Entschließung des Europäischen Parlaments vom 13. März 2019 zu dem Bericht 2018 der Kommission über die Türkei (2018/2150(INI))
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zur Türkei, insbesondere jene vom 24. November 2016 zu den Beziehungen zwischen der EU und der Türkei(1), vom 27. Oktober 2016 zu der Lage der Journalisten in der Türkei(2) und vom 8. Februar 2018 zur aktuellen Lage der Menschenrechte in der Türkei(3),
– unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 17. April 2018 an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen zur Erweiterungspolitik der EU (COM(2018)0450), den Bericht 2018 über die Türkei (SWD(2018)0153) und das im August 2018 angenommene überarbeitete Indikative Strategiepapier für die Türkei (2014–2020),
– unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Vorsitzes vom 13. Dezember 2016 und die Schlussfolgerungen des Rates vom 26. Juni 2018 sowie auf frühere einschlägige Schlussfolgerungen des Rates und des Europäischen Rates,
– unter Hinweis auf den Verhandlungsrahmen für die Türkei vom 3. Oktober 2005 und auf den Umstand, dass der Beitritt der Türkei zur EU wie bei allen Beitrittsländern von der vollständigen Einhaltung der Kopenhagener Kriterien abhängt,
– unter Hinweis auf den Beschluss 2008/157/EG des Rates vom 18. Februar 2008 über die Grundsätze, Prioritäten und Bedingungen der Beitrittspartnerschaft mit der Republik Türkei („Beitrittspartnerschaft“)(4) sowie auf die vorangegangenen Beschlüsse des Rates aus den Jahren 2001, 2003 und 2006 über die Beitrittspartnerschaft,
– unter Hinweis auf die gemeinsame Erklärung im Anschluss an das Gipfeltreffen zwischen der EU und der Türkei vom 29. November 2015 und auf den gemeinsamen Aktionsplan EU–Türkei,
– unter Hinweis auf die Erklärung der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten vom 21. September 2005, zu der die Maßregel gehört, dass die Bestätigung durch alle Mitgliedstaaten notwendiger Bestandteil der Verhandlungen ist und dass die Türkei das Zusatzprotokoll zum Abkommen von Ankara in Bezug auf alle Mitgliedstaaten vollständig umsetzen muss, indem sie alle Hindernisse für den freien Warenverkehr ohne Einschränkungen oder Diskriminierung beseitigt,
– unter Hinweis auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union,
– unter Hinweis auf Artikel 46 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), in der sich die Vertragsparteien verpflichten, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu befolgen, und daher auf die Verpflichtung der Türkei, alle Urteile des EGMR umzusetzen,
– unter Hinweis auf die von Reporter ohne Grenzen herausgegebene Rangliste der Pressefreiheit 2018, in der die Türkei auf Platz 157 von 180 Staaten liegt,
– unter Hinweis auf die Resolution des Europarates 1625(2008) über die Eigentums- und Erbrechte der griechisch-orthodoxen Bevölkerung und ihre Häuser auf den Inseln Gökçeada (Imbros) und Bozcaada (Tenedos),
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 13. November 2014 zu Maßnahmen der Türkei, die Spannungen in der ausschließlichen Wirtschaftszone der Republik Zypern(5) verursachen, und seine Entschließung vom 15. April 2015 zu dem 100. Jahrestag des Völkermords an den Armeniern(6),
– unter Hinweis auf die Stellungnahmen der Venedig-Kommission des Europarats, insbesondere vom 10./11. März 2017 zu den Änderungen der Verfassung, die Gegenstand eines landesweiten Referendums sein sollten, zu den Maßnahmen, die in den aktuellen Notstandsdekreten in Bezug auf die Freiheit der Medien und in Bezug auf die Pflichten, Zuständigkeiten und Arbeitsweise strafrechtlicher Friedensgerichte vorgesehen sind, vom 6./7. Oktober 2017 zu den Bestimmungen des Gesetzesdekrets Nr. 674 in Bezug auf die Ausübung der Demokratie auf lokaler Ebene, vom 9./10. Dezember 2016 zu den Notstandsdekreten Nr. 667–676, die nach dem gescheiterten Putsch vom 15. Juli 2016 verabschiedet wurden, und vom 14./15. Oktober 2016 zur Aussetzung von Artikel 83 Absatz 2 der Verfassung zur parlamentarischen Unverletzlichkeit,
– unter Hinweis auf die Erklärung des Menschenrechtskommissars des Europarats vom 26. Juli 2016 zu den Maßnahmen, die in der Türkei im Rahmen des Ausnahmezustands ergriffen wurden,
– unter Hinweis auf die von der Bedarfsermittlungsmission der OSZE und des BDIMR getroffenen Feststellungen und Schlussfolgerungen zu den vorgezogenen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen vom 24. Juni 2018,
– unter Hinweis auf die Resolution 2156 der Parlamentarischen Versammlung des Europarats (PACE) vom 25. April 2017 mit dem Titel „Die Funktionsweise der demokratischen Institutionen in der Türkei“, die zu der Wiederaufnahme des Monitoring-Verfahrens geführt hat,
– unter Hinweis auf die Erklärung EU–Türkei vom 18. März 2016,
– unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat vom 2. März 2017 über den ersten Jahresbericht über die Fazilität für Flüchtlinge in der Türkei (COM(2017)0130), auf die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat vom 14. März 2018 über den zweiten Jahresbericht über die Fazilität für Flüchtlinge in der Türkei (COM(2018)0091) und auf den fünften Bericht der Kommission vom 2. März 2017 an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und den Rat über die Fortschritte bei der Umsetzung der Erklärung EU–Türkei (COM(2017)0204),
– unter Hinweis auf die Empfehlung der Kommission vom 21. Dezember 2016 für einen Beschluss des Rates zur Genehmigung der Aufnahme von Verhandlungen mit der Türkei über eine Vereinbarung über die Ausweitung des Umfangs der bilateralen präferenziellen Handelsbeziehungen und über die Modernisierung der Zollunion sowie auf die Schlussfolgerungen des Rates vom 26. Juni 2018, wonach keine weiteren Arbeiten im Hinblick auf die Modernisierung der Zollunion zwischen der EU und der Türkei vorgesehen sind,
– unter Hinweis auf den Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofes vom 14. März 2018 mit dem Titel „Heranführungshilfe der EU für die Türkei: bislang nur begrenzte Ergebnisse“,
