Entschließung des Europäischen Parlaments vom 25. Oktober 2018 zum Tierschutz, Einsatz von Antibiotika und den Auswirkungen der industriellen Masthähnchenzucht auf die Umwelt (2018/2858(RSP))
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf die Richtlinie 2007/43/EG des Rates vom 28. Juni 2007 mit Mindestvorschriften zum Schutz von Masthühnern(1) („Masthühner-Richtlinie“),
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 26. November 2015 zu einer neuen Tierschutzstrategie für den Zeitraum 2016–2020(2),
– unter Hinweis auf den europäischen Aktionsplan von 2017 zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen (AMR) im Rahmen des Konzepts „Eine Gesundheit“,
– unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 19. Januar 2012 über die Strategie der Europäischen Union für den Schutz und das Wohlergehen von Tieren 2012−2015 (COM(2012)0006),
– unter Hinweis auf den Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat vom 13. April 2018 über die Anwendung der Richtlinie 2007/43/EG und ihren Einfluss auf das Wohlergehen von Masthühnern sowie über die Entwicklung der Tierschutzindikatoren (COM(2018)0181),
– unter Hinweis auf die Studie der Kommission vom 21. November 2017 über die Anwendung der Richtlinie 2007/43/EG des Rates und über die Entwicklung der Tierschutzindikatoren,
– unter Hinweis auf die Einigung(3) über die Verordnung über Tierarzneimittel, die am 5. Juni 2018 erzielt wurde,
– unter Hinweis auf die Verordnung (EU) 2016/429 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 zu Tierseuchen und zur Änderung und Aufhebung einiger Rechtsakte im Bereich der Tiergesundheit („Tiergesundheitsrecht“)(4),
– unter Hinweis auf die Verordnung (EU) 2017/625 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2017 über amtliche Kontrollen und andere amtliche Tätigkeiten zur Gewährleistung der Anwendung des Lebens- und Futtermittelrechts und der Vorschriften über Tiergesundheit und Tierschutz, Pflanzengesundheit und Pflanzenschutzmittel(5),
– unter Hinweis auf das Europäische Übereinkommen zum Schutz von Tieren in landwirtschaftlichen Tierhaltungen und auf die Verordnung 98/58/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zum selben Thema(6),
– unter Hinweis auf den Durchführungsbeschluss (EU) 2017/302 der Kommission vom 15. Februar 2017 über Schlussfolgerungen zu den besten verfügbaren Techniken (BVT) gemäß der Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die Intensivhaltung oder -aufzucht von Geflügel oder Schweinen(7),
– gestützt auf Artikel 128 Absatz 5 und Artikel 123 Absatz 4 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass die EU einer der weltweit größten Erzeuger von Masthähnchen ist und schätzungsweise sieben Milliarden Masthähnchen für die Lebensmittelerzeugung geschlachtet werden; in der Erwägung, dass in der europäischen Geflügelbranche, die dem Grundsatz „vom Hof auf den Tisch“ folgt, über 250 000 Arbeitnehmer beschäftigt sind und es in Europa 23 000 große Masthähnchenbetriebe gibt;
B. in der Erwägung, dass in der Richtlinie 2007/43/EG („Masthühner-Richtlinie“) Mindestvorschriften für den Schutz von Masthähnchen festgelegt sind; in der Erwägung, dass die Kommission, die Mitgliedstaaten und die Erzeuger diese Vorschriften einhalten und regelmäßige Inspektionen in diesem Bereich durchführen müssen;
C. in der Erwägung, dass der Studie der Kommission vom 21. November 2017 über die Anwendung der Richtlinie 2007/43/EG des Rates zufolge 34 % der Masthähnchen im Einklang mit der allgemein vorgeschriebenen Besatzdichte von 33 kg/m2 gehalten werden, während 40 % bei einer Besatzdichte zwischen 34–39 kg/m2 und 26 % mit der höchsten gemäß der Richtlinie zulässigen Besatzdichte (bis zu 42 kg/m2) gehalten werden;
