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Verfahren : 2018/2861(RSP)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadien in Bezug auf das Dokument :

Eingereichte Texte :

RC-B8-0451/2018

Aussprachen :

PV 04/10/2018 - 5
PV 04/10/2018 - 5.1
CRE 04/10/2018 - 5.1

Abstimmungen :

PV 04/10/2018 - 7.1

Angenommene Texte :

P8_TA(2018)0375

Angenommene Texte
PDF 131kWORD 53k
Donnerstag, 4. Oktober 2018 - Straßburg
Einschränkung der Medienfreiheit in Belarus, insbesondere der Fall der Charta 97
P8_TA(2018)0375RC-B8-0451/2018

Entschließung des Europäischen Parlaments vom 4. Oktober 2018 zu der Einschränkung der Medienfreiheit in Belarus, insbesondere dem Fall der Charta 97 (2018/2861(RSP))

Das Europäische Parlament,

–  unter Hinweis auf seine vorangegangenen Entschließungen zu Belarus,

–  unter Hinweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und alle Menschenrechtsübereinkommen, deren Vertragspartei Belarus ist,

–  gestützt auf Artikel 135 Absatz 5 und Artikel 123 Absatz 4 seiner Geschäftsordnung,

A.  in der Erwägung, dass die EU im Februar 2016 in einer Geste des guten Willens die meisten ihrer restriktiven Maßnahmen gegen Amtsträger und juristische Personen aus Belarus aufgehoben hat, um mit der so eingeleiteten Politik des Engagements Belarus dazu zu bewegen, dass es die Grundsätze der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit achtet;

B.  in der Erwägung, dass die EU mehrmals bekräftigte, die Beziehungen zwischen der EU und Belarus könnten erst dann ausgeweitet werden, wenn sie auf Vertrauen, den Werten der Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und den Grundfreiheiten beruhen;

C.  in der Erwägung, dass die derzeitige Politik in Belarus diesen Werten zuwiderläuft und es der EU mithin nicht möglich ist, Belarus eine breitere Mitwirkung in der Östlichen Partnerschaft und engere Beziehungen anzubieten oder die Prioritäten der Partnerschaft zwischen der EU und Belarus zu unterzeichnen;

D.  in der Erwägung, dass sich die Lage im Hinblick auf die Medienfreiheit und die Meinungsfreiheit in Belarus weiter verschlechtert, was sich etwa in der massiven Schikanierung unabhängiger Nachrichtenportale und Journalisten wie im Fall BelTA zeigt;

E.  in der Erwägung, dass die Staatsorgane von Belarus unlängst eine Welle der Schikanierung und Einschüchterung von Journalisten durch die Polizei ausgelöst haben;

F.  in der Erwägung, dass „Reporter ohne Grenzen“ feststellte, dass 2017 über 100 Journalisten – meist bei der Berichterstattung über Proteste der Opposition – festgenommen wurden; in der Erwägung, dass die Schikanierung freiberuflicher Journalisten, die für unabhängige, im Ausland ansässige Medien tätig sind, ein nie gekanntes Ausmaß erreicht hat, wobei es diesen Journalisten nicht möglich ist, eine Akkreditierung zu erhalten;

G.  in der Erwägung, dass sich die führende unabhängige Nachrichtenwebsite „charter97.org“, deren Schwerpunkt die Menschenrechte und Anliegen der Opposition sind und deren Name von der Charta 97 abgeleitet ist, einem von Journalisten, Oppositionspolitikern und Menschenrechtsverfechtern unterzeichneten Manifest für ein demokratisches Belarus, zum Umzug nach Warschau (Polen) gezwungen sah, von wo aus sie seit 2011 betrieben wird, nachdem sie von den Staatsorganen von Belarus mehrmals gesperrt worden war, in ihren Redaktionsräumen zwei Polizeirazzien durchgeführt und in demselben Jahr ihre Geräte beschlagnahmt worden waren;

H.  in der Erwägung, dass der Zugang zu der Website „charter97.org“ seit dem 24. Januar 2018 im Hoheitsgebiet von Belarus auf unbestimmte Zeit, ohne Gerichtsverfahren und aufgrund des ungenauen Vorwurfs der „Bedrohung der Interessen des Staates“ gesperrt ist; in der Erwägung, dass laut der Chefredakteurin der Website „charter97.org“, Natallja Radsina, im Monat nach der Sperrung die Anzahl der inländischen Besuche der Website „charter97.org“ um 70 Prozent zurückging;

