Entschließung des Europäischen Parlaments vom 24. Oktober 2019 zu dem vorgeschlagenen neuen Strafrecht Indonesiens (2019/2881(RSP))
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf seine vorangegangenen Entschließungen zu Indonesien,
– unter Hinweis auf das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PKA) zwischen der EU und Indonesien, das am 1. Mai 2014 in Kraft trat,
– unter Hinweis auf den 7. Menschenrechtsdialog zwischen der EU und Indonesien vom 1. Februar 2018,
– unter Hinweis auf die 8. Verhandlungsrunde über das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indonesien im Juni 2019,
– unter Hinweis auf den am 15. September 2019 vorgelegten Entwurf eines Strafgesetzbuchs,
– unter Hinweis auf die Yogyakarta-Prinzipien,
– unter Hinweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948,
– unter Hinweis auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) von 1966, der 2006 von Indonesien ratifiziert wurde,
– unter Hinweis auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe von 1987,
– unter Hinweis auf die EU-Leitlinien zur Todesstrafe,
– gestützt auf Artikel 144 Absatz 5 und Artikel 132 Absatz 4 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass Indonesien gemessen an der Bevölkerung das viertgrößte Land der Welt, eine stabile Demokratie in der Region und das größte Land mit muslimischer Mehrheit ist und eine vielfältige Gesellschaft hat, die sich aus 265 Millionen Bürgern verschiedener Religionen, Ethnien, Sprachen und Kulturen zusammensetzt;
B. in der Erwägung, dass die Regierung Indonesiens einen Entwurf eines Strafgesetzbuchs vorgelegt hat, mit dem das geltende Strafrecht geändert werden soll; in der Erwägung, dass dieser Entwurf eines Strafgesetzbuchs am 15. September 2019 fertiggestellt wurde;
C. in der Erwägung, dass der Entwurf eines Strafgesetzbuchs Artikel enthält, die zu den Rechten von Frauen, religiösen Minderheiten und LGBTI-Personen sowie der Rede- und Vereinigungsfreiheit im Widerspruch stehen;
D. in der Erwägung, dass sich im September Tausende Menschen, darunter auch Studierende, in ganz Indonesien versammelt haben, um gegen den Entwurf eines Strafgesetzbuchs zu protestieren und die Aussetzung seiner Annahme zu fordern;
E. in der Erwägung, dass der Präsident Indonesiens das Parlament des Landes am 20. September 2019 anwies, die Annahme des Gesetzes infolge der massiven Proteste zu vertagen; in der Erwägung, dass der Beschluss über die Annahme nun in den Händen des indonesischen Repräsentantenhauses liegt;
F. in der Erwägung, dass Artikel 2 des Entwurfs eines Strafgesetzbuchs, der sich auf „lebende Gesetze“ bezieht, als vage gilt, da darin keine strafbaren Handlungen aufgelistet werden, was eingesetzt werden könnte, um Hunderte bestehender und diskriminierender Bestimmungen der Scharia auf kommunaler Ebene zu rechtfertigen;
G. in der Erwägung, dass außerehelicher Geschlechtsverkehr gemäß dem Entwurf eines Strafgesetzbuchs mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr bestraft wird; in der Erwägung, dass durch diese Bestimmung im Grunde alle gleichgeschlechtlichen Beziehungen strafbar werden; in der Erwägung, dass auf der Grundlage dieses Artikels alle in der Sexindustrie tätigen Personen strafrechtlich verfolgt werden können;
H. in der Erwägung, dass das vorgeschlagene Strafgesetzbuch besagt, dass zusammenlebende unverheiratete Personen zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt werden können;
I. in der Erwägung, dass gleichgeschlechtliche Beziehungen von den indonesischen Behörden nicht offiziell anerkannt werden und daher ausdrücklich ins Visier genommen werden; in der Erwägung, dass es in Indonesien zu einer beispiellosen Anzahl an gewaltsamen und diskriminierenden Angriffen sowie zu zahlreichen Fällen von Belästigung von LGBTI-Personen kommt, wobei es immer mehr schikanöse Verbalattacken gegen LGBTI-Personen gibt;
J. in der Erwägung, dass das geltende Blasphemiegesetz durch einige Bestimmungen des Entwurfs eines Strafgesetzbuchs noch erweitert wird; in der Erwägung, dass bisher mehr als 150 Personen, die mehrheitlich religiösen Minderheiten angehören, nach dem 1965 angenommenen geltenden Blasphemiegesetz verurteilt wurden; in der Erwägung, dass religiöse Minderheiten durch das Blasphemiegesetz angesichts der zunehmenden Intoleranz gegenüber Minderheiten in Indonesien gefährdet werden;
