Entschließung des Europäischen Parlaments vom 1. Dezember 2016 zur Lage in der Demokratischen Republik Kongo (2016/3001(RSP))
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zur Demokratischen Republik Kongo (DRK), insbesondere die Entschließungen vom 10. März 2016(1) und vom 23. Juni 2016(2),
– unter Hinweis auf die Erklärungen der EU-Delegation in der Demokratischen Republik Kongo zur Menschenrechtslage in diesem Land, insbesondere die Erklärungen vom 23. November 2016 und vom 24. August 2016,
– unter Hinweis auf die Entschließung der Paritätischen Parlamentarischen Versammlung AKP-EU vom 15. Juni 2016 zu der Lage vor den Wahlen und der Sicherheitslage in der Demokratischen Republik Kongo,
– unter Hinweis auf die Erklärungen, die die EU im Anschluss an die Aufnahme des Dialogs auf nationaler Ebene in der DRK vor Ort am 25. Juni 2016 zur Menschenrechtslage in der DRK und am 2. und 24. August 2016 zum Wahlverfahren in der DRK abgegeben hat,
– unter Hinweis auf den am 27. Juli 2015 veröffentlichten Jahresbericht des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte über die Menschenrechtslage und die Tätigkeiten des Gemeinsamen Menschenrechtsbüros der Vereinten Nationen in der Demokratischen Republik Kongo,
– unter Hinweis auf die gemeinsamen Pressemitteilungen der Afrikanischen Union, der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und der Internationalen Organisation der Frankophonie vom 16. Februar 2016 und vom 5. Juni 2016 zur Notwendigkeit eines inklusiven politischen Dialogs in der DRK sowie unter Hinweis auf die Zusage dieser Organisationen, die Akteure in der DRK im Hinblick auf deren Bemühungen, die Demokratie in dem Land zu konsolidieren, zu unterstützen,
– unter Hinweis auf die Erklärung des Sprechers der Vizepräsidentin der Kommission und Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik (HR/VP) vom 15. August 2016 zur Gewalt in der DRK,
– unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates der Europäischen Union vom 23. Mai 2016 und vom 17. Oktober 2016 zur Demokratischen Republik Kongo,
– unter Hinweis auf die Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zur DRK, insbesondere Resolution 2293 (2016) zur Verlängerung der gegen die DRK verhängten Sanktionen und des Mandats der Sachverständigengruppe sowie Resolution 2277 (2016) zur Verlängerung des Mandats der Mission der Vereinten Nationen für die Stabilisierung in der DRK (MONUSCO),
– unter Hinweis auf die Presseerklärungen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 15. Juli 2016 und vom 21. September 2016 zur Lage in der DRK,
– unter Hinweis auf die Erklärung der Ko-Vorsitzenden der Paritätischen Parlamentarischen Versammlung AKP-EU vom 20. September 2016, in der zu Besonnenheit aufgerufen wird, damit die Krise auf dem Weg des Dialogs und unter Achtung der Verfassung beigelegt werden kann,
– unter Hinweis auf das am 23. Juni 2000 unterzeichnete und am 25. Juni 2005 und am 22. Juni 2010 geänderte Partnerschaftsabkommen von Cotonou,
– unter Hinweis auf die Afrikanische Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker vom Juni 1981,
– unter Hinweis auf die Afrikanische Charta für Demokratie, Wahlen und Regierungsführung,
– unter Hinweis auf die Verfassung der Demokratischen Republik Kongo, die am 18. Februar 2006 verabschiedet wurde,
– gestützt auf Artikel 123 Absätze 2 und 4 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass Joseph Kabila seit 2001 Präsident der Demokratischen Republik Kongo ist; in der Erwägung, dass Präsident Kabilas Amtszeit am 20. Dezember 2016 endet, dass die Präsidentschaft der DRK gemäß der Verfassung des Landes auf zwei Amtszeiten begrenzt ist und dass die nächsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen ursprünglich für Ende 2016 anberaumt wurden;