I.  in der Erwägung, dass Natallja Radsina Morddrohungen erhält;

J.  in der Erwägung, dass die Staatsorgane Russlands den Zugang zu der Website „charter97.org“ am 16. April 2018 auch auf dem Hoheitsgebiet der Russischen Föderation gesperrt haben;

K.  in der Erwägung, dass der Gründer der Website „charter97.org“, Aleh Bjabenin, im September 2010 in seiner Wohnung in der Nähe von Minsk erhängt aufgefunden wurde; in der Erwägung, dass der in Belarus geborene Pawel Scheremet, einer der Sprecher der Organisation, die hinter der Charta 97 steht, im Juli 2016 bei einem Autobombenanschlag in der ukrainischen Hauptstadt Kiew getötet wurde;

L.  in der Erwägung, dass die Staatsorgane von Belarus Anfang August 2018 Razzien in den Redaktionsbüros mehrerer unabhängiger belarussischer Medien durchführten, zuerst bei „Tut.by“ und anschließend bei „BelaPAN“, „realty.by“, „Belaruskaja Nawuka“ und „Kultura“; in der Erwägung, dass bei den Razzien Journalisten festgenommen und inhaftiert wurden, darunter die Chefredakteurin von „Tut.by“, und zwar wegen des Vorwurfs des unrechtmäßigen Zugriffs und der unrechtmäßigen Verwendung von Online-Meldungen der staatlichen Nachrichtenagentur BelTA;

M.  in der Erwägung, dass das Untersuchungskomitee von Belarus am 7. August 2018 auf der Grundlage von Artikel 349 Absatz 2 des Strafgesetzbuchs ein Strafverfahren gegen Journalisten und Redakteure mehrerer Online-Medien einleitete, und zwar wegen eines Vergehens (des unbefugten Zugriffs auf Computerinformationen aus sonstigem persönlichem Interesse, bei dem erheblicher Schaden verursacht wurde), das mit bis zu zwei Jahren Haft bestraft werden kann, und dabei 18 Journalisten festnehmen ließ, von denen sieben für drei Tage als Verdächtige eingestuft und in Untersuchungshaft genommen wurden; in der Erwägung, dass in manchen Fällen Druck auf Journalisten und ihre Angehörigen ausgeübt wurde und sie gezwungen wurden, mit dem Geheimdienst und der Polizei zusammenzuarbeiten,

N.  in der Erwägung, dass mit den jüngsten, im Juni 2018 angenommenen Änderungen des Gesetzes über die Massenmedien die Kontrolle der Regierung über Online-Medien ausgeweitet wird; in der Erwägung, dass im Zuge der Änderungen, die am 1. Dezember 2018 in Kraft treten, weitere bürokratische Hürden für Websites errichtet werden, die sich offiziell als Online-Medien registrieren lassen wollen;

O.  in der Erwägung, dass Websites, die sich trotz der neuen Rechtsvorschriften nicht registrieren lassen wollen oder die neuen Kriterien nicht erfüllen, die Akkreditierung bei Regierungsstellen verweigert wird, wodurch die Pressezensur verschärft wird; in der Erwägung, dass sowohl registrierte als auch nicht registrierte Online-Medien zudem verpflichtet sein werden, die Namen der Personen zu erfassen, die dort Kommentare schreiben; in der Erwägung, dass die Eigentümer registrierter Online-Medien überdies für den Inhalt dieser Kommentare haftbar gemacht werden;

P.  in der Erwägung, dass nach den neuen Rechtsvorschriften die Verfasser sämtlicher Beiträge und Kommentare in Online-Foren namentlich genannt werden müssen und die Eigentümer der Website die Kommentare moderieren müssen;

Q.  in der Erwägung, dass der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für die Menschenrechtslage in Belarus, Miklós Haraszti, und der Beauftragte der OSZE für die Freiheit der Medien, Harlem Désir, die Auffassung vertreten, diese Gesetzesänderungen seien eine nicht hinnehmbare Einschränkung der Meinungsfreiheit und des Zugangs zu Informationen;

R.  in der Erwägung, dass Belarus in der jährlich erstellten Rangliste der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ im Jahr 2017 auf Platz 155 von 180 Ländern lag;

