Entschließung des Europäischen Parlaments vom 19. April 2018 zur Umsetzung der Richtlinie 2011/99/EU über die Europäische Schutzanordnung (2016/2329(INI))
Das Europäische Parlament,
– gestützt auf Artikel 2 und 3 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) und Artikel 8, 10, 18, 19, 21, 79 und 82 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV),
– unter Hinweis auf Artikel 3, 6, 20, 21, 23, 24, 41 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union,
– unter Hinweis auf die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten,
– unter Hinweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die im Jahr 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommen wurde,
– unter Hinweis auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen von 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau,
– unter Hinweis auf die Erklärung der Vereinten Nationen über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen vom 20. Dezember 1993,
– unter Hinweis auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes, das am 20. November 1989 in New York verabschiedet wurde,
– unter Hinweis auf die Erklärung und die Aktionsplattform von Peking, die am 15. September 1995 auf der vierten Weltfrauenkonferenz angenommen wurden, sowie auf die entsprechenden Abschlussdokumente, die im Rahmen der Sondertagungen der Vereinten Nationen Peking +5 (2000), Peking +10 (2005), Peking +15 (2010) und Peking +20 (2015) angenommen wurden,
– unter Hinweis auf die Allgemeine Bemerkung des Ausschusses der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 26. August 2016 zu Artikel 6 („Frauen und Mädchen mit Behinderungen“) des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen,
– unter Hinweis auf das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Übereinkommen von Istanbul) und die Beschlüsse (EU) 2017/865(1) und (EU) 2017/866(2) des Rates vom 11. Mai 2017 über die Unterzeichnung – im Namen der Europäischen Union – des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt,
– unter Hinweis auf die Unterzeichnung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Übereinkommen von Istanbul) durch alle Mitgliedstaaten,
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 12. September 2017 zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Abschluss des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt durch die Europäische Union(3),
– unter Hinweis auf die Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI(4),
– unter Hinweis auf die Richtlinie 2004/80/EG vom 29. April 2004 des Rates zur Entschädigung der Opfer von Straftaten(5),
– unter Hinweis auf die Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates(6) und auf die Richtlinie 2011/93/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI des Rates(7),
– unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 19. Juni 2012 mit dem Titel „Die Strategie der EU zur Beseitigung des Menschenhandels 2012–2016“ (COM(2012)0286),
– unter Hinweis auf die Richtlinie 2011/99/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Europäische Schutzanordnung(8),
– unter Hinweis auf die Verordnung (EU) Nr. 606/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juni 2013 über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen(9),
– unter Hinweis auf den Rahmenbeschluss 2008/947/JI des Rates vom 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und Bewährungsentscheidungen im Hinblick auf die Überwachung von Bewährungsmaßnahmen und alternativen Sanktionen(10),
– unter Hinweis auf den Rahmenbeschluss 2009/829/JI des Rates vom 23. Oktober 2009 über die Anwendung – zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union – des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen über Überwachungsmaßnahmen als Alternative zur Untersuchungshaft(11),
– unter Hinweis auf den Rahmenbeschluss 2008/977/JI des Rates vom 27. November 2008 über den Schutz personenbezogener Daten, die im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen verarbeitet werden(12),
– unter Hinweis auf die Entschließung des Rates vom 10. Juni 2011 über einen Fahrplan zur Stärkung der Rechte und des Schutzes von Opfern, insbesondere in Strafverfahren(13),
– unter Hinweis auf das Stockholmer Programm – Ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger(14),
– unter Hinweis auf das Programm „Rechte, Gleichstellung und Unionsbürgerschaft“ (2014–2020),
– unter Hinweis auf das Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen vom 3. Dezember 2015 zu dem Thema „Strategisches Engagement für die Gleichstellung der Geschlechter (2016–2019)“ (SWD(2015)0278),
– unter Hinweis auf den Bericht der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte mit dem Titel „Gewalt gegen Frauen: eine EU-weite Erhebung“,
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 26. November 2009 zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen(15),
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 10. Februar 2010 zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Europäischen Union – 2009(16),