– unter Hinweis auf den Haushaltsplan 2019, in dessen Rahmen die Mittel aus dem IPA II für die Türkei angesichts der Lage der Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei um 146,7 Millionen EUR gekürzt werden,
– unter Hinweis auf den Bericht des Amtes des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte von März 2018 über die Auswirkungen des Ausnahmezustands auf die Menschenrechte in der Türkei mit einem besonderen Verweis auf den Südosten des Landes,
– unter Hinweis auf das Rückübernahmeabkommen zwischen der EU und der Türkei,
– gestützt auf Artikel 52 seiner Geschäftsordnung,
– unter Hinweis auf den Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (A8‑0091/2019),
A. in der Erwägung, dass der Gemischte Parlamentarische Ausschuss EU-Türkei nach drei Jahren des Stillstands in den interparlamentarischen Beziehungen am 28. April 2018 seine lang erwartete 77. Sitzung 2018 in Brüssel abhielt;
B. in der Erwägung, dass die Türkei nach Informationen des Amtes des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) mit über drei Millionen registrierten Flüchtlingen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan weltweit am meisten Flüchtlinge aufgenommen hat;
C. in der Erwägung, dass die Achtung der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte, darunter Gewaltenteilung, Demokratie, Freiheit der Meinungsäußerung und der Medien, Menschenrechte, Rechte von Minderheiten und Religionsfreiheit sowie Vereinigungsfreiheit und das Recht auf friedlichen Protest, die Bekämpfung der Korruption, des Rassismus und der Diskriminierung schutzbedürftiger Gruppen, in den Verhandlungen von zentraler Bedeutung ist;
D. in der Erwägung, dass das Parlament die Kommission und die Mitgliedstaaten im November 2016 aufgefordert hat, die laufenden Beitrittsverhandlungen mit der Türkei vorübergehend auszusetzen, und sich verpflichtet hat, seinen Standpunkt zu überprüfen, sobald die unverhältnismäßigen Maßnahmen im Rahmen des Ausnahmezustands in der Türkei aufgehoben werden;
E. in der Erwägung, dass das Parlament die Kommission und die Mitgliedstaaten im Juli 2017 im Einklang mit dem Verhandlungsrahmen aufgefordert hat, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei unverzüglich offiziell auszusetzen, falls das Verfassungsreformpaket unverändert umgesetzt werden sollte;
1. stellt fest, dass der nach dem Putschversuch von 2016 verhängte Ausnahmezustand sieben Mal verlängert wurde; begrüßt den Beschluss vom 19. Juli 2018 zur Aufhebung des Ausnahmezustands; bedauert jedoch, dass im Juli 2018 neue Rechtsvorschriften verabschiedet wurden, insbesondere das Gesetz Nr. 7145, mit denen viele der dem Präsidenten und der Exekutive im Rahmen des Ausnahmezustandes verliehenen Machtbefugnisse beibehalten wurden und sie praktisch weiter wie bisher mit den entsprechenden Einschränkungen für die Freiheiten und grundlegenden Menschenrechte handeln können; betont, dass dadurch die positiven Auswirkungen der Aufhebung des Ausnahmezustands größtenteils wieder aufgehoben werden; weist darauf hin, dass der lang andauernde Ausnahmezustand zu einer Erosion der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte in der Türkei geführt hat, die sich dauerhaft auf das institutionelle und sozioökonomische Gefüge des Landes auswirken kann; ist darüber besorgt, dass viele der während des Ausnahmezustands geltenden Verfahren von der Polizei und den lokalen Verwaltungen nach wie vor angewendet werden; ist ebenso beunruhigt angesichts der gravierenden Rückschritte in den Bereichen des Rechts auf freie Meinungsäußerung, der Versammlungsfreiheit, der Vereinigungsfreiheit und der Verfahrens- und Eigentumsrechte;
2. ist zutiefst darüber besorgt, dass im Rahmen von Razzien nach dem Putschversuch mehr als 150 000 Menschen in Gewahrsam genommen wurden, dass 78 000 Personen des Terrorismus beschuldigt und inhaftiert wurden und dass sich über 50 000 Personen zumeist ohne schlüssige Beweise weiterhin in Haft befinden; ist besorgt über die übermäßig lange Untersuchungshaft, die langwierigen Gerichtsverfahren, die Tatsache, dass in mehreren Fällen noch keine Anklage erhoben wurde, und über die harten Haftbedingungen; äußert sich ferner besorgt über die weitverbreitete Praxis, die Reisepässe der Angehörigen von Gefangenen und Verdächtigen für ungültig zu erklären, und betont die Notwendigkeit eines ordnungsgemäßen Verfahrens und eines verwaltungsrechtlichen Rechtsbehelfs, wenn diese Maßnahme nicht ordnungsgemäß begründet ist; ist insbesondere besorgt darüber, dass sich solche Verhaftungen offenkundig auch gegen legitime oppositionelle Stimmen, darunter Menschenrechtsverteidiger, Journalisten und Oppositionelle, richten; ist zutiefst besorgt über die von mehreren Menschenrechtsorganisationen und dem Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte geäußerten Vorwürfe, Gefangene würden misshandelt und gefoltert; ist zutiefst besorgt über Berichte, wonach die Häftlinge oftmals sehr lange in Einzelhaft gehalten werden, was einer zusätzlichen Bestrafung gleichkommt; warnt davor, Antiterrormaßnahmen als Legitimation für Verstöße gegen die Menschenrechte zu missbrauchen; fordert die Türkei nachdrücklich auf, bei ihren Antiterrormaßnahmen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren und ihre Rechtsvorschriften zur Terrorbekämpfung an die internationalen Menschenrechtsnormen anzupassen;
3. bedauert die von der türkischen Regierung gegen türkische Bürger in Drittländern ergriffenen Maßnahmen, darunter Schikane, Entführungen und Beschattung, sowie die Praxis, der gemäß Menschen dazu angehalten werden, ihre Mitbürger über eine eigens dafür eingerichtete Telefonnummer bei den Behörden zu denunzieren; ist zutiefst besorgt über die rechtswidrige Entführung und Auslieferung von 101 türkischen Staatsbürgern aus insgesamt 18 Ländern, was von den türkischen Behörden in einer Erklärung vom 16. Juli 2018 bestätigt wurde; fordert die Mitgliedstaaten der EU nachdrücklich auf, dafür zu sorgen, dass von der Türkei gestellte Auslieferungsanträge transparent bearbeitet werden und die entsprechenden gerichtlichen Verfahren zur Gänze den internationalen Menschenrechtsstandards entsprechen; weist erneut darauf hin, dass Interpol-Haftbefehle nicht dazu missbraucht werden dürfen, gegen türkische Dissidenten, Menschenrechtsverteidiger, Journalisten und Regierungskritiker wie den ehemaligen Sacharow-Preis-Finalisten Can Dündar vorzugehen;
