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Angenommene Texte
Donnerstag, 9. Juni 2016 - Straßburg
Keine Einwände gegen einen delegierten Rechtsakt: Technische Regulierungsstandards für angemessene Regelungen, Systeme und Verfahren für offenlegende Marktteilnehmer bei der Durchführung von Marktsondierungen
 Kambodscha
 Tadschikistan – Lage der politischen Gefangenen
 Vietnam
 Förderung der Freizügigkeit durch die vereinfachte Anerkennung bestimmter öffentlicher Urkunden ***II
 Übertragung der Zuständigkeit für die Entscheidung im ersten Rechtszug über Streitsachen des öffentlichen Dienstes der EU auf das Gericht der Europäischen Union ***I
 Regeln für eine offene, effiziente und unabhängige Verwaltung der Europäischen Union
 Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Bahnindustrie

Keine Einwände gegen einen delegierten Rechtsakt: Technische Regulierungsstandards für angemessene Regelungen, Systeme und Verfahren für offenlegende Marktteilnehmer bei der Durchführung von Marktsondierungen
PDF 258kWORD 66k
Beschluss des Europäischen Parlaments, keine Einwände gegen die delegierte Verordnung der Kommission vom 17. Mai 2016 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards für angemessene Regelungen, Systeme und Verfahren für offenlegende Marktteilnehmer bei der Durchführung von Marktsondierungen zu erheben (C(2016)02859 – 2016/2735(DEA))
P8_TA(2016)0273B8-0691/2016

Das Europäische Parlament,

–  unter Hinweis auf die delegierte Verordnung der Kommission (C(2016)02859),

–  unter Hinweis auf das Schreiben der Kommission vom 18. Mai 2016, in dem sie das Europäische Parlament ersucht, zu erklären, dass es keine Einwände gegen die delegierte Verordnung erheben wird,

–  unter Hinweis auf das Schreiben des Ausschusses für Wirtschaft und Währung vom 31. Mai 2016 an den Vorsitzenden der Konferenz der Ausschussvorsitze,

–  gestützt auf Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

–  gestützt auf die Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission(1), insbesondere auf Artikel 11 Absatz 9 Unterabsatz 3,

–  unter Hinweis auf die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Währung,

–  gestützt auf Artikel 105 Absatz 6 seiner Geschäftsordnung,

–  unter Hinweis darauf, dass innerhalb der in Artikel 105 Absatz 6 dritter und vierter Spiegelstrich seiner Geschäftsordnung vorgesehenen Frist, die am 8. Juni 2016 auslief, keinerlei Einwände erhoben wurden,

A.  in der Erwägung, dass laut Artikel 39 Absatz 2 der Marktmissbrauchsverordnung mehrere ihrer Bestimmungen, darunter auch Artikel 11 Absätze 1 bis 8, ab dem 3. Juli 2016 gelten und übereinstimmend damit laut Artikel 7 Absatz 1 der delegierten Verordnung auch selbige ab diesem Datum gilt;

B.  in der Erwägung, dass der ESMA gemäß Artikel 11 Absatz 9 der Marktmissbrauchsverordnung die Befugnis übertragen wird, Entwürfe technischer Regulierungsstandards auszuarbeiten, um angemessene Regelungen, Verfahren und Aufzeichnungsanforderungen festzulegen, mittels derer Personen die Anforderungen der Absätze 4, 5, 6 und 8 dieses Artikels einhalten können; in der Erwägung, dass der Kommission gemäß Artikel 11 Absatz 9 der Marktmissbrauchsverordnung die Befugnis übertragen wird, diese technischen Regulierungsstandards nach Artikel 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates(2) („ESMA-Verordnung“) zu erlassen;

C.  in der Erwägung, dass die Kommission in Ausübung der ihr übertragenen Befugnis am 17. Mai 2016 die delegierte Verordnung erlassen hat; in der Erwägung, dass die delegierte Verordnung wichtige Details zu den Verfahren enthält, die die Marktteilnehmer bei der Durchführung von Marktsondierungen einhalten müssen;

D.  in der Erwägung, dass diese delegierte Verordnung nur dann bei Ablauf des Zeitraums für die Prüfung durch das Parlament und den Rat in Kraft treten kann, wenn weder das Parlament noch der Rat Einwände erhoben haben oder wenn vor Ablauf dieser Frist das Parlament und der Rat beide der Kommission mitgeteilt haben, dass sie keine Einwände erheben werden;

E.  in der Erwägung, dass der Zeitraum für die Prüfung gemäß Artikel 13 Absatz 1 der ESMA-Verordnung drei Monate nach dem Datum der Übermittlung des technischen Regulierungsstandards beträgt, es sei denn, der von der Kommission erlassene technische Regulierungsstandard ist mit dem von der ESMA angenommenen Entwurf eines technischen Regulierungsstandards identisch – in diesem Fall beträgt der Zeitraum für die Prüfung einen Monat;

F.  in der Erwägung, dass in dem von der ESMA angenommenen Entwurf eines technischen Regulierungsstandards einige Änderungen vorgenommen wurden, beispielsweise die Einfügung von zwei neuen Erwägungsgründen sowie eine Reihe von Änderungen an Artikel 3 und Artikel 6 Absatz 3 und an der Bestimmung über das Inkrafttreten und die Geltung; in der Erwägung, dass nach Maßgabe des Artikels 13 Absatz 1 Unterabsatz 2 der ESMA-Verordnung die delegierte Verordnung nach diesen Änderungen nicht mehr als identisch mit dem von der ESMA angenommenen Entwurf eines technischen Regulierungsstandards angesehen werden kann; in der Erwägung, dass deshalb gemäß Artikel 13 Absatz 1 Unterabsatz 1 der ESMA-Verordnung eine Frist von drei Monaten für die Erhebung von Einwänden gilt und der entsprechende Zeitraum folglich am 17. August 2016 abläuft;

G.  in der Erwägung, dass es im Interesse einer reibungslosen und fristgerechten Umsetzung der Marktmissbrauchsregelung zum 3. Juli 2016 erforderlich ist, dass die Marktteilnehmer und die zuständigen Behörden die notwendigen Vereinbarungen treffen und so rasch wie möglich, in jedem Fall aber bis zum 3. Juli 2016, geeignete Verfahren einführen und dass dies im Einklang mit der delegierten Verordnung geschehen sollte;

H.  in der Erwägung, dass die delegierte Verordnung deshalb spätestens am 3. Juli 2016 in Kraft treten sollte, bevor der Zeitraum für die Prüfung am 17. August 2016 abläuft;

I.  in der Erwägung, dass die Bestimmungen der delegierten Verordnung der Sache nach mit den Zielen des Parlaments übereinstimmen, die es in der Marktmissbrauchsverordnung und während des anschließenden informellen Dialogs im Rahmen der vorbereitenden Arbeiten für den Erlass der delegierten Verordnung geäußert hat, insbesondere mit der Absicht des Parlaments, dass den zuständigen Behörden vollständige Aufzeichnungen über alle im Zuge einer Marktsondierung offengelegten Informationen übermittelt werden;

1.  erklärt, keine Einwände gegen die delegierte Verordnung zu erheben;

2.  beauftragt seinen Präsidenten, diesen Beschluss dem Rat und der Kommission zu übermitteln.

(1) ABl. L 173 vom 12.6.2014, S. 1.
(2) Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/77/EG der Kommission (ABl. L 331 vom 15.12.2010, S. 84).


Kambodscha
PDF 180kWORD 77k
Entschließung des Europäischen Parlaments vom 9. Juni 2016 zu Kambodscha (2016/2753(RSP))
P8_TA(2016)0274RC-B8-0753/2016

Das Europäische Parlament,

–  unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu Kambodscha, insbesondere auf seine Entschließungen vom 26. November 2015 zu der politischen Lage in Kambodscha(1), vom 9. Juli 2015 zu den Gesetzesentwürfen Kambodschas über nichtstaatliche Organisationen und Gewerkschaften(2) und vom 16. Januar 2014 zu der Lage von Menschenrechtsverteidigern und Oppositionellen in Kambodscha und Laos(3),

–  unter Hinweis auf die vor Ort abgegebene Erklärung der EU vom 30. Mai 2016 zu der politischen Lage in Kambodscha,

–  unter Hinweis auf den Bericht des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen zu der Lage der Menschenrechte in Kambodscha vom 20. August 2015,

–  unter Hinweis auf die Resolution des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen vom 2. Oktober 2015 zu Kambodscha,

–  unter Hinweis auf die abschließenden Feststellungen der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen vom 27. April 2015 zum zweiten periodischen Bericht Kambodschas,

–  unter Hinweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948,

–  unter Hinweis auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966,

–  unter Hinweis auf die EU-Leitlinien von 2008 zu Menschenrechtsverteidigern,

–  unter Hinweis auf das Kooperationsabkommen von 1997 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Kambodscha,

–  unter Hinweis auf die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 8. März 1999 angenommene Resolution über das Recht und die Verpflichtung von Einzelpersonen, Gruppen und Organen der Gesellschaft, die allgemein anerkannten Menschenrechte und Grundfreiheiten zu fördern und zu schützen,

–  unter Hinweis auf die Erklärung des UN-Sonderberichterstatters vom 1. April 2016, in der er Kambodscha nachdrücklich auffordert, die Rechte von Frauen und indigenen Völkern zu stärken,

–  unter Hinweis auf die gemeinsame Erklärung zivilgesellschaftlicher Organisationen vom 2. Mai 2016, in der sie die Anklagen gegen Menschenrechtsverteidiger verurteilen,

–  unter Hinweis auf das Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechts,

–  unter Hinweis auf die Verfassung Kambodschas, insbesondere auf Artikel 41, in dem die Rechte auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit verankert sind, Artikel 35, der das Recht auf politische Teilhabe vorsieht und Artikel 80, in dem die parlamentarische Immunität geregelt ist,

–  gestützt auf Artikel 135 Absatz 5 und Artikel 123 Absatz 4 seiner Geschäftsordnung,

A.  in der Erwägung, dass in den vergangenen Monaten die Zahl der Verhaftungen von Mitgliedern der politischen Opposition, Menschenrechtsaktivisten und Vertretern der Zivilgesellschaft kontinuierlich zugenommen hat;

B.  in der Erwägung, dass Ministerpräsident Hun Sen seit mehr als 30 Jahren an der Macht ist; in der Erwägung, dass der Vorsitzende der führenden Oppositionspartei CNRP, Sam Rainsy, weiterhin im selbst gewählten Exil verweilt, in das er durch frühere Strafverfolgungsmaßnahmen aufgrund frei erfundener politisch motivierter Anklagen getrieben wurde, und dass gegen den amtierenden CNRP-Vorsitzenden, Kem Sokha, ermittelt wird; in der Erwägung, dass am 22. April 2016 ein Staatsanwalt in Phnom Penh bekannt gegeben hat, dass gegen den CNRP-Vorsitzenden Sam Rainsy aufgrund weiterer politisch motivierter Anklagen am 28. Juli 2016 ein Verfahren in Abwesenheit eingeleitet werde;

C.  in der Erwägung, dass Sam Rainsy am 20. November 2015 von einem Gericht vorgeladen und dazu vernommen wurde, dass auf seiner öffentlichen Facebook-Seite ein Beitrag des oppositionellen Senators Hong Sok Hour veröffentlicht wurde, der seit August 2015 wegen Fälschung und Anstiftung zu einer Straftat in Haft ist, nachdem er auf Sam Rainsys Facebook-Seite ein Video veröffentlicht hatte, in dem ein mutmaßlich gefälschtes Dokument im Zusammenhang mit dem Grenzvertrag von 1979 mit Vietnam gezeigt wird;

D.  in der Erwägung, dass das städtische Gericht in Phnom Penh am 3. Mai 2016 Kem Sokha aufgrund einer Anklage wegen Verleumdung sowie die Parlamentsmitglieder Pin Ratana und Tok Vanchan vorgeladen hat, obwohl sie Immunität genießen;

E.  in der Erwägung, dass am 12. Mai 2016 auch der bekannte Politologe Ou Virak aufgrund einer Anklage wegen Verleumdung vorgeladen worden ist, nachdem er zum Fall Kem Sokha Stellung bezog;

F.  in der Erwägung, dass am 2. Mai 2016 politisch motivierte Anklagen gegen die drei führenden Menschenrechtsanwälte der Kambodschanischen Menschenrechts- und Entwicklungsvereinigung (ADHOC) Ny Sokha, Nay Vanda und Yi Soksan, den ehemaligen ADHOC-Mitarbeiter Ny Chakrya, der Generalsekretär des nationalen Wahlausschusses des Landes ist, und den Mitarbeiter des Amtes des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (UN-OHCHR) Soen Sally erhoben worden sind; in der Erwägung, dass sie Haftstrafen von bis zu zehn Jahren erhalten könnten;

G.  in der Erwägung, dass dem Oppositionsmitglied der Nationalversammlung Um Sam An die parlamentarische Immunität entzogen und er am 11. April 2016 im Zusammenhang mit seinen pazifistischen Ansichten bezüglich der Beziehungen zwischen Kambodscha und Vietnam aufgrund der frei erfundenen Anschuldigung, er habe dazu angestiftet, Chaos in der Gesellschaft herbeizuführen, verhaftet worden ist; in der Erwägung, dass er daraufhin von der für Terrorismusbekämpfung zuständigen Polizeibehörde festgehalten und anschließend angeklagt und aufgrund der genannten Vorwürfe in Haft genommen worden ist;

H.  in der Erwägung, dass am 26. April 2016 das Gericht in Phnom Penh gegen den ehemaligen Gewerkschaftsführer und jetzigen Angehörigen des nationalen Wahlausschusses Rong Chhun Anklage erhoben hat; in der Erwägung dass die Anklage auf der frei erfundenen politisch motivierten Anschuldigung beruht, er habe als Reaktion auf die Niederschlagung der Streiks von Arbeitskräften Ende Dezember 2013 und Anfang Januar 2014 durch Sicherheitskräfte der Regierung zur Gewalt angestachelt; in der Erwägung, dass zwei wichtige Wahlen bevorstehen (Kommunalwahlen 2017 und Parlamentswahlen 2018); in der Erwägung, dass das Ausüben von Druck auf den nationalen Wahlausschuss ein Mittel der Regierung ist, um die Wahlen zu beeinflussen;

I.  in der Erwägung, dass am 9. Mai 2016 acht Personen, die friedlich gegen die Verhaftungen der ADHOC-Mitarbeiter protestierten, darunter der Leiter der nichtstaatlichen Organisation Sahmakun Teang Tnaut, Ee Sarom, der stellvertretende Leiter der nichtstaatlichen Organisation LICADHO, Thav Khimsan, sowie ein schwedischer und ein deutscher Berater von LICADHO, festgenommen und kurze Zeit später wieder freigelassen worden sind; in der Erwägung, dass das Gleiche am 16. Mai 2016 fünf weiteren friedfertigen Demonstranten widerfahren ist;

J.  in der Erwägung, dass die EU der wichtigste Partner Kambodschas im Bereich Entwicklungshilfe ist und dass für den Zeitraum 2014–2020 weitere 410 Mio. EUR bewilligt wurden; in der Erwägung, dass die EU viele Menschenrechtsinitiativen unterstützt, die von kambodschanischen nichtstaatlichen Organisationen und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen durchgeführt werden; in der Erwägung, dass Kambodscha in hohem Maße von Entwicklungshilfe abhängig ist;

K.  in der Erwägung, dass am 26. Oktober 2015 in Phnom Penh eine Gruppe regierungsnaher Demonstranten zwei Oppositionsabgeordnete der CNRP (Nhay Chamrouen und Kong Sakphea) brutal überfiel und außerdem die Sicherheit der Privatresidenz des Ersten Vizepräsidenten der Nationalversammlung gefährdete; in der Erwägung, dass Berichten zufolge die Polizei und andere Sicherheitskräfte des Staates den Vorfällen untätig zusahen; in der Erwägung, dass es im Zusammenhang mit diesen Übergriffen Verhaftungen gab, nichtstaatliche Menschenrechtsorganisationen in Kambodscha jedoch die Befürchtung äußerten, dass sich die tatsächlichen Angreifer noch immer auf freiem Fuß befänden;

L.  in der Erwägung, dass trotz breit gefächerter Kritik der Zivilgesellschaft und der internationalen Gemeinschaft das Gesetz über Vereinigungen und nichtstaatliche Organisationen in Kraft getreten ist, auf dessen Grundlage die Staatsorgane befugt sind, nach eigenem Ermessen Menschenrechtsorganisationen zu schließen und deren Gründung zu verhindern, und dass dieses Gesetz bereits insofern abschreckende Wirkung gezeitigt hat, als Menschenrechtsverfechter in Kambodscha nicht tätig werden und die Tätigkeit der Zivilgesellschaft behindert wird;

M.  in der Erwägung, dass die staatlichen Behörden seit der Verabschiedung des Gesetzes über Vereinigungen und nichtstaatliche Organisationen im Jahr 2015 für Großveranstaltungen im karitativen Bereich unter der Ägide nichtstaatlicher Organisationen keine Genehmigung mehr erteilt haben, und in der Erwägung, dass in den letzten Monaten Veranstaltungen, die in Verbindung mit dem Internationalen Tag des Wohnens, dem Internationalen Tag der Menschenrechte, dem Internationalen Tag der Frau und dem Internationalen Tag der Arbeit abgehalten wurden, sowie anderweitige Demonstrationen allesamt von Polizeikräften in unterschiedlichem Ausmaß gestört worden sind;

N.  in der Erwägung, dass der Senat Kambodschas am 12. April 2016 das Gesetz über Gewerkschaften verabschiedet hat, durch das die Vereinigungsfreiheit der Arbeitnehmer mit neuen Einschränkungen belegt wurde und Regierungsbehörden willkürlich mit neuen Vollmachten ausgestattet wurden, um die Gewerkschaften davon abzuhalten, dieses Recht wahrzunehmen;

1.  erklärt sich zutiefst besorgt über die Verschlechterung des politischen Klimas für Oppositionspolitiker und Menschenrechtsaktivisten in Kambodscha und verurteilt sämtliche gegen diese Personen gerichteten Gewalttaten, politisch motivierten Anklageerhebungen, willkürlichen Verhaftungen, Vernehmungen, Gerichtsentscheidungen und Urteile;

2.  bedauert, dass sich politisch motivierte Anschuldigungen und die gerichtliche Verfolgung von Menschenrechtsverteidigern und -aktivisten häufen, insbesondere was die politisch motivierten Anschuldigungen, Gerichtsentscheidungen und Urteile gegen die rechtmäßige Arbeit von Aktivisten, politischen Kritikern und Menschenrechtsverteidigern in Kambodscha betrifft;