K. in der Erwägung, dass die Bereitstellung von Informationen über Verhütungsmittel und die Erleichterung des Zugangs zu Verhütungsmitteln für Personen unter 18 Jahren durch den Entwurf eines Strafgesetzbuchs eingeschränkt werden; in der Erwägung, dass ein eingeschränkter Zugang zu Verhütungsmitteln auf ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen, die bereits jetzt am stärksten von der HIV-Epidemie in Indonesien betroffen sind, besonders starke Auswirkungen hat;
L. in der Erwägung, dass das vorgeschlagene Strafgesetzbuch besagt, dass Frauen, die eine Abtreibung haben vornehmen lassen, zu einer Freiheitsstrafe von bis zu vier Jahren verurteilt werden können; in der Erwägung, dass Personen, die schwangere Frauen dabei unterstützen, eine Abtreibung vornehmen zu lassen, zu einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren verurteilt werden könnten;
M. in der Erwägung, dass in Indonesien im September ein umstrittenes Gesetz verabschiedet wurde, das die auch als KPK bekannte Kommission zur Beseitigung von Korruption schwächt, die seit ihrer Einsetzung im Jahr 2002 Hunderte Politiker erfolgreich strafrechtlich verfolgt hat; in der Erwägung, dass die Bestimmungen des geltenden Strafgesetzbuchs, des Gesetzes über elektronische Informationen und Transaktionen und der Rechtsvorschriften über die Terrorismusbekämpfung genutzt wurden, um die Arbeit von Menschenrechtsverteidigern willkürlich einzuschränken;
N. in der Erwägung, dass gezielt gegen Menschenrechtsverteidiger vorgegangen wurde, weil sie insbesondere im Zusammenhang mit den Protesten in Westpapua Menschenrechtsverletzungen anprangerten; in der Erwägung, dass seit dem Beginn der Proteste mindestens 40 Personen getötet und mindestens 8 000 indigene Einwohner Papuas sowie andere Bürger Indonesiens aus ihrer Heimat Westpapua vertrieben wurden; in der Erwägung, dass Journalisten und unabhängigen Gremien der Vereinten Nationen wiederholt der Zugang zu der Region verweigert wurde;
O. in der Erwägung, dass Jakub Fabian Skrzypski, ein EU-Bürger aus Polen, am 2. Mai 2019 vom Bezirksgericht Wamena wegen seiner mutmaßlichen Beteiligung an der separatistischen Bewegung in Papua zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde;
P. in der Erwägung, dass in Indonesien zwischen 2015 und 2018 mehr als 40 Personen zum Tode verurteilt wurden und sich nach wie vor mehr als 300 Gefangene in der Todeszelle befinden; in der Erwägung, dass die Todesstrafe eine grausame, unmenschliche und erniedrigende Bestrafung ist und dem Recht auf Leben zuwiderläuft;
1. begrüßt es, dass die Beziehungen zwischen der EU und Indonesien auf den gemeinsamen Werten Demokratie und verantwortungsvolle Staatsführung, der Achtung der Menschenrechte und der Förderung von Frieden, Stabilität und wirtschaftlichem Fortschritt beruhen;
2. ist zutiefst besorgt über die Bestimmungen des Entwurfs des überarbeiteten Strafgesetzbuches Indonesiens, die eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Religion oder der sexuellen Ausrichtung sowie eine Diskriminierung von Minderheiten ermöglichen;
3. begrüßt die Anordnung von Präsident Widodo, die Annahme des neuen Strafgesetzbuchs zu verschieben; fordert das indonesische Parlament auf, das vorgeschlagene Strafgesetzbuch grundlegend zu überarbeiten, damit es den internationalen Menschenrechtsstandards entspricht, und alle diskriminierenden Bestimmungen zu streichen;
4. fordert die indonesischen Staatsorgane auf, alle Rechtsvorschriften aufzuheben, die die Grundrechte und Grundfreiheiten einschränken, und alle indonesischen Gesetze mit den internationalen Menschenrechtsnormen und den internationalen Verpflichtungen Indonesiens in Einklang zu bringen;
5. fordert die indonesischen Staatsorgane auf, die Rechte von LGBTI-Personen zu schützen, indem jede Verfolgung von LGTBI-Personen strafrechtlich verfolgt wird und Homosexualität durch Änderung des Strafgesetzbuchs entkriminalisiert wird; fordert die indonesischen Beamten auf, keine aufhetzenden Aussagen gegen LGTBI-Personen zu treffen, durch die diese nur weiter stigmatisiert werden; fordert die indonesischen Staatsorgane auf, den politischen Dialog mit wichtigen Akteuren der Zivilgesellschaft zu fördern, um die universelle Anwendung der Menschenrechte zu fördern und sicherzustellen;
6. fordert eine Überarbeitung der Bestimmungen des Blasphemiegesetzes, da dadurch religiöse Minderheiten und Atheisten gefährdet werden; unterstützt die Empfehlungen der Vereinten Nationen, die Artikel 156 und Artikel 156 Buchstabe a des Strafgesetzbuchs, das Gesetz über die Verhinderung des Missbrauchs und der Diffamierung der Religion und das Gesetz über elektronische Transaktionen und Daten aufzuheben, die Rechtsvorschriften zur Bekämpfung des Terrorismus zu ändern und die Anklagen gegen die der Blasphemie beschuldigten Personen fallenzulassen und ihre strafrechtliche Verfolgung einzustellen;