4. stellt fest, dass seit der Verhängung des Notstands mehr als 152 000 Staatsbedienstete – darunter Lehrer, Ärzte, (der Friedensbewegung angehörende) Wissenschaftler, Rechtsanwälte, Richter und Staatsanwälte – entlassen worden sind; stellt fest, dass sich 125 000 Menschen an die Untersuchungskommission für Notstandmaßnahmen (CoSEM) gewandt haben, die mit der Prüfung von und der Entscheidung über Beschwerden gegen im Rahmen des Ausnahmezustands und damit zusammenhängender Erlasse getroffene Maßnahmen innerhalb einer Frist von zwei Jahren betraut ist, und dass in 81 000 der Fälle eine Entscheidung noch aussteht; stellt fest, dass die Quote (7 %) der Fälle, in denen dem Antrag auf Wiedereinsetzung stattgegeben wurde, sehr niedrig war; ist besorgt über den eng gefassten Auftrag dieser Untersuchungskommission, ihre mangelnde Unabhängigkeit und über den Umstand, dass Prüfungen ausschließlich aufgrund der in der Fallakte vorhandenen Unterlagen und ohne Beteiligung der betroffenen Person stattfinden; stellt fest, dass diese Entlassungen sehr harte Auswirkungen – auch in wirtschaftlicher Hinsicht – auf die betroffenen Personen und deren Familien hatten und mit einer nachhaltigen gesellschaftlichen und beruflichen Stigmatisierung einhergehen; fordert die Türkei auf sicherzustellen, dass alle Personen Anspruch auf rechtliches Gehör und darauf haben, ihren Fall im Einklang mit internationalen Standards von einem unabhängigen Gericht, das Entschädigungen für die durch ihre willkürliche Entlassung verursachten materiellen und immateriellen Schäden gewährleisten kann, überprüfen zu lassen; fordert die Türkei auf, die operative, strukturelle und finanzielle Unabhängigkeit der nationalen Stelle für Menschenrechte und Gleichstellung und des Amtes des Bürgerbeauftragten sicherzustellen, damit sie tatsächlich in der Lage sind, einen Fall zu überprüfen und Wiedergutmachung zu leisten;
5. ist sehr besorgt über Hinweise auf eine Instrumentalisierung des Präsidiums für Religionsangelegenheiten (Diyanet) durch den türkischen Geheimdienst, und zwar zum Zwecke der Verfolgung von Oppositionsführern der Gülen-Bewegung oder anderer Gegner, und fordert die Sicherheitsbehörden auf europäischer und nationaler Ebene nachdrücklich auf, dieser schwerwiegenden Verletzung ihrer Hoheitsgewalt und öffentlichen Ordnung nachzugehen;
6. verurteilt die verstärkte Kontrolle der Arbeit von Richtern und Staatsanwälten durch die Exekutive und den politischen Druck, dem sie ausgesetzt sind; betont, dass eine ernsthafte Reform der Legislative und der Judikative in der Türkei erforderlich ist, um den Zugang zur Justiz zu verbessern, ihre Wirksamkeit zu erhöhen und das Recht auf ein Verfahren innerhalb einer angemessenen Frist besser zu schützen; betont, dass diese Reform auch deshalb erforderlich ist, damit die Türkei ihre Verpflichtungen im Rahmen der internationalen Menschenrechtsnormen erfüllt; ist darüber besorgt, dass die Entlassung von mehr als 4 000 Richtern und Staatsanwälten eine Bedrohung für die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz ist; ist ferner der Ansicht, dass die Verhaftung von mehr als 570 Anwälten ein Hindernis für die Ausübung des Rechts auf Verteidigung ist und eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren darstellt; verurteilt außerdem die Inhaftierung von Menschenrechtsanwälten und die gerichtlichen Schikanen gegen sie; fordert die Reform-Aktionsgruppe auf, die Strategie für die Reform des Justizwesens zu überprüfen und, wie gefordert, mit den Normen der EU und des Europarates in Einklang zu bringen; fordert die Türkei auf, während des gesamten Reformprozesses die Einbeziehung aller einschlägigen Interessenträger und insbesondere der zivilgesellschaftlichen Organisationen sicherzustellen; fordert die Kommission auf, die ordnungsgemäße Verwendung von EU-Mitteln für die Aus- und Fortbildung von Richtern und Strafverfolgungsbeamten zu überwachen, die nicht dazu genutzt werden sollten, repressive Maßnahmen zu legitimieren;
7. stellt mit Besorgnis fest, dass nach der Verhängung des Ausnahmezustands die Zahl der Asylanträge türkischer Bürger drastisch zugenommen hat, wodurch die Türkei nach Angaben des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen zum fünfthäufigsten Herkunftsland für Asylanträge in den EU-Mitgliedstaaten geworden ist; betont, dass im September 2018 mehr als 16 000 Antragsteller immer noch auf eine erstinstanzliche Entscheidung warteten;
8. hebt erneut die Bedeutung der Freiheit und Unabhängigkeit der Medien als zentrale Werte der EU und als Eckpfeiler jeder Demokratie hervor; ist ernsthaft besorgt über die unverhältnismäßigen, willkürlichen Maßnahmen, mit denen die Freiheit der Meinungsäußerung, die Medienfreiheit und der Zugang zu Informationen beschnitten werden; verurteilt die Schließung von mehr als 160 Medienunternehmen und die große Zahl an Verhaftungen von Journalisten und bei den Medien beschäftigten Personen in der Folgezeit des Putschversuchs; verurteilt ferner die unbegründeten und unverhältnismäßigen Urteile sowie die Sperrung von über 114 000 Websites in der Türkei bis Ende vergangenen Jahres, darunter auch Wikipedia; weist auf die Beschränkungen der Rechte von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern hin, die sich mit der Kurdenfrage befassen; fordert die Türkei nachdrücklich auf, vorrangig die Medienfreiheit zu garantieren und alle unrechtmäßig inhaftierten Journalisten umgehend freizulassen und freizusprechen; fordert die türkischen Staatsorgane auf, physische und verbale Übergriffe oder Drohungen gegenüber Journalisten in keinem Fall zu tolerieren, und den willkürlich verbotenen Medien zu erlauben, ihre Tätigkeit wieder aufzunehmen;
