser Entschließung als Oberbegriff fungiert, der unterschiedliche verwandte sesshafte, aber auch nicht sesshafte Bevölkerungsgruppen in ganz Europa umfasst, wie etwa Roma, Fahrende, Sinti, Manouches, Kalós, Romanichels, Bojasch, Aschkali, Ägypter, Jenischen, Doms und Loms, die sich in Bezug auf Kultur und Lebensstil unterscheiden können;
C. in der Erwägung, dass es sich bei der Antiziganismus, einer besonderen Art von Rassismus, die sich gegen die Roma richtet, um eine Ideologie handelt, die sich auf rassische Überlegenheit gründet, eine Form der Entmenschlichung und des institutionellen Rassismus darstellt, der sich aus historischer Diskriminierung nährt, die sich unter anderem in Gewalt, Hasstiraden, Ausbeutung, Stigmatisierung und eklatanter Diskriminierung äußert;
D. in der Erwägung, dass Antiziganismus eine der Hauptursachen für die Diskriminierung oder Marginalisierung ist, unter der die Roma in vielen europäischen Ländern im Laufe der Geschichte gelitten haben;
E. in der Erwägung, dass viele Roma immer noch in erschreckend ärmlichen Verhältnissen leben und sich extremer sozialer Ausgrenzung und Diskriminierung gegenübergestellt sehen;
F. in der Erwägung, dass die Lage der europäischen Roma, die aus historischer Sicht in vielen europäischen Ländern Teil der Gesellschaft sind, jedoch ohne Patronagestaat, und die als Bürger einen Beitrag zur Gestaltung Europas geleistet haben, sich von der Lage anderer nationaler Minderheiten in Europa unterscheidet, was besondere Maßnahmen auf europäischer Ebene rechtfertigt; in der Erwägung, dass die Roma Teil der europäischen Kultur sind und europäische Werte vertreten;
G. in der Erwägung, dass Roma-Frauen oft mehrfacher und sich überschneidender Diskriminierung aufgrund von Geschlecht und ethnischer Herkunft ausgesetzt sind und einen eingeschränkten Zugang zu Beschäftigung, Bildung, Gesundheitsfürsorge, Sozialdienstleistungen und Entscheidungsfindung haben; in der Erwägung, dass Diskriminierung innerhalb der Mehrheitsgesellschaft in einem Kontext von wachsendem Rassismus gegenüber Roma auftritt, aber auch innerhalb der Gemeinschaften, in denen diese Frauen leben, und zwar aufgrund ihres Geschlechts;
H. in der Erwägung, dass die Kommission die Mitgliedstaaten in ihrer Mitteilung vom 5. April 2011 über einen EU-Rahmen für nationale Strategien zur Integration der Roma bis 2020 aufgefordert hat, eine umfassende Strategie zur Integration der Roma weiterzuentwickeln und eine Reihe gemeinsamer Ziele zu verfolgen; in der Erwägung, dass der Rat die Mitgliedstaaten in seiner Empfehlung vom 9. Dezember 2013 aufgefordert hat, wirksame politische Maßnahmen zu ergreifen, um die Gleichbehandlung der Roma und die Wahrung ihrer Grundrechte sicherzustellen, einschließlich des gleichberechtigten Zugangs zu Bildung, Beschäftigung, Gesundheitsfürsorge und Wohnraum;
I. in der Erwägung, dass der 27. Januar, der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau, von den Vereinten Nationen zum Internationalen Holocaust-Gedenktag erklärt wurde;
J. in der Erwägung, dass Schätzungen zufolge mindestens 500 000 Roma während des Zweiten Weltkriegs von den Nazis und anderen Regimes und deren Verbündeten ermordet wurden, sowie in der Erwägung, dass in einigen Ländern über 80% der Roma-Bevölkerung ermordet wurde; in der Erwägung, dass im Zweiten Weltkrieg mindestens 23 000 Roma im „Zigeunerlager“ von Auschwitz-Birkenau vergast wurden, und dass in einer Nacht, und zwar in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 2 897 Roma, die meisten davon Frauen, Kinder und ältere Menschen, in diesem Lager ermordet wurden; in der Erwägung, dass die Organisationen der Roma den 2. August daher zum Tag des Gedenkens an alle Roma, die Opfer dieses Völkermords wurden, erklärt haben;
K. in der Erwägung, dass der Völkermord an den Roma durch die Nazis und andere Regimes und ihre Verbündeten im Zweiten Weltkrieg immer noch weit gehend ignoriert und von der breiten Öffentlichkeit daher nicht eingeräumt wird und an den Schulen oft nicht anerkannt oder unterrichtet wird, wodurch die Roma zu nicht wahrgenommenen Opfern des Völkermords während des Zweiten Weltkriegs werden;
L. in der Erwägung, dass es entscheidend ist, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen zu gedenken, damit die Ziele Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechte in Europa vorangetrieben werden können; in der Erwägung, dass der Völkermord an den Roma in Europa eingedenk der Schwere der Verbrechen der Nazis und anderer Regimes, deren Ziel es war, die Roma ebenso wie die Juden und andere Zielgruppen in Europa physisch zu vernichten, entsprechend anerkannt werden muss;
M. in der Erwägung, dass es wichtig ist, dass der Völkermord an den Roma durch die Nazis und andere Regimes und ihre Verbündeten im Zweiten Weltkrieg anerkannt und dieses Völkermordes gedacht wird, damit die Roma gegebenenfalls für die Gräueltaten entschädigt werden können, die die Nazis und andere Regimes und ihre Verbündeten im Zweiten Weltkrieg an ihnen verübt haben;
N. in der Erwägung, dass die Anerkennung des Völkermords an den Roma während des Zweiten Weltkriegs und die Einführung eines eigenen europäischen Gedenktages daher ein wichtiger symbolischer Schritt bei der Bekämpfung des Antiziganismus darstellen und zum allgemeinen Wissen über die Geschichte der Roma in Europa beitragen würden;
