Entschließung des Europäischen Parlaments vom 24. Oktober 2019 zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien (2019/2883(RSP))
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 28. Juni 2018, mit denen die am 26. Juni 2018 vom Rat angenommenen Schlussfolgerungen zum Thema „Erweiterung sowie Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess“ gebilligt wurden und der Weg für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen im Juni 2019 vorgegeben wurde,
– unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates vom 18. Juni 2019, in denen er beschloss, spätestens im Oktober 2019 auf die Frage der Empfehlungen der Kommission, Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien aufzunehmen, zurückzukommen,
– unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 17. und 18. Oktober 2019, in denen er beschloss, vor dem Gipfeltreffen EU-Westbalkan im Mai 2020 in Zagreb auf die Frage der Erweiterung zurückzukommen,
– unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 29. Mai 2019 über die EU-Erweiterungspolitik (COM(2019)0260) und die beigefügten Arbeitsunterlagen der Kommissionsdienststellen mit dem Titel „Albania 2019 Report“ (Bericht 2019 über Albanien, SWD(2019)0215) bzw. dem Titel „North Macedonia 2019 Report“ (Bericht 2019 über Nordmazedonien, SWD(2019)0218),
– unter Hinweis auf seine vorangegangenen Entschließungen zu Albanien und der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien, insbesondere jene vom 15. Februar 2017(1) und 29. November 2018(2) zu den Berichten 2016 bzw. 2018 der Kommission über Albanien, sowie vom 14. Juni 2017(3) und 29. November 2018(4) zu den Berichten 2016 bzw. 2018 der Kommission über die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien bzw. Nordmazedonien,
– unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 6. Februar 2018 mit dem Titel „Eine glaubwürdige Erweiterungsperspektive für und ein verstärktes Engagement der EU gegenüber dem westlichen Balkan“ (COM(2018)0065),
– unter Hinweis darauf, dass Albanien 2009 der NATO beigetreten ist und Nordmazedonien gerade dabei ist, das 30. Mitglied der NATO zu werden,
– unter Hinweis auf die bei dem Gipfeltreffen EU-Westbalkan vom 17. Mai 2018 abgegebene Erklärung von Sofia und die ihr als Anlage beigefügte Prioritätenagenda von Sofia,
– unter Hinweis auf das gemeinsame Schreiben der Präsidenten Tusk, Sassoli und Juncker und der gewählten Kommissionspräsidentin von der Leyen vom 3. Oktober 2019 zu der Eröffnung von Beitrittsgesprächen mit Nordmazedonien und Albanien,
– unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 16. Oktober 2013 mit dem Titel „Erweiterungsstrategie und wichtigste Herausforderungen 2013–2014“ (COM(2013)0700),
– unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Thessaloniki vom 19. und 20. Juni 2003 zu den Aussichten der Westbalkanländer auf einen Beitritt zur Europäischen Union,
– unter Hinweis auf den am 28. August 2014 eingeleiteten Berlin-Prozess,
– unter Hinweis auf das endgültige Abkommen über die Beilegung der in den Resolutionen 817 (1993) und 845 (1993) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen bezeichneten Differenzen, die Kündigung des Interimsabkommens von 1995 und die Begründung einer strategischen Partnerschaft zwischen Griechenland und der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien vom 17. Juni 2018, die auch als Prespa-Abkommen bekannt ist,
– unter Hinweis auf die Entscheidung des Europäischen Rates vom 16. Dezember 2005, Nordmazedonien den Status eines Bewerberlandes im Hinblick auf die EU-Mitgliedschaft zu gewähren, sowie auf die Entscheidung des Europäischen Rates vom 26./27. Juni 2014 Albanien den Status eines Bewerberlandes zu gewähren,
– unter Hinweis auf die Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und den beiden betroffenen Ländern, Albanien und Nordmazedonien, andererseits,