3.  fordert die Staatsorgane Kambodschas mit Nachdruck auf, den Haftbefehl gegen Sam Rainsy sowie Mitglieder der Nationalversammlung und des Senats, die der CNRP angehören, aufzuheben und sämtliche Anklagepunkte gegen sie fallenzulassen, auch gegen Senator Hong Sok Hour; fordert, dass die fünf Menschenrechtsverteidiger, die sich weiterhin in Sicherungsverwahrung befinden, namentlich Ny Sokha, Nay Vanda, Yi Soksan, Lim Mony und Ny Chakra, unverzüglich freigelassen werden, dass es diesen Politikern, Aktivisten und Menschenrechtsverteidigern ermöglicht wird, ungehindert und ohne Angst vor Verhaftung oder strafrechtlicher Verfolgung zu arbeiten, und dass die Gerichte nicht länger aus politischen Beweggründen befasst werden, um andere Personen mit politisch begründeten und frei erfundenen Anschuldigungen strafrechtlich zu verfolgen; fordert die Nationalversammlung auf, Sam Rainsy, Um Sam An und Hong Sok Hour unverzüglich ihr Abgeordnetenmandat zurückzugeben und ihre parlamentarische Immunität wiederherzustellen;

4.  fordert die Staatsorgane Kambodschas nachdrücklich auf, sämtliche politisch begründeten Anklagen und sonstigen Strafverfahren gegen Mitglieder von ADHOC und gegen weitere kambodschanische Menschenrechtsverteidiger fallenzulassen, sämtliche Drohungen, die repressiven Bestimmungen des Gesetzes über Vereinigungen und nichtstaatliche Organisationen anzuwenden, sowie alle weiteren Versuche der Einschüchterung und Schikanierung von Menschenrechtsverteidigern sowie von nationalen und internationalen Organisationen einzustellen und alle Personen unverzüglich und bedingungslos freizulassen, die im Zuge politisch motivierter und frei erfundener Anschuldigungen inhaftiert wurden;

5.  fordert die Regierung Kambodschas nachdrücklich auf, den rechtmäßigen und sinnvollen Beitrag der Zivilgesellschaft, der Gewerkschaften und der politischen Opposition zur allgemeinen wirtschaftlichen und politischen Entwicklung Kambodschas zu würdigen;

6.  legt der Regierung nahe, auf eine Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit hinzuwirken und die Menschenrechte und Grundfreiheiten zu achten, also auch die verfassungsrechtlichen Bestimmungen über Pluralismus, Vereinigungsfreiheit und Meinungsfreiheit uneingeschränkt zu befolgen;

7.  weist erneut darauf hin, dass es für die politische Stabilität, die Demokratie und eine friedliche Gesellschaft von entscheidender Bedeutung ist, dass der demokratische Dialog in einem gefahrlosen Umfeld geführt werden kann, und fordert die Regierung eindringlich auf, alle Maßnahmen zu ergreifen, die notwendig sind, um für die Sicherheit aller demokratisch gewählten Vertreter Kambodschas unabhängig von ihrer politischen Zugehörigkeit zu sorgen;

8.  begrüßt die Reform des nationalen Wahlausschusses im Wege einer Verfassungsänderung im Anschluss an die zwischen der Kambodschanischen Volkspartei CPP und der CNRP erzielte Übereinkunft vom Juli 2014 über Wahlreformen; betont, dass sich der nationale Wahlausschuss nunmehr aus vier Vertretern der CPP, vier Vertretern der CNRP und einem Vertreter der Zivilgesellschaft zusammensetzt;

9.  fordert die Regierung auf, für umfassende und unparteiische Ermittlungen zu sorgen, die unter Beteiligung der Vereinten Nationen geführt werden und in der strafrechtlichen Verfolgung all derjenigen münden, die für den unlängst von Angehörigen der Streitkräfte verübten brutalen Überfall auf zwei der CNRP angehörenden Mitglieder der Nationalversammlung sowie für den übermäßigen Einsatz von Gewalt durch Militär und Polizei zur Niederschlagung von Demonstrationen, Streiks und gesellschaftlichen Unruhen verantwortlich sind;

10.  fordert die staatlichen Stellen Kambodschas auf, sämtliche Anklagepunkte gegen Rong Chhun, ehemaliger Gewerkschaftsführer und Mitglied des nationalen Wahlrats, fallenzulassen;

11.  fordert die Mitgliedstaaten, die Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) und die Kommission auf, klare Vorgaben für die bevorstehenden Wahlen in Kambodscha festzulegen, die mit den internationalen Normen im Bereich der freien Meinungsäußerung sowie der Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit im Einklang stehen, und diese Vorgaben öffentlich an die staatlichen Stellen Kambodschas und die Opposition zu übermitteln; fordert den EAD auf, den Umfang der EU-Finanzhilfe von Verbesserungen der Menschenrechtslage in dem Land abhängig zu machen;

12.  erklärt sich besorgt über das neue Gesetz über Gewerkschaften; fordert die Regierung mit Nachdruck auf, das Gesetz über Gewerkschaften, das Gesetz über Vereinigungen und nichtstaatliche Organisationen und ähnliche Gesetze, mit denen die Grundfreiheiten eingeschränkt werden und die Ausübung der Menschenrechte bedroht wird, zurückzuziehen; fordert die Regierung eindringlich auf, sicherzustellen, dass sämtliche Rechtsvorschriften, die mit Blick auf die Menschenrechte von Bedeutung sind, mit der Verfassung Kambodschas und den internationalen Normen im Einklang stehen;

13.  fordert die kambodschanische Regierung nachdrücklich auf, sämtlichen Zwangsräumungen und der Landnahme ein Ende zu setzen und dafür zu sorgen, dass alle Räumungen unter vollständiger Einhaltung der internationalen Normen vollzogen werden;

14.  hebt die Bedeutung von EU-Wahlbeobachtungsmissionen und deren Beitrag zu fairen und freien Wahlen hervor; fordert den nationalen Wahlrat und die einschlägigen Regierungsbehörden auf, dafür zu sorgen, dass alle Wahlberechtigten, darunter Arbeitsmigranten und Häftlinge, Zugang zu Möglichkeiten der Registrierung haben und ihnen die Zeit zur Verfügung steht, diese zu nutzen;

15.  beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, dem Europäischen Auswärtigen Dienst, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten sowie der Regierung und der Nationalversammlung Kambodschas zu übermitteln.

(1) Angenommene Texte, P8_TA(2015)0413.
(2) Angenommene Texte, P8_TA(2015)0277.
(3) Angenommene Texte, P7_TA(2014)0044.


Tadschikistan – Lage der politischen Gefangenen
PDF 274kWORD 77k
Entschließung des Europäischen Parlaments vom 9. Juni 2016 zu Tadschikistan und der Lage der dortigen gewaltlosen politischen Gefangenen (2016/2754(RSP))
P8_TA(2016)0275RC-B8-0755/2016

Das Europäische Parlament,

–  unter Hinweis auf die Artikel 7, 8 und 9 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte,

–  unter Hinweis auf seine Entschließung vom 17. September 2009 zum Abschluss des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens zur Gründung einer Partnerschaft zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Tadschikistan andererseits(1),

–  unter Hinweis auf seine Entschließung vom 15. Dezember 2011 zu dem Stand der Umsetzung der EU-Strategie für Zentralasien(2),

–  unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates vom 22. Juni 2015 zur Strategie der EU für Zentralasien,

–  unter Hinweis auf seine Entschließung vom 13. April 2016 über die Umsetzung und Überarbeitung der Zentralasienstrategie der EU(3),

–  unter Hinweis auf die Erklärung vom 18. Februar 2016 zu den Strafverfahren gegen Mitglieder der Islamischen Partei der Wiedergeburt Tadschikistans (IPWT), die die EU gegenüber der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa abgegeben hat,

–  unter Hinweis auf das Fazit des Besuchs des EU-Sonderbeauftragten für Zentralasien in Tadschikistan vom 18. September 2015,

–  unter Hinweis auf die Erklärung der Vizepräsidentin der Kommission und Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik vom 3. Juni 2016 zu der Verurteilung von stellvertretenden Vorsitzenden der Islamischen Partei der Wiedergeburt zu lebenslanger Haft durch den Obersten Gerichtshof Tadschikistans,

–  unter Hinweis auf die Vorbemerkungen des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen über die Förderung und den Schutz der Meinungsfreiheit und des Rechts der freien Meinungsäußerung vom 9. März 2016, die er nach Abschluss seines Besuchs in Tadschikistan veröffentlicht hat,

–  unter Hinweis auf die auf der 25. Tagung des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen vom 6. Mai 2016 an Tadschikistan gerichteten Empfehlungen im Rahmen der allgemeinen regelmäßigen Überprüfung,

–  unter Hinweis auf die jährlichen Menschenrechtsdialoge EU-Tadschikistan,

–  unter Hinweis auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966, in dem das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Versammlungsfreiheit, das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens von Einzelpersonen und das Recht auf Gleichheit sowie das Verbot der Diskriminierung bei der Ausübung dieser Rechte verankert sind,

–  unter Hinweis auf die Regionalkonferenz über die Verhütung der Folter vom 27. bis 29. Mai 2014 und die Regionalkonferenz über die Aufgaben der Gesellschaft bei der Verhütung der Folter vom 31. Mai bis 2. Juni 2016,

–  unter Hinweis auf den Aktionsplan Tadschikistans vom August 2013 zur Umsetzung der Empfehlungen des Ausschusses der Vereinten Nationen gegen die Folter,

–  gestützt auf Artikel 135 Absatz 5 und Artikel 123 Absatz 4 seiner Geschäftsordnung,

A.  in der Erwägung, dass das Europäische Parlament am 17. September 2009 dem Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PKA) zwischen den Europäischen Gemeinschaften und der Republik Tadschikistan zugestimmt hat; in der Erwägung, dass das PKA 2004 unterzeichnet wurde und am 1. Januar 2010 in Kraft getreten ist; insbesondere in der Erwägung, dass es in Artikel 2 des PKA heißt, dass die „Wahrung der Grundsätze der Demokratie und die Achtung der Menschenrechte […] Richtschnur der Innen- und der Außenpolitik der Vertragsparteien und wesentlicher Bestandteil dieses Abkommens“ sind;

B.  in der Erwägung, dass die Zusammenarbeit zwischen der EU und Tadschikistan seit 1992 auf eine Vielzahl von Bereichen ausgedehnt wurde, auch auf die Bereiche Menschenrechte und Demokratie, die die absolute Grundlage aller Partnerschaften sind;

C.  in der Erwägung, dass die EU ein grundlegendes Interesse daran hat, durch enge und von Aufgeschlossenheit geprägte Beziehungen zwischen der EU und Tadschikistan auf der Grundlage der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie und der Menschenrechte die Zusammenarbeit in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Sicherheit zu intensivieren, die nachhaltige Entwicklung in Zentralasien zu fördern und die friedliche Zusammenarbeit mit Zentralasien auszubauen;

D.  in der Erwägung, dass der bekannte Geschäftsmann und Regierungskritiker Abubakr Asischodschajew seit Februar 2016 gefangen gehalten wird, nachdem er sich kritisch über Korruptionspraktiken im Geschäftsleben geäußert hatte; in der Erwägung, dass er gemäß Artikel 189 des Strafgesetzbuchs Tadschikistans wegen Aufstachelung zu Hass aus Gründen der Volkszugehörigkeit, rassischen Zugehörigkeit, regionalen Herkunft oder religiösen Überzeugung angeklagt wurde;

E.  in der Erwägung, dass Mitglieder der politischen Opposition Tadschikistans systematisch verfolgt werden; in der Erwägung, dass die Islamische Partei der Wiedergeburt Tadschikistans (IPWT) im September 2015 verboten wurde, nachdem die Strafverfolgungsorgane die Partei mit einem gescheiterten Staatsstreich in Verbindung gebracht hatten, der zu einem früheren Zeitpunkt desselben Monats unter der Führung von General Abdulchalim Nasarsoda verübt worden war und bei dessen Niederschlagung der General und 37 seiner Unterstützer getötet wurden; in der Erwägung, dass die Staatsorgane bereits etwa 200 Mitglieder der IPWT verhaftet haben;

F.  in der Erwägung, dass der Oberste Gerichtshof im Februar 2016 mit der Gerichtsverhandlung gegen die 13 Mitglieder des Politischen Rats der IPWT und vier weitere, mit der Partei in Verbindung stehende Personen begonnen hat, die allesamt wegen ihrer mutmaßlichen Beteiligung an den Übergriffen vom September 2015 wegen „Extremismus“ angeklagt sind; in der Erwägung, dass viele Mitglieder der IPWT festgenommen wurden und ohne Garantie eines fairen Verfahrens strafrechtlich belangt werden; in der Erwägung, dass der Geschäftsmann und bekannte Oppositionelle Sajd Saidow in einem Strafverfahren, das im Zusammenhang mit seiner Präsidentschaftskandidatur im November 2013 durchgeführt wurde, zu 29 Jahren Haft verurteilt wurde; in der Erwägung, dass Umarali Kuwwatow im März 2015 in Istanbul ermordet wurde und ein weiterer Aktivist, Maqsud Ibragimow, in Russland niedergestochen und entführt wurde, bevor er nach Tadschikistan ausgewiesen und dort im Juli 2015 zu 17 Jahren Haft verurteilt wurde;

G.  in der Erwägung, dass der Oberste Gerichtshof in Duschanbe am 2. Juni 2016 Mahmadali Hajit und Saidumar Hussajnij, zwei stellvertretende Vorsitzende der verbotenen IPWT, zu lebenslanger Haft verurteilt hat, weil sie 2015 zu den Drahtziehern des versuchten Staatsstreich gehört haben sollen; in der Erwägung, dass elf weitere Mitglieder der IPWT zu Haftstrafen verurteilt wurden; in der Erwägung, dass drei Verwandte des Vorsitzenden der IPWT, Muhiddin Kabirij, inhaftiert wurden, weil sie zu einem nicht näher benannten Verbrechen die Aussage verweigert haben; in der Erwägung, dass die Gerichtsverfahren nicht transparent waren und einen Verstoß gegen das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren darstellen;

H.  in der Erwägung, dass mehrere Anwälte, die sich als Verteidiger für beschuldigte IPWT-Mitglieder beworben hatten, Todesdrohungen erhielten und festgenommen, gefangen gehalten und inhaftiert wurden; in der Erwägung, dass die Festnahmen von Busurgmehr Jorow, Nodira Dodoschanowa, Nuriddin Mahkamow, Schuchrat Kudratow sowie Firus und Daler Tabarow Anlass zu erheblichen Bedenken über die Einhaltung internationaler Standards geben, was die Unabhängigkeit von Anwälten, Prozesse unter Ausschluss der Öffentlichkeit und den beschränkten Zugang zu Vertretung vor Gericht anbelangt; in der Erwägung, dass auch mehrere Journalisten gefangen gehalten, schikaniert und eingeschüchtert wurden; in der Erwägung, dass gemäß der Verfassung Tadschikistans das Recht auf freie Meinungsäußerung, der Zugang zu den Medien und der politische und weltanschauliche Pluralismus, auch im Bereich Religion, zu wahren sind;

I.  in der Erwägung, dass infolge des Gesetzes von 2015 über die Anwaltschaft alle Angehörigen der Anwaltskammer sich vollständig neu zertifizieren lassen mussten und eine Reihe von Einschränkungen bei der Zulassung zur anwaltlichen Tätigkeit eingeführt wurden und das Gesetz mithin möglichen Eingriffen in die Unabhängigkeit der Anwälte Vorschub leistet;

J.  in der Erwägung, dass durch die unlängst erlassenen und 2015 in Kraft getretenen Änderungen des Gesetzes über öffentliche Vereinigungen die Tätigkeit der Zivilgesellschaft behindert wird, da nichtstaatliche Organisationen offenlegen müssen, wie sie finanziert werden;

K.  in der Erwägung, dass die Delegation der Wahlbeobachtungsmission des Europäischen Parlaments, die zu der Parlamentswahl in Tadschikistan am 2. März 2015 entsandt worden war, in ihrer Stellungnahme deutlich auf beträchtliche Mängel hingewiesen hat;

L.  in der Erwägung, dass die Presse, Websites, soziale Medien und Internetanbieter in Tadschikistan in einem restriktiven Umfeld tätig sind, in dem Selbstzensur weit verbreitet ist; in der Erwägung, dass die Regierung auf restriktive Gesetze und Vorschriften über die Medien zurückgreift, um die unabhängige Berichterstattung einzuschränken, und häufig den Zugang zu Online-Medien und den Netzwerken der sozialen Medien sperrt;

M.  in der Erwägung, dass der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen über Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe im Februar 2015 in seinem Folgebericht über seine ein Jahr zuvor unternommene Reise nach Tadschikistan Bedenken bezüglich des fortgesetzten Rückgriffs auf Folter und über Misshandlungen und Straflosigkeit geäußert hat;

N.  in der Erwägung, dass Tadschikistan im Korruptionswahrnehmungsindex nach wie vor erschreckend schlecht eingestuft wird;

O.  in der Erwägung, dass das Europäische Instrument für weltweite Demokratie und Menschenrechte (EIDHR) ein wichtiges Instrument ist, mit dem die Rechtsstaatlichkeit, verantwortungsvolle Regierungsführung und die Menschenrechte in dem Land und dem gesamten Raum finanziell unterstützt werden sollen;

P.  in der Erwägung, dass in Tadschikistan am 22. Mai 2016 eine Volksabstimmung über Verfassungsänderungen abgehalten wurde, in deren Folge sich der amtierende Präsident Emomalii Rahmon nun ohne zeitliche Beschränkung um die Wiederwahl bewerben darf;

1.  fordert die Freilassung aller aufgrund politisch motivierter Anschuldigungen Inhaftierten, darunter Abubakr Asischodschajew, Sajd Saidow, Maqsud Ibragimow, zwei stellvertretende Vorsitzende der IPWT, Mahmadali Hajit und Saidumar Hussajnij, sowie elf weitere IPWT-Mitglieder;

2.  fordert die Staatsorgane Tadschikistans nachdrücklich auf, die Verurteilungen von Anwälten, darunter Busurgmehr Jorow, Nodira Dodoschanowa, Nuriddin Mahkamow, Schuchrat Kudratow sowie Firus und Daler Tabarow, aufzuheben und sie freizulassen;

3.  betont die Bedeutung der Beziehungen zwischen der EU und Tadschikistan und einer Stärkung der Zusammenarbeit in allen Bereichen; betont das Interesse der EU an tragfähigen Beziehungen zu Tadschikistan im Hinblick auf die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit; betont, dass politische und wirtschaftliche Beziehungen zur EU eng damit verbunden sind, dass das Partnerland Werte in Bezug auf die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, wie sie im Partnerschafts- und Kooperationsabkommen vorgesehen sind, teilt;

4.  ist zutiefst darüber, dass immer mehr Menschenrechtsanwälte, Oppositionsmitglieder und Verwandte von Oppositionsmitgliedern festgenommen und gefangen gehalten werden und dass die Freiheit der Medien, der Zugang zum Internet und der mobilen Kommunikation beschränkt werden und die Religionsfreiheit eingeschränkt wird;

