Entschließung des Europäischen Parlaments vom 19. September 2019 zur Patentierbarkeit von Pflanzen und im Wesentlichen biologischen Verfahren (2019/2800(RSP))
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 10. Mai 2012 zur Patentierung von im Wesentlichen biologischen Verfahren(1),
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 17. Dezember 2015 zu Patenten und den Rechten von Pflanzenzüchtern(2),
– unter Hinweis auf die Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen(3), insbesondere auf Artikel 4, wonach Erzeugnisse, die mittels im Wesentlichen biologischer Verfahren gewonnen werden, nicht patentierbar sind,
– unter Hinweis auf das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ) vom 5. Oktober 1973, insbesondere auf Artikel 53 Buchstabe b,
– unter Hinweis auf die Ausführungsordnung zum EPÜ, insbesondere auf Regel 26, wonach für europäische Patentanmeldungen und Patente, die biotechnologische Erfindungen zum Gegenstand haben, die Richtlinie 98/44/EG als ergänzendes Auslegungsmittel heranzuziehen ist,
– unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 8. November 2016 über bestimmte Artikel der Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen(4),
– unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates vom 1. März 2017 zur Mitteilung der Kommission über bestimmte Artikel der Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen(5),
– unter Hinweis auf den Beschluss des Verwaltungsrates der Europäischen Patentorganisation vom 29. Juni 2017 zur Änderung der Regeln 27 und 28 der Ausführungsordnung zum EPÜ (CA/D 6/17)(6),
– unter Hinweis auf die Vorlage mehrerer Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Entscheidung T 1063/18 der Technischen Beschwerdekammer 3.3.04 des Europäischen Patentamts (EPA) vom 5. Dezember 2018 an die Große Beschwerdekammer des EPA durch den Präsidenten des EPA(7),
– unter Hinweis auf die Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz(8) (im Folgenden „Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates“), insbesondere auf Artikel 15 Buchstabe c, in dem die Ausnahmeregelung für Züchter festgelegt ist,
– unter Hinweis auf das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums einschließlich des Handels mit nachgeahmten Waren (TRIPS), insbesondere auf Artikel 27 Absatz 3,
– gestützt auf Artikel 136 Absatz 5 und Artikel 132 Absatz 4 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass der ungehinderte Zugang zu Pflanzenmaterial (einschließlich Pflanzenmerkmalen) für die Innovationsfähigkeit der Pflanzenzüchtungsunternehmen und der Landwirtschaftszweige in der Union, für deren Wettbewerbsfähigkeit und für die Entwicklung neuer Pflanzensorten unabdingbar ist, damit weltweit für Ernährungssicherheit gesorgt ist, der Klimawandel eingedämmt wird und die Bildung von Monopolen in der Zuchtbranche verhindert wird sowie gleichzeitig KMU und Landwirten mehr Möglichkeiten eröffnet werden;
B. in der Erwägung, dass Beschränkungen oder Versuche, den Zugang zu genetischen Ressourcen zu verhindern, zu einer übermäßigen Marktkonzentration im Bereich Pflanzenzucht führen können, was dem Wettbewerb auf dem Markt, den Verbrauchern, dem europäischen Binnenmarkt und der Ernährungssicherheit zum Nachteil gereicht;
C. in der Erwägung, dass durch Patente auf Erzeugnisse, die mittels im Wesentlichen biologischer Verfahren gewonnen werden, oder auf genetisches Material, das für die konventionelle Züchtung notwendig ist, die Ausnahme im Sinne von Artikel 53 Buchstabe b des EPÜ und Artikel 4 der Richtlinie 98/44/EG ausgehöhlt wird;
D. in der Erwägung, dass mittels im Wesentlichen biologischer Verfahren gewonnene Erzeugnisse, beispielsweise Pflanzen, Saatgut, arteigene Merkmale und Gene, nicht patentierbar sein dürfen;
