Beschluss des Europäischen Parlaments vom 14. Juni 2017 über den Antrag auf Aufhebung der Immunität von Mylène Troszczynski (2017/2019(IMM))
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf den am 1. Dezember 2016 vom Minister für Justiz der Französischen Republik übermittelten und am 16. Januar 2017 im Plenum bekannt gegebenen Antrag auf Aufhebung der Immunität von Mylène Troszczynski im Rahmen einer gerichtlichen Voruntersuchung, die vom Staatsanwalt von Bobigny wegen öffentlicher Verleumdung einer Person oder einer Gruppe von Personen wegen ihrer Herkunft oder ihrer Zugehörigkeit oder ihrer Nichtzugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe, Nation, Rasse oder Religion sowie Aufstachelung zum Hass und zur Gewalt gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Herkunft oder ihrer Zugehörigkeit oder ihrer Nichtzugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe, Nation, Rasse oder Religion eingeleitet wurde,
– nach Anhörung von Mylène Troszczynski gemäß Artikel 9 Absatz 6 seiner Geschäftsordnung,
– gestützt auf die Artikel 8 und 9 des Protokolls (Nr. 7) über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union und auf Artikel 6 Absatz 2 des Aktes vom 20. September 1976 zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments,
– unter Hinweis auf die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 12. Mai 1964, 10. Juli 1986, 15. und 21. Oktober 2008, 19. März 2010, 6. September 2011 und 17. Januar 2013(1),
– unter Hinweis auf Artikel 26 der Verfassung der Französischen Republik in der durch das Verfassungsgesetz Nr. 95‑880 vom 4. August 1995 geänderten Fassung,
– gestützt auf Artikel 5 Absatz 2, Artikel 6 Absatz 1 und Artikel 9 seiner Geschäftsordnung,
– unter Hinweis auf den Bericht des Rechtsausschusses (A8-0218/2017),
A. in der Erwägung, dass der Staatsanwalt von Bobigny beantragt hat, im Zusammenhang mit Verfahren wegen der Veröffentlichung eines Bildes im Twitter-Konto von Mylène Troszczynski am 23. September 2015, wobei das Bild vollverschleierte Frauen darstellte, die augenscheinlich vor der Familienausgleichskasse (CAF) Schlange standen, versehen mit dem Kommentar „CAF in Rosny-Sous-Bois am 9.12.14. Die Vollverschleierung gilt als gesetzlich verboten ...“, die Immunität von Mylène Troszczynski, Mitglied des Europäischen Parlaments und Mitglied des Regionalrats der Picardie, aufzuheben;
B. in der Erwägung, dass das streitgegenständliche Bild tatsächlich eine Fotomontage war, die anhand eines in London aufgenommenen Fotos erstellt wurde, das bereits vom Inhaber eines anderen Twitter-Kontos benutzt worden war, und in der Erwägung, dass sich im Rahmen der Voruntersuchungen ergab, dass nicht Mylène Troszczynski diejenige war, die die Botschaft ins Internet gestellt hatte, sondern ihr Assistent, der den Sachverhalt einräumte;
C. in der Erwägung, dass der Staatsanwalt darauf hingewiesen hat, dass von einer Verantwortung von Mylène Troszczynski wegen ihrer Stellung als Verantwortliche für die Veröffentlichung über ihr Twitter-Konto ausgegangen werden könne;
D. in der Erwägung, dass Mylène Troszczynski das Bild umgehend aus ihrem Twitter-Konto entfernte, als sie feststellte, dass es sich um eine Fotomontage handelte;
E. in der Erwägung, dass der Antrag auf Aufhebung der Immunität von Mylène Troszczynski in Zusammenhang mit einer mutmaßlichen Straftat der öffentlichen Verleumdung einer Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Herkunft oder ihrer Zugehörigkeit oder ihrer Nichtzugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe, Nation, Rasse oder Religion (strafbar nach den Artikeln 23, 29 Absatz 1, 32 Absätze 2 und 3, 42, 43 und 48-6 des Gesetzes vom 29. Juli 1881) und der Beteiligung an einer Straftat der Aufstachelung zur Diskriminierung, zum Hass und zur rassistischen Gewalt, um die es in den laufenden Ermittlungen geht, (strafbar nach den Artikeln 24 Absätze 8, 10, 11 und 12, 23 Absatz 1 und 42 des Gesetzes vom 29. Juli 1881 sowie Artikel 131-26 Absätze 2 und 3 des Strafgesetzbuchs) steht;