– unter Hinweis auf die zwischen den vier größten politischen Parteien am 2. Juni und 15. Juli 2015 in Skopje erzielte politische Vereinbarung (die sogenannte Pržino‑Vereinbarung) und die Einigung zwischen den vier Parteien vom 20. Juli und 31. August 2016 über deren Umsetzung,
– gestützt auf Artikel 132 Absätze 2 und 4 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass der Europäische Rat von Thessaloniki 2003 seine Unterstützung für die künftige Integration der Westbalkanländer in europäische Strukturen betonte und erklärte, dass ihre letztendliche Mitgliedschaft in der Union hohe Priorität für die EU habe und dass die Balkanstaaten fester Bestandteil eines geeinten Europas sein würden;
B. in der Erwägung, dass die EU auf dem Gipfeltreffen EU-Westbalkan vom 17. Mai 2017 ihre uneingeschränkte Unterstützung für die Perspektive des Westbalkans auf eine EU-Mitgliedschaft bekräftigt hat;
C. in der Erwägung, dass die Aussicht auf EU-Mitgliedschaft einen grundlegenden Anreiz für Reformen in den Ländern des westlichen Balkans darstellt; in der Erwägung, dass der Erweiterungsprozess eine entscheidende Rolle bei der Stabilisierung des westlichen Balkans spielt, der als eine Region von strategischer Bedeutung für die EU gilt;
D. in der Erwägung, dass es sowohl in Nordmazedonien als auch in Albanien einen politischen Konsens und eine breite Unterstützung der Öffentlichkeit für den EU-Beitrittsprozess gibt;
E. in der Erwägung, dass die Zusammenarbeit auf regionaler Ebene und gutnachbarschaftliche Beziehungen von wesentlicher Bedeutung für das Vorankommen der Länder auf dem Weg zum EU-Beitritt sind;
F. in der Erwägung, dass jeder Beitrittskandidat individuell auf der Grundlage seiner eigenen Verdienste bewertet wird und dass der Zeitplan für den Beitritt und der Verlauf der Verhandlungen dadurch bestimmt werden sollte, wie schnell und in welcher Qualität Reformen umgesetzt werden;
G. in der Erwägung, dass Albanien 2009 einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft gestellt hat und dass ihm 2014 der Status eines Bewerberlandes gewährt wurde; in der Erwägung, dass die Kommission 2016 empfohlen hat, Beitrittsverhandlungen mit Albanien aufzunehmen; in der Erwägung, dass Nordmazedonien 2004 einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft gestellt hat und dass ihm 2005 der Status eines Bewerberlandes gewährt wurde; in der Erwägung, dass die Kommission seit 2009 mehrfach empfohlen hat, förmliche Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien aufzunehmen;
H. in der Erwägung, dass dies nach dem Europäischen Rat vom Juni 2018 und 2019 das dritte Mal ist, dass sich der Europäische Rat als unfähig erwiesen hat, einen positiven Beschluss über die Erweiterung zu fassen; in der Erwägung, dass der Europäische Rat beschlossen hat, vor dem Gipfeltreffen EU-Westbalkan im Mai 2020 in Zagreb auf die Frage der Erweiterung zurückzukommen;
I. in der Erwägung, dass Nordmazedonien vor dem Prespa-Abkommen mit Griechenland unter seinem früheren Namen im August 2017 den sogenannten „Freundschaftsvertrag“ mit Bulgarien unterzeichnet hat, durch den den bilateralen Kontroversen zwischen den beiden Ländern ein Ende gesetzt wurde und sie einander über eine auf die EU ausgerichtete Partnerschaft näher gebracht wurden;
J. in der Erwägung, dass bei der Justizreform in Albanien im Hinblick auf mehr Unabhängigkeit, Rechenschaftspflicht, Professionalität und Effizienz der Rechtsprechungsorgane des Landes und die Stärkung des Vertrauens der Bürger in die Justiz gute Erfolge erzielt wurden; in der Erwägung, dass die Reformen als die umfassendsten Bemühungen in diesem Bereich gelten müssen, auch im Vergleich zu dem, was alle anderen Länder in der Region auf ihrem Weg zur EU-Mitgliedschaft erreichen müssen;
K. in der Erwägung, dass in Nordmazedonien als Reaktion auf den Aufschub des Beschlusses über die Aufnahme von Verhandlungen mit dem Land eine vorgezogene Neuwahl verkündet wurde;