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 25. Februar 2014 mit Empfehlungen an die Kommission zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen(17),
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 9. Juni 2015 zu der Strategie der EU für die Gleichstellung von Frauen und Männern nach 2015(18),
– unter Hinweis auf die Bewertung der EU-weiten Umsetzung der Richtlinie 2011/99/EU, die vom Referat Ex-post-Bewertung des Wissenschaftlichen Dienstes des Europäischen Parlaments erstellt wurde (PE603.272),
– gestützt auf Artikel 52 seiner Geschäftsordnung sowie auf Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe e und Anlage 3 des Beschlusses der Konferenz der Präsidenten vom 12. Dezember 2002 über das Verfahren für die Genehmigung zur Ausarbeitung von Initiativberichten,
– unter Hinweis auf die gemeinsamen Überlegungen des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres und des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter gemäß Artikel 55 der Geschäftsordnung,
– unter Hinweis auf den Bericht des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres und des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter (A8‑0065/2018),
A. in der Erwägung, dass jedwede Art der gegen Menschen gerichteten Gewalt einen direkten Verstoß gegen ihre Menschenwürde darstellt, die als Basis aller grundlegenden Menschenrechte dient und daher geachtet und geschützt werden muss; in der Erwägung, dass Gewalt gegen Frauen eine brutale Form der Diskriminierung und einen Verstoß gegen Menschen- und Grundrechte darstellt;
B. in der Erwägung, dass die Opfer von Gewalt und Missbrauch Gefahr laufen, Opfer von sekundärer und wiederholter Viktimisierung, Vergeltungsmaßnahmen und Einschüchterung zu werden; in der Erwägung, dass daher das Bewusstsein der Opfer, der Gesellschaft im Allgemeinen und aller Personen, die beruflich mit ihnen zu tun haben, darunter auch wichtige Akteure wie solche, die Schutzunterkünfte bereitstellen, entscheidend dafür ist, den Opfern (auch grenzüberschreitend) den notwendigen Schutz zukommen zu lassen;
C. in der Erwägung, dass es nachteilige Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft hat, wenn ein Mensch nicht ausreichend vor geschlechtsspezifischer Gewalt geschützt wird;
D. in der Erwägung, dass einer der wichtigsten Sicherheitsaspekte jeder Gesellschaft der Schutz der persönlichen Unversehrtheit und Freiheit jedes Menschen ist; in der Erwägung, dass dem Schutz der persönlichen Sicherheit und aller Menschen vor geschlechtsspezifischer Gewalt in der Europäischen Sicherheitsagenda Priorität eingeräumt werden sollte;
E. in der Erwägung, dass Gewalt, körperliche Misshandlung sowie emotionaler und sexueller Missbrauch unverhältnismäßig oft gegen Frauen gerichtet sind(19); in der Erwägung, dass ein Drittel der Frauen in der EU nach ihrem 15. Lebensjahr mindestens einmal körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlitten hat; in der Erwägung, dass das Ausmaß und die Brutalität der Gewalt gegen Frauen häufig ignoriert und in einigen Mitgliedstaaten verharmlost werden und dass es immer noch eine besorgniserregend weit verbreitete Tendenz gibt, den Opfern die Schuld zuzuweisen; in der Erwägung, dass sich nur etwa ein Drittel der Frauen, die von ihrem Partner körperlich misshandelt oder sexuell missbraucht werden, an die Behörden wendet;
F. in der Erwägung, dass die Sicherstellung der Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Politikbereichen ein Grundsatz der Europäischen Union und ein wesentlicher Aspekt der Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt ist;
G. in der Erwägung, dass in dem Übereinkommen von Istanbul, das von der EU und allen Mitgliedstaaten unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert wurde(20), festgelegt ist, dass all seine Bestimmungen und vor allem die Maßnahmen zum Schutz der Rechte von Opfern ohne jedwede Diskriminierung umzusetzen sind, und dass die Vertragsparteien darin ausdrücklich aufgefordert werden, Stalking als Straftatbestand anzuerkennen; in der Erwägung, dass die Ratifizierung und uneingeschränkte Umsetzung des Übereinkommens von Istanbul dazu beitragen wird, die durch die Europäische Schutzanordnung aufgeworfenen Probleme zu beheben, indem ein einheitlicher europäischer Rechtsrahmen für die Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen geschaffen wird;
H. in der Erwägung, dass die Mitgliedstaaten Frühwarnsysteme und Instrumente zum Schutz von Frauen einführen und verstärken müssen, damit sich diese sicher fühlen und geschlechtsspezifische Gewalt melden können und damit so die geschätzte Dunkelziffer gesenkt werden kann; in der Erwägung, dass die äußerst hohe Dunkelziffer im Bereich der geschlechtsspezifischen Gewalt in Zusammenhang mit dem Mangel an öffentlichen Mitteln stehen könnte; in der Erwägung, dass die zuständigen Behörden über Einrichtungen wie Schutzunterkünfte verfügen müssen, in denen medizinische und forensische Unterstützung, psychologische Betreuung und Rechtsberatung angeboten werden und die als sicherer Hafen für Frauen dienen, die Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt geworden sind;