F. in der Erwägung, dass gemäß Artikel 9 des Protokolls (Nr. 7) über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union Mitgliedern des Europäischen Parlaments im Hoheitsgebiet ihres eigenen Staates die den Parlamentsmitgliedern zuerkannte Unverletzlichkeit zusteht;
G. in der Erwägung, dass gemäß Artikel 26 der französischen Verfassung kein Mitglied des Parlaments wegen der in Ausübung seines Mandates geäußerten Meinungen oder vorgenommenen Abstimmungen verfolgt, Gegenstand einer Fahndung sein, verhaftet, in Haft gehalten oder verurteilt werden darf und kein Mitglied des Parlaments ohne die Genehmigung des Präsidiums der Kammer, der es angehört, wegen eines Verbrechens oder eines Vergehens verhaftet oder anderweitig seiner Freiheit beraubt oder in seiner Freiheit eingeschränkt werden darf;
H. in der Erwägung, dass der Umfang der Immunität, der den Mitgliedern des französischen Parlaments gewährt wird, dem Umfang der Immunität entspricht, der den Mitgliedern des Europäischen Parlaments gemäß Artikel 8 des Protokolls (Nr. 7) über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union gewährt wird; in der Erwägung, dass der Gerichtshof der Europäischen Union festgestellt hat, dass die Äußerung eines Mitglieds des Europäischen Parlaments nur dann unter die Immunität fallen kann, wenn sie in Ausübung seines Amtes erfolgt, was nichts anderes bedeutet, als dass ein Zusammenhang zwischen der erfolgten Äußerung und der parlamentarischen Tätigkeit bestehen muss; in der Erwägung, dass solch ein Zusammenhang unmittelbar und offenkundig sein muss;
I. in der Erwägung, dass die Vorwürfe nicht in Zusammenhang mit der Stellung von Mylène Troszczynski als Mitglied des Europäischen Parlaments stehen, sondern vielmehr Tätigkeiten regionaler Art betreffen, da sich das montierte Bild und die Kommentare darauf bezogen, was angeblich entgegen dem französischen Recht in Rosny-Sous-Bois geschah;
J. in der Erwägung, dass es bei der Beschuldigung nicht um eine in Ausübung des Amtes von Mylène Troszczynski als Mitglied des Europäischen Parlaments erfolgte Äußerung oder abgegebene Stimme im Sinne von Artikel 8 des Protokolls (Nr. 7) über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union geht;
K. in der Erwägung, dass kein Verdacht auf fumus persecutionis vorliegt, d. h. einen offensichtlichen Versuch, die parlamentarische Arbeit von Mylène Troszczynski zu verhindern, der hinter der gerichtlichen Voruntersuchung stehen könnte, die infolge einer Anzeige wegen öffentlicher Verleumdung einer Behörde, erstattet von der Familienausgleichskasse von Seine-Saint-Denis, vertreten durch ihren Hauptgeschäftsführer, eingeleitet wurde;
1. beschließt, die Immunität von Mylène Troszczynski aufzuheben;
2. beauftragt seinen Präsidenten, diesen Beschluss und den Bericht seines zuständigen Ausschusses unverzüglich dem Minister für Justiz der Französischen Republik und Mylène Troszczynski zu übermitteln.
Urteil des Gerichtshofs vom 12. Mai 1964, Wagner/Fohrmann und Krier, 101/63, ECLI:EU:C:1964:28; Urteil des Gerichtshofs vom 10. Juli 1986, Wybot/Faure und andere, 149/85, ECLI:EU:C:1986:310; Urteil des Gerichts vom 15. Oktober 2008, Mote/Parlament, T‑345/05, ECLI:EU:T:2008:440; Urteil des Gerichtshofs vom 21. Oktober 2008, Marra/De Gregorio und Clemente, C‑200/07 und C‑201/07, ECLI:EU:C:2008:579; Urteil des Gerichts vom 19. März 2010, Gollnisch/Parlament, T‑42/06, ECLI:EU:T:2010:102; Urteil des Gerichtshofs vom 6. September 2011, Patriciello, C‑163/10, ECLI: EU:C:2011:543; Urteil des Gerichts vom 17. Januar 2013, Gollnisch/Parlament, T‑346/11 und T‑347/11, ECLI:EU:T:2013:23.