1. bekundet seine tiefe Enttäuschung darüber, dass die EU es wegen der Blockade Frankreichs, Dänemarks und der Niederlande nicht vermocht hat, eine Einigung über die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit Nordmazedonien und Albanien zu erzielen, da beide Länder erhebliche Anstrengungen unternommen haben, um die Anforderungen der EU für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zu erfüllen;
2. lobt Nordmazedonien für seine historische und zufriedenstellende Beilegung schwieriger, ungelöster bilateraler Probleme und die Förderung gutnachbarschaftlicher Beziehungen, insbesondere über das Prespa-Abkommen mit Griechenland und den Vertrag über Freundschaft, gute Nachbarschaft und Zusammenarbeit mit Bulgarien; fordert den Rat auf, die positiven Botschaften dieser Abkommen und die kontraproduktiven Wirkungen seines Beschlusses auf die politische Stabilität, die regionale Zusammenarbeit und die friedliche Koexistenz zu berücksichtigen, und beglückwünscht darüber hinaus die Republik Nordmazedonien zu ihrem Beitrag zum Frieden auf dem Balkan und dazu, dass sie ein leuchtendes Beispiel dafür gegeben hat, wie man friedliche Lösungen für lang währende Konflikte finden kann; fordert, dass die Jean-Monet-Dialoge mit dem Parlament von Nordmazedonien als einem wichtigen Unterstützungsinstrument fortgesetzt werden;
3. begrüßt, dass Albanien seine Entschlossenheit bewiesen hat, die EU-Reformagenda voranzubringen, und greifbare und nachhaltige Ergebnisse vorweisen kann, und begrüßt auch die Justizreformen, die Albanien durchgeführt hat; billigt uneingeschränkt die Empfehlung der Kommission zu Albanien in Anerkennung dieser ermutigenden Reformbemühungen; ist der Ansicht, dass durch die zügige Einleitung des Screening-Verfahrens und die rasche Aufnahme der Beitrittsgespräche die Reformdynamik aufrechterhalten und verstärkt würde; ist der Auffassung, dass die Aufnahme von Verhandlungen einen mächtigen Katalysator für die Umsetzung von Reformen und die Konsolidierung demokratischer Institutionen darstellen und einen Beitrag zur Stärkung der Kontrolle durch die EU, der Rechenschaftspflicht und der vollständigen Achtung der Rechte von Minderheiten sowohl in Albanien als auch in Nordmazedonien leisten würde;
4. betont, dass ein solches Zaudern ein strategischer Fehler ist und die Glaubwürdigkeit der EU beschädigt, da die Integration von für den Beitritt infrage kommenden Ländern der EU hilft, ihre internationale Rolle zu wahren und ihre Interessen zu schützen, zumal durch Fortschritte auf dem Weg zum EU-Beitritt auch der Wandel in den Bewerberländern selbst vorangebracht wird; stellt zudem fest, dass die Erweiterungspolitik der EU das wirksamste Instrument des auswärtigen Handelns der Union ist und dass die weitere Aushöhlung dieser Politik zu einer zunehmend instabilen Lage in der unmittelbaren Nachbarschaft der EU führen könnte;
5. stellt fest, dass eine mögliche Reform des Erweiterungsprozesses nicht diejenigen Länder, die bereits die Anforderungen für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen erfüllen, behindern sollte, und stellt darüber hinaus fest, dass Bewerberländer auf der Grundlage ihrer eigenen Verdienste anhand objektiver Kriterien bewertet werden müssen, und nicht aufgrund Erwägungen innerstaatlicher politischer Agenden in einzelnen Mitgliedstaaten, und dass der Zeitplan für den Beitritt dadurch bestimmt wird, wie schnell und in welcher Qualität Reformen umgesetzt werden;
6. weist nochmals darauf hin, dass der Konsens über die Erweiterung erneuert wurde, da er vom Europäischen Rat im Dezember 2006 gebilligt und anschließend in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom Juni 2016 bestätigt wurde;