D. in der Erwägung, dass die Masthühner-Richtlinie nicht einheitlich durchgesetzt wird und dass dem jüngsten Umsetzungsbericht der Kommission zufolge die Durchsetzung in allen Mitgliedstaaten bestenfalls uneinheitlich ist;
E. in der Erwägung, dass der übermäßige Einsatz antimikrobieller Tierarzneimittel – insbesondere als Wachstumsförderer sowie zur Pro- und Metaphylaxe – einer der zentralen Faktoren ist, die weltweit zur Entwicklung antibiotikaresistenter Bakterien beitragen; in der Erwägung, dass Mängel beim Tierschutz aufgrund einer hohen Besatzdichte oder von Hitzestress zu immunologischen Defiziten führen können und damit Masthähnchen anfälliger für Krankheiten machen können;
F. in der Erwägung, dass die Präsenz multiresistenter zoonotischer Stämme von Campylobacter spp. und Salmonella spp. in Masthähnchenbetrieben und in Masthähnchenfleisch Berichten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) zufolge eine zunehmende Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellt;
G. in der Erwägung, dass die Tierschutzvorschriften auf der Grundlage neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und unter gebührender Berücksichtigung der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit der landwirtschaftlichen Tierhaltung aktualisiert werden sollten; in der Erwägung, dass mit Haltungsformen, die eine artgerechtere Haltung ermöglichen, die Gesundheit und das Wohlbefinden der Tiere verbessert werden kann, wodurch der Bedarf an antimikrobiellen Mitteln verringert wird, während zugleich keine Einschnitte bei der Qualität der Erzeugnisse zu verzeichnen sind;
H. in der Erwägung, dass im wissenschaftlichen Gutachten der EFSA von 2010 über den Einfluss genetischer Parameter auf das Wohlbefinden und die Stressresistenz von handelsüblichen Masthähnchen gezeigt wurde, dass eine genetische Selektion, die auf den Wachstumsraten der Masthähnchen beruht, zu einer Beeinträchtigung der Gesundheit und des Wohlbefindens der Tiere führen kann;
I. in der Erwägung, dass in der europäischen Bevölkerung ein großes Interesse am Tierschutz besteht und die Bürger die Möglichkeit haben wollen, fundiertere Verbraucherentscheidungen zu treffen;
J. in der Erwägung, dass aus dem letzten Eurobarometer Spezial zum Tierschutz hervorgeht, dass mehr als 50 % der europäischen Bürger beim Kauf tierischer Erzeugnisse Ausschau nach Informationen über die Art der Erzeugung halten und bereit wären, für besseren Tierschutz mehr zu zahlen; in der Erwägung, dass über 80 % der europäischen Bürger wollen, dass das Wohlergehen von Nutztieren in der EU verbessert wird;
K. in der Erwägung, dass 25 % des in der EU verzehrten Geflügelbrustfleischs aus Drittländern mit weniger strengen Tierschutzvorschriften stammen; in der Erwägung, dass der überwiegende Teil des eingeführten Geflügelfleischs in der Gastronomie oder der Lebensmittelverarbeitung verarbeitet wird, wo Angaben zur Herkunft des Fleisches und dessen Kennzeichnung nicht zwingend vorgeschrieben sind;
L. in der Erwägung‚ dass die Einfuhren aus Thailand, Brasilien und der Ukraine insgesamt 90 % der Einfuhren aus Drittländern ausmachen und dass die Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit der Kommission in diesen Ländern Prüfungen durchgeführt hat, wobei erhebliche Mängel mit Blick auf die Produktionsverfahren und die Einhaltung der EU-Rechtsvorschriften festgestellt wurden; in der Erwägung, dass Landwirte in der EU und nichtstaatliche Organisationen Besorgnis bekundet haben, was die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Folgen der Einfuhr von billig produziertem Hühnerfleisch und der irreführenden Kennzeichnung von Hühnerfleisch betrifft, das in der Europäischen Union verarbeitet wird, aber aus Drittländern stammt;