9. ist zutiefst besorgt über den schrumpfenden Raum für die Zivilgesellschaft und für die Förderung von Grundrechten und Grundfreiheiten; weist darauf hin, dass eine große Zahl politisch engagierter Bürger, darunter auch Menschenrechtsverteidiger, verhaftet wurden und dass während des Ausnahmezustands wiederholt Demonstrationen verboten wurden; fordert die Türkei auf, alle inhaftierten Menschenrechtsverteidiger, Journalisten und anderen Personen, die aufgrund unbegründeter Anschuldigungen inhaftiert wurden, freizulassen und diese Anschuldigungen fallenzulassen sowie den betroffenen Personen zu ermöglichen, ihre Arbeit unter allen Umständen ohne Bedrohung oder Behinderung auszuüben; fordert die Türkei auf, die Grundrechte aller Bürger, einschließlich der Angehörigen ethnischer, religiöser und sexueller Minderheiten, zu schützen; weist darauf hin, dass türkischen Rechtsvorschriften zur Volksverhetzung nicht mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte übereinstimmen; fordert die Regierung und das Parlament der Türkei nachdrücklich auf, ein Gesetz zu hassmotivierten Verbrechen zu verabschieden, durch das alle Angehörigen von Minderheiten vor körperlichen und verbalen Angriffen geschützt werden können und das die Kopenhagener Kriterien für Kandidatenländer bezüglich der Achtung für und Schutz von Minderheiten erfüllt; fordert die Kommission und die Mitgliedstaten auf, ihre Anstrengungen zum Schutz und zur Unterstützung von in der Türkei gefährdeten Menschenrechtsverteidiger – auch durch die Bereitstellung von Nothilfen – zu verstärken;
10. verurteilt die willkürliche Inhaftierung von Osman Kavala, einem bekannten und geachteten führenden Vertreter der türkischen Zivilgesellschaft, der jetzt seit über anderthalb Jahren festgehalten wird; ist entsetzt über die jüngst gegen Osman Kavala und 15 weitere Personen erhobene Anklage, wonach ihnen wegen ihrer angeblichen Rolle bei den Gezi-Protesten im Jahr 2013 erschwerte lebenslange Haftstrafen wegen versuchten Sturzes der Regierung drohen; fordert ihre sofortige und bedingungslose Freilassung und ersucht die EU-Delegation in der Türkei, ihren Fall sehr genau zu verfolgen; fordert außerdem, dass eine Delegation des Europäischen Parlaments den Gerichtsverhandlungen zu diesem Prozess beiwohnt; missbilligt die Inhaftierung von 13 Wissenschaftlern und politisch engagierten Bürgern am 16. November 2018 im Zusammenhang mit dem Fall Osman Kavala; stellt fest, dass zwölf von ihnen freigelassen wurden, nachdem sie jeweils eine eidesstattliche Erklärung abgegeben hatten, und dass eine Person nach wie vor in Haft ist; fordert die Freilassung dieser Person bis zum Abschluss des Verfahrens und die Aufhebung des gegen die anderen verhängten Reiseverbots;
11. ist ernsthaft besorgt über die mangelnde Achtung der Religionsfreiheit, über die fortgesetzte Diskriminierung religiöser Minderheiten, darunter Christen und Aleviten, sowie über die aus religiösen Gründen verübten Gewalttaten; betont, dass Kirchen in der Türkei nach wie vor mit Problemen konfrontiert sind, wenn sie Räumlichkeiten für Gottesdienste nutzen oder weiter nutzen möchten; fordert die türkischen Regierungsstellen auf, positive und wirksame Reformen im Bereich der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit zu fördern, indem es Religionsgemeinschaften ermöglicht wird, Rechtspersönlichkeit zu erlangen, indem gemeinnützigen Stiftungen gestattet wird, ihre Leitungsgremien zu wählen, indem sämtliche Beschränkungen bei der Ausbildung, Ernennung und Nachfolge von Geistlichen aufgehoben werden, indem die einschlägigen Urteile des EGMR und die Empfehlungen der Venedig-Kommission befolgt werden und indem alle Formen der Diskriminierung und Benachteiligung aufgrund der Religion beseitigt werden; fordert die Türkei auf, den besonderen Charakter und die Bedeutung des Ökumenischen Patriarchats zu achten und dessen Rechtspersönlichkeit anzuerkennen; weist erneut darauf hin, dass die Wiedereröffnung des Seminars von Chalki erlaubt werden muss und alle Hindernisse für einen reibungslosen Seminarbetrieb beseitigt werden müssen; fordert, dass die Wahlordnung für nichtmuslimische Stiftungen veröffentlicht wird; begrüßt die Rückgabe von 50 aramäischen Kirchen, Klöstern und Friedhöfen in Mardin durch die türkische Regierung, und fordert die staatlichen Stellen der Türkei auf, den entsprechenden Grund und Boden ebenfalls den rechtmäßigen Eigentümern zurückzugeben; weist auf das Ausmaß der Konsequenzen der Sicherheitsmaßnahmen auf die Bevölkerung von Tur Abdin hin und fordert die Türkei auf, den weiteren Zugang der Bevölkerung zu Bildung, Wirtschaftstätigkeit und religiösen Stätten zu gewährleisten; fordert die Türkei eindringlich auf, ihr Möglichstes zu tun, damit das zwölftausend Jahre alte aramäische Kulturerbe nicht durch die vorbereitenden Arbeiten für das Ilısu-Staudammprojekt zerstört wird; fordert die türkischen Behörden auf, den Antisemitismus in der Gesellschaft in all seinen Erscheinungsformen entschieden zu bekämpfen;
12. ist besorgt über Verstöße gegen die Menschenrechte von LGBTI-Personen, insbesondere das wiederholte Verbot von Pride-Märschen und LGBTI-Veranstaltungen im ganzen Land, das nach wie vor gilt, obwohl der Ausnahmezustand aufgehoben wurde, und fordert die sofortige Aufhebung dieser diskriminierenden Verbote; fordert die Türkei auf, angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um durch Hass motivierte Äußerungen oder Verbrechen, die sich gegen benachteiligte Gruppen wie Roma und syrische Flüchtlinge und Asylsuchende richten, zu verhindern und zu bestrafen, und fordert anhaltende Anstrengungen zur Verbesserung der Lage dieser Gruppen; fordert die Türkei auf, den Strategieplan für die Integration der Roma 2016–2021 vollständig umzusetzen und dabei der Bekämpfung des Antiziganismus besondere Aufmerksamkeit zu schenken, den Zugang der Roma zu erschwinglichen hochwertigen Wohnungen zu gewährleisten, ihren Zugang zur Bildung zu sichern und Maßnahmen zur Verhinderung eines vorzeitigen Schulabgangs, zur Bekämpfung der Segregation und zur Erhöhung