5.  fordert die Regierung Tadschikistans nachdrücklich auf, Verteidigern und politischen Persönlichkeiten faire, offene und transparente Gerichtsverfahren sowie umfassenden Schutz und verfahrensbezogene Garantien im Einklang mit den internationalen Verpflichtungen Tadschikistans zu gewähren und es internationalen Organisationen zu gestatten, alle mutmaßlichen Verstöße gegen die Menschenrechte und die Menschenwürde erneut zu untersuchen; fordert, allen Personen, die in Untersuchungshaft oder Haft sitzen, Zugang zu unabhängigen juristischen Dienstleistungen und das Recht auf regelmäßige Besuche durch ihre Familienangehörigen zu gewähren; weist erneut darauf hin, dass bei jedem verhängten Urteil eindeutige Beweise für die den Angeklagten zur Last gelegten Verbrechen erbracht werden müssen;

6.  fordert die Regierung Tadschikistans auf, zuzulassen, dass Oppositionsgruppen sich frei betätigen und die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, die Meinungsfreiheit und die Religionsfreiheit im Einklang mit internationalen Menschenrechtsnormen und der Verfassung Tadschikistans wahrnehmen;

7.  betont, dass der legitime Kampf gegen Terrorismus und gewalttätigen Extremismus nicht als Vorwand verwendet werden sollte, um Oppositionstätigkeiten zu unterdrücken, die Meinungsfreiheit zu beeinträchtigen oder die Unabhängigkeit der Justiz zu behindern; weist erneut darauf hin, dass die Grundfreiheiten aller Bürger Tadschikistans sichergestellt werden müssen und die Rechtsstaatlichkeit gewahrt werden muss;

8.  fordert das Parlament Tadschikistans auf, die Ansichten unabhängiger Medien und der Zivilgesellschaft bei seiner Prüfung der vorgeschlagenen Änderungen des Mediengesetzes in Bezug auf Medienlizenzen zu berücksichtigen; fordert die Staatsorgane Tadschikistan auf, die Sperrung von Nachrichtenwebsites zu unterlassen;

9.  fordert die Staatsorgane Tadschikistans auf, das internationale Recht zu achten, insbesondere in Bezug auf das Gesetz über öffentliche Vereinigungen und das Gesetz über die Anwaltschaft und die Ausübung des Anwaltsberufs; fordert die Regierung Tadschikistans auf, dafür zu sorgen, dass alle Anwälte – auch jene, die Menschenrechtsverfechter, Mitglieder der IPWT, Opfer von Folter und des Extremismus beschuldigte Mandanten verteidigen – ihre Arbeit frei und ohne Angst vor Drohungen oder Schikanierung ausüben können;

10.  begrüßt einige von der Regierung Tadschikistans ergriffene Schritte in die richtige Richtung wie die Entkriminalisierung von Verleumdung und Beleidigung im Jahr 2012, und fordert eine ordnungsgemäße Umsetzung des Strafgesetzbuchs des Landes; begrüßt die Unterzeichnung der Rechtsvorschriften zur Einführung von Änderungen der Strafprozessordnung und des Gesetzes über die Verfahren und Bedingungen für Verdächtige, Beschuldigte, Angeschuldigte und Angeklagte, und fordert die Staatsorgane Tadschikistans auf, dafür zu sorgen, dass diese Rechtsvorschriften unverzüglich umgesetzt werden;

11.  begrüßt die jährlichen Menschenrechtsdialoge zwischen der EU und Tadschikistan, bei denen auch auf den Inhalt dieser Entschließung eingegangen werden sollte; betont die Bedeutung wirksamer und ergebnisorientierter Menschenrechtsdialoge zwischen der EU und den Staatsorganen Tadschikistans als Instrument, um eine Entspannung der politischen Lage im Land zu fördern und umfassende Reformen einzuleiten;

12.  fordert die EU und insbesondere den Europäischen Auswärtigen Dienst auf, die Verwirklichung der Rechtsstaatlichkeit in Tadschikistan, insbesondere in Bezug auf die Vereinigungsfreiheit und das Recht zur Gründung politischer Parteien, im Zusammenhang mit der anstehenden Parlamentswahl 2020 genau zu überwachen, Bedenken gegebenenfalls gegenüber den Staatsorganen Tadschikistans zu äußern, ihnen Unterstützung anzubieten und dem Europäischen Parlament regelmäßig Bericht zu erstatten; fordert die EU-Delegation in Duschanbe auf, auch künftig eine aktive Rolle zu spielen;

13.  legt der Regierung von Tadschikistan nahe, für eine angemessene Weiterverfolgung und Umsetzung der Empfehlungen im Rahmen der allgemeinen regelmäßigen Überprüfung zu sorgen;

14.  ist zutiefst besorgt über den weit verbreiteten Einsatz von Folter und fordert die Regierung Tadschikistans auf, ihren Aktionsplan vom August 2013 zur Umsetzung der Empfehlungen des Ausschusses der Vereinten Nationen gegen die Folter durchzuführen;

15.  nimmt die Schlussfolgerungen der vom Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa entsandten Wahlbeobachtungsmission zur Parlamentswahl vom 1. März 2015 in Tadschikistan zur Kenntnis, denen zufolge diese Wahl in einem eingeschränkten politischen Raum stattfand und den Kandidaten keine gleichen Ausgangsbedingungen gewährt wurden, und fordert die Staatsorgane Tadschikistans auf, zu gegebener Zeit auf alle in diesen Schlussfolgerungen enthaltenen Empfehlungen einzugehen;

16.  beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung der Vizepräsidentin der Kommission und Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, dem Europäischen Auswärtigen Dienst, dem Rat, der Kommission, dem EU-Sonderbeauftragten für Menschenrechte, dem EU-Sonderbeauftragten für Zentralasien und den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten sowie der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, der Regierung von Tadschikistan und dem Präsidenten von Tadschikistan, Emomalii Rahmon, zu übermitteln.

(1) ABl. C 224 E vom 19.8.2010, S. 12.
(2) ABl. C 168 E vom 14.6.2013, S. 91.
(3) Angenommene Texte, P8_TA(2016)0121.


Vietnam
PDF 191kWORD 81k
Entschließung des Europäischen Parlaments vom 9. Juni 2016 zu Vietnam (2016/2755(RSP))
P8_TA(2016)0276RC-B8-0754/2016

Das Europäische Parlament,

–  unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zur Lage in Vietnam,

–  unter Hinweis auf die Erklärung der Sprecherin des Europäischen Auswärtigen Dienstes vom 18. Dezember 2015 zur Festnahme des Rechtsanwalts Nguyễn Văn Đài,

–  unter Hinweis auf die Erklärung der Staats- und Regierungschefs der EU vom 7. März 2016,

–  unter Hinweis auf die am 13. Mai 2016 in Genf vom Sprecher des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte abgegebene Presseerklärung zur Türkei, zu Gambia und zu Vietnam,

–  unter Hinweis auf die am 3. Juni 2016 abgegebene Erklärung des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen über Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Heiner Bielefeldt, und des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen über Folter, Juan E. Méndez, die vom Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen über die Lage von Menschenrechtsverteidigern, Michel Forst, vom Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Maina Kiai, vom Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen über die Förderung und den Schutz der Meinungsfreiheit und des Rechts der freien Meinungsäußerung, David Kaye, von der Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen über Gewalt gegen Frauen, deren Ursachen und deren Folgen, Dubravka Šimonović, und von der Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen für willkürliche Inhaftierungen gebilligt wurde,

–  unter Hinweis auf das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Vietnam, das am 27. Juni 2012 unterzeichnet wurde, und den jährlichen Menschenrechtsdialog zwischen der EU und der Regierung Vietnams, der zuletzt am 15. Dezember 2015 stattfand,

–  unter Hinweis auf die Leitlinien der EU zu den Menschenrechten,

–  unter Hinweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948,

–  unter Hinweis auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR), dem Vietnam 1982 beigetreten ist,

–  unter Hinweis auf das internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, dessen Vertragspartei Vietnam seit 1982 ist,

–  unter Hinweis auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter, das Vietnam 2015 ratifiziert hat,

–  unter Hinweis auf die Ergebnisse der allgemeinen regelmäßigen Überprüfung Vietnams durch den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen vom 28. Januar 2014,

–  gestützt auf Artikel 135 Absatz 5 und Artikel 123 Absatz 4 seiner Geschäftsordnung,

A.  in der Erwägung, dass die EU Vietnam als einen wichtigen Partner in Asien erachtet; in der Erwägung, dass die EU und Vietnam im Jahr 2015 auf 25‑jährige Beziehungen zurückblicken; in der Erwägung, dass diese zunächst auf Handel und Hilfe beschränkten Beziehungen rasch auf weitere Bereiche ausgeweitet wurden;

B.  in der Erwägung, dass Vietnam seit 1975 ein Einparteienstaat ist und die Kommunistische Partei Vietnams (KPV) an ihrer Vorherrschaft festhält und die Nationalversammlung und die Gerichte kontrolliert;

C.  in der Erwägung, dass die staatlichen Stellen Vietnams auf eine Reihe von Demonstrationen, die im Mai 2016 in dem Land stattgefunden haben und aufgrund einer Umweltkatastrophe und der durch sie verursachten Dezimierung der Fischbestände organisiert wurden, mit Härte reagiert haben;

D.  in der Erwägung, dass die vietnamesische Rechtsanwältin und Menschenrechtsverteidigerin Lê Thu Hà am 16. Dezember 2015 festgenommen wurde, wie auch ein weiterer bekannter Menschenrechtsanwalt, nämlich Nguyễn Văn Đài, dem Betreibung von Propaganda gegen den Staat vorgeworfen wird; in der Erwägung, dass der Menschenrechtsverteidiger Trần Minh Nhật am 22. Februar 2016 vor seinem Haus im Bezirk Lâm Hà in der Provinz Lâm Đồng von einem Polizeibeamten angegriffen wurde; in der Erwägung, dass Trần Huỳnh Duy Thức 2009 festgenommen und in einem Gerichtsverfahren ohne bedeutende Verteidigung zu 16 Jahren Haft und zusätzlich 5 Jahren Hausarrest verurteilt wurde; in der Erwägung, dass die Tatsache, dass sich der Gesundheitszustand des derzeit unter Hausarrest stehenden buddhistischen Dissidenten Thích Quảng Độ zunehmend verschlechtert, Anlass zu großer Sorge gibt;

E.  in der Erwägung, dass unabhängige Parteien, Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen in Vietnam verboten sind und dass für öffentliche Versammlungen eine vorherige Erlaubnis erforderlich ist; in der Erwägung, dass bei einigen friedlichen Demonstrationen viele Polizeikräfte im Einsatz waren und bekannte Aktivisten unter Hausarrest standen, während andere Demonstrationen aufgelöst wurden oder gar nicht erst stattfinden durften;

F.  in der Erwägung, dass die weitreichenden Maßnahmen, die die Polizei traf, um die Teilnahme an Demonstrationen zu verhindern oder zu bestrafen, mit einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen einhergingen, unter anderem mit Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe sowie mit Verletzungen der Versammlungsfreiheit und des Rechts, sich frei zu bewegen; in der Erwägung, dass die Haftbedingungen prekär sind und die Häftlinge schlecht behandelt werden, und in der Erwägung, dass im Jahr 2015 Berichten zufolge mindestens sieben Menschen in Polizeigewahrsam verstorben sind und der Verdacht besteht, dass sie von der Polizei gefoltert oder anderweitig misshandelt wurden;

G.  in der Erwägung, dass Vietnam zwar 182 der 227 Empfehlungen angenommen hat, die der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen im Rahmen seiner regelmäßigen Überprüfung im Juni 2014 abgab, dass Vietnam jedoch Empfehlungen wie die Freilassung von politischen Gefangenen oder von Menschen, die ohne Anklage oder Gerichtsverfahren inhaftiert sind, eine Gesetzesreform mit dem Ziel, die Inhaftierung aus politischen Gründen abzuschaffen, die Schaffung einer unabhängigen nationalen Einrichtung für Menschenrechte und weitere Maßnahmen zur Förderung der Beteiligung der Öffentlichkeit abgelehnt hat; in der Erwägung, dass internationale Menschenrechtsgruppen vor Kurzem jedoch zum ersten Mal seit Ende des Vietnamkrieges Vertreter der Opposition und der Regierung treffen durften;

H.  in der Erwägung, dass sich Vietnam nach wie vor auf unklar formulierte Bestimmungen über die „nationale Sicherheit“ im Strafgesetzbuch beruft, zum Beispiel über „Propaganda gegen den Staat“, „Staatsgefährdung“ oder „Missbrauch der demokratischen Freiheiten“, um Dissidenten, Menschenrechtsverteidiger und Menschen, die der Staat für Regierungskritiker hält, zu kriminalisieren und zum Schweigen zu bringen;

I.  in der Erwägung, dass es dem Korrespondenten der BBC Jonathan Head im Mai 2016 untersagt worden sein soll, über den Besuch von Präsident Obama in Vietnam zu berichten, und ihm angeblich ohne offizielle Begründung die Akkreditierung entzogen wurde; in der Erwägung, dass Kim Quốc Hoa, ehemaliger Chefredakteur der Zeitung Người Cao Tuổi, Anfang 2015 die Zulassung als Journalist entzogen wurde, nachdem die Zeitung mehrere Korruptionsfälle unter Beamten aufgedeckt hatte, und er später wegen Missbrauchs der demokratischen Freiheiten gemäß Artikel 258 des Strafgesetzbuches angeklagt wurde;

J.  in der Erwägung, dass Vietnam auf der Rangliste der Pressefreiheit 2016 der Organisation Reporter ohne Grenzen den 175. von 180 Plätzen belegt und die Print- und Rundfunkmedien von der KPV, den Streitkräften und anderen staatlichen Stellen kontrolliert werden; in der Erwägung, dass durch das 2013 erlassene Dekret Nr. 72 die Meinungsäußerung in Blogs und sozialen Medien weiter eingeschränkt wurde und durch das im Jahr 2014 erlassene Dekret Nr. 174 Nutzern von sozialen Medien und Internetnutzern harte Strafen auferlegt werden, wenn sie „Propaganda gegen den Staat“ oder „reaktionäre Ideologien“ verbreiten;

K.  in der Erwägung, dass die Religions- und Weltanschauungsfreiheit unterdrückt wird und viele religiöse Minderheiten, unter anderem Angehörige der katholischen Kirche und nicht anerkannter Glaubensgemeinschaften wie der Vereinigten Buddhistischen Kirche von Vietnam, mehrerer protestantischer Kirchen und der ethnisch‑religiösen Montagnard‑Minderheit, schwerwiegender religiöser Verfolgung ausgesetzt sind, wie der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen über Religions- und Weltanschauungsfreiheit bei seinem Besuch in Vietnam feststellte;

L.  in der Erwägung, dass in Vietnam im April 2016 ein Gesetz über den Zugang zu Informationen und eine neue Fassung des Pressegesetzes angenommen wurden, in deren Rahmen die Freiheit der Meinungsäußerung eingeschränkt und die Zensur verstärkt wurden; in der Erwägung, dass zudem Regelungen angenommen wurden, in deren Rahmen es untersagt ist, während eines Gerichtsverfahrens vor einem Gerichtsgebäude zu demonstrieren;

M.  in der Erwägung, dass Vietnam im Gleichstellungsindex des World Economic Forum (Gender Gap Index) vom 42. Platz (2007) auf den 83. Platz (2015) zurückgefallen ist, und dass die staatlichen Stellen Vietnams im Hinblick auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau dafür kritisiert wurden, dass sie das Konzept der nennenswerten Gleichstellung der Geschlechter nicht erfassten; in der Erwägung, dass in Bezug auf häusliche Gewalt, den Handel mit Frauen und Mädchen, Prostitution, HIV/AIDS und Verstöße gegen die sexuellen und reproduktiven Rechte in Vietnam trotz einiger Fortschritte nach wie vor Probleme bestehen;

N.  in der Erwägung, dass mit dem Abkommen über umfassende Partnerschaft und Zusammenarbeit eine moderne, breit angelegte und gegenseitig nutzbringende Partnerschaft aufgebaut werden soll, die auf gemeinsamen Interessen und Grundsätzen wie der Gleichheit, der gegenseitigen Achtung, der Rechtsstaatlichkeit und den Menschenrechten beruht;

O.  in der Erwägung, dass die EU Vietnam ihre Anerkennung ausgesprochen hat, da in dem Land in Bezug auf die sozioökonomischen Rechte kontinuierlich Fortschritte zu verzeichnen sind, gleichzeitig allerdings zum Ausdruck gebracht hat, dass nach wie vor Bedenken bestehen, was die politischen und bürgerlichen Rechte angeht; in der Erwägung, dass die EU im Rahmen des Menschenrechtsdialogs allerdings die Einschränkung der Freiheit der Meinungsäußerung, der Freiheit der Medien und der Versammlungsfreiheit angesprochen hat;

P.  in der Erwägung, dass die EU Vietnams größter Ausfuhrmarkt ist; in der Erwägung, dass die EU zusammen mit ihren Mitgliedstaaten der größte Geber von öffentlicher Entwicklungshilfe für Vietnam ist und die EU die für diesen Zweck vorgesehenen Mittel im Zeitraum 2014–2020 um 30 % auf 400 Millionen EUR aufstocken wird;

1.  begrüßt die gestärkte Partnerschaft und den Menschenrechtsdialog zwischen der EU und Vietnam; begrüßt, dass Vietnam im vergangenen Jahr das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter ratifiziert hat;

2.  fordert die Regierung Vietnams auf, unverzüglich dafür zu sorgen, dass Menschenrechts- und Umweltaktivisten sowie alle Aktivisten, die sich für soziale Belange einsetzen, nicht länger schikaniert, eingeschüchtert und verfolgt werden; besteht darauf, dass die Regierung das Recht dieser Menschen auf friedliche Demonstrationen achtet und alle Personen, die derzeit noch rechtswidrig inhaftiert sind, freilässt; fordert, dass alle Aktivisten, die rechtswidrig festgenommen und in Haft genommen wurden – u. a. also Lê Thu Hà, Nguyễn Văn Đài, Trần Minh Nhật, Trần Huỳnh Duy Thức und Thích Quảng Độ –, unverzüglich freigelassen werden;

3.  ist zutiefst besorgt angesichts der zunehmenden Gewalt gegen vietnamesische Demonstranten, die ihren Ärger über das massive Fischsterben entlang der Küste von Zentralvietnam zum Ausdruck bringen; fordert, dass die Ergebnisse der Ermittlungen in Bezug auf die Umweltkatastrophe veröffentlicht und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden; fordert die Regierung von Vietnam auf, das Versammlungsrecht entsprechend den internationalen Verpflichtungen im Bereich Menschenrechte zu achten;

4.  missbilligt, dass in Vietnam Journalisten und Blogger – beispielsweise Nguyễn Hữu Vinh und dessen Kollegin Nguyễn Thị Minh Thúy sowie auch Đặng Xuân Diệu – verurteilt und mit harten Urteilen belegt wurden, und fordert, dass sie freigelassen werden;