I. in der Erwägung, dass die Freizügigkeit in der EU bedeutet, dass Menschen sich häufig von einem Land in ein anderes begeben; in der Erwägung, dass die Europäische Schutzanordnung auf der Notwendigkeit beruht, sowohl die Rechte und Freiheiten der Opfer zu schützen, vor allem das Recht der Opfer und potenziellen Opfer auf Freizügigkeit, als auch ihren fortwährenden Schutz sicherzustellen, wenn sie dieses Recht ausüben;
J. in der Erwägung, dass die Prävention von Gewalt durch Investitionen in Sensibilisierungs- und Informationskampagnen, über die in den Medien wirksam berichtet wird, Schulungsmaßnahmen und die Ausbildung von Fachleuten ein entscheidender Aspekt der Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt ist; in der Erwägung, dass die Parteien des Übereinkommens von Istanbul verpflichtet sind, geschlechtsspezifischer Gewalt und geschlechtsspezifischen Klischees vorzubeugen, indem sie die Rolle der Medien beleuchten; in der Erwägung, dass die Europäische Schutzanordnung bei den Opfern, für die eine nationale Schutzmaßnahme gilt, kaum bekannt ist, was sich nachteilig auf ihre Inanspruchnahme auswirkt; in der Erwägung, dass Sensibilisierungskampagnen und Aufklärungsprogramme zur Bekämpfung der Verharmlosung von häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt dazu beitragen, die Bereitschaft der Opfer, Missbrauchsfälle zu melden und einzelstaatliche oder Europäische Schutzanordnungen zu beantragen, zu steigern und ihr Vertrauen in die zuständigen Behörden zu verbessern;
K. in der Erwägung, dass im Jahr 2010, in dem der Europäische Rat die Europäische Schutzanordnung vorschlug, für mehr als 118 000 Frauen, die in der EU wohnhaft waren, Schutzmaßnahmen aufgrund geschlechtsspezifischer Gewalt galten; in der Erwägung, dass Schätzungen aus dem Jahr 2011 zufolge durchschnittlich 1 180 Menschen durchgängig grenzüberschreitende Schutzmaßnahmen in der EU benötigen würden;
L. in der Erwägung, dass nichtstaatliche Organisationen in zahlreichen Mitgliedstaaten oft eine wichtige Rolle bei der Unterstützung von Opfern spielen;
M. in der Erwägung, dass die Europäische Schutzanordnung ein Instrument der gegenseitigen Anerkennung und der Zusammenarbeit ist, das erst dann ordnungsgemäß funktionieren und zum Schutz der Opfer beitragen kann, wenn es von allen Mitgliedstaaten uneingeschränkt umgesetzt wurde;
N. in der Erwägung, dass einige Mitgliedstaaten in Fällen von Gewalt Schutzmaßnahmen auf der Grundlage von Strafverfahren anordnen, während andere Schutzanordnungen auf der Grundlage von Zivilverfahren erlassen;
O. in der Erwägung, dass es in den Mitgliedstaaten der EU viele verschiedene Schutzanordnungen gibt und dass die Umsetzung von Europäischen Schutzanordnungen aufgrund der unterschiedlichen Rechtssysteme der Mitgliedstaaten mit zahlreichen Schwierigkeiten einhergeht und daher die ordnungsgemäße Umsetzung von Europäischen Schutzanordnungen für die Opfer gefährdet werden kann und die Anzahl der ausgestellten Europäischen Schutzanordnungen gering bleibt;
P. in der Erwägung, dass die meisten Mitgliedstaaten nicht über ein Registersystem zur Erfassung von Daten über die Europäischen Schutzanordnungen verfügen und dass es auch kein zentrales europäisches Registersystem zur Erfassung aller einschlägigen EU-Daten gibt; in der Erwägung, dass es aufgrund unzureichender Daten schwierig ist, die Umsetzung der Europäischen Schutzanordnung zu bewerten und Mängel in den Rechtsvorschriften oder bei der Umsetzung zu beheben;
Q. in der Erwägung, dass die Europäische Schutzanordnung für Opfer aller Arten von Straftaten gilt, darunter Opfer von Terroranschlägen, Menschenhandel, geschlechtsspezifischer Gewalt und organisiertem Verbrechen; in der Erwägung, dass Menschen, die sich in einer prekären Situation befinden und Opfer einer Straftat geworden sind, bei der Beantragung einer Europäischen Schutzanordnung mit besonderer Rücksicht behandelt werden müssen;
R. in der Erwägung, dass es einen engen Zusammenhang zwischen der Funktionsweise der Europäischen Schutzanordnung und den in der Richtlinie 2012/29/EU festgelegten Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten gibt;
1. fordert die Mitgliedstaaten auf, geschlechtsspezifische Gewalt und Gewalt gegen Frauen unmissverständlich zu verurteilen, sich zu verpflichten, jegliche Art der geschlechtsspezifischen Gewalt und der Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen, und dafür zu sorgen, dass diese Formen der Gewalt keinesfalls toleriert werden;
2. fordert die Mitgliedstaaten und die Kommission auf, den geschlechtsspezifischen Blickwinkel in alle ihre Maßnahmen und insbesondere in diejenigen Maßnahmen einfließen zu lassen, die potenziell mit der Sensibilisierung für und der Aufdeckung von Gewalt gegen Frauen und dem Schutz und der Wahrung der Unversehrtheit der Opfer in Zusammenhang stehen;
Allgemeine Bewertung der Umsetzung der Richtlinie und Empfehlungen zur Verbesserung des Stands der Umsetzung und der Funktionsweise der Europäischen Schutzanordnung