der Beschäftigungsquote der Roma zu ergreifen; stellt besorgt fest, dass die Zahl der sogenannten „Ehrenmorde“, zugenommen hat; fordert die Türkei auf, ihre innerstaatlichen Rechtsvorschriften an das Übereinkommen von Istanbul des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, das sie 2014 ratifiziert hat, anzupassen; fordert die Türkei auf, für eine vollständige Gleichberechtigung aller Bürger zu sorgen und die Probleme der Angehörigen von Minderheiten insbesondere in Bezug auf Bildung und Eigentumsrechte zu lösen; weist erneut darauf hin, dass die Resolution der Parlamentarischen Versammlung des Europarats zu den Inseln Imbros und Tenedos in vollem Maße umgesetzt werden muss, und fordert die Türkei auf, Minderheiten angehörende Familien, die auf die Inseln zurückkehren möchten, zu unterstützen; begrüßt, dass eine Schule für die griechische Minderheit auf Imbros eröffnet wurde, was ein positiver Schritt ist;
13. ist besorgt über das Ausmaß und den Schweregrad der Gewalt gegen Frauen in der türkischen Gesellschaft, wozu sogenannte Ehrenmorde, rechtswidrige Kinderehen und sexueller Missbrauch gehören, und über den mangelnden Willen der staatlichen Stellen der Türkei, die Täter geschlechtsspezifischer Gewalt zu bestrafen; betont, dass häusliche Gewalt 2018 zum Tod von 440 Frauen geführt hat – eine Zunahme gegenüber den Vorjahren – und dass Strafverfahren oft langwierig sind und verzögert werden; fordert die türkische Regierung auf, in dieser Angelegenheit eine Null-Toleranz-Politik zu verfolgen und umzusetzen;
14. fordert die Regierung der Türkei auf, die rechtlichen Verpflichtungen, die sie in Bezug auf den Schutz des kulturellen Erbes eingegangen ist, zu achten und uneingeschränkt umzusetzen und insbesondere nach Treu und Glauben eine integrierte Bestandsaufnahme des griechischen, armenischen und assyrischen sowie sonstigen kulturellen Erbes vorzunehmen, das im Laufe des letzten Jahrhunderts zerstört wurde oder verfallen ist; widerspricht in diesem Zusammenhang jedweden extremen Ansichten, die für Veränderungen am äußeren Erscheinungsbild des historisch-religiösen Monuments Hagia Sophia und ihre Umwandlung in eine Moschee eintreten; fordert die Türkei auf, das Übereinkommen der UNESCO zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen aus dem Jahr 2005 zu ratifizieren; fordert die Türkei auf, bei der Verhinderung und Bekämpfung des illegalen Handels und der vorsätzlichen Zerstörung kulturellen Erbes mit den einschlägigen internationalen Organisationen zusammenzuarbeiten, insbesondere mit dem Europarat;
15. ist zutiefst besorgt über die Lage im Südosten der Türkei und die schwerwiegenden Vorwürfe wegen Menschenrechtsverletzungen, übermäßiger Gewaltanwendung, Folter und der massiven Beschneidung des Rechts auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung sowie auf politische Teilhabe im Südosten des Landes, wie es auch vom Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte insbesondere seit dem Scheitern des Prozesses zur Beilegung des Kurdenkonflikts im Jahr 2015 dokumentiert wurde; bekräftigt seine entschiedene Verurteilung der Rückkehr zur Gewalt seitens der kurdischen Arbeiterpartei (PKK), die seit 2002 auf der EU-Liste terroristischer Vereinigungen steht; betont die Dringlichkeit der Wiederaufnahme eines glaubwürdigen politischen Prozesses, der zu einer friedlichen Lösung der Kurdenfrage führt; fordert die Türkei auf, alle schwerwiegenden Vorwürfe wegen Menschenrechtsverletzungen und Tötungen umgehend zu untersuchen und eine unabhängige Überwachungstätigkeit internationaler Beobachter zuzulassen; ist besorgt darüber, dass die türkische Regierung historische Stätten im Südosten des Landes zerstört hat, etwa im Stadtbezirk Sur von Diyarbakir, den die UNESCO in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen hatte, und weist darauf hin, dass damit die Erhaltung der kurdischen Identität und Kultur gefährdet wird;
16. stellt mit Besorgnis fest, dass während des Ausnahmezustands eine sehr große Zahl an Bürgermeistern und stellvertretenden Bürgermeistern im Südosten des Landes entlassen bzw. verhaftet wurde und dass die Regierung an deren Stelle Vertrauensleute einsetzte; hebt hervor, dass infolgedessen ein großer Teil der Bevölkerung der Türkei auf kommunaler Ebene ohne demokratische Vertretung ist; vertritt die Ansicht, dass die für März 2019 angesetzten Kommunalwahlen als eine wichtige Gelegenheit zur vollständigen Wiederherstellung des Grundsatzes des direkten demokratischen Mandats zu betrachten sind;
17. stellt mit Besorgnis fest, dass die Fähigkeit der Großen Nationalversammlung, ihre grundlegende Funktion der demokratischen Kontrolle und Rechenschaftspflicht zu erfüllen, durch den Ausnahmezustand und durch bestimmte Bestimmungen infolge der Verfassungsreform weiter eingeschränkt wurde; nimmt mit großer Besorgnis sowohl die Verhaftung von zwei Mitgliedern der Republikanischen Volkspartei (CHP) als auch die Art und Weise zur Kenntnis, wie insbesondere die Demokratische Volkspartei (HDP) ausgegrenzt wird und viele ihrer Abgeordneten aufgrund der angeblichen Unterstützung terroristischer Aktivitäten verhaftet wurden; fordert die Freilassung aller Mitglieder der Großen Nationalversammlung, die aufgrund von Reden und Handlungen in Ausübung ihrer parlamentarischen Tätigkeit inhaftiert wurden; betont, dass die Große Nationalversammlung die zentrale Institution der türkischen Demokratie sein und alle Bürger gleichermaßen repräsentieren sollte; bedauert die hohe Sperrklausel, die eine wahre politische Vertretung einschränkt und der pluralistischen Gesellschaft der Türkei nicht gerecht wird;
18. verurteilt die anhaltende Inhaftierung des Oppositionsführers und Präsidentschaftskandidaten Selahattin Demirtaș; begrüßt das Urteil des EGMR, mit dem die türkischen Staatsorgane aufgefordert werden, ihn umgehend freizulassen; betont, dass der EGMR darüber hinaus entschieden hat, dass mit der Inhaftierung von Selahattin Demirtaș vor allem das Ziel verfolgt wurde, den Pluralismus zu unterdrücken und die Freiheit der politischen Debatte zu beschneiden; missbilligt die ablehnende Haltung der staatlichen Stellen der Türkei gegenüber diesem Urteil; erwartet von der EU und ihren Mitgliedstaaten, dass sie diesen Fall sehr genau verfolgen, und fordert die sofortige und bedingungslose Freilassung von Selahattin Demirtaș;