5.  verurteilt, dass es in Vietnam fortwährend zu politischer Einschüchterung, Schikane, Angriffen, willkürlicher Verhaftung, harten Haftstrafen, unfairen Verfahren und anderen Menschenrechtsverletzungen gegen politische Aktivisten, Journalisten, Blogger, Dissidenten und Menschenrechtsverteidiger kommt, und zwar sowohl online als auch offline, was eindeutig im Widerspruch zu den internationalen Menschenrechtsverpflichtungen Vietnams steht;

6.  äußert Bedenken, was die Tatsache angeht, dass die Nationalversammlung derzeit ein Vereinigungsgesetz und ein Gesetz über Glaube und Religion prüft, zumal beide Gesetze gegen die international für die Vereinigungs- und Religions- bzw. Weltanschauungsfreiheit geltenden Normen verstoßen;

7.  fordert Vietnam nachdrücklich auf, intensiver mit den Menschenrechtsmechanismen zusammenzuarbeiten und den Meldemechanismen der Vertragsorgane in höherem Maße Rechnung zu tragen; fordert erneut, dass Fortschritte erzielt werden müssen, was die Umsetzung der im Rahmen der allgemeinen regelmäßigen Überprüfung abgegebenen Empfehlungen angeht;

8.  fordert erneut, dass bestimmte Artikel des vietnamesischen Strafgesetzbuches, auf deren Grundlage die Freiheit der Meinungsäußerung verweigert wird, überarbeitet werden; bedauert, dass zu den 18 000 inhaftierten Personen, denen am 2. September 2015 eine Amnestie gewährt wurde, kein einziger politischer Häftling zählte; verurteilt die Haftbedingungen in Vietnam und die in Vietnam in den Gefängnissen herrschenden Umstände und fordert, dass die staatlichen Stellen Vietnams uneingeschränkten Zugang zu Rechtsberatung gewähren;

9.  fordert die Regierung Vietnams nachdrücklich auf, für die Polizei und die Sicherheitsbehörden wirksame Mechanismen der Rechenschaftspflicht einzuführen, damit es künftig nicht mehr zu Gewalt gegen Gefangene oder Häftlinge kommt;

10.  fordert den Staat auf, der Verfolgung aufgrund der Religion ein Ende zu setzen und die Rechtsvorschriften über den Status religiöser Gemeinschaften zu ändern, damit auch nicht anerkannte Religionsgemeinschaften wieder einen Rechtsstatuts erhalten; fordert Vietnam auf, den fünften Entwurf des Gesetzes über Glaube und Religion, der derzeit in der Nationalversammlung geprüft wird, zurückzuziehen und einen neuen Entwurf auszuarbeiten, der den Verpflichtungen Vietnams gemäß Artikel 18 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte Rechnung trägt; fordert, dass Pastor Nguyễn Công Chính, Trần Thị Hồng und Ngô Hào sowie alle anderen führenden Vertreter von Religionsgemeinschaften freigelassen werden;

11.  fordert, dass Vietnam die Diskriminierung von Frauen bekämpft und zu diesem Zweck Rechtsvorschriften zur Bekämpfung des Menschenhandels einführt und wirksame Schritte zur Eindämmung der häuslichen Gewalt und der Verletzung der reproduktiven Rechte unternimmt;

12.  spricht Vietnam seine Anerkennung dafür aus, dass es in Asien eine Führungsrolle einnimmt, was die Verbesserung der Rechte von Lesben, Schwulen und Bisexuellen sowie von Transgender- und Intersex-Personen (LGBTI) angeht, wobei in diesem Zusammenhang insbesondere das kürzlich angenommene Gesetz über Ehe und Familie zu nennen wäre, nach dem Hochzeitszeremonien für gleichgeschlechtliche Paare möglich sind;

13.  fordert, dass die zwischenstaatliche ASEAN-Menschenrechtskommission die Menschenrechtslage in Vietnam untersucht und dabei besonderes Augenmerk auf die Freiheit der Meinungsäußerung legt und dem Land entsprechende Empfehlungen vorlegt;

14.  fordert die Regierung Vietnams auf, eine ständige Einladung in Bezug auf die Sonderverfahren der Vereinten Nationen auszusprechen, insbesondere gegenüber dem Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen über die Förderung und den Schutz der Meinungsfreiheit und dem Sonderberichterstatter über die Lage von Menschenrechtsverteidigern;

15.  fordert die EU auf, den politischen Dialog über Menschenrechte, der mit Vietnam geführt wird, im Rahmen des Abkommens über umfassende Partnerschaft und Zusammenarbeit zu intensivieren;

16.  fordert die EU-Delegation auf, alle Instrumente und Mechanismen zur Anwendung zu bringen, die dazu geeignet sind, die Regierung von Vietnam diesbezüglich zu begleiten und Menschenrechtsverteidiger zu unterstützen und zu schützen; betont, dass der Menschenrechtsdialog zwischen der EU und der Regierung Vietnams von Bedeutung ist, zumal damit auch eine wirkliche Veränderung in der Praxis erreicht werden soll; betont, dass dieser Dialog wirksam und ergebnisorientiert sein sollte;

17.  nimmt zur Kenntnis, dass die Regierung Vietnams Bemühungen unternimmt, um die Beziehungen zwischen der EU und dem ASEAN zu stärken, und dass das Land die Mitgliedschaft der EU beim Ostasiengipfel unterstützt;

18.  spricht Vietnam seine Anerkennung dafür aus, dass das Land eine wesentliche Anzahl der Millenniumsentwicklungsziele erreicht hat, und fordert die Kommission und die Vizepräsidentin der Kommission/Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik auf, dafür zu sorgen, dass die staatlichen Stellen Vietnams sowie die nichtstaatlichen Organisationen und die Organisationen der Zivilgesellschaft des Landes im Rahmen der Entwicklungsagenda für die Zeit nach 2015 auch künftig unterstützt werden;

19.  beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung der Vizepräsidentin der Kommission/Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten sowie der Regierung und der Nationalversammlung Vietnams, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten des ASEAN, dem Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte und dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zu übermitteln.


Förderung der Freizügigkeit durch die vereinfachte Anerkennung bestimmter öffentlicher Urkunden ***II
PDF 255kWORD 61k
Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 9. Juni 2016 zu dem Standpunkt des Rates in erster Lesung im Hinblick auf den Erlass der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Förderung der Freizügigkeit von Bürgern durch die Vereinfachung der Anforderungen für die Vorlage bestimmter öffentlicher Urkunden innerhalb der Europäischen Union und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 (14956/2/2015 – C8-0129/2016 – 2013/0119(COD))
P8_TA(2016)0277A8-0156/2016

(Ordentliches Gesetzgebungsverfahren: zweite Lesung)

Das Europäische Parlament,

–  unter Hinweis auf den Standpunkt des Rates in erster Lesung (14956/2/2015 – C8‑0129/2016),

–  unter Hinweis auf die vom rumänischen Senat im Rahmen des Protokolls Nr. 2 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit vorgelegte begründete Stellungnahme, in der geltend gemacht wird, dass der Entwurf eines Gesetzgebungsakts nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist,

–  unter Hinweis auf die Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 11. Juli 2013(1),

–  unter Hinweis auf seinen Standpunkt in erster Lesung(2) zum Vorschlag der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat (COM(2013)0228),

–  gestützt auf Artikel 294 Absatz 7 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

–  unter Hinweis auf die Stellungnahme des Rechtsausschusses zu der vorgeschlagenen Rechtsgrundlage,

–  gestützt auf die Artikel 76 und 39 seiner Geschäftsordnung,

–  unter Hinweis auf die Empfehlung des Rechtsausschusses für die zweite Lesung (A8‑0156/2016),

1.  billigt den Standpunkt des Rates in erster Lesung;

2.  stellt fest, dass der Gesetzgebungsakt entsprechend dem Standpunkt des Rates erlassen wird;

3.  beauftragt seinen Präsidenten, den Gesetzgebungsakt mit dem Präsidenten des Rates gemäß Artikel 297 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union zu unterzeichnen;

4.  beauftragt seinen Generalsekretär, den Gesetzgebungsakt zu unterzeichnen, nachdem überprüft worden ist, dass alle Verfahren ordnungsgemäß abgeschlossen worden sind, und im Einvernehmen mit dem Generalsekretär des Rates die Veröffentlichung des Gesetzgebungsakts im Amtsblatt der Europäischen Union zu veranlassen;

5.  beauftragt seinen Präsidenten, den Standpunkt des Parlaments dem Rat und der Kommission sowie den nationalen Parlamenten zu übermitteln.

(1) ABl. C 327 vom 12.11.2013, S. 52.
(2) Angenommene Texte vom 4.2.2014, P7_TA(2014)0054.


Übertragung der Zuständigkeit für die Entscheidung im ersten Rechtszug über Streitsachen des öffentlichen Dienstes der EU auf das Gericht der Europäischen Union ***I
PDF 255kWORD 66k
Entschließung
Text
Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 9. Juni 2016 zu dem Entwurf einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Übertragung der Zuständigkeit für die Entscheidung im ersten Rechtszug über die Rechtsstreitigkeiten zwischen der Union und ihren Bediensteten auf das Gericht der Europäischen Union (N8-0110/2015 – C8-0367/2015 – 2015/0906(COD))
P8_TA(2016)0278A8-0167/2016

(Ordentliches Gesetzgebungsverfahren: erste Lesung)

Das Europäische Parlament,

–  unter Hinweis auf den Antrag des Gerichtshofs, der dem Europäischen Parlament und dem Rat unterbreitet wurde (N8-0110/2015),

–  gestützt auf Artikel 19 Absatz 2 Unterabsatz 2 des Vertrags über die Europäische Union, Artikel 256 Absatz 1, Artikel 257 Absätze 1 und 2 und Artikel 281 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union sowie Artikel 106a Absatz 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft, gemäß denen es vom Rat angehört wurde (C8-0367/2015),

–  unter Hinweis auf die Stellungnahme des Rechtsausschusses zu der vorgeschlagenen Rechtsgrundlage,

–  gestützt auf Artikel 294 Absätze 3 und 15 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union und Artikel 256 Absatz 1, Artikel 257 Absätze 1 und 2 und Artikel 281 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, und Artikel 106a Absatz 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft,

–  gestützt auf die Verordnung (EU, Euratom) 2015/2422 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 zur Änderung des Protokolls (Nr. 3) über die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union(1), insbesondere Erwägung 9,

–  unter Hinweis auf die Stellungnahme der Kommission (COM(2016)0081)(2),

–  unter Hinweis auf die vom Vertreter des Rates mit Schreiben vom 18. Mai 2016 gemachte Zusage, den Standpunkt des Europäischen Parlaments gemäß Artikel 294 Absatz 4 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union zu billigen,

–  gestützt auf Artikel 59 und Artikel 39 seiner Geschäftsordnung,

–  unter Hinweis auf den Bericht des Rechtsausschusses und der Stellungnahme des Ausschusses für konstitutionelle Fragen (A8-0167/2016),

1.  legt den folgenden Standpunkt in erster Lesung fest;

2.  weist darauf hin, dass es unter den Richtern am Gerichtshof der Europäischen Union ein ausgewogenes Verhältnis von Frauen und Männern geben muss;

3.  beauftragt seinen Präsidenten, den Standpunkt des Parlaments dem Rat, dem Gerichtshof und der Kommission sowie den nationalen Parlamenten zu übermitteln.

Standpunkt des Europäischen Parlaments festgelegt in erster Lesung am 9. Juni 2016 im Hinblick auf den Erlass der Verordnung (EU, Euratom) 2016/... des Europäischen Parlaments und des Rates über die Übertragung der Zuständigkeit für die Entscheidung im ersten Rechtszug über die Rechtsstreitigkeiten zwischen der Europäischen Union und ihren Bediensteten auf das Gericht ▌

P8_TC1-COD(2015)0906


(Da Parlament und Rat eine Einigung erzielt haben, entspricht der Standpunkt des Parlaments dem endgültigen Rechtsakt, Verordnung (EU, Euratom) 2016/1192.)

(1) ABl. L 341 vom 24.12.2015, S. 14.
(2) Noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht.


Regeln für eine offene, effiziente und unabhängige Verwaltung der Europäischen Union
PDF 443kWORD 123k
Entschließung
Konsolidierter Text
Entschließung des Europäischen Parlaments vom 9. Juni 2016 zu einer offenen, effizienten und unabhängigen Verwaltung der Europäischen Union (2016/2610(RSP))
P8_TA(2016)0279B8-0685/2016

Das Europäische Parlament,

–  gestützt auf Artikel 225 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

–  gestützt auf Artikel 298 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

–  gestützt auf Artikel 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, in der das Recht auf eine gute Verwaltung als Grundrecht anerkannt wird,

–  unter Hinweis auf die Anfrage an die Kommission zu einer offenen, effizienten und unabhängigen Verwaltung der Europäischen Union (O-000079/2016 – B8-0705/2016),

–  unter Hinweis auf seine Entschließung vom 15. Januar 2013 mit Empfehlungen an die Kommission zu einem Verwaltungsverfahrensrecht der Europäischen Union(1),

–  gestützt auf Artikel 128 Absatz 5, Artikel 123 Absatz 2 und Artikel 46 Absatz 6 seiner Geschäftsordnung,

1.  weist darauf hin, dass das Parlament in seiner Entschließung vom 15. Januar 2013 gemäß Artikel 225 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) den Erlass einer Verordnung über eine offene, effiziente und unabhängige Verwaltung der Europäischen Union nach Maßgabe des Artikels 298 AEUV forderte, dass jedoch der Forderung des Parlaments kein Vorschlag der Kommission folgte, obwohl die Entschließung mit einer deutlichen Mehrheit angenommen wurde (572 Ja-Stimmen, 16 Nein-Stimmen und 12 Enthaltungen);

2.  ersucht die Kommission, den als Anlage beigefügten Vorschlag für eine Verordnung zu prüfen;

3.  fordert die Kommission auf, einen Legislativvorschlag vorzulegen, der in ihr Arbeitsprogramm für das Jahr 2017 aufzunehmen ist;

4.  beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung der Kommission zu übermitteln.

Vorschlag für eine
VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES
für eine offene, effiziente und unabhängige Verwaltung der Europäischen Union

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION –

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 298,

auf Vorschlag der Europäischen Kommission,

nach Zuleitung des Entwurf des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente,

gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)  Mit der Entwicklung der Kompetenzen der Europäischen Union sind die Bürger in zunehmendem Maß mit den Organen, Einrichtungen, Ämtern und Agenturen der Union konfrontiert, ohne dass ihre Verfahrensrechte immer angemessen geschützt sind.

(2)  In einer rechtsstaatlichen Union muss sichergestellt werden, dass Verfahrensrechte und -pflichten stets angemessen definiert, entwickelt und gewahrt werden. Die Bürger können von den Organen, Einrichtungen, Ämtern und Agenturen der Union ein hohes Maß an Transparenz, Effizienz, rascher Erledigung und Reaktionsbereitschaft erwarten. Die Bürger haben auch Anspruch auf angemessene Informationen darüber, inwieweit sie weitere Schritte in der jeweiligen Angelegenheit unternehmen können.

(3)  Die bestehenden Regeln und Grundsätze einer guten Verwaltung sind auf eine breite Vielfalt von Quellen gestützt: Primärrecht, Sekundärrecht, Rechtsprechung des Gerichthofes der Europäischen Union, nicht zwingendes Recht und einseitige Verpflichtungen von Unionsorganen.

(4)  Im Laufe der Jahre hat die Union eine Vielzahl sektoraler Verwaltungsverfahren in Form verbindlicher Vorschriften und nicht zwingenden Rechts entwickelt, ohne notwendigerweise die allgemeine Kohärenz des Systems zu berücksichtigen. Die komplexe Vielfalt an Verfahren hat zu Lücken und Unstimmigkeiten bei diesen Verfahren geführt.

(5)  Das Fehlen eines kohärenten und umfassenden Katalogs an kodifizierten verwaltungsrechtlichen Bestimmungen erschwert den Bürgern das Verständnis ihrer administrativen Rechte im Rahmen des Unionsrechts.

(6)  Im April 2000 schlug der europäische Bürgerbeauftragte den Gemeinschaftsinstitutionen einen Kodex für gute Verwaltungspraxis vor, der für alle Unionsorgane, Einrichtungen, Ämter und Agenturen gelten sollte.

(7)  Das Europäische Parlament billigte in seiner Entschließung vom 6. September 2001 den Entwurf des Kodexes mit einigen Änderungen und forderte die Kommission auf, einen Vorschlag für eine Verordnung vorzulegen, die einen Kodex für gute Verwaltungspraxis auf der Grundlage von Artikel 308 des Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft enthalten sollte.

(8)  Die nachfolgend von den einzelnen Organen angenommenen internen Verhaltenskodizes basierten größtenteils auf dem Kodex des Bürgerbeauftragten, haben aber nur eine begrenzte Wirkung, weichen voneinander ab und sind rechtlich nicht verbindlich.

(9)  Durch das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon wurde für die Union eine geeignete Rechtsgrundlage geschaffen, um ein europäisches Verwaltungsverfahrensrecht zu verabschieden. Artikel 298 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sieht die Annahme von Verordnungen vor, um sicherzustellen, dass sich die Organe, Einrichtungen, Ämter und Agenturen der Union bei der Ausübung ihrer Aufgaben auf eine offene, effiziente und unabhängige europäische Verwaltung stützen. Durch das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon erhielt auch die Charta der Grundrechte der Union („die Charta“) die gleiche Rechtsgültigkeit wie die Verträge.

(10)  Unter Titel V („Bürgerrechte“) der Charta ist das Recht auf eine gute Verwaltung in Artikel 41 festgeschrieben, der vorsieht, dass jede Person ein Recht darauf hat, dass ihre Angelegenheiten von den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unparteiisch, gerecht und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden. In Artikel 41 der Charta werden zudem in nicht erschöpfender Form einige der Aspekte genannt, die in die Definition des Rechts auf eine gute Verwaltung aufgenommen wurden, wie das Recht, gehört zu werden, das Recht jeder Person auf Zugang zu den sie betreffenden Akten, das Recht, Begründungen für eine Verwaltungsentscheidung zu erhalten, und die Möglichkeit, Ersatzansprüche für den durch die Organe oder ihre Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursachten Schaden zu geltend zu machen.

(11)  Eine effiziente Verwaltung der Union hat wesentliche Bedeutung für das öffentliche Interesse. Ein Übermaß oder ein Mangel an Bestimmungen und Verfahren kann zu Missständen führen, die auch eine Folge widersprüchlicher, uneinheitlicher oder unklarer Bestimmungen und Verfahren sein können.

(12)  Angemessen strukturierte und einheitliche Verwaltungsverfahren unterstützen eine effiziente Verwaltung und eine korrekte Durchsetzung des Rechts auf eine gute Verwaltung, das als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts und gemäß Artikel 41 der Charta garantiert ist.