E. in der Erwägung, dass die Pflanzen- und Tierzucht ein Prozess ist, der seit der Entstehung der Landwirtschaft von Landwirten und bäuerlichen Gemeinschaften angewandt wird, und in der Erwägung, dass die uneingeschränkte Nutzung von Sorten und Zuchtverfahren für die genetische Vielfalt wichtig ist;
F. in der Erwägung, dass in der Richtlinie 98/44/EG biotechnologische Erfindungen und insbesondere die Gentechnik geregelt werden;
G. in der Erwägung, dass die Kommission in ihrer Mitteilung vom 8. November 2016 die Ansicht vertrat, dass der EU-Gesetzgeber beim Erlass der Richtlinie 98/44/EG beabsichtigte, Erzeugnisse, die durch im Wesentlichen biologische Verfahren gewonnen werden, von der Patentierbarkeit auszuschließen;
H. in der Erwägung, dass der Rat in seinen Schlussfolgerungen vom 3. Februar 2017 die Mitteilung der Kommission begrüßte; in der Erwägung, dass alle beteiligten EU-Gesetzgebungsorgane ausdrücklich klargestellt haben, dass der EU-Gesetzgeber beim Erlass der Richtlinie 98/44/EG beabsichtigte, Erzeugnisse, die durch im Wesentlichen biologische Verfahren gewonnen werden, von der Patentierbarkeit auszuschließen;
I. in der Erwägung, dass der Verwaltungsrat der Europäischen Patentorganisation am 29. Juni 2017 die Regeln 27 und 28 der Ausführungsordnung zum EPÜ änderte(9) und festlegte, dass Patente auf Pflanzen und Tiere, die aus im Wesentlichen biologischen Verfahren hervorgehen, verboten sind;
J. in der Erwägung, dass die 38 Vertragsstaaten des EPÜ bestätigten, ihre innerstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten seien so ausgestaltet, dass Erzeugnisse, die durch im Wesentlichen biologische Verfahren gewonnen werden, tatsächlich von der Patentierbarkeit ausgeschlossen seien;
K. in der Erwägung, dass die Vertragsstaaten des EPÜ ihre Besorgnis über die Rechtsunsicherheit geäußert haben, die durch die Entscheidung T 1063/18(10) der Technischen Beschwerdekammer 3.3.04 vom 5. Dezember 2018 verursacht wurde;
L. in der Erwägung, dass diese Entscheidung vom Präsidenten des EPA während der 159. Tagung des Verwaltungsrats im März 2019 der Großen Beschwerdekammer des EPA vorgelegt wurde;
M. in der Erwägung, dass zahlreiche Anmeldungen von Erzeugnissen, die durch im Wesentlichen biologische Verfahren gewonnen werden, beim EPA zur Entscheidung anhängig sind, wodurch die Antragsteller ebenso wie alle diejenigen, die von diesen Patenten betroffen sein werden, ganz dringend Rechtssicherheit hinsichtlich der Gültigkeit von Regel 28 Absatz 2 benötigen;
N. in der Erwägung, dass ein Grundprinzip des auf dem Internationalen Übereinkommen zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (UPOV-Übereinkommen) von 1991 beruhenden internationalen Sortenschutzes und der auf die Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates gestützten EU-Regelung besagt, dass der Inhaber eines Sortenschutzrechts andere nicht daran hindern kann, eine patentrechtlich geschützte Pflanzensorte für weitere Züchtungen zu verwenden;
1. äußert sich zutiefst besorgt angesichts der Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.3.04 des EPA vom 5. Dezember 2018 (T 1063/18), die Rechtsunsicherheit verursacht;
2. bekräftigt, dass gemäß der Richtlinie 98/44/EG und im Einklang mit der Absicht des EU-Gesetzgebers Pflanzensorten und Tierrassen, einschließlich Teilen und Merkmalen, im Wesentlichen biologische Verfahren und mittels derartiger Verfahren gewonnene Erzeugnisse keinesfalls patentierbar sein dürfen;
3. vertritt die Auffassung, dass die internen Beschlussfassungsverfahren des EPA keinesfalls die demokratische politische Kontrolle des europäischen Patentrechts und seiner Auslegung bzw. die Absicht des Gesetzgebers gemäß der Mitteilung der Kommission vom 8. November 2016 über bestimmte Artikel der Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen untergraben dürfen;