19. betont die Bedeutung der Korruptionsbekämpfung und verweist auf die Ergebnisse des Berichts 2018 über die Türkei, wonach die Korruption in vielen Bereichen nach wie vor weit verbreitet ist und weiterhin ein ernsthaftes Problem darstellt; ist besorgt darüber, dass nach wie vor kaum Erfolge bei der Ermittlung, Strafverfolgung und Verurteilung in Korruptionsfällen, insbesondere in Fällen auf hoher Ebene, zu verzeichnen sind;
20. weist darauf hin, dass die mit der Einführung eines Präsidialsystems verbundenen Verfassungsänderungen nach Einschätzung der Venedig-Kommission keine ausreichenden gegenseitigen Kontrollen vorsehen und die Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Judikative gefährden; weist ferner darauf hin, dass das Europäische Parlament die Regierung der Türkei aufgefordert hat, in Zusammenarbeit mit der Venedig-Kommission Änderungen an der Verfassung und dem Justizsystem vorzunehmen und beides zu reformieren, und dass es letztes Jahr darüber hinaus für den Fall, dass die Verfassungsreform unverändert eingeführt wird, die offizielle Aussetzung der Beitrittsverhandlungen forderte, da solch ein Schritt nicht mit den Kopenhagener Kriterien vereinbar ist;
21. empfiehlt, dass die Kommission und der Rat der Europäischen Union angesichts der obigen Ausführungen die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei im Einklang mit dem Verhandlungsrahmen offiziell aussetzen; bleibt jedoch weiterhin dem demokratischen und politischen Dialog mit der Türkei verpflichtet; fordert die Kommission auf, die derzeit im Rahmen des Instruments für Heranführungshilfe (des IPA II und des künftigen IPA III) zugewiesenen Mittel im Wege einer unmittelbar von der EU verwalteten, zweckgebundenen Finanzausstattung dafür zu nutzen, die Zivilgesellschaft, Menschenrechtsverteidiger und Journalisten in der Türkei zu unterstützen und mehr Gelegenheiten für zwischenmenschliche Kontakte, den akademischen Dialog, den Zugang türkischer Studierender zu europäischen Universitäten und Medienplattformen für Journalisten zu schaffen, damit die demokratischen Werte und Grundsätze, die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit geschützt und gefördert werden; erwartet, dass unbeschadet des Artikels 49 des Vertrags über die Europäische Union die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU im Hinblick auf eine wirksame Partnerschaft neu definiert werden; betont, dass jegliche politischen Beziehungen zwischen der EU und der Türkei auf Auflagen bezüglich der Achtung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte basieren sollten;
22. stellt fest, dass das EU-Beitrittsverfahren zu Beginn zwar ein starker Anreiz für Reformen in der Türkei war, dass es aber in den letzten Jahren zu deutlichen Rückschritten in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte gekommen ist;
23. betont, dass durch die Modernisierung der Zollunion die bereits engen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Türkei und der EU weiter gestärkt würden und die wirtschaftliche Anbindung der Türkei an die EU erhalten bliebe; ist daher der Auffassung, dass die Tür für die Modernisierung und den Ausbau der 1995 zwischen der EU und der Türkei vereinbarten Zollunion offen bleiben sollte, damit gegenwärtig nicht abgedeckte, maßgebliche Bereiche wie Landwirtschaft, Dienstleistungen und die Vergabe öffentlicher Aufträge einbezogen werden können; weist darauf hin, dass die Türkei der fünftgrößte Handelspartner der EU und umgekehrt die EU der größte Handelspartner der Türkei ist sowie dass zwei Drittel der ausländischen Direktinvestitionen in der Türkei aus EU-Mitgliedstaaten stammen und die Türkei für die EU ein wichtiger Wachstumsmarkt ist; ist der Ansicht, dass der Ausbau der Zollunion eine wertvolle Gelegenheit für eine Gebundenheit an Auflagen bezüglich der Demokratie, eine positive Hebelwirkung und die Möglichkeit der Einführung eines Fahrplans bieten würde, in dessen Rahmen der Ausbau der Zollunion Hand in Hand mit konkreten Zusagen der Türkei zu demokratischen Reformen in den Bereichen Demokratie, Menschenrechte, Grundfreiheiten, Rechtsstaatlichkeit und einem echten, offenen Raum für die Zivilgesellschaft gehen würde; ist ferner der Auffassung, dass der Ausbau der Zollunion eine wichtige Gelegenheit für einen politischen Dialog über eine sozial und ökologisch nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und den Klimawandel sowie über die Arbeitnehmerrechte in der Türkei bieten würde; fordert die Kommission auf, mit den Vorbereitungsarbeiten für den Ausbau der Zollunion zu beginnen, sobald die türkische Regierung ihre Bereitschaft zu ernsthaften Reformen unter Beweis stellt; fordert die Kommission auf, eine Klausel über die Menschenrechte und die Grundfreiheiten in die verbesserte Zollunion aufzunehmen, sodass die Menschenrechte und die Grundfreiheiten dabei zu einer Schlüsselvoraussetzung werden; weist darauf hin, dass die Zollunion in der jetzigen Form ihr vollständiges Potenzial nur dann ausschöpfen kann, wenn die Türkei das Zusatzprotokoll gegenüber allen Mitgliedstaaten vollständig umsetzt;