(13)  In seiner Entschließung vom 15. Januar 2013 forderte das Europäische Parlament die Verabschiedung einer Verordnung über ein europäisches Verwaltungsverfahrensrecht, die das Recht auf gute Verwaltungspraxis durch eine offene, effiziente und unabhängige europäische Verwaltung sicherstellen sollte. Durch die Festlegung gemeinsamer Bestimmungen für Verwaltungsverfahren auf Ebene der Organe, Einrichtungen, Ämter und Agenturen der Union sollten die Rechtssicherheit verbessert, Lücken im Rechtssystem der Union geschlossen und damit zur Achtung der Rechtsstaatlichkeit beigetragen werden.

(14)  Zweck dieser Verordnung ist es, Verfahrensregeln festzulegen, die die Unionsverwaltung bei der Ausübung ihrer Verwaltungstätigkeiten einhalten sollte. Diese Verfahrensregeln sollen eine offene, effiziente und unabhängige Verwaltung und eine korrekte Durchsetzung des Rechts auf eine gute Verwaltung sicherstellen.

(15)  Gemäß Artikel 298 AEUV sollte diese Verordnung nicht für die Verwaltungen der Mitgliedstaaten gelten. Ferner sollte diese Verordnung nicht für Gesetzgebungsverfahren, Gerichtsverfahren und Verfahren gelten, die zur Verabschiedung von Rechtsakten ohne Gesetzgebungscharakter, die sich unmittelbar aus den Verträgen ergeben, von delegierten Rechtsakten oder Durchführungsrechtsakten führen.

(16)  Diese Verordnung sollte für die Unionsverwaltung unbeschadet sonstiger Rechtsakte der Union gelten, die besondere Verwaltungsverfahrensvorschriften vorsehen. Sektorspezifische Verwaltungsverfahren sind jedoch nicht durchgehend schlüssig und vollständig. Um eine allgemeine Kohärenz der Verwaltungstätigkeiten der Unionsverwaltung und eine uneingeschränkte Wahrung des Rechts auf eine gute Verwaltung sicherzustellen, sollten Rechtsakte, die spezielle Verwaltungsverfahrensvorschriften vorsehen, daher in Übereinstimmung mit dieser Verordnung ausgelegt werden, ihre Lücken sollten durch die entsprechenden Bestimmungen dieser Verordnung geschlossen werden. Mit dieser Verordnung werden Rechte und Pflichten als Standardregel für alle Verwaltungsverfahren im Rahmen des Unionsrechts festgelegt; dadurch wird die Fragmentierung der geltenden Verfahrensvorschriften verringert, die eine Folge sektorspezifischer Rechtsvorschriften ist.

(17)  Mit den in dieser Verordnung festgelegten Verwaltungsverfahrensvorschriften sollen die Grundsätze einer guten Verwaltung gestützt auf unterschiedliche Rechtsquellen im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union umgesetzt werden. Diese Grundsätze sind nachstehend aufgeführt; ihr Wortlaut sollte die Auslegung der Bestimmungen dieser Verordnung prägen.

(18)  Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit nach Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) ist das Herzstück der Werte der Union. Gemäß diesem Prinzip muss sich jede Handlung der Union unter Achtung des Grundsatzes der begrenzten Einzelermächtigung auf die Verträge stützen. Ferner erfordert das Legalitätsprinzip, das sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt, dass Tätigkeiten der Unionsverwaltung unter vollständiger Einhaltung der Rechtsvorschriften ausgeübt werden.

(19)  Jeder Rechtsakt der Union muss den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfüllen. Dies erfordert, dass jede Maßnahme der Unionsverwaltung angemessen und erforderlich für die Erfüllung der Ziele sein muss, die die fragliche Maßnahme legitimerweise verfolgt: Stehen mehrere potenziell geeignete Maßnahmen zur Wahl, muss die am wenigsten belastende Option ausgewählt werden, und alle von der Verwaltung auferlegten Verpflichtungen müssen im Verhältnis zu den verfolgten Zielen stehen.

(20)  Das Recht auf eine gute Verwaltung erfordert, dass Verwaltungsakte der Unionsverwaltung gemäß Verfahren angenommen werden, die Unparteilichkeit, Fairness und Rechtzeitigkeit sicherstellen.

(21)  Das Recht auf eine gute Verwaltung erfordert, dass jede Entscheidung über die Einleitung eines Verwaltungsverfahrens den Parteien bekanntgemacht und die notwendigen Informationen bereitgestellt werden müssen, die ihnen die Wahrnehmung ihrer Rechte während des Verwaltungsverfahrens ermöglichen. In gerechtfertigten Ausnahmefällen, in denen das öffentliche Interesse dies erfordert, kann die Unionsverwaltung die Bekanntmachung aufschieben oder unterlassen.

(22)  Wird das Verwaltungsverfahren auf Antrag einer Partei eingeleitet, ist die Unionsverwaltung aufgrund des Rechts auf eine gute Verwaltung verpflichtet, den Empfang des Antrags schriftlich zu bestätigen. Die Empfangsbestätigung sollte die notwendigen Informationen enthalten, die der Partei die Wahrnehmung ihrer Verteidigungsrechte während des Verwaltungsverfahrens ermöglichen. Die Unionsverwaltung sollte jedoch befugt sein, aussichtslose oder missbräuchlich gestellte Anträge abzulehnen, die die Effizienz der Verwaltung gefährden könnten.

(23)  Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte ein Verwaltungsverfahren innerhalb einer angemessenen Frist nach Auftreten des Vorfalls eingeleitet werden. Daher sollte die Verordnung Bestimmungen über eine Ausschlussfrist enthalten.

(24)  Das Recht auf eine gute Verwaltung erfordert, dass die Unionsverwaltung eine Sorgfaltspflicht wahrnimmt, die sie verpflichtet, alle sachdienlichen tatsächlichen und rechtlichen Aspekte eines Falls unter Berücksichtigung aller relevanten Interessen in jeder Phase des Verfahrens sorgfältig und unvoreingenommen festzustellen und zu überprüfen. Zu diesem Zweck sollte die Unionsverwaltung die Befugnis erhalten, Parteien, Zeugen und Sachverständige anzuhören, Dokumente und Unterlagen anzufordern und Kontrollen und Untersuchungen durchzuführen. Bei der Auswahl von Sachverständigen sollte die Unionsverwaltung sicherstellen, dass diese fachlich kompetent sind und nicht durch einen Interessenkonflikt beeinflusst werden.

(25)  Während der von der Unionsverwaltung durchgeführten Untersuchung sollten die Parteien zur Zusammenarbeit verpflichtet werden, indem sie die Verwaltung bei der Feststellung der Tatsachen und Umstände des Falls unterstützen. Fordert die Unionsverwaltung die Parteien zur Zusammenarbeit auf, sollte sie ihnen eine angemessene Frist für die Antwort einräumen und sie auf Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen, hinweisen, wenn das Verwaltungsverfahren Sanktionen zur Folge haben kann.

(26)  Das Recht auf unparteiische Behandlung durch die Unionsverwaltung ergibt sich aus dem Grundrecht auf eine gute Verwaltung und schließt die Pflicht der Bediensteten ein, nicht an Verwaltungsverfahren teilzunehmen, bei denen sie unmittelbar oder mittelbar ein persönliches, insbesondere ein familiäres oder finanzielles Interesse haben, das ihre Unparteilichkeit beeinträchtigen kann.

(27)  Das Recht auf eine gute Verwaltung kann erfordern, dass die Verwaltung unter gewissen Umständen Kontrollen durchführt, wenn dies notwendig ist, um eine Pflicht zu erfüllen oder ein Ziel im Rahmen des Unionsrechts zu erreichen. Bei diesen Kontrollen müssen bestimmte Bedingungen und Verfahren eingehalten werden, um die Rechte der Parteien zu schützen.

(28)  Das Recht auf rechtliches Gehör sollte in allen gegen eine Person eingeleiteten Verfahren gewahrt werden, die zu einer den Betroffenen beschwerenden Maßnahme führen können. Es darf durch keine Rechtsetzungsmaßnahme ausgeschlossen oder eingeschränkt werden. Das Recht auf rechtliches Gehör erfordert, dass die betreffende Person eine genaue und vollständige Aufstellung der erhobenen Ansprüche oder Einwände erhält und die Möglichkeit hat, Anmerkungen zur Richtigkeit und Relevanz der Tatsachen und verwendeten Dokumente abzugeben.

(29)  Das Recht auf eine gute Verwaltung schließt das Recht einer Partei in einem Verwaltungsverfahren ein, Zugang zu ihren eigenen Akten zu erhalten, das auch eine wesentliche Voraussetzung für die Wahrnehmung des Rechts auf rechtliches Gehör ist. Lässt der Schutz der berechtigten Interessen der Vertraulichkeit sowie des Berufs- und Geschäftsgeheimnisses keinen uneingeschränkten Zugang zu einer Akte zu, sollte die Partei zumindest eine angemessene Zusammenfassung des Inhalts der Akte erhalten. Im Hinblick auf die Vereinfachung des Zugangs zu den eigenen Akten und damit der Sicherstellung eines transparenten Informationsmanagements sollte die Unionsverwaltung Aufzeichnungen über die ein- und ausgehende Post, die erhaltenen Dokumente und die ergriffenen Maßnahmen führen und ein Verzeichnis der aufgezeichneten Akten erstellen.

(30)  Die Unionsverwaltung sollte Verwaltungsakte innerhalb einer angemessenen Frist erlassen. Eine langsame Verwaltung ist gleichbedeutend mit einer schlechten Verwaltung. Jede Verzögerung bei der Annahme eines Verwaltungsakts sollte begründet werden; die Partei im Verwaltungsverfahren sollte angemessen darüber informiert werden und eine Schätzung des erwarteten Zeitpunkts für den Erlass des Verwaltungsakts erhalten.

(31)  Das Recht auf eine gute Verwaltung verpflichtet die Unionsverwaltung, die Gründe für ihre Verwaltungsakte klar zu nennen. In der Begründung sollten die Rechtsgrundlage des Rechtsakts, die allgemeine Lage, die zu seiner Annahme geführt hat und die allgemeinen Ziele, die mit ihm erreicht werden sollen, angegeben sein. Die Begründung muss klar und unzweideutig erkennen lassen, warum die zuständige Behörde den Rechtsakt erlassen hat, damit die betroffenen Parteien entscheiden können, ob sie ihre Rechte durch eine Anfechtungsklage schützen wollen.

(32)  Gemäß dem Recht auf wirksamen Rechtsschutz dürfen weder die Union noch die Mitgliedstaaten die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren. Sie sind vielmehr verpflichtet, einen tatsächlichen und wirksamen Rechtsschutz zu gewähren und dürfen keine Bestimmungen oder Verfahren anwenden, die einer auch nur vorübergehenden vollständigen und wirksamen Anwendung des Unionsrechts entgegenstehen.

(33)  Um die Wahrnehmung des Rechts auf wirksamen Rechtsschutz zu erleichtern, sollte die Unionsverwaltung in ihren Verwaltungsakten die Rechtsbehelfe, die den Parteien, deren Rechte und Interessen durch solche Akte berührt sind, zur Verfügung stehen, angeben. Neben der Möglichkeit der Einleitung eines Gerichtsverfahrens oder der Einreichung einer Beschwerde beim Europäischen Bürgerbeauftragten sollte eine Partei das Recht haben, eine verwaltungsrechtliche Überprüfung zu fordern, und über ein solches Verfahren und die Frist für den Antrag auf eine solche Überprüfung informiert werden.

(34)  Von der Forderung einer verwaltungsrechtlichen Überprüfung unberührt bleibt das Recht einer Partei, einen Rechtsbehelf einzulegen. Hinsichtlich der Frist eines Antrags auf gerichtliche Überprüfung sollte ein Verwaltungsakt erst dann als unanfechtbar gelten, wenn die Partei innerhalb der vorgesehenen Frist keine verwaltungsrechtliche Überprüfung gefordert hat, oder, sollte die Partei eine verwaltungsrechtliche Überprüfung fordern, der endgültige Verwaltungsakt der Akt ist, der aus dieser verwaltungsrechtlichen Überprüfung folgt.

(35)  Gemäß den Grundsätzen der Transparenz und der Rechtssicherheit sollten Parteien im Verwaltungsverfahren in der Lage sein, ihre Rechte und Pflichten genau zu verstehen, die sich aus einem an sie gerichteten Verwaltungsakt ergeben. Zu diesem Zweck sollte die Unionsverwaltung sicherstellen, dass ihre Verwaltungsakte in einer klaren, einfachen und verständlichen Sprache abgefasst sind und ab der Bekanntmachung an die Parteien wirksam werden. Bei der Wahrnehmung dieser Pflicht muss die Unionsverwaltung die Informations- und Kommunikationstechnologien in geeigneter Form einsetzen und sich an deren Entwicklung anpassen.

(36)  Im Bemühen um Transparenz und Effizienz der Verwaltung sollte die Unionsverwaltung sicherstellen, dass Schreib- und Rechenfehler oder ähnliche Fehler in ihren Rechtsakten durch die zuständige Behörde korrigiert werden.

(37)  Das Legalitätsprinzip als Folge der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet die Unionsverwaltung, rechtswidrige Rechtsakte zu berichtigen oder zurückzunehmen. Da jedoch jede Berichtigung oder Rücknahme eines Rechtsakts mit dem Schutz berechtigter Erwartungen und dem Grundsatz der Rechtssicherheit in Konflikt geraten kann, sollte die Unionsverwaltung die Auswirkungen einer Berichtigung oder Rücknahme auf andere Parteien sorgfältig und unparteiisch bewerten und die Ergebnisse einer solchen Bewertung in die Begründung der Berichtigung oder Rücknahme des Rechtsakts aufnehmen.

(38)  Unionsbürger haben das Recht, Organe, Einrichtungen, Ämter und Agenturen der EU in einer der Sprachen der Verträge anzuschreiben und eine Antwort in der gleichen Sprache zu erhalten. Die Unionsverwaltung sollte die Sprachenrechte der Parteien achten, indem sie sicherstellt, dass das Verwaltungsverfahren in einer der von der Partei gewählten Sprachen der Verträge durchgeführt wird. Leitet die Unionsverwaltung ein Verwaltungsverfahren ein, sollte die erste Mitteilung in einer der Sprachen des Vertrags abgefasst sein, die dem Mitgliedstaat, in dem die Partei ihren Sitz hat, entspricht.

(39)  Der Grundsatz der Transparenz und das Recht auf Zugang zu Dokumenten haben im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens besondere Bedeutung, unbeschadet der gemäß Artikel 15 Absatz 3 AEUV erlassenen Rechtsakte. Jegliche Einschränkung dieser Grundsätze sollte eng ausgelegt werden, um die Kriterien in Artikel 52 Absatz 1 der Charta zu erfüllen; sie sollte daher gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt der Rechte und Freiheiten achten sowie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unterliegen.

(40)  Das Recht auf Schutz der persönlichen Daten bedeutet, dass unbeschadet der gemäß Artikel 16 AEUV erlassenen Rechtsakte von der Unionsverwaltung verwendete Daten richtig, aktuell und für rechtmäßige Zwecke verarbeitet sein sollten.

(41)  Der Grundsatz des Schutzes der berechtigter Erwartungen leitet sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ab und bedeutet, dass Maßnahmen öffentlicher Stellen wohlerworbene Rechte und endgültige Rechtssituationen nicht beeinträchtigen sollten, sofern dies nicht im öffentlichen Interesse zwingend erforderlich ist. Berechtigte Erwartungen sollten angemessen berücksichtigt werden, wenn ein Verwaltungsakt berichtigt oder zurückgenommen wird.

(42)  Nach dem Grundsatz der Rechtssicherheit müssen Bestimmungen der Union klar und präzise sein. Mit diesem Grundsatz soll sichergestellt werden, dass durch das Unionsrecht geregelte Situationen und Rechtsbeziehungen vorhersehbar bleiben, damit Einzelne zweifelsfrei feststellen können, welche Rechte und Pflichten sie besitzen, und entsprechende Schritte einleiten können. Gemäß dem Grundsatz der Rechtssicherheit sollten rückwirkende Maßnahmen nur in rechtlich begründeten Ausnahmefällen ergriffen werden.

(43)  Um eine allgemeine Kohärenz bei den Tätigkeiten der Unionsverwaltung sicherzustellen, sollten bei Verwaltungsakten von allgemeiner Geltung die Grundsätze der guten Verwaltung eingehalten werden, auf die in dieser Verordnung Bezug genommen wird.

(44)  Bei der Auslegung dieser Verordnung sollte besonderes Augenmerk auf der Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung liegen, die für Verwaltungstätigkeiten als wichtige Folge der Rechtsstaatlichkeit und der Grundsätze einer effizienten und unabhängigen europäischen Verwaltung gelten.

HABEN FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

KAPITEL I

ALLGEMEINE VORSCHRIFTEN

Artikel 1

Gegenstand und Ziel

(1)  In dieser Verordnung werden Verfahrensvorschriften festgelegt, die die Verwaltungstätigkeiten der Unionsverwaltung regeln.

(2)  Das Ziel dieser Verordnung besteht darin, durch eine offene, effiziente und unabhängige Verwaltung das in Artikel 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerte Recht auf eine gute Verwaltung zu gewährleisten.

Artikel 2

Anwendungsbereich

(1)  Diese Verordnung regelt die Verwaltungstätigkeiten der Organe, Einrichtungen, Ämter und Agenturen der Europäischen Union.

(2)  Diese Verordnung gilt nicht für die Tätigkeiten der Unionsverwaltung im Rahmen von:

a)  Gesetzgebungsverfahren;

b)  Gerichtsverfahren;

c)  Verfahren, die zur Verabschiedung von Rechtsakten ohne Gesetzgebungscharakter, die sich unmittelbar aus den Verträgen ergeben, delegierter Rechtsakte oder Durchführungsrechtsakte führen.

(3)  Diese Verordnung gilt nicht für die Verwaltung der Mitgliedstaaten.

Artikel 3

Verbindung zwischen dieser Verordnung und anderen Rechtsakten der Union

Diese Verordnung gilt für die Unionsverwaltung unbeschadet sonstiger Rechtsakte der Union, die besondere Verwaltungsverfahrensvorschriften vorsehen. Diese Verordnung ergänzt solche Rechtsakte der Union, die in Übereinstimmung mit ihren entsprechenden Bestimmungen ausgelegt werden.

Artikel 4

Begriffsbestimmungen

Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Begriff

a)  „Unionsverwaltung“ die Verwaltung der Organe, Einrichtungen, Ämter und Agenturen der Europäischen Union;

b)  „Verwaltungstätigkeiten“ die Tätigkeiten, die die Unionsverwaltung zur Umsetzung des Unionsrechts ausführt, mit Ausnahme der in Artikel 2 Absatz 2 genannten Verfahren;

c)  „Verwaltungsverfahren“ den Prozess, mit dem die Unionsverwaltung Verwaltungsakte vorbereitet, erlässt, umsetzt und durchsetzt;

d)  „Bediensteter“ einen Beamten im Sinne von Artikel 1a des Statuts der Beamten bzw. einen Bediensteten entsprechend der Definition von Artikel 1 erster bis dritter Gedankenstrich der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Union;

e)  „zuständige Behörde“ das Organ, die Einrichtung, das Amt oder die Agentur oder eine sonstige Stelle der Union oder den Stelleninhaber innerhalb der Unionsverwaltung, die entsprechend dem geltenden Recht für das Verwaltungsverfahren zuständig sind;

f)  „Partei“bezeichnet eine natürliche oder juristische Person, auf deren Rechtsstellung sich das Ergebnis eines Verwaltungsverfahrens auswirken kann.