4. vertritt die Auffassung, dass durch Versuche, Erzeugnisse aus herkömmlicher Züchtung, einschließlich Kreuzung und Selektion, oder genetisches Material, das für die konventionelle Züchtung notwendig ist, patentieren zu lassen, die Ausnahme im Sinne von Artikel 53 Buchstabe b EPÜ und Artikel 4 der Richtlinie 98/44/EG ausgehöhlt wird;
5. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um hinsichtlich des Verbots der Patentierbarkeit von Erzeugnissen, die mittels im Wesentlichen biologischer Verfahren gewonnen werden, durch das EPA Rechtsklarheit zu schaffen;
6. begrüßt, dass in der Mitteilung der Kommission vom 8. November 2016 klargestellt wird, dass der EU-Gesetzgeber beim Erlass der Richtlinie 98/44/EG die Absicht hatte, Erzeugnisse, die durch im Wesentlichen biologische Verfahren gewonnen werden, von der Patentierbarkeit auszuschließen; begrüßt die Angleichung der Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten in den Vertragsstaaten des EPÜ und die Entscheidung des Verwaltungsrats des EPA, um die Klarstellung des Rechtsrahmens und der Auslegung von Artikel 53 Buchstabe b EPÜ im Hinblick auf Ausnahmen von der Patentierbarkeit zu ersuchen;
7. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die Innovationsfähigkeit der Pflanzenzüchtungsunternehmen in der Union und das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen und dafür Sorge zu tragen, dass die Union auch künftig den garantierten Zugang zu und die Verwendung von Material, das mittels im Wesentlichen biologischer Verfahren gewonnen wurde, für die Pflanzenzucht wirksam aufrechterhält, damit – falls anwendbar – die Praxis der Gewährung der Ausnahme für Züchter und die Rechte von Landwirten nicht beeinträchtigt werden;
8. fordert die Kommission daher nachdrücklich auf, der Großen Beschwerdekammer des EPA vor dem 1. Oktober 2019 einen Amicus-Curiae-Vermerk zu übermitteln, in dem sie die in ihrer Mitteilung aus dem Jahr 2016 getroffenen Feststellungen bekräftigt, wonach der EU-Gesetzgeber beim Erlass der Richtlinie 98/44/EG die Absicht hatte, Erzeugnisse, die durch im Wesentlichen biologische Verfahren gewonnen werden, von der Patentierbarkeit auszuschließen;
9. fordert die Große Beschwerdekammer des EPA auf, im Interesse der Züchter, der Landwirte und der Öffentlichkeit umgehend wieder Rechtssicherheit herzustellen, indem sie die Fragen, die ihr vom Präsidenten des EPA vorgelegt wurden, positiv beantwortet;
10. fordert die Kommission auf, bei der Aushandlung von Handels- und Partnerschaftsabkommen mit Drittländern konkret dafür einzutreten, dass im Wesentlichen biologische Verfahren und mittels derartiger Verfahren gewonnene Erzeugnisse von der Patentierbarkeit ausgenommen bleiben;
11. fordert die Kommission auf, sich im Zusammenhang mit den Debatten über die Harmonisierung des multilateralen Patentrechts dafür einzusetzen, dass im Wesentlichen biologische Verfahren und mittels derartiger Verfahren gewonnene Erzeugnisse nicht patentierbar sind;
12. fordert die Kommission auf, über die Entwicklung und die Auswirkungen des Patentrechts im Bereich der Bio- und Gentechnologie Bericht zu erstatten, wie es gemäß Artikel 16 Buchstabe c der Richtlinie 98/44/EG vorgeschrieben ist und es das Parlament in seiner Entschließung vom 17. Dezember 2015 zu Patenten und den Rechten von Pflanzenzüchtern gefordert hat, und Probleme im Zusammenhang mit dem Geltungsbereich des Patentschutzes weiter zu prüfen;
13. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung der Kommission bis zum 1. Oktober 2019 zur Aufnahme in eine schriftliche Erklärung an die Großen Beschwerdekammer des EPA und dem Rat zu übermitteln.