B. in der Erwägung, dass Präsident Kabila in den letzten beiden Jahren administrative und technische Mittel in der Absicht eingesetzt hat, die Wahlen hinauszuzögern und über seine verfassungsrechtliche Amtszeit hinaus an der Macht zu bleiben;
C. in der Erwägung, dass ein erster Versuch, die Verfassung der DRK zu ändern, damit Präsident Kabila für eine dritte Amtszeit kandidieren kann, 2015 aufgrund des starken Widerstands und der Mobilisierung der Zivilgesellschaft abgebrochen wurde; in der Erwägung, dass derartige Versuche zu zunehmenden politischen Spannungen sowie zu Unruhen und Gewalt im ganzen Land geführt haben, das im Hinblick auf die Wahlen nun in einer Sackgasse zu stecken scheint;
D. in der Erwägung, dass Präsident Kabila im November 2015 ankündigte, es werde ein nationaler Dialog eingeleitet; in der Erwägung, dass die Afrikanische Union daraufhin den ehemaligen Premierminister von Togo, Edem Kodjo, als Mittler im nationalen politischen Dialog ernannte; in der Erwägung, dass sich zwei wichtige Oppositionsgruppen weigerten, an einem Dialog teilzunehmen, den sie als nicht inklusiv und undemokratisch sowie als Verzögerungstaktik erachten;
E. in der Erwägung, dass die Afrikanische Union, die Vereinten Nationen, die Europäische Union und die Internationale Organisation der Frankophonie gemeinsam betont haben, dass unbedingt ein Dialog geführt und eine Einigung zwischen den politischen Akteuren erzielt werden muss, die der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit Rechnung trägt, und in der Erwägung, dass sie alle politischen Akteure der Demokratischen Republik Kongo aufgefordert haben, vollumfänglich mit Edem Kodjo zusammenzuarbeiten;
F. in der Erwägung, dass Präsident Kabila und ein Teil der Opposition am 18. Oktober 2016 eine Vereinbarung unterzeichnet haben, in deren Rahmen die Präsidentschaftswahl auf April 2018 verschoben werden soll; in der Erwägung, dass Präsident Kabila, dem es demnach gestattet wurde, nach 2016 weiter an der Macht zu bleiben, gemäß den Bestimmungen dieser Vereinbarung den Oppositionellen Samy Badibanga zum neuen Übergangsministerpräsidenten ernannt hat, der mit der Bildung einer neuen Regierung betraut wurde;
G. in der Erwägung, dass Bedienstete der Sicherheits- und Nachrichtendienste der DRK seit Januar 2015 rigoros gegen friedliche Aktivisten und andere Mitglieder der Opposition und der Zivilgesellschaft vorgehen, die sich den Versuchen entgegenstellen, es Präsident Kabila zu ermöglichen, über sein auf zwei Amtszeiten begrenztes Mandat hinaus an der Macht zu bleiben;
H. in der Erwägung, dass Menschenrechtsorganisationen immer wieder berichtet haben, dass sich die Lage der Menschenrechte, des Rechts auf freie Meinungsäußerung und der Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit im Land im Vorfeld der Wahlen verschlechtert haben und dabei außerdem unverhältnismäßige Gewalt gegen friedliche Demonstranten, Journalisten, führende Politiker und weitere Personen eingesetzt wird;
I. in der Erwägung, dass sich das stetig zunehmende Ausmaß an Gewalt sowie die Verletzungen der Menschenrechte und des Völkerrechts und die Verstöße dagegen, insbesondere gezielte Maßnahmen und willkürliche Festnahmen, negativ auf alle Bemühungen auswirken, die Lage in der DRK unter Kontrolle zu bringen und zu stabilisieren;
J. in der Erwägung, dass bei den Demonstrationen in Kinshasa am 19. und 20. September 2016 Berichten zufolge mehr als 50 Menschen getötet wurden und viele weitere verschwanden; in der Erwägung, dass Mitglieder der Bewegungen LUCHA und Filimbi nach wie vor unrechtmäßig inhaftiert sind; in der Erwägung, dass Medien wie Radio France Internationale (RFI) und Radio Okapi geschlossen oder gestört wurden; in der Erwägung, dass einem Bericht des Gemeinsamen Menschenrechtsbüros der Vereinten Nationen zufolge im Zuge der vom 19. bis 21. September 2016 durchgeführten Demonstrationen 422 Menschenrechtsverletzungen durch Polizei- und Sicherheitskräfte gemeldet wurden;