KAPITEL II

EINLEITUNG DES VERWALTUNGSVERFAHRENS

Artikel 5

Einleitung des Verwaltungsverfahrens

Verwaltungsverfahren können von der Unionsverwaltung auf eigene Initiative oder auf Antrag einer Partei eingeleitet werden.

Artikel 6

Einleitung durch die Unionsverwaltung

(1)  Verwaltungsverfahren können von der Unionsverwaltung aus eigener Initiative entsprechend einer Entscheidung der zuständigen Behörde eingeleitet werden. Die zuständige Behörde prüft die besonderen Umstände des Falls, bevor sie über die Einleitung des Verfahrens entscheidet.

(2)  Die Entscheidung zur Einleitung eines Verwaltungsverfahrens wird den Parteien bekanntgemacht. Die Entscheidung wird nicht veröffentlicht, bevor die Bekanntmachung erfolgt ist.

(3)  Die Zustellung kann aufgeschoben oder unterlassen werden, wenn dies im öffentlichen Interesse zwingend notwendig ist. Die Entscheidung zur Aufschiebung oder Unterlassung wird hinreichend begründet.

(4)  Die Entscheidung zur Einleitung eines Verwaltungsverfahrens enthält Folgendes:

a)  ein Aktenzeichen und das Datum;

b)  den Gegenstand und Zweck des Verfahrens;

c)  die Beschreibung der wichtigsten Verfahrensschritte;

d)  den Namen und die Kontaktdaten des zuständigen Bediensteten;

e)  die zuständige Behörde;

f)  die Frist für den Erlass des Verwaltungsakts und die Auswirkungen eines nicht innerhalb der Frist erfolgten Erlasses des Verwaltungsakts;

g)  mögliche Rechtsbehelfe;

h)  die Adresse der in Artikel 28 genannten Internetseite, sofern eine solche Internetseite besteht.

(5)  Die Entscheidung zur Einleitung eines Verwaltungsverfahrens wird in den Sprachen der Verträge entsprechend den Mitgliedstaaten abgefasst, in denen die Parteien ihren Sitz haben.

(6)  Ein Verwaltungsverfahren wird innerhalb einer angemessenen Frist nach dem Zeitpunkt des Vorfalls eingeleitet, der Grundlage des Verfahrens ist. Es wird keinesfalls später als 10 Jahre nach dem Zeitpunkt des Vorfalls eingeleitet.

Artikel 7

Einleitung auf Antrag

(1)  Verwaltungsverfahren können von einer Partei eingeleitet werden.

(2)  Für die Anträge bestehen keine unnötigen formalen Anforderungen. Der Name der Partei, eine Anschrift für die Bekanntmachung, der Gegenstand des Antrags, die relevanten Fakten und Gründe für den Antrag, Datum und Ort sowie die zuständige Behörde, an die sie gerichtet sind, sind klar anzugeben. Sie werden schriftlich in Papierform oder elektronisch übermittelt. Sie sind in einer der Sprachen des Vertrags abgefasst.

(3)  Anträge werden schriftlich bestätigt. Die Eingangsbestätigung ist in der Sprache des Antrags abgefasst und enthält:

a)  ein Aktenzeichen und das Datum;

b)  Zeitpunkt des Eingangs des Antrags;

c)  eine Beschreibung der wichtigsten Verfahrensschritte;

d)  Name und Kontaktdaten des zuständigen Bediensteten;

e)  Frist für den Erlass des Verwaltungsakts und Auswirkungen eines nicht innerhalb der Frist erfolgten Erlasses des Verwaltungsakts;

f)  Adresse der in Artikel 28 genannten Website, sofern eine solche Website besteht.

(4)  Erfüllt ein Antrag nicht eine oder mehrere der in Absatz 2 genannten Anforderungen, wird in der Eingangsbestätigung eine angemessene Frist für die Behebung des Fehlers oder die Einreichung eines fehlenden Dokuments angegeben. Aussichtslose oder offenkundig unbegründete Anträge können mit einer kurz begründeten Eingangsbestätigung als unzulässig abgelehnt werden. Eine Eingangsbestätigung wird nicht versendet in Fällen, in denen derselbe Antragsteller missbräuchlich mehrere aufeinanderfolgende Anträge einreicht.

(5)  Ist der Antrag an eine Behörde gerichtet, die für seine Bearbeitung nicht zuständig ist, übermittelt diese Behörde ihn der zuständigen Behörde und gibt in der Eingangsbestätigung die zuständige Behörde an, der der Antrag übermittelt wurde, oder erklärt, dass die Angelegenheit nicht in den Zuständigkeitsbereich der Unionsverwaltung fällt.

(6)  Leitet die zuständige Behörde ein Verwaltungsverfahren ein, findet gegebenenfalls Artikel 6 Absatz 2 bis 4 Anwendung.

KAPITEL III

GESTALTUNG DES VERWALTUNGSVERFAHRENS

Artikel 8

Verfahrensrechte

Die Parteien haben im Zusammenhang mit der Gestaltung des Verfahrens folgende Rechte:

a)  alle relevanten, mit dem Verfahren verbundenen Informationen in klarer und verständlicher Form zu erhalten;

b)  alle Verfahrensformalitäten, soweit möglich und angemessen, aus der Ferne und mit elektronischen Mitteln zu übermitteln und zu erledigen;

c)  eine der Sprachen der Verträge zu verwenden und in der von ihnen gewählten Sprache der Verträge angesprochen zu werden;

d)  über alle Verfahrensschritte und Beschlüsse, die sie betreffen könnten, unterrichtet zu werden;

e)  von einem Rechtsanwalt oder einer anderen Person ihrer Wahl vertreten zu werden;

f)  lediglich Gebühren zu zahlen, die vertretbar sind und zu den Kosten des betreffenden Verfahrens in einem angemessenen Verhältnis stehen.

Artikel 9

Pflicht einer sorgfältigen und unvoreingenommenen Untersuchung

(1)  Die zuständige Behörde untersucht den Fall sorgfältig und unvoreingenommen. Sie berücksichtigt alle relevanten Faktoren und holt alle für die Beschlussfassung notwendigen Informationen ein.

(2)  Um die notwendigen Informationen einzuholen, kann die zuständige Behörde gegebenenfalls:

a)  Parteien, Zeugen und Sachverständige anhören,

b)  Dokumente und Unterlagen anfordern,

c)  Kontrollbesuche durchführen.

(3)  Die Parteien können Beweismittel vorlegen, die ihnen geeignet erscheinen.

Artikel 10

Mitwirkungspflicht

(1)  Die Parteien unterstützen die zuständige Behörde dabei, den Sachverhalt und die Umstände des Falls festzustellen.

(2)  Den Parteien wird eine angemessene Frist für die Antwort auf eine Aufforderung zur Mitwirkung eingeräumt, dabei werden die Länge und Komplexität der Aufforderung und die Anforderungen der Untersuchung berücksichtigt.

(3)  Kann das Verwaltungsverfahren Sanktionen zur Folge haben, werden die Parteien auf das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen, hingewiesen.

Artikel 11

Zeugen und Sachverständige

Zeugen und Sachverständige können auf Initiative der zuständigen Behörde oder auf Vorschlag der Parteien gehört werden. Die zuständige Behörde stellt sicher, dass sie Sachverständige auswählt, die fachlich kompetent sind und nicht durch Interessenkonflikte beeinflusst werden.

Artikel 12

Kontrollen

(1)  Kontrollen können durchgeführt werden, sofern ein Gesetzgebungsakt der Union eine Kontrollbefugnis vorsieht und dies notwendig ist, um eine Pflicht zu erfüllen oder ein Ziel im Rahmen des Unionsrechts zu erreichen.

(2)  Die Kontrollen werden entsprechend den Vorgaben und innerhalb der Fristen durchgeführt, die in dem Rechtsakt festgelegt sind, der die Kontrolle im Hinblick auf die Maßnahmen, die ergriffen und die Räumlichkeiten, die durchsucht werden können, vorschreibt oder zulässt. Die Kontrolleure üben ihre Befugnis lediglich nach Vorlage einer schriftlichen Genehmigung aus, die Angaben zu ihrer Person und Stellung enthält.

(3)  Die für die Kontrolle zuständige Behörde teilt der zu kontrollierenden Partei das Datum und den Anfangszeitpunkt dieser Kontrolle mit. Die Partei hat das Recht, bei der Kontrolle anwesend zu sein, Standpunkte zu äußern und Fragen im Zusammenhang mit der Kontrolle zu stellen. Sofern dies im öffentlichen Interesse zwingend notwendig ist, kann die für die Kontrolle zuständige Behörde eine solche Mitteillung in hinreichend begründeten Fällen aufschieben oder unterlassen.

(4)  Während der Kontrolle werden die anwesenden Parteien, sofern möglich, über Gegenstand und Zweck der Kontrolle, das Verfahren und die für die Kontrolle geltenden Bestimmungen sowie die Folgemaßnahmen und möglichen Konsequenzen der Kontrolle unterrichtet. Die Kontrolle wird durchgeführt, ohne übermäßige Schwierigkeiten für den Gegenstand der Kontrolle oder ihren Eigentümer zu verursachen.

(5)  Die Kontrolleure erstellen umgehend einen Kontrollbericht, in dem zusammengefasst wird, welchen Beitrag die Kontrolle zum Erreichen des Zwecks der Untersuchung geleistet hat, und die wichtigsten Anmerkungen aufgeführt sind. Die für die Kontrolle zuständige Behörde übermittelt den Parteien, die zur Anwesenheit bei der Kontrolle befugt sind, eine Kopie des Kontrollberichts.

(6)  Die für die Kontrolle zuständige Behörde bereitet die Kontrolle vor und führt sie in enger Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats vor, in dem die Kontrolle stattfindet, sofern der Mitgliedstaat nicht selbst Gegenstand der Kontrolle ist oder dies den Zweck der Kontrolle beeinträchtigen würde.

(7)  Bei der Durchführung der Kontrolle und der Erstellung des Kontrollberichts berücksichtigt die für die Kontrolle zuständige Behörde alle im nationalen Recht des betreffenden Mitgliedstaats festgelegten Verfahrensvorschriften, in denen die zulässigen Beweismittel in Verwaltungs- und Gerichtsverfahren des Mitgliedstaats genannt sind, in dem der Kontrollbericht verwendet werden soll.

Artikel 13

Interessenkonflikt

(1)  Ein Bediensteter nimmt nicht an einem Verwaltungsverfahren teil, an dem er oder sie unmittelbar oder mittelbar ein persönliches, insbesondere ein familiäres oder finanzielles Interesse hat, das seine oder ihre Unparteilichkeit beeinträchtigen kann.

(2)  Jeder Interessenkonflikt ist von dem betroffenen Bediensteten der zuständigen Behörde mitzuteilen, die unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Falls darüber entscheidet, ob diese Person von dem Verwaltungsverfahren ausgeschlossen wird.

(3)  Jede Partei kann fordern, dass ein Bediensteter aufgrund eines Interessenkonfliktes von der Teilnahme an einem Verwaltungsverfahren ausgeschlossen wird. Eine begründete diesbezügliche Forderung ist schriftlich an die zuständige Behörde zu richten, die nach Anhörung des betroffenen Bediensteten eine Entscheidung trifft.

Artikel 14

Recht auf Anhörung

(1)  Die Parteien haben das Recht, gehört zu werden, bevor eine Einzelmaßnahme ergriffen wird, die nachteilige Folgen für sie hätte.

(2)  Die Parteien erhalten ausreichende Informationen und genügend Zeit für die Vorbereitung ihres Falls.

(3)  Die Parteien erhalten Gelegenheit, ihren Standpunkt gegebenenfalls schriftlich oder mündlich darzulegen, mit Unterstützung einer Person ihrer Wahl, sofern sie dies wünschen.

Artikel 15

Recht auf Zugang zu den Akten

(1)  Den betroffenen Parteien wird unter Wahrung des berechtigten Interesses der Vertraulichkeit sowie des Berufs- und Geschäftsgeheimnisses unbeschränkter Zugang zu den Akten gewährt. Eine Einschränkung dieses Rechts muss hinreichend begründet werden.

(2)  Kann kein uneingeschränkter Zugang zu den gesamten Akten gewährt werden, erhalten die Parteien eine angemessene Zusammenfassung des Inhalts dieser Dokumente.

Artikel 16

Aufzeichnungspflicht

(1)  Die Unionsverwaltung führt zu jeder Akte Aufzeichnungen über die ein- und ausgehende Post, die erhaltenen Dokumente und die von ihr ergriffenen Maßnahmen. Sie erstellt ein Verzeichnis der von ihr geführten Akten.

(2)  Aufzeichnungen werden unter uneingeschränkter Achtung des Datenschutzrechts geführt.

Artikel 17

Fristen

(1)  Verwaltungsakte werden innerhalb einer angemessenen Frist und ohne ungebührliche Verzögerung angenommen; Gleiches gilt für den Abschluss von Verwaltungsverfahren. Die Frist für die Annahme eines Verwaltungsakts ist nicht länger bemessen als drei Monate ab dem Datum der:

(a)  Bekanntmachung der Entscheidung zur Einleitung des Verwaltungsverfahrens, wenn es von der Unionsverwaltung eingeleitet wurde, oder

(b)  Bestätigung des Eingangs des Antrags, wenn das Verwaltungsverfahren auf Antrag eingeleitet wurde.

(2)  Kann innerhalb der entsprechenden Frist kein Verwaltungsakt angenommen werden, werden die betreffenden Parteien darüber und über die Gründe für die Verzögerung informiert und erhalten eine Schätzung des voraussichtlichen Zeitpunkts des Erlasses des Verwaltungsakts. Die zuständige Behörde beantwortet auf Verlangen Fragen zum Stand der Prüfung des Sachverhalts.

(3)  Bestätigt die Unionsverwaltung den Eingang des Antrags nicht innerhalb von drei Monaten, gilt der Antrag als abgelehnt.

(4)  Die Fristen werden gemäß Verordnung (EWG, Euratom) Nr. 1182/71 des Rates berechnet(2).

KAPITEL IV

ABSCHLUSS DES VERWALTUNGSVERFAHRENS

Artikel 18

Form von Verwaltungsakten

Verwaltungsakte werden schriftlich abgefasst und von der zuständigen Behörde unterzeichnet. Sie werden in einer klaren, einfachen und verständlichen Weise formuliert.

Artikel 19

Begründungspflicht

(1)  Verwaltungsakte werden eindeutig begründet.

(2)  Verwaltungsakte geben Auskunft über ihre rechtliche Grundlage, die relevanten Fakten und die Weise, in der die verschiedenen relevanten Interessen berücksichtigt wurden.

(3)  Verwaltungsakte enthalten eine auf die Situation der Parteien zugeschnittene individuelle Begründung. Ist das aufgrund der großen Zahl der Betroffenen nicht möglich, ist eine allgemeine Angabe von Gründen ausreichend. In diesem Fall erhält jedoch jede Partei, die eine individuelle Begründung ausdrücklich anfordert, eine solche.

Artikel 20

Rechtsbehelfe

(1)  In Verwaltungsakten wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine verwaltungsrechtliche Überprüfung möglich ist.

(2)  Die Parteien sind berechtigt, eine verwaltungsrechtliche Überprüfung von Verwaltungsakten zu beantragen, die ihre Rechte und Interessen beeinträchtigen. Anträge auf verwaltungsrechtliche Überprüfung werden der vorgesetzten Behörde vorgelegt bzw., sofern dies nicht möglich ist, derselben Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat.

(3)  In Verwaltungsakten wird das Verfahren der Beantragung einer verwaltungsrechtlichen Überprüfung erläutert; es werden ferner die Bezeichnung und die Büroanschrift der zuständigen Behörde oder des Bediensteten angegeben, bei dem oder der der Antrag auf Überprüfung vorzulegen ist. Im Verwaltungsakt wird ebenfalls die Frist für die Einreichung dieses Antrags angegeben. Wird innerhalb der Frist kein Antrag gestellt, gilt der Verwaltungsakt als unanfechtbar.

(4)  Verwaltungsakte weisen ausdrücklich, soweit das Unionsrecht das vorsieht, auf die Möglichkeit hin, ein Gerichtsverfahren einzuleiten oder Beschwerde beim Europäischen Bürgerbeauftragten einzulegen.

Artikel 21

Bekanntgabe von Verwaltungsakten

Verwaltungsakte, die Auswirkungen auf die Rechte und Interessen der Parteien haben, werden diesen bekanntgegeben, sobald sie angenommen wurden. Verwaltungsakte werden nach ihrer Bekanntgabe an die Partei für diese wirksam.

KAPITEL V

BERICHTIGUNG UND RÜCKNAHME VON VERWALTUNGSAKTEN

Artikel 22

Berichtigung von Fehlern in Verwaltungsakten

(1)  Schreib- und Rechenfehler oder ähnliche Fehler werden von der zuständigen Behörde auf eigene Initiative oder auf Antrag einer betroffenen Partei berichtigt.

(2)  Die Parteien werden vor jeder Berichtigung informiert; eine Berichtigung wird nach ihrer Bekanntgabe wirksam. Ist das wegen der großen Zahl an betroffenen Parteien nicht möglich, werden die erforderlichen Maßnahmen ergriffen, um zu gewährleisten, dass alle Parteien ohne unnötige Verzögerung informiert werden.

Artikel 23

Berichtigung oder Rücknahme eines Verwaltungsakts mit nachteiligen Auswirkungen auf eine Partei

(1)  Die zuständige Behörde berichtigt auf eigene Initiative oder auf Antrag der betroffenen Partei einen unrechtmäßigen Verwaltungsakt mit nachteiligen Auswirkungen auf eine Partei oder nimmt diesen zurück. Berichtigung oder Rücknahme haben rückwirkende Kraft.

(2)  Die zuständige Behörde berichtigt auf eigene Initiative oder auf Antrag der betroffenen Partei einen rechtmäßigen Verwaltungsakt mit nachteiligen Auswirkungen auf eine Partei oder nimmt diesen zurück, wenn die Gründe für die Annahme des betreffenden Verwaltungsakts nicht mehr bestehen. Berichtigung oder Rücknahme haben keine rückwirkende Kraft.

(3)  Berichtigung oder Rücknahme werden mit ihrer Bekanntgabe an die Partei wirksam.

(4)  Hat ein Verwaltungsakt nachteilige Auswirkungen auf eine Partei und ist gleichzeitig vorteilhaft für andere Parteien, wird eine Bewertung der möglichen Folgen für alle Parteien vorgenommen; deren Ergebnisse sind in die Begründung der Berichtigung oder Rücknahme der Entscheidung aufzunehmen.