7. nimmt mit Besorgnis zur Kenntnis, dass die freie Verbreitung lebenswichtiger Informationen zur sexuellen Gesundheit im Entwurf des Strafgesetzbuchs eingeschränkt wird; befürwortet den Zugang zu unzensierten Informationen über Verhütungsmittel und Familienplanung für Frauen und Mädchen;
8. bekräftigt, dass der Zugang zu Gesundheitsversorgung, auch im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit, ein Menschenrecht ist; betont, dass eine angemessene und erschwingliche Gesundheitsversorgung im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit garantiert werden sollte, was auch sexuelle Aufklärung und Information, Familienplanung, Methoden der Verhütung sowie sichere und legale Abtreibungen umfassen sollte; weist darauf hin, dass diese Dienstleistungen wichtig sind, um das Leben von Frauen zu retten, die Säuglings- und Kindersterblichkeit zu verringern und sexuell übertragbare Krankheiten, einschließlich HIV/AIDS, zu verhindern;
9. bekräftigt seine Forderung an die Staatsorgane, mit Blick auf die Abschaffung der Todesstrafe erneut ein Moratorium für alle Hinrichtungen zu verhängen; stellt fest, dass Indonesien diese Empfehlung im letzten Zyklus der allgemeinen regelmäßigen Überprüfung im Jahr 2017 akzeptiert hat; fordert die EU und die französische Regierung auf, alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um dafür zu sorgen, dass Olivier Jover nicht zum Tode verurteilt wird;
10. fordert, dass die Menschenrechtslage in Indonesien weiterhin und genau beobachtet wird, insbesondere mittels regelmäßiger Berichterstattung durch die Delegation der Europäischen Union für Indonesien und Brunei; fordert die Delegation der Europäischen Union für Indonesien und Brunei und die Mitgliedstaaten auf, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um Menschen, die sich in Gefahr befinden, Schutz in Notfällen und Unterstützung angedeihen zu lassen;
11. bedauert die Annahme der neuen Rechtsvorschriften zur Korruptionsbekämpfung, durch die die KPK von einer unabhängigen Stelle zu einer Regierungsstelle wird, und fordert eine Überarbeitung dieser Rechtsvorschriften;
12. äußert sich besorgt über die Gewalt in Westpapua; fordert die indonesischen Staatsorgane auf, eine unabhängige Untersuchung der jüngsten Proteste in Westpapua durchzuführen; fordert Zurückhaltung bei der Entsendung von Sicherheitskräften in die Region; fordert die Regierung Indonesiens auf, sich im Rahmen eines politischen Dialogs mit der Lage in Westpapua zu befassen; fordert die Behörden auf, Beamten der Vereinten Nationen, nichtstaatlichen Organisationen und Journalisten ungehinderten Zugang zu Westpapua zu gewähren;
13. bekundet seine Besorgnis über den Fall des polnischen Staatsangehörigen Jakub Fabian Skrzypski, der in Indonesien als politischer Gefangener in Haft sitzt; ist angesichts der jüngsten Ereignisse in Papua besorgt, dass durch seine anhaltende Inhaftierung in Wamena nicht nur seine Menschenrechte, sondern auch sein Leben in Gefahr wären; fordert den Europäischen Auswärtigen Dienst auf, den Fall Skrzypski während der bevorstehenden Dialoge mit Indonesien anzusprechen, und fordert die indonesischen Staatsorgane auf, Skrzypskis Überstellung nach Polen zu ermöglichen;
14. fordert Indonesien auf, eine ständige Einladung an Vertreter sämtlicher Sonderverfahren des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen auszusprechen, was den uneingeschränkten Zugang zum gesamten Land einschließen sollte;
15. fordert die indonesische Regierung auf, all ihren Verpflichtungen nachzukommen und die Rechte und Freiheiten, die im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte verankert sind, zu achten, zu schützen und zu verteidigen;
16. erachtet es als äußerst wichtig, dass in das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indonesien, das derzeit ausgehandelt wird, verbindliche und durchsetzbare Bestimmungen über die Achtung der Menschenrechte aufgenommen werden;
17. begrüßt den anhaltenden jährlichen Menschenrechtsdialog zwischen der EU und Indonesien und sieht dem bevorstehenden Dialog im November erwartungsvoll entgegen;
18. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der Vizepräsidentin der Kommission und Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten, der Regierung und dem Parlament Indonesiens, dem Generalsekretär des Verbands südostasiatischer Staaten (ASEAN) und der zwischenstaatlichen Kommission für Menschenrechte des ASEAN sowie dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zu übermitteln.