S.  in der Erwägung, dass seit Anfang 2018 belarussische Journalisten, deren Recht, Informationen zusammenzutragen, zu speichern und zu verbreiten, in der Verfassung verankert ist, wegen der Zusammenarbeit mit nicht akkreditierten ausländischen Massenmedien über 70 Mal zu Geldstrafen verurteilt wurden, die sich auf über 60 000 BYN belaufen; in der Erwägung, dass Artikel 22.9 des Ordnungswidrigkeitsgesetzbuchs als wirkungsvolles Instrument zur Schikanierung unabhängiger Journalisten und Medien eingesetzt wird, etwa von Belsat TV, einem Fernsehsender, dessen Programm seit 2011 aus Polen ausgestrahlt wird;

T.  in der Erwägung, dass Belarus nach wie vor das einzige Land in Europa ist, das noch immer die Todesstrafe vollstreckt;

U.  in der Erwägung, dass bestimmte Gruppen von Menschen in Belarus Freiheitsberaubung, willkürlichen Inhaftierungen, der Verweigerung ordnungsgemäßer ärztlicher Versorgung und des Kontakts mit Familienmitgliedern während der Haft, staatlich organisierter körperlicher und psychologischer Gewalt, Strafverfolgung und Verurteilung aus fadenscheinigen Gründen und auf der Grundlage gefälschter Beweismittel, unverhältnismäßigen Geldbußen, Verwaltungssanktionen und anderen Formen der Repression durch die Staatsorgane von Belarus ausgesetzt sind; in der Erwägung, dass dazu auch politische Gefangene (vor allem Michail Schamtschuschny und Dsmitry Palijenka), bekannte Oppositionspolitiker, Menschenrechtsverfechter, Akteure der Zivilgesellschaft, Umweltschützer, nichtstaatliche und zivilgesellschaftliche Organisationen, unabhängige Blogger, Journalisten und Redakteure, friedliche Demonstranten aus allen Gesellschaftsschichten und insbesondere unabhängige Gewerkschafter (vor allem Henads Fjadynitsch und Ihar Komlik) zählen;

1.  verurteilt die wiederholte Schikanierung und Inhaftierung von Journalisten und unabhängigen Medien in Belarus aufs Schärfste; fordert die Staatsorgane auf, den gegen Journalisten und unabhängige Medien gerichteten Schikanierungen, Einschüchterungen und Bedrohungen durch die Justiz ein Ende zu setzen und es allen Nachrichtenportalen zu ermöglichen, ihrer Tätigkeit ungehindert nachzugehen;

2.  erachtet es als nicht hinnehmbar, dass die Nachrichtenwebsite „charter97.org“ seit Januar 2018 von den Staatsorganen von Belarus gesperrt wird; fordert die Staatsorgane von Belarus erneut auf, die Sperre des Zugangs zu der Nachrichtenwebsite umgehend und bedingungslos aufzuheben;

3.  verurteilt aufs Schärfste, dass Änderungen am Mediengesetz angenommen worden sind, die der verschärften Kontrolle des Internets dienen; bekundet erneut tiefe Besorgnis über die Verschlechterung des Klimas für unabhängige Websites und Websites der Opposition sowie die Medien und Journalisten in Belarus;

4.  vertritt die Auffassung, dass unabhängige Medien keine Bedrohung für die Staatsorgane darstellen, sondern vielmehr ein wichtiges Element des Systems der gegenseitigen Kontrolle sind und daher von der Regierung als möglicher kritischer Partner und nicht als Feind angesehen werden sollten;

5.  bedauert, dass Belarus nach wie vor eine repressive und undemokratische Politik gegenüber Journalisten, Juristen, politischen Aktivisten, Menschenrechtsverfechtern, Akteuren der Zivilgesellschaft, Gewerkschaftern und sonstigen Personen, die als Bedrohung für das politische Establishment angesehen werden, verfolgt; betont, dass durch diese Repression eine engere Partnerschaft mit der EU und eine breitere Mitwirkung in der Östlichen Partnerschaft behindert werden;

6.  fordert die Staatsorgane von Belarus erneut auf, die Achtung der demokratischen Grundsätze, der Rechtsstaatlichkeit, der Menschenrechte und der Grundfreiheiten, einschließlich der Wahrung eines wahrheitsgetreuen und unparteiischen Journalismus, im Einklang mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und den von Belarus ratifizierten internationalen und regionalen Menschenrechtsübereinkünften zu stärken;