Artikel 24

Berichtigung oder Rücknahme eines Verwaltungsakts mit vorteilhaften Auswirkungen auf eine Partei

(1)  Die zuständige Behörde berichtigt auf eigene Initiative oder auf Antrag einer anderen Partei einen unrechtmäßigen Verwaltungsakt mit vorteilhaften Auswirkungen auf eine Partei oder nimmt diesen zurück.

(2)  Die Folgen der Berichtigung oder Rücknahme für Parteien, die berechtigterweise annehmen konnten, der Rechtsakt sei rechtmäßig, werden gebührend berücksichtigt. Würde diesen Parteien aufgrund ihres Vertrauens auf die Rechtmäßigkeit der Entscheidung Schaden entstehen, prüft die zuständige Behörde, ob diese Parteien Anspruch auf Entschädigung haben.

(3)  Berichtigung oder Rücknahme haben nur dann rückwirkende Kraft, wenn sie innerhalb einer angemessenen Frist vorgenommen werden. Konnte eine Partei berechtigterweise erwarten, dass der Rechtsakt rechtmäßig sein würde, und hat sie sich für seine Aufrechterhaltung ausgesprochen, hat die Berichtigung oder Rücknahme keine rückwirkende Kraft für diese Partei.

(4)  Die zuständige Behörde berichtigt oder nimmt einen rechtmäßigen Verwaltungsakt, der für eine Partei vorteilhaft ist, auf eigene Initiative oder nach einem Antrag einer anderen Partei zurück, wenn die Gründe für diesen speziellen Akt nicht mehr bestehen. Den berechtigten Erwartungen anderer Parteien wird gebührend Rechnung getragen.

(5)  Berichtigung oder Rücknahme werden nach ihrer Bekanntgabe an die Partei wirksam.

Artikel 25

Umgang mit Fehlerkorrekturen, Berichtigung und Rücknahme

Die entsprechenden Bestimmungen in Kapitel III, IV und VI dieser Verordnung gelten auch für die Fehlerkorrektur, Berichtigung und Rücknahme von Verwaltungsakten.

KAPITEL VI

VERWALTUNGSAKTE VON ALLGEMEINER GELTUNG

Artikel 26

Einhaltung der Verfahrensrechte

Von der Unionsverwaltung erlassene Verwaltungsakte von allgemeiner Geltung müssen die in dieser Verordnung vorgesehenen Verfahrensrechte wahren.

Artikel 27

Rechtsgrundlage, Begründung und Veröffentlichung

(1)  Verwaltungsakte allgemeiner Geltung, die von der Unionsverwaltung erlassen wurden, enthalten die Angabe der Rechtsgrundlage und eine eindeutige Begründung.

(2)  Sie treten ab dem Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung in einer Form in Kraft, die für die Beteiligten direkt zugänglich ist.

KAPITEL VII

INFORMATION UND SCHLUSSBESTIMMUNGEN

Artikel 28

Online-Informationen über Vorschriften zum Verwaltungsverfahren

(1)  Die Unionsverwaltung fördert die Bereitstellung aktualisierter Online-Informationen zu den bestehenden Verwaltungsverfahren auf einer Ad-hoc-Internetseite, wo immer dies möglich und sinnvoll ist. Antragsverfahren haben Vorrang.

(2)  Die Online-Informationen umfassen:

a)  einen Link zum geltenden Recht;

b)  eine kurze Erläuterung der wichtigsten gesetzlichen Erfordernisse und ihrer Auslegung durch die Verwaltung;

c)  eine Beschreibung der wichtigsten Verfahrensschritte;

d)  Bezeichnung der für den Erlass des endgültigen Akts zuständigen Behörde;

e)  Angabe der Frist für den Erlass des Akts;

f)  Angabe zu möglicher Rechtsbehelfe;

g)  einen Link zu Standardformularen, die von den Parteien für ihren Informationsaustausch mit der Unionsverwaltung im Rahmen des Verfahrens verwendet werden können.

(3)  Die in Absatz 2 genannten Online-Informationen werden klar und einfach gehalten. Der Zugang zu diesen Informationen ist kostenlos.

Artikel 29

Evaluierung

Die Kommission legt dem Europäischen Parlament und dem Rat vor dem [xx Jahre nach Inkrafttreten] einen Bericht über die Evaluierung der Funktionsweise dieser Verordnung vor.

Artikel 30

Inkrafttreten

Diese Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich.

Geschehen zu … am …

Im Namen des Europäischen Parlaments Im Namen des Rates

Der Präsident Der Präsident

(1) ABl. C 440 vom 30.12.2015, S. 17.
(2) Verordnung (EWG, Euratom) Nr. 1182/1971 des Rates vom 3. Juni 1971 zur Festlegung der Regeln für die Fristen, Daten und Termine (ABl. L 124 vom 8.6.1971, S. 1).


Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Bahnindustrie
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Entschließung des Europäischen Parlaments vom 9. Juni 2016 zur Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Bahnindustrie (2015/2887(RSP))
P8_TA(2016)0280B8-0677/2016

Das Europäische Parlament,

–  unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission mit dem Titel „Europa 2020 – Eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“ (COM(2010)2020),

–  unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission mit dem Titel „Eine stärkere europäische Industrie bringt Wachstum und wirtschaftliche Erholung“ (COM(2012)0582),

–  unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission mit dem Titel „Für ein Wiedererstarken der europäischen Industrie“ (COM(2014)0014),

–  unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission mit dem Titel „Handel für alle – Hin zu einer verantwortungsbewussteren Handels- und Investitionspolitik“ (COM(2015)0497),

–  unter Hinweis auf das Weißbuch der Kommission „Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum – Hin zu einem wettbewerbsorientierten und ressourcenschonenden Verkehrssystem“ (COM(2011)0144),

–  unter Hinweis auf die Studie der Kommission mit dem Titel „Sector Overview and Competitiveness Survey of the Railway Supply Industry“ (Branchenüberblick und Wettbewerbsfähigkeitsanalyse der Bahnindustrie) (ENTR 06/054),

–  unter Hinweis auf die Studie des Europäischen Parlaments mit dem Titel „Güterbeförderung: Warum Transportunternehmen in der EU die Straße der Schiene vorziehen“;

–  unter Hinweis auf die Anfrage an die Kommission zur Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Bahnindustrie (O-000067/2016 – B8-0704/2016),

–  gestützt auf Artikel 128 Absatz 5 und Artikel 123 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

Die Besonderheiten und die strategische Bedeutung der europäischen Bahnindustrie für ein Wiedererstarken der europäischen Industrie

1.  betont, dass die europäische Bahnindustrie, die die Fertigung von Lokomotiven und rollendem Material sowie Ausrüstung für Gleisanlagen, Elektrifizierung, Signalgebung und Telekommunikation sowie Instandhaltungsarbeiten und Ersatzteile umfasst und zu der zahlreiche KMU sowie große Branchenführer gehören, 400 000 Mitarbeiter beschäftigt, 2,7 % ihres Jahresumsatzes in FuE investiert und 46 % des Weltmarkts der Bahnindustrie ausmacht; betont, dass von der gesamten Eisenbahnbranche in der EU einschließlich Betreibern und Infrastruktur mehr als 1 Million Arbeitsplätze direkt und mehr als 1,2 Millionen Arbeitsplätze indirekt abhängen; weist darauf hin, dass diese Zahlen eindeutig vermitteln, welche Bedeutung die Bahnindustrie für industrielles Wachstum, Arbeitsplätze und Innovation in Europa hat und welchen Beitrag sie dazu leistet, das Ziel einer Reindustrialisierung von 20 % zu verwirklichen;

2.  unterstreicht die Besonderheiten dieser Branche, die sich unter anderem durch die Produktion von Bauelementen, die eine Lebensdauer von bis zu 50 Jahren haben können, eine hohe Kapitalintensität, eine erhebliche Abhängigkeit von Bestellungen der öffentlichen Hand und die Pflicht, sehr hohe Sicherheitsvorschriften einzuhalten, auszeichnet;

3.  verweist auf den wesentlichen Beitrag des Schienenverkehrs zur Eindämmung des Klimawandels und zur Bewältigung anderer Megatrends wie Verstädterung und demografischer Wandel; fordert die Kommission daher nachdrücklich auf, die im Weißbuch zu Verkehr von 2011 formulierten Ziele für eine Verlagerung des Personen- und Güterverkehrs auf die Schiene durch konkrete politische Maßnahmen und gezielte Investitionen zu unterstützen; weist darauf hin, dass im Einklang mit den Ergebnissen der COP 21 und den Klima- und Energiezielen der EU für 2030 eine Verlagerung auf Schienenverkehr und andere Arten von nachhaltigem, energieeffizienten, elektrifizierten Verkehr erforderlich ist, um die angestrebte Verringerung der verkehrsbedingten CO2-Emissionen zu verwirklichen; fordert die Kommission vor diesem Hintergrund auf, ihre anstehende Mitteilung zur Verringerung der verkehrsbedingten CO2-Emissionen zu nutzen, um neue Maßnahmen zur Unterstützung der Entwicklung energieeffizienter Technologien für die Bahnindustrie vorzuschlagen;

4.  weist darauf hin, dass der Bahnindustrie aufgrund ihrer Weltmarktführerschaft in Technologie und Innovation eine Schlüsselrolle beim Erreichen des 20 %‑Industrialisierungsziels der Kommission zukommt;

5.  stellt fest, dass sich die europäische Bahnindustrie auf eine Reihe günstiger Faktoren stützen kann, darunter nicht nur eine gute Umweltleistung, sondern auch ein großer Markt und die Fähigkeit, einen Massenverkehr zu ermöglichen; stellt jedoch fest, dass sich diese Branche heute einem dreifachen Wettbewerb stellen muss, der sich gleichermaßen zwischen den Verkehrsträgern, international und manchmal sogar innerhalb des Unternehmens abspielt;

Erhalt der globalen Führungsposition der europäischen Bahnindustrie

6.  weist darauf hin, dass die jährliche Wachstumsrate der für die Bahnindustrie zugänglichen internationalen Märkte bis 2019 auf 2,8 % geschätzt wird; betont, dass die EU zwar für Wettbewerber aus Drittländern weitgehend offen ist, es in Drittländern jedoch verschiedene Hindernisse gibt, durch die die europäische Bahnindustrie diskriminiert wird; betont, dass Wettbewerber aus Drittländern, insbesondere aus China, schnell aggressiv nach Europa und in andere Regionen der Welt expandieren, häufig mit starker politischer und finanzieller Unterstützung ihres Herkunftslandes (z. B. großzügige Exportkredite, die nicht den OECD-Vorschriften entsprechen); unterstreicht, dass diese Vorgehensweisen einen unlauteren Wettbewerb darstellen können, der Arbeitsplätze in Europa gefährdet; betont daher, dass im weltweiten Wettbewerb für gleiche Ausgangsbedingungen und gegenseitigen Marktzugang gesorgt werden muss, um das Risiko des Verlusts von Arbeitsplätzen abzuwenden und Know-how in der Industrie in Europa zu erhalten;

7.  betont, dass es selbst auf dem europäischen Eisenbahnmarkt aufgrund eines sowohl administrativ als auch technisch fragmentierten Marktes für viele EU-Unternehmen, insbesondere KMU, schwierig und kostspielig ist, grenzüberschreitend tätig zu werden; ist überzeugt, dass die Verwirklichung des Ziels der Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums entscheidend sein wird, wenn es darum geht, die weltweite Vormachtstellung der europäischen Bahnindustrie zu erhalten;

Eine erneuerte Innovationsagenda für die europäische Bahnindustrie

8.  erkennt die Bahnindustrie als Schlüsselindustrie für die europäische Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft an; drängt, Maßnahmen zu ergreifen, um den technologischen und innovativen Vorsprung Europas in diesem Sektor zu erhalten;

9.  begrüßt den Beschluss über die Gründung des gemeinsamen Unternehmens „Shift2Rail“ (S2R) und die vor Kurzem erfolgte Veröffentlichung der ersten Aufforderungen zur Einreichung von Vorschlägen; fordert eine schnellstmögliche Umsetzung aller FuE-Tätigkeiten für S2R; kritisiert, dass die Beteiligung von KMU an S2R gering ist, was teilweise auf die hohen Kosten und die Komplexität des Instruments zurückzuführen ist; fordert den Verwaltungsrat auf, die Beteiligung von KMU an der zweiten Aufforderung für assoziierte Mitglieder zu analysieren, sie zu verbessern und spezielle Aufforderungen für KMU in Erwägung zu ziehen; fordert die Kommission auf, sicherzustellen, dass die Bestimmungen der Verordnung für eine ausgewogene Vertretung von KMU und Regionen eingehalten werden;

10.  betont, dass Innovationskraft, Investitionen in Forschung und Entwicklung, Marktdefragmentierung und Cluster-Bildung unabdingbare Grundlagen für den Erhalt der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Bahnindustrie sind;

11.  fordert die Kommission auf, die verschiedenen EU-Finanzierungsinstrumente vollständig zu nutzen, zusätzliche Finanzierungsquellen für S2R zu prüfen und zu erschließen und Synergien zwischen verschiedenen EU-Fonds und mit privaten Investitionen zu schaffen; fordert die Kommission in diesem Zusammenhang auf, zusätzliche EU-Finanzierungsinstrumente für Schienentechnologie außerhalb von S2R (z. B. spezielle Aufforderungen für Eisenbahnforschung im Rahmen von Horizont 2020 abgesehen von S2R, InnovFin, Fazilität „Connecting Europe“, Strukturfonds, EFSI) zu nutzen, unter anderem mittels eines S2R-Pilotprogramms, bei dem EU-Finanzierung mit Strukturfonds und anderen EU-Innovationsfonds zusammengebracht wird;

12.  fordert die Kommission auf, mit der Branche zusammenzuarbeiten, um für die bestmögliche Nutzung des Europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESIF) – und insbesondere des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) – zur Unterstützung von Eisenbahn-FuE-Projekten auf regionaler Ebene zu sorgen; fordert sie auf, sich auch auf die Zukunft der Bahnindustrie über 2020 hinaus zu konzentrieren;

13.  betont, dass Cluster ein wichtiges Instrument sind, um die einschlägigen Interessenträger auf lokaler und regionaler Ebene zusammenzubringen, darunter Behörden, Universitäten, Forschungsinstitute, die Bahnindustrie, die Sozialpartner und andere Mobilitätsbranchen; fordert die Kommission auf, bis Dezember 2016 eine Clusterstrategie für Wachstum zu erarbeiten; fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, ihre Unterstützung für von den Eisenbahnclustern und anderen Initiativen entwickelte Innovationsprojekte, bei denen KMU der Bahnindustrie, größere Unternehmen und Forschungsinstitute auf lokaler, regionaler, nationaler und europäischer Ebene zusammenkommen, zu stärken; weist darauf hin, dass öffentliche Finanzierungsmöglichkeiten für Clusterbildungen notwendig sein werden; weist in diesem Zusammenhang auf die Möglichkeiten hin, die sich aus neuen Finanzierungsinstrumenten (EFSI usw.) ergeben;

14.  ist der Ansicht, dass die Kommission die Schaffung eines Forums auf europäischer Ebene in Erwägung ziehen sollte, das etablierte Unternehmen, Start-up-Unternehmen und Spin-off-Unternehmen zusammenbringen würde, die innovative Ideen für den Eisenbahnsektor, insbesondere im Bereich Digitalisierung, haben, um bewährte Verfahren auszutauschen und Partnerschaften zu fördern; ist der Ansicht, dass die Kommission Wege prüfen sollte, um Anreize für die Zusammenarbeit zwischen großen Unternehmen und KMU bei Forschungsprojekten mit Bedeutung für die Bahnindustrie zu geben;

15.  ist der Ansicht, dass einer der Schwerpunkte der Forschungstätigkeiten Digitalisierung sein sollte, um die Leistung des Schienenverkehrs zu steigern und seine Betriebskosten zu senken (z. B. Automatisierung, Sensoren und Überwachungsinstrumente, Interoperabilität, z. B. durch ERTMS/ECTS, Nutzung von Raumfahrttechnologien, auch durch Zusammenarbeit mit der ESA, Nutzung von Massendaten und Cybersicherheit); ist der Ansicht, dass ein weiterer Schwerpunkt auf der Steigerung der Ressourcen- und Energieeffizienz, beispielsweise durch leichtere Werkstoffe und alternative Kraftstoffe, liegen sollte; ist der Ansicht, dass ein dritter Schwerpunkt auf Fortschritten, die den Schienenverkehr attraktiver und akzeptierter machen (z. B. verbesserte Zuverlässigkeit und Geräuschreduzierung, reibungsloses multimodales Verkehrssystem, integriertes Fahrscheinsystem), liegen sollte; betont, dass über den Innovationsbemühungen die Infrastruktur nicht vernachlässigt werden darf, die ein entscheidendes Element für die Wettbewerbsfähigkeit der Bahnindustrie ist;

16.  fordert eine zügige Umsetzung eines integrierten E-Ticket-Systems, bei dem andere Verkehrsträger und andere potenzielle Dienstleistungen einbezogen und Fahrscheine von einem einzigen Anbieter angeboten werden;

17.  weist darauf hin, dass die Produktion moderner Eisenbahnschienen und anderer Schienen sowie jeglichen Zubehörs, das in den Gleisbetten der Eisenbahnen und Straßenbahnen in Verbindung mit Schienen benötigt wird, unbedingt sichergestellt werden muss;

18.  fordert die Kommission auf, für den Schutz der Rechte des geistigen Eigentums der europäischen Bahnindustrie auf internationaler Ebene zu sorgen, wobei die Empfehlungen der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 9. Juni 2015 zu einer Strategie zum Schutz und zur Durchsetzung von Immaterialgüterrechten in Drittländern(1) berücksichtigt werden müssen;

Erlangen der richtigen Fertigkeiten für eine zukunftssichere Bahnindustrie

19.  fordert eine europäische Aus- und Weiterbildungsstrategie, bei der Unternehmen der Bahnindustrie, Forschungsinstitute und Sozialpartner zusammenkommen, um gemeinsam zu ermitteln, welche Fertigkeiten für eine nachhaltige und innovative Bahnindustrie benötigt werden; ist der Ansicht, dass in diesem Zusammenhang eine Machbarkeitsstudie in Bezug auf ein potenzielles europäisches branchenspezifisches Kompetenzgremium für die Eisenbahnbranche eingeleitet werden sollte; fordert die Mitgliedstaaten oder die entsprechenden regionalen Stellen dazu auf, einen Rahmen für die Weiterbildung in Form eines individuellen Rechts auf Ausbildung zu schaffen, mit dem sichergestellt wird, dass ihr Kompetenzpool auf die wachsende Nachfrage in der betreffenden Branche abgestimmt ist und sich an einen neuen Markt anpassen oder im Falle von Arbeitsplatzverlust auf einen anderen Industriezweig übertragen werden kann;