K. in der Erwägung, dass der Auffassung von humanitären Organisation zufolge die politische Instabilität das Land ins Chaos stürzt und zur Folge hat, dass die Bevölkerung, die durch die verschiedenen früheren und derzeitigen Krisen ohnehin geschwächt ist, in extreme Armut und eine noch unsicherere Lage gerät, wobei derzeit mehr als 5 Millionen Menschen Nahrungsmittelhilfe benötigen;
L. in der Erwägung, dass die Europäische Union betont hat, dass ein Beschluss, die Wahlen zu verschieben, vor dem Ende der Amtszeit von Präsident Kabila im Dezember 2016 im Rahmen eines alle einbeziehenden, unparteiischen und transparenten politischen Dialogs zwischen den Akteuren der Demokratischen Republik Kongo gefasst werden muss;
M. in der Erwägung, dass im Rahmen des Nationalen Richtprogramms für die DRK für den Zeitraum 2014–2020, das 620 Mio. EUR an Finanzmitteln aus dem 11. Europäischen Entwicklungsfonds erhält, ein Schwerpunkt auf der Stärkung der Staatsführung und der Rechtsstaatlichkeit liegt, wozu auch Reformen in den Bereichen Justiz, Polizei und Armee gehören;
1. bedauert, dass bei den Demonstrationen der letzten Wochen Menschen ums Leben gekommen sind, und spricht den Familien der Opfer und der Bevölkerung der DRK seine tief empfundene Anteilnahme aus;
2. ist zutiefst besorgt angesichts der zunehmend instabilen Lage in der DRK, zumal die Situation vor den Wahlen angespannt ist; weist die staatlichen Stellen der DRK und insbesondere ihren Präsidenten darauf hin, dass sie dafür verantwortlich sind, die Bürger im gesamten nationalen Hoheitsgebiet zu schützen, vor allem vor Misshandlung und Verbrechen, und die Aufgabe der Staatführung unter strengster Achtung der Rechtsstaatlichkeit auszuüben;
3. bedauert, dass es die Regierung und die CENI (Unabhängige Nationale Wahlkommission) versäumt haben, innerhalb der in der Verfassung festgelegten Frist Präsidentschaftswahlen abzuhalten; fordert erneut eine erfolgreiche und fristgerechte Durchführung von Wahlen in uneingeschränktem Einklang mit der Verfassung der DRK und der Afrikanischen Charta für Demokratie, Wahlen und Regierungsführung und besteht darauf, dass es der Regierung der DRK obliegt, ein Umfeld zu gewährleisten, das förderlich für eine möglichst zeitnahe Durchführung transparenter, glaubwürdiger und inklusiver Wahlen ist;
4. weist nachdrücklich darauf hin, dass die DRK im Rahmen des Cotonou-Abkommens zugesagt hat, die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechtsgrundsätze zu achten, zu denen das Recht auf freie Meinungsäußerung, Medienfreiheit, verantwortungsvolle Staatsführung und Transparenz in politischen Ämtern zählen; weist darauf hin, dass der Dialog mit den staatlichen Stellen der DRK gemäß Artikel 8 des Cotonou-Abkommens, mit dem der Wahlprozess endgültig geklärt werden sollte, erfolglos verläuft;
5. fordert die EU nachdrücklich auf, konkretere Maßnahmen zu ergreifen, um das Verfahren gemäß Artikel 96 des Cotonou-Abkommens unverzüglich einzuleiten und gezielte Sanktionen (z. B. Visumsperren und das Einfrieren von Vermögenswerten) gegen die hochrangigen Beamten und Angehörigen der Streitkräfte – wie insbesondere Kalev Mutond, Generalmajor John Numbi, General Ilunga Kampete, Generalmajor Gabriel Amisi Kumba und General Célestin Kanyama – zu verhängen, die für die gewaltsame Niederschlagung der Demonstrationen und den politischen Stillstand verantwortlich sind, durch den ein friedlicher und verfassungsmäßiger Machtwechsel verhindert wird;