1. nimmt die Ergebnisse des Berichts der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 2007/43/EG und ihren Einfluss auf das Wohlergehen von Masthühnern zur Kenntnis, demzufolge die Richtlinie nur von zwei Dritteln der Mitgliedstaaten ordnungsgemäß umgesetzt wurde; hält es für bedenklich, dass dem Bericht zufolge vielerorts höhere Besatzdichten als die allgemein vorgeschriebene Besatzdichte von 33 kg/m² vorherrschen;
2. ist besorgt angesichts der Zunahme von multiresistenten Zoonoseerregern, die häufig in der Masthähnchenhaltung zu finden sind, wie Campylobacter spp., Salmonella spp. und E. coli;
3. nimmt die Anstrengungen zur Kenntnis, die im Interesse des Wohlergehens von Masthähnchen bereits von den Landwirten in den einzelnen Mitgliedstaaten mit Blick auf die Umsetzung der Masthühner-Richtlinie unternommen wurden, insbesondere von den Landwirten, die sich an freiwilligen Maßnahmen beteiligen;
4. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, für eine harmonisierte Umsetzung und vollständige Durchsetzung der Richtlinie 2007/43/EG mit Blick auf die Gebäudespezifikationen und die Sicherheit zu sorgen, damit die Ziele der Richtlinie verwirklicht werden können;
5. betont, dass unlauterer Wettbewerb zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen führt, da diejenigen, die die entsprechenden Vorschriften missachten, die Akteure unterbieten, die sich an die Vorschriften halten;
6. fordert die Kommission auf, dafür zu sorgen, dass es solide und messbare harmonisierte Indikatoren über den Schutz von Masthähnchen und Elterntieren gibt, wozu auch Orientierungshilfen für die besten verfügbaren Verfahren für Brütereien gehören;
7. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, das Problem der Geflügelstallbrände in Angriff zu nehmen, indem sie bewährte Verfahren fördern; fordert die Mitgliedstaaten auf, umfassende Vorkehrungen zu treffen, damit für Halter, wie in der Richtlinie 2007/43/EG festgelegt, angemessene und ausreichende Lehrgänge angeboten werden;
8. fordert die EFSA auf, ein Gutachten zur Prävalenz von antibiotikaresistenten Campylobacter spp., Salmonella spp. und E. coli und ihrem Zoonosepotenzial und zu den damit verbundenen Risikofaktoren vorzulegen;
9. begrüßt die Einigung über die Verordnung über Tierarzneimittel, die am 5. Juni 2018 erzielt wurde; begrüßt die dabei festgelegten Bestimmungen, mit denen der Einsatz von Antibiotika zu meta- und prophylaktischen Zwecken eingeschränkt wird; weist erneut auf seinen Standpunkt bezüglich Präventivmaßnahmen und das gemeinsame wissenschaftliche Gutachten der EMA und der EFSA(8) hin, in dem die Verwendung von langsamer und gesünder wachsenden Zuchttieren, Besatzdichten, die das Krankheitsrisiko nicht erhöhen, kleinere Gruppen, die Isolierung kranker Tiere (Artikel 10 der Verordnung (EU) 2016/429) und die Umsetzung bestehender Tierschutzvorschriften gefordert wurde; vertraut darauf, dass durch die Verordnung die dringend erforderlichen Maßnahmen zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen erleichtert und Innovationen im Bereich der Tiermedizin angestoßen werden; weist darauf hin, dass die europäische Geflügelbranche und die nationalen Behörden Initiativen ergreifen, um den Einsatz von Antibiotika durch die Modernisierung der Geflügelzuchtbetriebe zu senken;