24. weist darauf hin, dass freie Gewerkschaften und sozialer Dialog für die Entwicklung einer pluralistischen Gesellschaft von entscheidender Bedeutung sind; bedauert die gesetzgeberischen Mängel bei den Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechten und betont, dass das Vereinigungsrecht, das Recht auf Tarifverhandlungen und das Streikrecht grundlegende Arbeitnehmerrechte sind; bedauert zutiefst, dass die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft in Gerichtsverfahren häufig als Beleg für eine strafbare Handlung eingestuft wird; ist der Ansicht, dass eine solche Haltung den Status von Gewerkschaften im Land weiter gefährden könnte; ist zutiefst besorgt über die Arbeitsbedingungen der Arbeiter beim Bau des neuen Flughafens von Istanbul, da seit Baubeginn im Mai 2015 Berichten zufolge 38 Arbeiter bei Arbeitsunfällen starben und sich derzeit 31 Menschen, darunter auch ein Gewerkschaftsführer, wegen ihrer Proteste gegen die schlechten Arbeitsbedingungen und gegen die niedrigen und unregelmäßig ausgezahlten Löhne in Haft befinden; fordert die türkischen Behörden auf, sich eng mit den entsprechenden Gewerkschaften über die Frage notwendiger Sicherheitsvorkehrungen für Arbeitnehmer auf der Baustelle abzustimmen, eine gründliche Untersuchung der Unfälle mit Toten und Verletzten durchzuführen und den Gewerkschaften uneingeschränkten Zugang zu den betroffenen Arbeitnehmern zu gewähren; ist besorgt über das Problem der Kinderarbeit, insbesondere in Bereichen wie Landwirtschaft und Saisonarbeit; nimmt die Bemühungen der türkischen Regierung zur Kenntnis, Flüchtlingen, die in der Türkei vorübergehenden Schutz genießen, das Recht auf Arbeit zu gewähren, sofern eine entsprechende Genehmigung erteilt wird; stellt fest, dass mehr als 20 000 Syrern eine Arbeitserlaubnis erteilt wurde und dass diese mit bestimmten Bedingungen in Bezug auf das Mindestlohnniveau und die soziale Sicherheit verknüpft ist; weist darauf hin, dass trotz dieser Bemühungen viele Syrer weiterhin ohne Genehmigung in zahlreichen Branchen und in vielen Provinzen der Türkei arbeiten; betont, dass die Sprache nach wie vor eines der Haupthindernisse für syrische Arbeitnehmer ist;
25. fordert die türkische Regierung auf, ihre Pläne für den Bau des Kernkraftwerks Akkuyu einzustellen; fordert die Türkei auf, sich an das Übereinkommen von Espoo zu halten; ersucht die türkische Regierung, die Regierungen der Nachbarländer, wie Griechenland und Zypern, in Bezug auf etwaige weitere Entwicklungen im Rahmen des Akkuyu-Vorhabens einzubeziehen oder zumindest anzuhören;
26. stellt fest, dass die Visaliberalisierung für türkische Bürger, insbesondere Studierende, Akademiker, Geschäftsleute und Menschen mit familiären Bindungen in EU-Mitgliedstaaten, von großer Bedeutung ist; ermutigt die türkische Regierung, die im Fahrplan zur Visaliberalisierung aufgeführten 72 Kriterien vollständig zu erfüllen; betont, dass die Überarbeitung der türkischen Rechtsvorschriften zur Terrorbekämpfung eine zentrale Voraussetzung für die Sicherung der Grundrechte und Grundfreiheiten ist; legt der Türkei nahe, die erforderlichen Anstrengungen zu unternehmen, um die verbleibenden Vorgaben zu erfüllen; betont, dass die Visaliberalisierung möglich sein wird, sobald alle Kriterien vollständig und wirksam in nicht diskriminierender Weise erfüllt sind;
27. weist auf die wichtige Rolle hin, die die Türkei bei der Reaktion auf die durch den Krieg in Syrien ausgelöste Migrationskrise gespielt hat; vertritt die Ansicht, dass die Türkei und ihre Bevölkerung große Gastfreundschaft bewiesen haben, als sie über dreieinhalb Millionen syrischer Flüchtlinge Schutz boten; weist darauf hin, dass es in der Türkei etwa eine Million syrische Kinder im Schulalter gibt, von denen 60 % in türkischen Schulen eingeschrieben sind; nimmt die Erklärung EU–Türkei vom 18. März 2016 zur Kenntnis; fordert die Türkei nachdrücklich auf, den Grundsatz der Nichtzurückweisung zu achten; bedauert, dass die EU im Rahmen des Instruments für Heranführungshilfe (IPA) für 2011/2012 die Anschaffung von Spähpanzern des Typs Cobra II finanziert hat, und fordert die Kommission auf, strikt zu überwachen, wofür im Rahmen von EU-Programmen (ko-)finanzierte Ausrüstung verwendet und ob der Grundsatz der Nichtzurückweisung, insbesondere an der syrischen Grenze, tatsächlich eingehalten wird; fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, ihr Versprechen bezüglich einer Neuansiedlung in großem Maßstab zu halten und sicherzustellen, dass für die Unterstützung syrischer Flüchtlinge in der Türkei auf lange Sicht angemessene Finanzmittel bereitstehen; nimmt den Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofs aus dem Jahr 2018 zur Kenntnis, in dem eine höhere Effizienz und mehr Transparenz bei der Zuweisung und Verteilung der Mittel gefordert wird; weist auf die zunehmende Unsicherheit syrischer Flüchtlinge hinsichtlich ihrer Aussichten auf einen vorübergehenden Schutz in der Türkei hin und fordert die Türkei auf, Strategien für einen stärkeren sozialen Zusammenhalt in Gebieten mit großen syrischen Flüchtlingsgemeinschaften sowie für die längerfristige sozioökonomische und kulturelle Inklusion und einen angemessenen und wirksamen Zugang zu Bildung und beruflicher Bildung in Erwägung zu ziehen; fordert die Kommission auf, wachsam zu bleiben und dafür zu sorgen, dass bei der Verwendung von EU-Mitteln die Rechte von Flüchtlingen angemessen geachtet werden und dass Maßnahmen ergriffen werden, um Kinderarbeit, die sexuelle Ausbeutung von Kindern und andere Menschenrechtsverstöße zu verhindern;
28. weist darauf hin, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten den engen Dialog und die Zusammenarbeit mit der Türkei in außen- und sicherheitspolitischen Fragen aufrechterhalten müssen; setzt sich deshalb für die Zusammenarbeit und weitere Abstimmung zwischen der Türkei und der EU in außen-, verteidigungs- und sicherheitspolitischen Angelegenheiten einschließlich der Terrorbekämpfung ein; weist darauf hin, dass die Türkei auch seit langem Mitglied des NATO-Bündnisses ist und sich an einem wichtigen geostrategischen Standort für die Aufrechterhaltung der regionalen und europäischen Sicherheit befindet; stellt fest, dass die EU und die Türkei weiterhin in Fragen von strategischer (militärischer) Bedeutung im Rahmen der NATO zusammenarbeiten; fordert die Türkei daher auf, ihre Zusammenarbeit mit den EU-NATO-Mitgliedern im Rahmen des laufenden Programms der NATO zur Zusammenarbeit mit Ländern außerhalb der EU wieder aufzunehmen;