3. stellt fest, dass alle Mitgliedstaaten, die an die Richtlinie über die Europäische Schutzanordnung gebunden sind, die Kommission von deren Umsetzung in einzelstaatliches Recht in Kenntnis gesetzt haben;
4. ist sich der möglichen positiven Auswirkungen der Schaffung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts auf den grenzüberschreitenden Schutz von Opfern bewusst; ist der Ansicht, dass die Europäische Schutzanordnung ein wirksames Instrument für den Schutz von Opfern in einer modernen Welt sein kann, die durch hohe Mobilität und fehlende Binnengrenzen geprägt ist; nimmt jedoch mit Besorgnis zur Kenntnis, dass von den Mitgliedstaaten seit der Umsetzung der Richtlinie über die Europäische Schutzanordnung nur sieben Europäische Schutzanordnungen erfasst wurden, obwohl in den vergangenen Jahren in den Mitgliedstaaten Tausende nationaler Schutzanordnungen beantragt und erlassen wurden(21);
5. bedauert, dass die Kommission dem Parlament und dem Rat bis zum 11. Januar 2016 keinen Bericht über die Anwendung der Richtlinie über die Europäische Schutzanordnung vorgelegt hat; fordert die Kommission auf, ihrer Berichtspflicht gemäß der Richtlinie nachzukommen und in ihrem Bericht die nationalen Schutzmaßnahmen, die Schulungsmaßnahmen und die Sensibilisierungskampagnen in den Mitgliedstaaten zu beschreiben und darauf einzugehen, ob das Recht der Opfer auf kostenlose Rechtsberatung durch die Mitgliedstaaten geachtet wird und ob die Kosten für eine Schutzanordnung von den Opfern getragen werden müssen;
6. weist darauf hin, dass der vollstreckende Staat ungeachtet der verschiedenen damit verbundenen Schwierigkeiten und rechtlichen Herausforderungen verpflichtet ist, die Europäische Schutzanordnung mit dem gleichen Vorrang anzuerkennen wie der anordnende Staat;
7. bringt seine Besorgnis darüber zum Ausdruck, dass es in Verbindung mit der Vollstreckung einer Europäischen Schutzanordnung eine erhebliche Lücke zwischen der Koordinierung der Mitgliedstaaten und der Kommunikation zwischen ihnen gibt; fordert die Mitgliedstaaten auf, die Zusammenarbeit und die Kommunikation in Bezug auf die Europäische Schutzanordnung gemeinsam zu verbessern, weil dies zu deutlich effizienteren Verfahren und gleichzeitigen grenzüberschreitenden Maßnahmen in den Mitgliedstaaten führen würde;
8. hält es für geboten, die Erhebung statistischer Daten zu verbessern, damit das Ausmaß des Problems und die Ergebnisse der zur Eindämmung der geschlechtsspezifischen Gewalt ergriffenen Maßnahmen beurteilt werden können; fordert die Mitgliedstaaten auf, die Formulare und Verfahren für die Beantragung einer Europäischen Schutzanordnung zu standardisieren und zu digitalisieren, ein nationales Registersystem für Europäische Schutzanordnungen zur Datenerfassung einzurichten und den Informationsaustausch mit der Kommission und den anderen Mitgliedstaaten zu verbessern; fordert die Mitgliedstaaten auf, nach Geschlecht aufgeschlüsselte Daten und Daten zur Anzahl der beantragten, erlassenen und vollstreckten Europäischen Schutzanordnungen sowie zu den Straftatbeständen zu erfassen und regelmäßig der Kommission zu übermitteln;
9. fordert die Kommission auf, ein europäisches Registersystem zur Erfassung von Daten über Europäische Schutzanordnungen aus allen Mitgliedstaaten einzurichten;
10. regt dazu an, dass ein einheitliches und sowohl im Straf- als auch im Zivilverfahren gültiges Formular für die Beantragung und Anerkennung von Schutzanordnungen entworfen und genutzt wird, das in allen Mitgliedstaaten verwendet werden kann; fordert, dass auch ein digitales Verwaltungssystem eingeführt wird, das die Abstimmung erleichtert, die erhobenen Daten standardisiert und sowohl die Verwaltung der Anordnungen als auch die Erstellung von unionsweiten operativen Statistiken vereinfacht;
11. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die vollständige Liste der für die Ausstellung und Anerkennung Europäischer Schutzanordnungen zuständigen Behörden und der zentralen Behörden in den Mitgliedstaaten, die Europäische Schutzanordnungen übermitteln und erhalten, zu veröffentlichen und leicht zugänglich zu machen, damit geschützte Personen und Opferschutzorganisationen Europäische Schutzanordnungen beantragen oder damit verbundene Fragen klären können; fordert die Mitgliedstaaten auf, ihre nationalen und lokalen Institutionen und zuständigen Behörden zu stärken, um die Zugänglichkeit und Anwendbarkeit der Europäischen Schutzanordnung auf eine Art und Weise zu verbessern, die der Ausstellung von Europäischen Schutzanordnungen zuträglich ist;
12. fordert die Kommission auf, alle Formen des Austauschs über bewährte Verfahren und der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und zwischen den Mitgliedstaaten und der Zivilgesellschaft zu fördern, um für eine geeignete Funktionsweise der Europäischen Schutzanordnung zu sorgen;
13. betont, dass die Opfer von Straftaten, die eine nationale Schutzanordnung beantragt haben oder dies in Betracht ziehen, von einer bestimmten zuständigen Behörde automatisch und ordnungsgemäß sowohl mündlich als auch schriftlich davon in Kenntnis gesetzt und daran erinnert werden sollten, dass im Rahmen von Strafverfahren eine Europäische Schutzanordnung beantragt werden kann; betont, dass geschützten Personen keine finanziellen Kosten entstehen dürfen, wenn sie eine Europäische Schutzanordnung beantragen;
