Entschließung des Europäischen Parlaments vom 9. Juli 2015 zum Gedenken an Srebrenica (2015/2747(RSP))
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf seine Entschließungen vom 7. Juli 2005(1) und vom 15. Januar 2009(2) zu Srebrenica,
– unter Hinweis auf die Bestimmungen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der Europäischen Menschenrechtskonvention und des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, in denen festgelegt wird, dass jeder Mensch das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit und das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit hat,
– unter Hinweis auf das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Bosnien und Herzegowina (BiH) andererseits, das am 16. Juni 2008 in Luxemburg unterzeichnet wurde und am 1. Juni 2015 in Kraft getreten ist,
– unter Hinweis auf die Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen Nr. 827 vom 25. Mai 1993, 1551 vom 9. Juli 2004 und 1575 vom 22. November 2004,
– gestützt auf Artikel 123 Absätze 2 und 4 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass sich am 11. Juli 2015 der Völkermord und die ethnische Säuberung, die während des Bosnien-Kriegs in Srebrenica und dem Umland der Stadt stattgefunden haben, zum 20. Mal jähren und dies die Erinnerung wachrufen sollte, wie gefährlich extreme Formen von Nationalismus und Intoleranz in der Gesellschaft sind, insbesondere wenn sich diese im Rahmen eines Krieges noch weiter verschärfen;
B. in der Erwägung, dass die bosnische Stadt Srebrenica, die durch die Resolution 819 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 16. April 1993 zur Schutzzone erklärt worden war, am 11. Juli 1995 von bosnisch-serbischen Truppen eingenommen wurde, die von General Ratko Mladić angeführt wurden und dem Befehl des damaligen Präsidenten der Republik Srpska, Radovan Karadžić, unterstanden;
C. in der Erwägung, dass während des mehrere Tage andauernden Massakers nach dem Fall von Srebrenica bosnisch-serbische Soldaten unter dem Kommando von General Mladić und paramilitärische Einheiten, darunter auch irreguläre Polizeieinheiten, über 8 000 muslimische Männer und Jungen hinrichteten, die in diesem der Schutztruppe der Vereinten Nationen (UNPROFOR) unterstehenden Gebiet Schutz gesucht hatten; in der Erwägung, dass nahezu 30 000 Frauen, Kinder und alte Menschen in einer groß angelegten ethnischen Säuberungsaktion zwangsvertrieben wurden, wodurch dieses Ereignis zum schwersten Kriegsverbrechen in Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs wurde;
D. in der Erwägung, dass die tragischen Ereignisse von Srebrenica bei den Überlebenden tiefe emotionale Narben hinterlassen haben und die politische Aussöhnung zwischen den ethnischen Gruppen in Bosnien und Herzegowina (BiH) dauerhaft behindern;
E. in der Erwägung, dass das Massaker von Srebrenica sowohl vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (IStGHJ) – Rechtsmittelurteil, Anklagebehörde gegen Radislav Krstić, Aktenzeichen IT-99-33, 19. April 2004 – als auch vom Internationalen Gerichtshof (IGH) – in dem Fall betreffend die Anwendung der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes (Bosnien und Herzegowina gegen Serbien und Montenegro) vom 27. Februar 2007, S. 127, § 297 (IGH) –als Völkermord anerkannt wird;
F. in der Erwägung, dass die bosnisch-serbischen Truppen durch die an der Zivilbevölkerung von Srebrenica begangenen Verbrechen – darunter die Verschleppung von Tausenden Frauen, Kindern und alten Menschen und die Vergewaltigung zahlreicher Frauen – in vielfacher Hinsicht gegen die Genfer Konventionen verstoßen haben;
G. in der Erwägung, dass trotz der Bemühungen, Massen- und Einzelgräber zu finden und die Leichen zu exhumieren, die Leichen von fast 1 200 Männern und Jungen aus Srebrenica nicht aufgefunden und identifiziert werden konnten;
H. in der Erwägung, dass der Generalsekretär der Vereinten Nationen 1999 in seinem Bericht über die Eroberung Srebrenicas erklärt hat, die Vereinten Nationen wären mit der Durchführung ihres Mandats und vor allem mit der Sicherung der sogenannten Schutzzonen gescheitert und trügen deshalb Mitverantwortung;