29. lobt die Türkei für die Verhandlungen über die Vereinbarung über Idlib; bedauert, dass von der Türkei unterstützte bewaffnete Gruppen der Freien Syrischen Armee (FSA) Berichten zufolge Eigentum kurdischer Zivilisten im Distrikt Afrin im Norden Syriens beschlagnahmt, geplündert und zerstört haben; beharrt darauf, dass die Türkei und die Gruppen der FSA in Afrin die vertriebene Bevölkerung, deren Eigentum sie beschlagnahmt, zerstört oder geplündert haben, entschädigen und ihnen ihr Eigentum nicht dauerhaft vorenthalten sollten; ist besorgt über die zahlreichen Verstöße in Afrin, für die Berichten zufolge zum größten Teil syrische bewaffnete Gruppen verantwortlich sind, die von der Türkei ausgerüstet und mit Waffen ausgestattet werden, zum Teil aber auch die türkischen Streitkräften selbst, die angeblich mehrere Schulen unter ihre Gewalt gebracht haben und damit den Schulunterricht massiv stören; ist beunruhigt darüber, dass die Türkei ferner bestrebt ist, syrisch-arabische sunnitische Flüchtlinge aus der Türkei in der von Kurden bewohnten Region neu anzusiedeln, um die demographische Verteilung im Distrikt Afrin zu verändern; fordert die türkische Regierung auf, das Recht auf freie Meinungsäußerung zu achten, indem sie die Anklagen gegen alle Bürger, die das militärische Vorgehen der Türkei in Syrien kritisiert haben, fallenlässt;
30. bekräftigt die Bedeutung gutnachbarschaftlicher Beziehungen; fordert die Türkei in diesem Zusammenhang auf, sich gemäß der Charta der Vereinten Nationen und dem Völkerrecht stärker um die Klärung offener bilateraler Fragen, einschließlich ungeklärter rechtlicher Verpflichtungen und Streitigkeiten mit ihren unmittelbaren Nachbarn um Land- und Seegrenzen sowie den Luftraum zu bemühen; fordert die türkische Regierung erneut auf, das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen zu unterzeichnen und zu ratifizieren; fordert die türkische Regierung nachdrücklich auf, die wiederholten Verletzungen des griechischen Luftraums und der griechischen Hoheitsgewässer zu beenden und die territoriale Integrität und Souveränität all ihrer Nachbarländer zu achten; bedauert, dass die Casus-Belli-Drohung der Großen Nationalversammlung der Türkei gegen Griechenland noch immer nicht zurückgezogen wurde;
31. begrüßt die Bemühungen unter der Federführung des Generalsekretärs der Vereinten Nationen zur Wiederaufnahme der Verhandlungen über die Wiedervereinigung Zyperns; bekräftigt seine Unterstützung für eine faire, umfassende und zukunftsfähige Einigung auf der Grundlage einer Zwei-Gemeinschaften- und Zwei-Zonen-Föderation mit einer einzigen internationalen Rechtspersönlichkeit, einer einzigen Souveränität und einer einzigen Staatsbürgerschaft sowie mit politischer Gleichberechtigung zwischen den beiden Gemeinschaften, und zwar gemäß den einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen und im Einklang mit dem Völkerrecht und dem Besitzstand der EU und auf der Grundlage der Achtung der Grundsätze, auf denen die Union gegründet wurde; verweist auf den vom Generalsekretär der Vereinten Nationen vorgelegten Rahmen und seinen Appell, die Verhandlungen wieder aufzunehmen und sich dabei auf die bereits im Rahmen des Crans-Montana-Prozesses von 2017 getroffenen Vereinbarungen zu stützen; fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, eine aktivere Rolle zu spielen, wenn es darum geht, die Verhandlungen zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen; bekräftigt seine Aufforderung an alle betroffenen Parteien, insbesondere die Türkei, ihren Beitrag zu einer umfassenden Lösung zu leisten; fordert die Türkei auf, mit dem Abzug ihrer Truppen aus Zypern zu beginnen, den abgesperrten Bereich von Famagusta im Einklang mit der Resolution 550 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen an die Vereinten Nationen zu übertragen und von Maßnahmen Abstand zu nehmen, die das demografische Gleichgewicht auf der Insel durch eine Politik der illegalen Siedlungen verändern; betont, dass der Besitzstand der EU auf der gesamten Insel umgesetzt werden muss; würdigt in diesem Zusammenhang die Fortsetzung der Arbeiten des aus beiden Gemeinschaften zusammengesetzten Ad-hoc-Ausschusses für die EU-Vorbereitung; sagt zu, seine Bemühungen um eine Zusammenarbeit mit der türkisch-zyprischen Gemeinschaft bei den Vorbereitungen der vollständigen Integration in die EU nach der Lösung des Zypernproblems zu verstärken, und fordert die Kommission auf, dasselbe zu tun; lobt die wichtige Arbeit des aus Vertretern beider Bevölkerungsgruppen zusammengesetzten Ausschusses für die Vermissten (CMP), der sich sowohl mit türkischen als auch mit griechischen Zyprern beschäftigt, die als vermisst gelten, und lobt die Tatsache, dass ein verbesserter Zugang zu einschlägigen Standorten, auch in militärischen Gebieten, gewährt wurde; fordert die Türkei auf, den CMP zu unterstützen, indem sie Informationen aus ihren Militärarchiven zur Verfügung stellt; erkennt das Recht der Republik Zypern an, bilaterale Abkommen in Bezug auf ihre ausschließliche Wirtschaftszone zu schließen; fordert die Türkei erneut auf, die Hoheitsrechte aller Mitgliedstaaten uneingeschränkt zu achten, auch die, die sich auf die Exploration und Gewinnung natürlicher Ressourcen im Einklang mit dem Besitzstand der Union und dem Völkerrecht beziehen; fordert die Türkei dringend auf, sich an der friedlichen Beilegung von Streitigkeiten zu beteiligen und von Drohungen oder Maßnahmen abzusehen, die sich negativ auf die gutnachbarschaftlichen Beziehungen auswirken könnten;
32. fordert die Türkei und Armenien auf, weiter auf eine Normalisierung ihrer Beziehungen hinzuarbeiten; betont, dass die Öffnung der Grenze zwischen der Türkei und Armenien zu einer Verbesserung der Beziehungen insbesondere im Hinblick auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und die wirtschaftliche Integration führen könnte;
33. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der Vizepräsidentin der Kommission und Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, den Mitgliedstaaten sowie der Regierung und der Großen Nationalversammlung der Türkei zu übermitteln, und ersucht um eine Übersetzung dieses Berichts ins Türkische.