7.  fordert die Organe der Union auf, im Rahmen der Prioritäten der Partnerschaft zwischen der EU und Belarus nachdrücklich auf die Unabhängigkeit der Medien, die Meinungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit zu verweisen; fordert den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) und die Mitgliedstaaten auf, dafür zu sorgen, dass die EU-Hilfsprogramme und sonstige Formen der bilateralen Zusammenarbeit einschließlich finanzieller Unterstützung an klare und konkrete Schritte in Richtung Demokratie und Offenheit, darunter eine umfassende Wahlreform und die uneingeschränkte Achtung der Medienfreiheit, geknüpft sein müssen;

8.  fordert den EAD und die Kommission auf, in Belarus und im Ausland tätige Organisationen der Zivilgesellschaft auch künftig zu unterstützen; betont in diesem Zusammenhang, dass alle unabhängigen Informationsquellen der belarussischen Gesellschaft unterstützt werden müssen, darunter auch Sendungen in belarussischer Sprache und im Ausland tätige Medien wie die Website „charter97.org“ oder Belsat TV;

9.  fordert die Vizepräsidentin der Kommission und Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik auf, die Lage der Medienfreiheit in Belarus in Zusammenarbeit mit dem Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen über Belarus genau zu beobachten;

10.  fordert die Staatsorgane von Belarus nachdrücklich auf, den politischen und öffentlichen Organisationen die uneingeschränkte und ungehinderte Ausübung ihrer Tätigkeit zu gestatten und Artikel 193-1 des Strafgesetzbuchs, mit dem das Recht auf friedliche Versammlung und die Vereinigungsfreiheit eingeschränkt werden, aufzuheben;

11.  fordert mit Nachdruck die bedingungslose und umgehende Freilassung der politischen Gefangenen Michail Schamtschuschny und Dsmitry Palijenka sowie die uneingeschränkte Rehabilitierung aller ehemaligen politischen Gefangenen; fordert die Staatsorgane auf, es allen unabhängigen Gewerkschaften zu ermöglichen, ihrer legitimen und zentralen Rolle in der Gesellschaft ungehindert nachzukommen; bedauert, dass die führenden Mitglieder der unabhängigen Gewerkschaft REP Henads Fjadynitsch und Ihar Komlik am 24. August 2018 zu vier Jahren Freiheitsentzug verurteilt wurden;

12.  würdigt die Arbeit des aktuellen Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen für die Menschenrechtslage in Belarus, Miklós Haraszti, und weist seine Nachfolgerin Anaïs Marin auf die Vielzahl der Fälle von Amtsmissbrauch, die Einschränkung individueller und kollektiver Freiheiten sowie die Repression der Zivilgesellschaft, der unabhängigen Gewerkschaften und der Medien hin, die auch Miklós Haraszti in seinen Berichten eindeutig festgestellt hat;

13.  fordert in diesem Zusammenhang, dass die Staatsorgane von Belarus das Mandat des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen für die Menschenrechtslage in Belarus umgehend anerkennen und dass die Kommission, die Europäische Investitionsbank und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung jede weitere finanzielle oder technische Unterstützung für Belarus von den oben dargelegten Umständen abhängig machen und gleichzeitig dafür sorgen, dass die EU die Zivilgesellschaft von Belarus weiterhin direkt finanziell unterstützen kann;

14.  ist nach wie vor beunruhigt über den Bau des Kernkraftwerks in Astrawez; weist auf den Bericht über Stresstests und die entsprechenden Empfehlungen hin, die am 3. Juli 2018 veröffentlicht wurden, und fordert, dass jedes weitere Voranbringen der Zusammenarbeit zwischen der EU und Belarus – insbesondere die Unterzeichnung der Prioritäten der Partnerschaft zwischen der EU und Belarus – an die Bedingung geknüpft wird, dass die Empfehlungen in Bezug auf Stresstests umgesetzt werden;

15.  beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der Vizepräsidentin der Kommission und Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten sowie dem Präsidenten und der Regierung von Belarus zu übermitteln.

Letzte Aktualisierung: 7. Oktober 2019Rechtlicher Hinweis - Datenschutzbestimmungen