14. fordert die Mitgliedstaaten auf, eine individuelle geschlechtsspezifische Bewertung der Bereitstellung von Unterstützung und Hilfe bei der Beantragung Europäischer Schutzanordnungen durchzuführen;
15. bedauert, dass die Opfer aller Arten von Straftaten in einigen Mitgliedstaaten kaum Zugang zum Rechtssystem und zu Rechtsberatung haben, was dazu führt, dass die Opfer nur wenige Informationen über die Möglichkeit der Beantragung einer Europäischen Schutzanordnung erhalten; ist der Ansicht, dass die Mitgliedstaaten dafür sorgen müssen, dass geschützte Personen eine kostenlose Rechtsberatung, administrative Unterstützung und angemessene Informationen über die Europäische Schutzanordnung erhalten, weil dies für die Inanspruchnahme und Wirksamkeit dieses Instruments hinsichtlich der Ausstellung und Vollstreckung entscheidend ist; fordert die Mitgliedstaaten auf, der Überwachung und Verhütung von Gewalt gegen Frauen im ländlichen Raum mehr Mittel zu widmen;
16. regt die Mitgliedstaaten dazu an, geschützte Personen über die im vollstreckenden Staat zur Verfügung stehenden zusätzlichen Sozialleistungen wie zum Beispiel Unterstützung für Familien, Unterbringung usw. zu informieren, weil diese Maßnahmen nicht zum Anwendungsbereich der Europäischen Schutzanordnung gehören;
17. betont, dass in erster Linie minderjährige Opfer und die Kinder der Opfer von Straftaten Schutz und zusätzliche soziale Unterstützung erhalten sollten, vor allem wenn sie der Gefahr sexueller Übergriffe ausgesetzt sind;
18. bedauert, dass die Mitgliedstaaten nicht dafür sorgen, dass vor, während und nach der Ausstellung einer Europäischen Schutzanordnung Übersetzungen und Verdolmetschungen in eine Sprache angeboten werden, die das Opfer versteht;
19. betont, dass den Opfern im Rahmen der Verfahren der Ausstellung einer Europäischen Schutzanordnungen immer ein Recht auf Anhörung zustehen sollte; betont, dass während des gesamten Verfahrens der Ausstellung einer Europäischen Schutzanordnung kostenlos Übersetzungen und Dolmetscherdienste zur Verfügung gestellt werden müssen; betont daher, dass alle einschlägigen Dokumente in eine Sprache übersetzt werden müssen, die das Opfer versteht;
20. bedauert den Mangel an Sondermaßnahmen, die von den Mitgliedstaaten für Opfer, die sich in einer prekären Situation befinden, oder für Opfer mit besonderen Bedürfnissen ergriffen werden; ist der Ansicht, dass sich die Kürzungen öffentlicher Ausgaben häufig nachteilig auf die für solche Sondermaßnahmen zur Verfügung stehenden Mittel auswirken; fordert die Mitgliedstaaten daher auf, in Zusammenarbeit mit der Kommission und einschlägigen Organisationen für den Schutz von Opfern besondere Leitlinien und Maßnahmen anzunehmen, mit denen es für diese Opfer leichter wird, eine Europäische Schutzanordnung zu beantragen;
21. betont, dass die Europäische Schutzanordnung aufgrund des in gefährlichem Maße zunehmenden Menschenhandels für die Opfer von Menschenhandel von großem Vorteil sein kann; fordert die Kommission daher auf, die Europäische Schutzanordnung in einer Strategie der EU zur Bekämpfung des Menschenhandels zu berücksichtigen;
22. ist der Ansicht, dass die Schutzanordnung möglichst rasch, wirksam und automatisch ausgestellt werden muss und möglichst wenig bürokratischen Aufwand mit sich bringen darf, damit ihr Potenzial voll ausgeschöpft werden kann und sowohl im vollstreckenden als auch im anordnenden Staat für gleichwertige Schutzmaßnahmen gesorgt wird; fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, eine eindeutige und kurze Frist von zwei Wochen für die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten festzulegen, innerhalb derer sie Europäische Schutzanordnungen erlassen und melden müssen, damit die Ungewissheit und der Druck für die geschützten Personen nicht steigt, und die zuständigen Behörden aus demselben Grund anzuweisen, den Opfern im Rahmen der Beschlussfassung über ihre Anträge auf Europäische Schutzanordnungen ausreichend Informationen zur Verfügung zu stellen und sie über alle Vorgänge während dieses Verfahrens zu unterrichten; fordert die Mitgliedstaaten in diesem Zusammenhang auf, den Behörden, die mit Europäischen Schutzanordnungen befasst sind, ausreichend Mittel zur Verfügung zu stellen, damit ein effizientes System angewandt werden kann, in dessen Rahmen der Situation der Opfer Rechnung getragen wird;
23. fordert die Mitgliedstaaten auf, den Interessen der geschützten Person gebührend Rechnung zu tragen und als sicherer Hafen für Menschen aufzutreten, die Gewalt melden, und dazu uneingeschränkt der Verpflichtung nachzukommen, die gefährdende Person nicht vom Aufenthaltsort der geschützten Person in Kenntnis zu setzen oder ihr andere Informationen über die geschützte Person mitzuteilen, sofern dies nicht zwingend erforderlich ist, um die Ziele der Schutzanordnung zu erreichen; betont, dass das Opfer entsprechend unterrichtet werden muss, wenn der Täter aufgrund der Umstände über Einzelheiten der Europäischen Schutzanordnung informiert werden muss;