20.  weist darauf hin, dass es in der Bahnindustrie aufgrund einer alternden Belegschaft an qualifizierten Arbeitskräften mangelt; begrüßt daher alle Bemühungen, lebenslanges Lernen und technische Fertigkeiten zu unterstützen; fordert eine Kampagne, um die Attraktivität der Bahnindustrie zu steigern und junge Ingenieure stärker darauf aufmerksam zu machen (z. B. durch ESF-Finanzmittel); hebt hervor, dass in der Branche besonders wenige Frauen beschäftigt sind, und betont daher, dass bei einer solchen Kampagne besonders darauf geachtet werden sollte, dieses Ungleichgewicht zu beheben; fordert die Kommission auf, den sozialen Dialog zu fördern, um soziale Innovationen zu erleichtern und hochwertige langfristige Beschäftigung zu fördern, damit die Attraktivität des Sektors für qualifizierte Arbeitskräfte verbessert wird;

21.  ist der Meinung, dass das Vermitteln angemessen ausgewählter Fertigkeiten eine unverzichtbare Investition ist, um die globale Technologieführerschaft und Innovationskraft der europäischen Bahnindustrie langfristig zu erhalten;

Unterstützung von KMU

22.  ist der Ansicht, dass der Zugang zu Finanzmitteln eine der größten Herausforderungen für KMU in der Bahnindustrie darstellt; betont den Mehrwert von COSME und den Strukturfonds, wenn es darum geht, KMU beim Zugang zu Finanzierung zu unterstützen, unter anderem in Form von Garantie- und Eigenkapitalfazilitäten, und betont, dass diese Instrumente stärker gefördert werden müssen; begrüßt es, dass KMU und Midcap-Unternehmen im Mittelpunkt des EFSI stehen, betont jedoch, dass der Fonds jetzt halten muss, was er versprochen hat, und weist darauf hin, dass auch alternative Finanzierungsquellen in Erwägung gezogen werden sollten; begrüßt das KMU-Instrument im Rahmen von Horizont 2020, weist jedoch auf das Problem zu vieler Angebote und die geringe Erfolgsquote hin; fordert die Kommission auf, dieses Problem im Rahmen der Halbzeitüberprüfung von Horizont 2020 anzugehen; fordert die Kommission auf, eine bessere Aufnahme der KMU zur Verfügung stehenden Finanzinstrumente und Fonds der EU zu unterstützen;

23.  hebt hervor, dass KMU in der Bahnindustrie oft von einem einzigen Unternehmen abhängen; hebt hervor, dass KMU wegen fehlender Ressourcen und erhöhter Risiken in Verbindung mit grenzübergreifenden Geschäften auf Expansion verzichten; fordert die Kommission auf, im Rahmen des Enterprise Europe Network Sektorgruppen für den Schienenverkehr zu entwickeln, die KMU der Bahnindustrie dazu schulen und beraten könnten, welche verschiedenen Finanzierungsregelungen, Zuschüsse und Internationalisierungsmöglichkeiten es gibt und wie sie potenzielle Geschäftspartner und Partner, mit denen sie sich um von der EU finanzierte gemeinsame Forschungsprojekte bewerben können, finden und mit ihnen ins Geschäft kommen können;

24.  fordert die Kommission auf, die bestehenden Programme zur Unterstützung der Internationalisierung von KMU umfassender zu nutzen und im Zusammenhang mit Synergien zwischen verschiedenen EU-Fonds ihren Bekanntheitsgrad unter den KMU der europäischen Bahnindustrie zu steigern; fordert die Kommission auf, Schulungsprogramme zum Zugang zu bestimmten ausländischen Märkten weiterzuentwickeln und KMU der Bahnindustrie umfassend über solche Programme zu unterrichten;

25.  fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, alle Möglichkeiten zur Unterstützung von KMU der Bahnindustrie in Erwägung zu ziehen, auch im Rahmen einer möglichen gezielten Überarbeitung des Small Business Act, wobei den Bedürfnissen von Branchen wie der Eisenbahnindustrie, in der die Beteiligung von KMU mit hohem Mehrwert besonders wichtig ist, besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird;

26.  ist besorgt über langsame Zahlungen an KMU in der Bahnindustrie; fordert die Kommission auf, die korrekte Durchführung der Zahlungsverzugsrichtlinie (2011/7/EU) zu überwachen;

Verbesserung des europäischen Marktumfelds für Zulieferer und Erhöhung der Nachfrage nach Eisenbahnprodukten

27.  begrüßt die Annahme der technischen Säule des vierten Eisenbahnpakets und fordert ihre zügige Umsetzung als wesentliche Voraussetzung für einen echten Binnenmarkt für Eisenbahnprodukte; betont, dass erhöhte Interoperabilität und eine stärkere Rolle für die Europäische Eisenbahnagentur (ERA) die Harmonisierung des Netzes erleichtern werden und somit das Potenzial haben, die Kosten für die Entwicklung und Zulassung von rollendem Material und dem streckenseitigen Europäischen Eisenbahnverkehrsleitsystem (ERTMS) zu senken; weist darauf hin, dass der ERA ausreichende personelle und finanzielle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden müssen, damit sie ihre neuen erweiterten Aufgaben bewältigen kann; ist der Auffassung, dass die politische Säule des vierten Eisenbahnpakets für die Wettbewerbsfähigkeit der Verkehrsunternehmen und allgemeiner der Auftraggeber maßgeblich sein wird;

28.  betont, dass die Verordnung über das Schienennetz für einen wettbewerbsfähigen Güterverkehr vollständig, wirksam und einheitlich umgesetzt werden muss, was sowohl Fahrgästen als auch der Industrie zugutekommt;

29.  fordert die Kommission auf, die Marktdefinitionen und die derzeitigen EU-Wettbewerbsvorschriften neu zu beurteilen, um der Entwicklung auf dem globalen Eisenbahnmarkt Rechnung zu tragen; fordert die Kommission auf, zu ermitteln, wie diese Definitionen und Vorschriften aktualisiert werden müssten, um auf das Problem von Fusionen auf dem globalen Markt – wie die Fusion von CNR und CSR – einzugehen und strategische Partnerschaften und Allianzen vonseiten der europäischen Bahnindustrie zu erlauben;

30.  fordert eine weitergehende europäische Normung in der Eisenbahnbranche, die durch Interessenträger (einschließlich der europäischen Bahnindustrie) unter der Führung des CEN/CENELEC vorangebracht wird; hofft, dass die von der Kommission vorgeschlagene neue gemeinsame Normungsinitiative in diesem Zusammenhang eine wesentliche Rolle spielen wird; betont, dass unbedingt mehr KMU in die europäische Normung einbezogen werden müssen;

31.  fordert eine zügige Umsetzung der EU-Richtlinien zur Vergabe öffentlicher Aufträge von 2014; weist die Mitgliedstaaten und die Kommission erneut darauf hin, dass öffentliche Auftraggeber durch diese Richtlinien verpflichtet werden, Vergabeentscheidungen auf der Grundlage des wirtschaftlich günstigsten Angebots zu treffen, wobei der Schwerpunkt auf Lebenszykluskosten und ökologisch und sozial nachhaltigen Produkten liegt, und so Lohn- und Sozialdumping vermieden werden und potenziell die regionale Wirtschaftsstruktur gestärkt wird; fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die Analyse der Kosten über den gesamten Lebenszyklus allgemein als Standardverfahren bei langfristigen Investitionen zu fördern, öffentlichen Auftraggebern eine Orientierungshilfe zu geben und ihre Anwendung zu überwachen; fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, öffentliche Auftraggeber darauf hinzuweisen, dass es in dem überarbeiteten Rahmen für die Vergabe öffentlicher Aufträge eine Bestimmung gibt, die es gestattet, Angebote zurückzuweisen, bei denen mehr als 50 % des Gesamtwertes in Drittländern erzeugt werden (Artikel 85 der Richtlinie 2014/25/EU);

32.  fordert die Kommission auf, die in EU-Mitgliedstaaten getätigten außereuropäischen Investitionen in den Schienenverkehr zu überwachen und die Einhaltung der europäischen Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge, beispielsweise der Vorschriften über ungewöhnlich niedrige Angebote und unlauteren Wettbewerb, sicherzustellen; fordert die Kommission auf, Untersuchungen bezüglich potenzieller außereuropäischer Bewerber einzuleiten, die Angebote in der EU einreichen, während sie staatliche Subventionen aus Drittstaaten erhalten;

Steigerung der Investitionen in Eisenbahnprojekte

33.  erwartet eine vollständige Nutzung der bestehenden EU-Finanzierungsinstrumente (z. B. Fazilität „Connecting Europe“, Strukturfonds), einschließlich EU-Finanzierungsinstrumenten für Investitionen außerhalb der EU wie Heranführungshilfe und Europäisches Nachbarschaftsinstrument, um die Nachfrage nach Eisenbahnprojekten anzuregen; betont die Bedeutung einer erfolgreichen Umsetzung des Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI) als ein Instrument, um privates Kapital für den Bahnsektor zu mobilisieren, und fordert, genauer zu untersuchen, wie Anreize für private Investitionen für Eisenbahnprojekte geschaffen werden können; ist der Ansicht, dass öffentliche Entwicklungsbanken auf nationaler und europäischer Ebene bei der Unterstützung der Bahnindustrie eine wichtige Rolle spielen; fordert die Kommission auf, mit den multilateralen Entwicklungsbanken zusammenzuarbeiten, um Behörden und privaten Einrichtungen dabei zu helfen, überall auf der Welt in möglichst nachhaltige und energieeffiziente Eisenbahnausrüstung zu investieren; fordert die Kommission und die EIB auf, beratende Unterstützung für Eisenbahnprojekte durch die neu geschaffene Plattform für Investitionsberatung im Rahmen des ESFI zu intensivieren, um sie dabei zu unterstützen, Investitionen anzuziehen; ist davon überzeugt, dass der Eisenbahnsektor in Europa auch in Zukunft stark von öffentlichen Investitionen abhängig sein wird; fordert die Mitgliedstaaten und die Behörden daher auf, in beträchtlichem Umfang in ihre Hauptstrecken und ihre städtischen Eisenbahnsysteme zu investieren und wo möglich die Ausschöpfungsquote der Kohäsionsfonds für Eisenbahnprojekte zu erhöhen; fordert jedoch in Anbetracht dieser Abhängigkeit und des Drucks auf die öffentlichen Finanzen in zahlreichen europäischen Ländern dazu auf, alle möglichen Mittel rechtlicher oder haushaltstechnischer Art auszuschöpfen, um privates Kapital für den Schienenverkehr zu erschließen;

34.  weist darauf hin, dass die komplexen Verhältnisse im Eisenbahnsektor es für Kreditgeber schwierig machen, das Risiko zu verstehen und somit günstige Kredite zu vergeben; fordert die Kommission auf, ein Finanzforum für die Bahnindustrie zu schaffen, um die Beteiligung und das Teilen von Wissen zwischen der Bahnindustrie und dem Finanzsektor zu verbessen, um das Verständnis der Banken für den Sektor und somit das Verständnis für die Risiken zu verbessern und die Finanzierungskosten zu senken;

35.  ist der Ansicht, dass die Instandhaltung und Modernisierung von bestehendem Eisenbahnmaterial nicht vernachlässigt werden sollte; fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, den Austausch von alter Ausrüstung durch moderne und nachhaltige Produkte in großem Maßstab zu unterstützen;

36.  begrüßt die Unterstützung der Online-Plattform „Beobachtungsstelle für urbane Mobilität“ (Eltis) durch die EU, die einen Austausch von bewährten Verfahren zu städtischen Systemen in Ballungsgebieten ermöglich; fordert die Kommission auf, den Austausch von bewährten Verfahren zu verschiedenen Finanzierungsmöglichkeiten für nachhaltige Systeme städtischer Mobilität zu stärken und daraus die Förderung im Rahmen ihrer künftigen europäischen Plattform zu Plänen für nachhaltige Mobilität in den Städten zu machen;

37.  fordert die Kommission auf, in Zusammenarbeit mit der ERA die harmonisierte Verbreitung von ERTMS innerhalb der EU weiter zu unterstützen und ERTMS außerhalb der EU zu fördern;

38.  begrüßt Bemühungen, Anwendungen und Dienste von Galileo und der Europäischen Erweiterung des geostationären Navigationssystems (EGNOS) in der Bahnbranche in Betrieb zu nehmen; würdigt in diesem Zusammenhang die Rolle der Europäischen GNSS-Agentur und ihrer erfolgreichen Verwaltung der Projekte im Rahmen der Programme FP7 und Horizont 2020;

Stärkung der globalen Wettbewerbsfähigkeit der Bahnindustrie

39.  fordert die Kommission auf, dafür zu sorgen, dass zukünftige Handelsabkommen (einschließlich derjenigen, über die mit Japan, China und den USA gerade verhandelt wird) und die Überarbeitungen bestehender Handelsabkommen spezifische Bestimmungen enthalten, durch die der Marktzugang für die Bahnindustrie insbesondere in Bezug auf die Vergabe öffentlicher Aufträge deutlich verbessert wird und bei denen auch auf das Problem zunehmender Lokalisierungsanforderungen eingegangen wird und für gegenseitigen Zugang zu ausländischen Märkten für die Bahnindustrie gesorgt wird; fordert die Kommission auf, gleiche Ausgangsbedingungen für Marktteilnehmer von innerhalb und außerhalb Europas sicherzustellen;

40.  fordert die Kommission auf, für eine bessere Kohärenz zwischen der Handelspolitik der EU und der Industriepolitik zu sorgen, damit die Handelsstrategie den Erfordernissen der europäischen Industrie Rechnung trägt und damit die neue Generation der Handelsabkommen nicht weitere Verlagerungen und eine zunehmende Deindustrialisierung in der EU nach sich zieht;

41.  fordert die Kommission auf, entschlossen auf die Aufhebung der wichtigsten nichttarifären Handelshemmnisse hinzuarbeiten, die den Zugang der europäischen Bahnindustrie zu auswärtigen Märkten behindern, unter anderem der Hindernisse für Investitionen (insbesondere Verpflichtungen im Zusammenhang mit Gemeinschaftsunternehmen) oder des Mangels an Transparenz und der Diskriminierung in den Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge (insbesondere zunehmende Forderungen nach lokalen Inhalten);

42.  betont die Relevanz und die Auswirkungen, die die Verhandlungen zu dem „internationalen Instrument über öffentliche Aufträge“ und die Überarbeitung der Verordnungen zu handelspolitischen Schutzinstrumenten für die europäische Bahnindustrie haben, und fordert den Rat und die Kommission auf, dies zu berücksichtigen und eng mit dem Europäischen Parlament zusammenzuarbeiten, um zu einer raschen Einigung zu diesen Instrumenten zu gelangen; fordert die Kommission auf, zu berücksichtigen, welche Auswirkungen auf die Funktion von Handelsschutzmaßnahmen und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Bahnindustrie es hätte, wenn staatlich gelenkten Wirtschaften oder anderen Nicht-Marktwirtschaften ein Marktwirtschaftsstatus zuerkannt würde;

43.  fordert die Kommission auf, eine kohärente EU-Handelsstrategie zu entwickeln, durch die die Einhaltung des Grundsatzes der Gegenseitigkeit, insbesondere in Bezug auf Japan, China und die USA, sichergestellt wird und durch die eine weitere Internationalisierung der Bahnindustrie, insbesondere von KMU, unterstützt wird, unter anderem durch die Förderung europäischer Standards und Technologien wie ERTMS auf internationaler Ebene und durch eine Prüfung, wie das Recht des geistigen Eigentums der europäischen Bahnindustrie besser geschützt werden kann (beispielsweise durch eine weitere Verbreitung des Europäischen Helpdesks für Rechte des geistigen Eigentums);

44.  fordert die Kommission auf, dazu beizutragen, sämtliche tarifären und nichttarifären Handelshemmnisse zu beseitigen, die Handelsverfahren für KMU der Bahnindustrie zu vereinfachen und dafür zu sorgen, dass sämtliche restriktiven Handelspraktiken auf den Drittmärkten schrittweise verschwinden; fordert die Kommission auf, darauf hinzuarbeiten, die Ausstellung von Arbeitsvisa für Beschäftigte europäischer KMU, die vorübergehend in Drittländer abgeordnet werden, zu erleichtern und die Anzahl der benötigten wirtschaftlichen Transaktionen für KMU zu reduzieren;

45.  weist darauf hin, dass bestimmte Drittländer derzeit nicht hinnehmbare Handelsverzerrungen schaffen, indem sie ihre einheimischen Exporteure beim Export über finanzielle Konditionen, die potenziellen Kunden bereitgestellt werden, übermäßig unterstützen; appelliert diesbezüglich an die Kommission, die chinesische Regierung davon zu überzeugen, der OECD-Vereinbarung über Exportkredite und ihrem spezifischen Kapitel über die Schieneninfrastruktur beizutreten; fordert parallel dazu die Kommission auf, ihre Arbeiten an den neuen weltweiten Leitlinien über Exportkredite innerhalb der Internationalen Arbeitsgruppe für Exportkredite zu verstärken;

Verbesserung der strategischen politischen Unterstützung für den Sektor

46.  fordert die Kommission auf, eine Mitteilung über eine schlüssige EU-Strategie für die Industriepolitik zu veröffentlichen, die auf die Reindustrialisierung Europas abzielt und unter anderem auf Nachhaltigkeit und Energie- und Ressourceneffizienz basiert; fordert die Kommission auf, in diesem Dokument ihre Strategie zu wichtigen Branchen einschließlich der Bahnindustrie zu erläutern; sieht es als wichtig an, Ideen dazu aufzunehmen, wie eine hohe Fertigungstiefe in der EU erhalten werden kann;

47.  fordert die Kommission auf, einen Wirtschaftsdialog zur Bahnindustrie auf hoher Ebene zu organisieren, an dem die einschlägigen Mitglieder der Kommission, Mitglieder des Europäischen Parlaments, der Rat, die Mitgliedstaaten, die Bahnindustrie, Gewerkschaften, Forschungsinstitute, die europäische Eisenbahnagentur und europäische Normungsorganisationen beteiligt sind; weist darauf hin, dass ein regelmäßiger Wirtschaftsdialog zur Bahnindustrie auf europäischer Ebene eine strukturierte Diskussion zu den horizontalen Herausforderungen für den Sektor und den Auswirkungen der EU-Politik auf die Wettbewerbsfähigkeit der Bahnindustrie ermöglichen würde;

48.  fordert die Kommission auf, dafür zu sorgen, dass die Politik, die Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Bahnindustrie in der EU hat, das Ergebnis effektiver Kommunikation und Abstimmung zwischen den Verwaltungen der verschiedenen beteiligten Politikbereiche ist;

49.  ist der Ansicht, dass für die Stärkung und Entwicklung der europäischen Bahnindustrie politische Unterstützung vonseiten des Rates benötigt wird; fordert daher den Rat „Wettbewerbsfähigkeit“ auf, die europäische Bahnindustrie konkret auf seine Tagesordnung zu setzen;

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50.  beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission zu übermitteln.

(1) Angenommene Texte, P8_TA(2015)0219.

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