I. in der Erwägung, dass die EU auf einem friedlichen Zusammenleben und der engagierten Zusammenarbeit zwischen ihren Mitgliedern begründet ist; in der Erwägung, dass der Wille, zu verhindern, dass es in Europa erneut zu Kriegen oder Verstößen gegen humanitäres Völkerrecht kommt, zu den wichtigsten Beweggründen für den europäischen Integrationsprozess gehört;
J. in der Erwägung, dass der IStGHJ am 30. Januar 2015 die gegen fünf hochrangige bosnisch‑serbische Armeeoffiziere verhängten Urteile bestätigt hat, die für ihre Beteiligung an dem Völkermord in Srebrenica von 1995 verurteilt worden waren; in der Erwägung, dass einige der verurteilten Offiziere direkt dem früheren bosnisch-serbischen Militärführer Ratko Mladić unterstellt waren, gegen den derzeit ein Verfahren wegen Völkermordes und anderer Verbrechen vor dem IStGHJ anhängig ist;
1. gedenkt aller Opfer des Völkermordes von Srebrenica und all der entsetzlichen Gewalttaten während der Kriege im ehemaligen Jugoslawien und zollt ihnen Respekt; spricht den Angehörigen der Opfer, die oftmals keine endgültige Gewissheit über das Schicksal ihrer Verwandten haben, sein Mitgefühl aus und bekundet seine Solidarität mit ihnen;
2. verurteilt den Völkermord in Srebrenica aufs Schärfste; erklärt entschieden, dass solche fürchterlichen Verbrechen nie wieder verübt dürfen, und weist darauf hin, dass es alles in seiner Macht Stehende unternehmen wird, damit sich solche Ereignisse nicht wiederholen; lehnt jegliche Form von Leugnung, Relativierung oder Fehlauslegung des Völkermordes ab;
3. betont, dass die politischen Vertreter in Bosnien und Herzegowina die Vergangenheit anerkennen müssen, um gemeinsam erfolgreich auf eine bessere Zukunft für alle Bürger des Landes hinzuarbeiten; betont, dass die Nachbarländer, die religiösen Autoritäten, die Zivilgesellschaft, die Kunst- und Kulturszene, die Medien und das Bildungssystem eine wichtige Rolle in diesem schwierigen Prozess übernehmen können;
4. betont, dass die vom IStGHJ geleistete Arbeit wichtig ist und dass alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen werden müssen, um alle noch anhängigen Straf- und Berufungsverfahren zu beschleunigen und ohne Verzögerung zum Abschluss zu bringen; wiederholt, dass Gerichtsverfahren wegen Kriegsverbrechen auf innerstaatlicher Ebene stärkere Beachtung gewidmet werden muss;
5. wiederholt das Bekenntnis der EU zu der europäischen Perspektive und dem weiteren Beitrittsprozess Bosnien und Herzegowinas sowie aller westlichen Balkanländer; vertritt die Auffassung, dass regionale Zusammenarbeit und der europäische Integrationsprozess die beste Möglichkeit sind, um die Aussöhnung voranzutreiben sowie Hass und Differenzen zu überwinden;
6. fordert, dass Bildungs- und Kulturprogramme entwickelt werden, mit denen die Menschen über die Ursachen solcher Gräueltaten aufgeklärt und dafür sensibilisiert werden, wie wichtig es ist, Frieden, Menschenrechte und Toleranz gegenüber anderen Religionen zu fördern; bekundet seine Unterstützung für zivilgesellschaftliche Organisationen wie den Verein der Mütter der Enklaven Srebrenica und Žepa, die maßgeblich zur Sensibilisierung und einer breiteren Grundlage für die Aussöhnung aller Bürger des Landes beitragen;
7. bedauert, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, der die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit trägt, keine Resolution zum Gedenken an den Völkermord in Srebrenica verabschiedet hat; das ist besonders bedauerlich, da der Internationale Gerichtshof, das wichtigste Rechtsorgan der Vereinten Nationen, die Straftaten in Srebrenica als Völkermord eingestuft hat;
8. begrüßt die einstimmige Entscheidung des Ministerrats von Bosnien und Herzegowina, den 11. Juli als Trauertag in Bosnien und Herzegowina auszurufen;
9. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Regierungen der Mitgliedstaaten, der Regierung und dem Parlament von Bosnien und Herzegowina und seinen Entitäten sowie den Regierungen und Parlamenten der Westbalkanländer zu übermitteln.