24. fordert die Mitgliedstaaten auf, Sondermaßnahmen in Betracht zu ziehen, um die Ausstellung einer Europäischen Schutzanordnung zum Schutz der Familienangehörigen zu erleichtern, die mit einem Opfer zusammenwohnen, für das bereits eine Europäische Schutzanordnung erlassen wurde;
25. betont die zunehmende Effizienz neuer Technologien wie etwa von GPS-Überwachungssystemen und Smartphone-Anwendungen, die einen Alarm auslösen, wenn unmittelbare Gefahr droht, und mit denen die Effizienz und Anpassungsfähigkeit Europäischer Schutzanordnungen sowohl im anordnenden als auch im vollstreckenden Staat verbessert werden können; ist besorgt, dass diese neuen Technologien nur von sehr wenigen Mitgliedstaaten eingesetzt werden;
26. betont, wie wichtig es ist, Europäische Schutzanordnungen im vollstreckenden Staat in Bezug auf die Bedrohung, der das Opfer ausgesetzt ist, zu überwachen, um festzustellen, ob die angeordneten Schutzmaßnahmen ordnungsgemäß umgesetzt wurden und ob sie überarbeitet werden müssen;
27. fordert die Kommission auf, die Umsetzung dieser Richtlinie zu überwachen und umgehend Vertragsverletzungsverfahren gegen alle Mitgliedstaaten einzuleiten, die gegen die Richtlinie verstoßen;
28. regt dazu an, dass gemäß dem wiederholt von Verbänden von Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt vorgebrachten Vorschlag Verfahren erprobt werden, die die in den meisten Mitgliedstaaten bestehende herkömmliche Herangehensweise an das Schutzkonzept abwandeln; betont, dass zu den Methoden zur Risikominderung unter anderem Maßnahmen zur Vorbeugung, Überwachung, Kontrolle und Begleitung der Täter gehören und die Bemühungen nicht ausschließlich auf Maßnahmen für die Opfer gerichtet sein sollten und dass zu den anzuwendenden Präventivmaßnahmen prioritär die zwingend vorgeschriebene Belehrung von Aggressoren und Tätern gehören sollte;
29. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, eine eingehende Untersuchung möglicher Methoden der Verbesserung von Rechtsvorschriften in Verbindung mit der Europäischen Schutzanordnung und ihrer wirksamen Umsetzung in allen Mitgliedstaaten und von praktischer Unterstützung durchzuführen, um die Rechte auf internationalen Schutz und Hilfe und Unterstützung der Opfer von Gewalt sicherzustellen, die auf nationaler Ebene geschützt sind;
30. fordert die EU-Agenturen wie die Agentur für Grundrechte und das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen auf, die Umsetzung der Richtlinie regelmäßig zu überwachen;
31. fordert die Kommission auf, die Zivilgesellschaft zur Überwachung und Berichterstattung aufzurufen, um die Funktionsweise der Europäischen Schutzanordnung in den Mitgliedstaaten zu verbessern, und nichtstaatlichen Organisationen zu diesem Zweck Unionsmittel zur Verfügung zu stellen;
32. fordert die Kommission auf, die Forschung im Bereich der Inanspruchnahme nationaler Schutzanordnungen und der Europäischen Schutzanordnung zu fördern und Programme zu koordinieren, mit denen in den Mitgliedstaaten Sensibilisierungskampagnen umgesetzt und so die Opfer von Straftaten über die Möglichkeit der Beantragung einer Europäischen Schutzanordnung und über grenzüberschreitende Schutzmaßnahmen unterrichtet werden;
33. fordert die Mitgliedstaaten auf, enger mit nichtstaatlichen Organisationen zusammenzuarbeiten und auf den Menschenrechten beruhende, dienstleistungsorientierte, praktische und bereichsübergreifende Pflichtschulungen zur Europäischen Schutzanordnung für alle Beamten zu organisieren, die beruflich mit Opfern zu tun haben und für die richtige Umsetzung der Richtlinie von entscheidender Bedeutung sind; betont, dass in allen Mitgliedstaaten spezielle regelmäßige Schulungen und Kurse zur Europäischen Schutzanordnung für die Polizei, die Mitarbeiter der zuständigen nationalen Behörden, Angehörige der Rechtsberufe, Sozialarbeiter sowie Verbände und nichtstaatliche Organisationen, die Opfer von Gewalt unterstützen, eingeführt werden sollten; fordert, dass Mitarbeiter, die mit Fällen geschlechtsspezifischer Gewalt befasst sind, angesichts der besonderen Bedürfnisse von Frauen, die einer Gewalttat zum Opfer gefallen sind, eine angemessene Ausbildung und ausreichende Ressourcen erhalten, damit sie Fällen von geschlechtsspezifischer Gewalt Vorrang einräumen können;
34. fordert die Mitgliedstaaten auf, angesichts der in unseren Gesellschaften tief verwurzelten Frauenfeindlichkeit und des ebenso tief verwurzelten Sexismus sowie der Tatsache, dass Kinder und Jugendliche zunehmend Gewalt im Internet ausgesetzt sind, die Themen Gleichstellung von Frauen und Männern und Verzicht auf Gewalt in die Lehrpläne der Grund- und Sekundarschulen aufzunehmen, in deren Rahmen eine aktive Beteiligung der Schüler an Diskussionen angeregt und alle sich bietenden lerngünstige Momente genutzt werden;