7. hebt hervor, dass das Unvermögen der EU, Beitrittsverhandlungen aufzunehmen, zur Folge hatte, dass in Nordmazedonien eine vorgezogene Neuwahl angesetzt wurde, wodurch wiederum jene an Glaubwürdigkeit eingebüßt haben, die Kompromisse geschlossen haben; ist der Auffassung, dass dies eine negative Botschaft für mögliche Bewerberländer im Bezug auf gutnachbarschaftliche Beziehungen ist; nimmt mit Besorgnis zur Kenntnis, dass dadurch andere außenpolitische Akteure, deren Tätigkeit möglicherweise mit den Werten und Interessen der EU nicht im Einklang stehen, engere Kontakte sowohl zu Nordmazedonien als auch zu Albanien anstreben könnten;
8. begrüßt die Schlussfolgerungen des Treffens der führenden politischen Kräfte Nordmazedoniens vom 20. Oktober 2019, in denen die Zusage des Landes bekräftigt wird, den Prozess des Beitritts zur EU fortzusetzen, und betont wird, für Nordmazedonien gebe es keine Alternative;
9. betont, dass von diesem Beschluss ein Warnsignal an andere Bewerberländer und potenzielle Bewerberländer im westlichen Balkan ausgeht und dadurch der Einflussnahme durch andere Akteure Tür und Tor geöffnet wird und dass er die Umsetzung proeuropäischer Reformen in anderen Beitrittsländern verlangsamen oder sogar vollständig zum Erliegen bringen könnte;
10. erinnert daran, dass die Jugend in der Region hohe Erwartungen an den EU-Beitritt hat, und ist der Ansicht, dass eine Zukunft ohne eine klare Perspektive dazu führen könnte, dass viele die Region verlassen;
11. bedauert, dass durch diesen Beschluss die Bemühungen des Europäischen Parlaments im Erweiterungsprozess und im Rahmen der Strategie für den westlichen Balkan untergraben werden;
12. bedauert, dass die Mitgliedstaaten nicht in der Lage waren, zu einem einstimmigen Beschluss über die Aufnahme von Verhandlungen zu gelangen; fordert die Mitgliedstaaten auf, Verantwortungsbewusstsein gegenüber Albanien und Nordmazedonien zu zeigen und bei ihrem nächsten Treffen einen einstimmigen positiven Beschluss über die Aufnahme von Verhandlungen zu fassen, wobei die Konsequenzen eines Nichttätigwerdens zu berücksichtigen sind;
13. vertritt die Auffassung, dass die neue Kommission umgehend eine Bestandsaufnahme der Erweiterungspolitik durchführen, dabei den Auswirkungen des unlängst gefassten Beschlusses des Rates Rechnung tragen und zudem die Vorteile der Erweiterung sowohl für die Bewerberländer als auch für die Mitgliedstaaten herausstellen sollte; ist außerdem der Ansicht, dass die Kommission ihre Strategie für den westlichen Balkan vom Februar 2018 entsprechend neu bewerten und ändern sollte;
14. weist erneut darauf hin, dass gemäß Artikel 49 EUV jeder europäische Staat beantragen kann, Mitglied der Europäischen Union zu werden, sofern er sich an die Kopenhagener Kriterien und die Grundsätze der Demokratie hält, die Grundfreiheiten, Menschenrechte und Minderheitenrechte achtet und die Rechtsstaatlichkeit wahrt;
15. fordert, dass das Europäische Parlament seine Aktivitäten zur Unterstützung der Demokratie (Jean-Monnet-Dialoge und Kapazitätsaufbau) in der Region weiter intensiviert, damit die dortigen Parlamente ihre Aufgabe, demokratische Reformen maßgeblich voranzubringen und die in die EU gesetzten Hoffnungen der Bürger der Region Wirklichkeit werden zu lassen, uneingeschränkt wahrnehmen können;
16. fordert in diesem Zusammenhang und als Reaktion auf die Blockade im Europäischen Rat, dass das Europäische Parlament einen regionalen parlamentarischen Dialog mit der Führung der Parlamente der Westbalkanstaaten einberuft, um eine Strategie dafür zu entwerfen, wie die Parlamente die EU-Reformagenda vorantreiben und konkrete Maßnahmen treffen können, mit denen sie den in die EU gesetzten Hoffnungen der Menschen in der Region gerecht werden;
17. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung der Vizepräsidentin der Kommission und Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, dem Rat, der Kommission, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten der EU sowie den Regierungen und Parlamenten Nordmazedoniens und Albaniens sowie aller anderen Beitrittsländer zu übermitteln.