10. betont, dass verbesserte Haltungstechniken die Lebensqualität von Geflügel erhöhen und den Bedarf an antimikrobiellen Mitteln verringern können, etwa indem die Tiere natürliches Licht, saubere Luft und mehr Platz erhalten und die Ammoniakkonzentration reduziert wird; weist die Kommission erneut auf die in der Tiergesundheitsstrategie enthaltene Erklärung und wichtige Botschaft hin, wonach Vorbeugung die beste Medizin ist;
11. betont, dass der Tierschutz an sich bereits eine Präventivmaßnahme ist, da dadurch das Erkrankungsrisiko von Tieren und damit auch der Einsatz antimikrobieller Mittel gesenkt und oftmals eine höhere Produktion erzielt wird; stellt fest, dass diese Mittel durch einen unsachgemäßen Einsatz ihre Wirksamkeit verlieren könnten, was in der Folge zu einer Gefährdung der Gesundheit der Menschen führen würde;
12. fordert die Kommission auf, die Forschung und bewährte Verfahren im Bereich der antimikrobiellen Resistenzen zu stärken und sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten Präventivmaßnahmen, etwa die Überwachung und Kontrolle von Krankheiten, wirksam durchführen;
13. fordert die Kommission auf, politische Strategien zu unterstützen, mit denen die Einführung alternativer Haltungsverfahren für Masthähnchen und der Rückgriff auf traditionelle Nutz- und/oder Masthähnchenrassen, die einen besseren Tierschutz ermöglichen, gefördert werden;
14. fordert die Kommission auf, einen Fahrplan zur Unterstützung einer wettbewerbsfähigen und nachhaltigen Geflügelfleischproduktion und einer entsprechenden Geflügelzucht zu erstellen, in deren Rahmen für ein gesteigertes Wohlbefinden der Masthähnchen gesorgt wird;
15. fordert die Kommission auf, die Grenzkontrollen für aus Drittländern eingeführtes Geflügelfleisch zu verschärfen, um sicherzustellen, dass diese Einfuhren den EU-Rechtsvorschriften in den Bereichen Tierschutz, Lebensmittelsicherheit und Umweltschutz genügen;
16. hebt hervor, dass die Einfuhren von Hühnerfleisch aus Ländern zugenommen haben, in denen weniger strenge Auflagen mit Blick auf Umwelt, Soziales, Lebensmittelsicherheit und Tierschutz gelten; fordert die Kommission auf, dafür Sorge zu tragen, dass das Hühnerfleisch und die entsprechenden Fleischerzeugnisse und -zubereitungen im Einklang mit den Normen der Union in den Bereichen Umwelt, Soziales, Lebensmittelsicherheit und Tierschutz hergestellt werden, damit gerechte und gleiche Ausgangsbedingungen für die Erzeuger aus der EU gewährleistet sind;
17. fordert die Kommission auf, Rechtsvorschriften für den Einzelhandel und die Gastronomie vorzuschlagen, die eine verbindliche Kennzeichnung der Herkunft von eingeführtem Fleisch vorsehen, das in der EU in Erzeugnissen verarbeitet wird, damit die Verbraucher in die Lage versetzt werden, sachkundige Entscheidungen zu treffen;
18. fordert die Kommission auf, für Masthähnchen ein EU-Verfahren für einen Erzeugercode zu entwickeln, das dem bestehenden EU-Verfahren für Eier gleicht, um auf diesem Wege für mehr Transparenz zu sorgen und den Verbrauchern mehr Informationen über den Tierschutz in der landwirtschaftlichen Erzeugung bereitzustellen;
19. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung der Kommission und den Mitgliedstaaten zu übermitteln.
Ausschuss für Tierarzneimittel (CVMP) der EMA und Gremium für biologische Gefahren (BIOHAZ) der EFSA, 2016: EMA and EFSA Joint Scientific Opinion on measures to reduce the need to use antimicrobial agents in animal husbandry in the European Union, and the resulting impacts on food safety (Gemeinsames wissenschaftliches Gutachten der EMA und der EFSA zu Maßnahmen zur Verringerung der Notwendigkeit des Einsatzes antimikrobieller Wirkstoffe in der Viehzucht in der Europäischen Union und zu den damit verbundenen Auswirkungen auf die Lebensmittelsicherheit).