35. betont, dass neue Kommunikationskanäle, beispielsweise digitale Plattformen, als neue Plattform für geschlechtsspezifische Gewalt (z. B. Drohungen und Belästigungen) genutzt werden; fordert die Mitgliedstaaten daher auf, diese Aspekte bei der Ausstellung bzw. Vollstreckung einer Europäischen Schutzanordnung zu berücksichtigen;
Allgemeine Empfehlungen im Hinblick auf geschlechtsspezifische Gewalt
36. fordert die Kommission auf, den Schutz aller Bürger und vor allem derjenigen, die sich in einer besonders prekären Situation befinden, in die Europäische Sicherheitsagenda aufzunehmen und den Schwerpunkt dabei auf die Opfer von Straftaten wie Menschenschmuggel, geschlechtsspezifischer Gewalt oder Terroranschlägen zu legen, wobei diese Opfer ebenfalls besonderer Aufmerksamkeit, Unterstützung und sozialer Anerkennung bedürfen;
37. fordert die Kommission auf, Kampagnen durchzuführen, mit denen Frauen angehalten werden sollen, jegliche Form von geschlechtsspezifischer Gewalt zu melden, damit sie geschützt werden können und die Genauigkeit der Daten zur geschlechtsspezifischen Gewalt verbessert wird;
38. hebt hervor, dass der unterschiedliche Rückgriff auf die nationalen Schutzanordnungen und die Europäische Schutzanordnung dem Bewertungsbericht des Wissenschaftlichen Diensts des Parlaments zufolge in erster Linie der Tatsache geschuldet ist, dass die Opfer und viele in diesem Bereich Tätige über die Möglichkeiten, die diese Richtlinie bietet, nicht Bescheid wissen; fordert die Mitgliedstaaten daher auf, die volle Verantwortung für ihre Bürger zu übernehmen und zusammen mit einschlägigen nichtstaatlichen Organisationen langfristige Aufklärungs- und bereichsübergreifende Sensibilisierungskampagnen zu den verfügbaren Schutzinstrumenten und ihrem Einsatz einzuführen, die a) an die gesamte Gesellschaft, b) an potenzielle Opfer (vor allem Frauen, für die bereits nationale Schutzanordnungen gelten) und c) an Fachleute wie Mitarbeiter der Strafverfolgungsbehörden, Beamte im Justizwesen, Rechtsbeistände und Mitarbeiter der Sozialämter und Notfalldienste gerichtet sind, die als erste Anlaufstelle für Opfer dienen; fordert die Kommission daher auf, Finanzmittel für die Einführung von Informationsprogrammen bereitzustellen;
39. weist auf das von der Kommission betriebene Europäische Justizportal hin, zu dem die Mitgliedstaaten beitragen; begrüßt die Initiative der Kommission, den Bereich des Europäischen Justizportals für Opfer zu erweitern und alle einschlägigen Informationen zu den Rechten von Opfern einzubinden, darunter auch länderspezifische Anleitungen für die Meldung von Gewalttaten; betont, dass der Bereich für Opfer als benutzerfreundliches, praktisches Instrument und Informationsquelle gestaltet werden muss, die in allen Amtssprachen der EU zur Verfügung stehen sollte; fordert die Mitgliedstaaten auf, eine benutzerfreundliche Website zu den Rechten von Opfern einzurichten, über die auch Informationen zur Europäischen Schutzanordnung abgerufen werden können, die eine digitale Plattform für die Meldung von Vorfällen beinhaltet, damit geschlechtsspezifische Gewalt leicht ermittelt werden kann, und auf die beispielsweise über die einzelstaatlichen Justizportale einfach zugegriffen werden kann;
40. fordert die Mitgliedstaaten auf, enger mit nichtstaatlichen Organisationen zusammenzuarbeiten, die Opfer von Gewalt schützen, um Strategien zu erarbeiten, die sowohl proaktive als auch reaktive Maßnahmen im Zusammenhang mit geschlechtsspezifischer Gewalt, der Funktionsweise der Europäischen Schutzanordnung und den notwendigen Änderungen der Rechtsvorschriften und der Unterstützung vorsehen;
41. fordert die Kommission auf, einen Rechtsakt vorzulegen, durch den die Mitgliedstaaten dabei unterstützt werden, jeglicher Form von Gewalt gegen Frauen und Mädchen und geschlechtsspezifischer Gewalt vorzubeugen und diese zu verfolgen;
42. fordert den Rat auf, die Überleitungsklausel zu aktivieren, d. h. einstimmig einen Beschluss zu fassen, der Gewalt gegen Frauen und Mädchen (und andere Formen geschlechtsspezifischer Gewalt) als Straftaten gemäß Artikel 83 Absatz 1 AEUV definiert;
43. fordert nachdrücklich, dass ein Prozess vorangetrieben wird, mit dem die Rechtsvorschriften über die Gewalttaten, die eine Schutzanordnung auslösen können, nach und nach angeglichen werden; betont, dass Übergriffe, die speziell gegen Frauen gerichtet sind, ernst genommen werden müssen und in allen Mitgliedstaaten eine strafrechtliche Verfolgung nach sich ziehen sollten und dass die Maßnahmen zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt auch von Gerichten erlassen werden sollten;
Für einen kohärenten Rechtsrahmen der EU zum Schutz der Opfer