6. fordert alle politischen Akteure auf, sich an einem friedlichen und konstruktiven Dialog zu beteiligen, um eine Ausweitung der derzeitigen politischen Krise zu verhindern, und von weiteren Gewaltakten und Provokationen abzusehen; begrüßt die von der CENCO (Nationale Bischofskonferenz der DRK) unternommenen Anstrengungen, um einen breiteren Konsens über einen politischen Übergang zu erreichen; fordert sowohl die Regierung als auch die Opposition auf, von jeglichen Handlungen oder Erklärungen abzusehen, die zu einer weiteren Ausbreitung der Unruhen führen könnten; stellt gleichzeitig fest, dass eine Übergangsphase erforderlich ist, in der die Präsidentschaft nur unter der Aufsicht eines Übergangsrates ausgeübt werden darf, in dem der Opposition eine entscheidende Rolle zukommt;
7. ist zutiefst besorgt über die sich verschlechternde Menschenrechtslage und die zunehmende Einschränkung des politischen Handlungsraums in der DRK und insbesondere über die Instrumentalisierung der Justiz sowie über die Gewalt und die Einschüchterungen, denen sich Menschenrechtsverteidiger, politische Gegner und Journalisten gegenübersehen; fordert die unverzügliche und bedingungslose Freilassung aller politischen Gefangenen; fordert die staatlichen Stellen auf, unverzüglich alle den Medien auferlegten Restriktionen aufzuheben;
8. ist weiterhin zutiefst besorgt darüber, welche Rolle die CENI, von der die Legitimität des Wahlprozesses in hohem Maße abhängen wird, tatsächlich spielt; weist erneut darauf hin, dass die Wahlkommission ein unparteiisches und alle einbeziehendes Gremium sein sollte, das mit ausreichend Mitteln ausgestattet ist, um einen umfassenden und transparenten Prozess zu ermöglichen;
9. fordert eine vollumfängliche, gründliche und transparente Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen, die sich während der Proteste ereignet haben sollen, um die Verantwortlichen zu ermitteln und zur Rechenschaft zu ziehen;
10. fordert die EU-Delegation auf, die Entwicklungen in der DRK weiter genau zu beobachten und alle geeigneten Mittel und Instrumente zu nutzen, um Menschenrechtsverteidiger und prodemokratische Bewegungen zu unterstützen; fordert die VP/HR auf, in Erwägung zu ziehen, die Vermittlungskapazitäten der EU-Delegation im Rahmen ihrer Zusammenarbeit mit der Afrikanischen Union zu erhöhen, um einen Dialog zu fördern, in den alle Seiten stärker einbezogen werden, und um die Verschärfung der politischen Krise sowie eine weitere Ausbreitung der Gewalt zu verhindern;
11. fordert, dass die Afrikanische Union umfassender in die Sicherstellung der uneingeschränkten Achtung der Verfassung der DRK einbezogen wird; fordert einen dauerhaften Dialog zwischen den Ländern der Region der Großen Seen, um eine weitere Destabilisierung zu verhindern; begrüßt in diesem Zusammenhang die Abhaltung der internationalen Konferenz über die Region der Großen Seen zur Bewertung der Lage in der DRK, die im Oktober 2016 in Luanda stattfand;
12. erinnert daran, dass Frieden und Sicherheit eine Bedingung für erfolgreiche Wahlen und ein stabiles politisches Umfeld sind; begrüßt in diesem Zusammenhang die Verlängerung des Mandats der MONUSCO und die Stärkung ihrer Befugnisse zum Schutz der Zivilbevölkerung und zur Wahrung der Menschenrechte im Zusammenhang mit den Wahlen;
13. bringt erneut seine starke Besorgnis angesichts der alarmierenden humanitären Lage in der DRK zum Ausdruck; fordert die EU und die Mitgliedstaaten auf, ihre Hilfe für die Bevölkerung der DRK aufrechtzuerhalten, um die Lebensbedingungen der schutzbedürftigsten Bevölkerungsgruppen zu verbessern und die Folgen von Vertreibung, Ernährungsunsicherheit und Naturkatastrophen zu bewältigen;
14. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der Vizepräsidentin der Kommission und Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, der Regierung und dem Parlament der Demokratischen Republik Kongo, der Afrikanischen Union, dem AKP-EU-Ministerrat, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen und dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zu übermitteln.