1. zeigt sich zutiefst besorgt über den Anstieg des Antiziganismus, der unter anderem in Roma-feindlicher Rhetorik und gewalttätigen Übergriffen gegen Roma, auch durch Morde, in Europa zum Ausdruck kommt, was mit den Normen und Werten der Europäischen Union unvereinbar ist und ein beträchtliches Hindernis für eine erfolgreiche Integration der Roma in die Gesellschaft und die Gewährleistung uneingeschränkter Achtung ihrer Menschenrechte ist;
2. weist mit Nachdruck darauf hin, dass Diskriminierung und Marginalisierung nie auf eine inhärente Schwäche einer Einzelperson oder einer Gruppe, die von einer solchen Diskriminierung oder Marginalisierung betroffen ist, zurückgeführt werden kann, sondern in der Regel aus dem Versagen der Mehrheitsgesellschaft herrührt, die Rechte von Individuen anzuerkennen sowie aus der Unfähigkeit, die notwendigen Strukturen für Individuen bereitzustellen, damit sie diese Rechte geltend machen können;
3. fordert die Mitgliedstaaten auf, die Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse und der ethnischen Herkunft wirksam umzusetzen, um der Diskriminierung von Roma vorzubeugen und diese zu beseitigen, insbesondere in den Bereichen Beschäftigung, Bildung und Zugang zu Wohnraum;
4. hält es für unbedingt notwendig, den Antiziganismus auf allen Ebenen und mit allen Mitteln zu bekämpfen, und weist mit Nachdruck darauf hin, dass dieses Phänomen eine besonders hartnäckige, gewalttätige, wiederkehrende und weit verbreitete Form des Rassismus ist; fordert die Mitgliedstaaten auf, die Bekämpfung der Roma-Feindlichkeit im Rahmen ihrer nationalen Strategien zur Integration der Roma zu intensivieren, indem sie den Austausch bewährter Verfahren fördern;
5. begrüßt die Einbindung der Roma-Gemeinschaften und der nichtstaatlichen Organisationen bei der Umsetzung der nationalen Strategien zur Integration der Roma und fordert, dass sie weiterhin an der Gestaltung, der Überwachung, der Bewertung und der Umsetzung dieser Strategien beteiligt werden;
6. hält es für notwendig, zu gewährleisten, dass besondere Maßnahmen in Bezug auf die Rechte der Frau und die Berücksichtigung der geschlechterspezifischen Perspektive in die nationalen Strategien zur Integration der Roma aufgenommen werden, und dass den Rechten der Frau und der Perspektive der Gleichstellung der Geschlechter in jedem Abschnitt der nationalen Strategien zur Integration der Roma bei der Bewertung und der jährlichen Überwachung Rechnung getragen wird;
7. fordert die Mitgliedstaaten und die Kommission auf, bei der Umsetzung des EU-Rahmens für nationale Strategien zur Integration der Roma den Kindern Priorität einzuräumen, und bekräftigt, wie wichtig es ist, den gleichberechtigten Zugang zu Wohnraum, zur Gesundheitsversorgung, zu Bildung und zu menschenwürdigen Lebensbedingungen für Roma-Kinder zu fördern;
8. fordert die Mitgliedstaaten auf, den Rahmenbeschluss 2008/913/JI des Rates vom 28. November 2008 zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit wirksam umzusetzen, damit sie Antiziganismus, Roma-feindliche Rhetorik und gewalttätige Übergriffe gegen Roma sowie die Verteidigung, die Leugnung und die grobe Verharmlosung des Völkermords an den Roma erfolgreich bekämpfen können;
9. weist erneut darauf hin, dass die Roma Teil der europäischen Kultur sind und europäische Werte vertreten, und fordert die Mitgliedstaaten und andere europäische Länder daher auf, sich im Rahmen eines Dialogs mit den Bürgerinnen und Bürgern und den Jugendlichen mit der Geschichte der Roma auseinanderzusetzen, insbesondere mit dem Völkermord an den Roma im Zweiten Weltkrieg;
10. verurteilt bedingungslos und unmissverständlich jede Form von Rassismus und Diskriminierung gegenüber Roma, und vertritt die Auffassung, dass der Antiziganismus effizient angegangen werden muss, wenn Maßnahmen in anderen Bereichen Wirkung zeitigen sollen;
11. fordert die Kommission in diesem Zusammenhang auf, effizient zu kontrollieren und zu bewerten, ob die Mitgliedstaaten sich an die Grundwerte der EU halten; fordert die Kommission auf, dafür zu sorgen, dass die Grundrechte, die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit in allen Mitgliedstaaten geachtet werden, auf effiziente Weise zu kontrollieren und zu bewerten, ob die Mitgliedstaaten diese Werte beachten und zu gewährleisten, dass sie tätig wird, wenn systemische Verstöße festgestellt werden;
12. erkennt daher offiziell die historische Tatsache des Völkermords an den Roma im Zweiten Weltkrieg an;
13. fordert die Mitgliedstaaten auf, diesen Völkermord und andere Formen der Verfolgung der Roma wie Deportation und Internierung während des Zweiten Weltkriegs offiziell anzuerkennen;
14. erklärt, dass ein europäischer Tag dem Gedenken an die Opfer des Völkermords an den Roma im Zweiten Weltkrieg gewidmet werden sollte, und dass dieser Tag zum europäischen Holocaust-Gedenktag für die Roma erklärt werden sollte;
15. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedsstaaten und Beitrittskandidaten, dem Europarat, der OSZE sowie den Vereinten Nationen zu übermitteln.