44. begrüßt die Unterzeichnung des Vertrags über den Beitritt der EU zum Übereinkommen von Istanbul am 13. Juni 2017, das einem ganzheitlichen, umfassenden und koordinierten Ansatz entspricht, bei dem die Rechte der Opfer in den Mittelpunkt gerückt werden, und in enger Verbindung zur Europäischen Schutzanordnung stehen sollte; fordert die EU auf, einen möglichst umfassenden Beitritt zum Übereinkommen zu beschließen, um Gewalt gegen Frauen zu verhüten, Straffreiheit zu bekämpfen und Opfer zu schützen; betont, wie wichtig dieser Rechtsakt ist, um eines der Hindernisse bei der Anwendung der Europäischen Schutzanordnung – die mangelnde Anerkennung von Stalking als Straftat in allen Mitgliedstaaten – zu überwinden; fordert die Kommission im Einklang mit seiner Entschließung vom 12. September 2017 zum Beitritt der EU zum Übereinkommen von Istanbul auf, einen Koordinator der EU für Gewalt gegen Frauen zu benennen, der für die Koordinierung, Umsetzung, Überwachung und Bewertung von politischen Strategien, Instrumenten und Maßnahmen der EU zuständig wäre, um alle Formen von Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu verhüten und zu bekämpfen und die EU im Ausschuss der Vertragsparteien des Übereinkommens zu vertreten;
45. fordert sämtliche Mitgliedstaaten, die dies noch nicht getan haben, dazu auf, das Übereinkommen von Istanbul zu ratifizieren und uneingeschränkt durchzusetzen und ausreichende Finanzmittel und Personalressourcen bereitzustellen, um Gewalt gegen Frauen und geschlechtsspezifischer Gewalt vorzubeugen und sie zu bekämpfen, indem unter anderem Frauen und Mädchen gestärkt und Opfer geschützt werden und dafür gesorgt wird, dass Opfer eine Entschädigung erhalten können;
46. fordert die Mitgliedstaaten auf, dafür zu sorgen, dass sämtliche Personen, die beruflich mit den Opfern aller Formen von Gewalt zu tun haben, die in den Geltungsbereich des Übereinkommens von Istanbul fallen, angemessen geschult sind und ihnen Verfahren und Leitlinien zur Verfügung stehen, damit es im Rahmen von gerichtlichen, medizinischen und polizeilichen Verfahren nicht zu Diskriminierung oder einer erneuten Viktimisierung kommt;
47. begrüßt die im Übereinkommen von Istanbul verankerte Verpflichtung, kostenlose landesweite Telefon-Hotlines einzurichten, die rund um die Uhr besetzt sind und unter denen Anrufer Ratschläge zu allen Formen von Gewalt erhalten können, die in den Geltungsbereich des Übereinkommens fallen; fordert die Mitgliedstaaten auf, dieses Instrument in einschlägigen Fällen zu nutzen und Opfern Informationen über die Europäische Schutzanordnung zur Verfügung zu stellen;
48. betont, dass die rechtlichen und praktischen Mängel bei der Umsetzung der Richtlinie durch das richtige Zusammenspiel und die richtige Abstimmung der verschiedenen Rechtsakte der EU zum Opferschutz behoben werden können, darunter der Rahmenbeschluss über Überwachungsmaßnahmen als Alternative zur Untersuchungshaft und der Rahmenbeschluss 2009/829/JHA über Bewährungsmaßnahmen, die Verordnung (EU) Nr. 606/2013 über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen und die Richtlinie 2012/29/EU vom 25. Oktober 2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten, mit der das Recht eingeführt wurde, Informationen, kostenlose Dolmetscherdienste und kostenlose Übersetzungen der Informationen zu erhalten, und in der ein allgemeines Vorgehen für Opfer mit besonderen Bedürfnissen festgelegt wurde, darunter auch Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt;
49. fordert die Mitgliedstaaten auf, Opfer über andere Schutzmaßnahmen zu unterrichten, falls der vollstreckende Staat nicht länger in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fällt;
50. fordert die Kommission auf, die bestehenden Instrumente für den rechtlichen Schutz von Opfern von Straftaten zu überprüfen und einen entsprechenden kohärenten Rechtsrahmen der EU einzuführen;
51. fordert die Kommission auf, zu prüfen, wie diese Richtlinie in Verbindung mit den damit zusammenhängenden Rechtsvorschriften für Zivilsachen, vor allem der Verordnung (EU) Nr. 606/2013, angewandt wird, und Leitlinien dazu vorzuschlagen, wie diese beiden Rechtsvorschriften der EU, mit denen Opfer durch die Anerkennung von im Rahmen nationaler Zivil- oder Strafverfahren angenommener Schutzmaßnahmen geschützt werden sollen, von den Mitgliedstaaten wirksamer angewandt werden können;
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52. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission sowie den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten, der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte und dem Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen zu übermitteln.
Aus dem Bericht der Agentur für Grundrechte mit dem Titel „Gewalt gegen Frauen: eine EU-weite Erhebung – Bericht über die wichtigsten Ergebnisse“ geht hervor, dass ein Drittel der Frauen (33 %) nach ihrem 15. Lebensjahr mindestens einmal körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlitten hat, jede fünfte Frau (18 %) Opfer von Stalking geworden ist und die Hälfte aller Frauen (55 %) mit einer oder mehreren Formen sexueller Belästigung konfrontiert war. In Anbetracht dessen kann Gewalt gegen Frauen nicht als Randproblem eingestuft werden, das nur einige Frauen betrifft.
In der Studie des Wissenschaftlichen Dienstes des Europäischen Parlaments zur Bewertung der EU-weiten Umsetzung der Richtlinie 2011/99/EU über die Europäische Schutzanordnung wird berichtet, dass Schätzungen zufolge im Jahr 2010 für mehr als 100 000 Frauen, die in der EU wohnhaft waren, Schutzmaßnahmen aufgrund geschlechtsspezifischer Gewalt galten.