Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. Februar 2020 zu einer Strategie der EU zur weltweiten Einstellung der Verstümmelung weiblicher Genitalien (2019/2988(RSP))
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf die Artikel 8 und 9 der Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI(1), deren Bestimmungen auch für die Opfer der Verstümmelung weiblicher Genitalien gelten,
– unter Hinweis auf die Artikel 11 und 21 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen („Richtlinie über Aufnahmebedingungen“)(2), in der die Opfer der Verstümmelung weiblicher Genitalien ausdrücklich bei den Kategorien der schutzbedürftigen Personen genannt werden, die während ihrer Asylverfahren eine angemessene medizinische Versorgung erhalten sollten,
– unter Hinweis auf Artikel 20 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes („Anerkennungsrichtlinie“)(3), in dem die Verstümmelung weiblicher Genitalien – als schwere Form psychischer, physischer oder sexueller Gewalt – als einer der Faktoren genannt wird, die bei der Gewährung von internationalem Schutz berücksichtigt werden müssen,
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 14. Juni 2012 zur Ausmerzung der Genitalverstümmelung bei Mädchen und Frauen(4), in der es ein Ende der Verstümmelung weiblicher Genitalien weltweit durch Prävention, Schutzmaßnahmen und Rechtsvorschriften forderte,
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 6. Februar 2014 zu der Mitteilung der Kommission mit dem Titel „Abschaffung der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM)“(5),
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 7. Februar 2018 zum Thema „Null Toleranz gegenüber Genitalverstümmelung bei Frauen“(6),
– unter Hinweis auf die Jahresberichte der EU über Menschenrechte und Demokratie in der Welt und insbesondere auf seine Entschließung vom 15. Januar 2020(7),
– unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates vom Juni 2014 zur Prävention und Bekämpfung aller Formen der Gewalt gegen Frauen und Mädchen, einschließlich der Genitalverstümmelung,
– unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates vom 8. März 2010 zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen in der Europäischen Union,
– unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 25. November 2013 mit dem Titel „Abschaffung der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM)“ (COM(2013)0833),
– unter Hinweis auf die Gemeinsame Erklärung vom 6. Februar 2013 zum Internationalen Tag der Nulltoleranz gegenüber der Genitalverstümmelung bei Frauen und Mädchen, in der die Vizepräsidentin der Kommission und Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und fünf Mitglieder der Kommission die Zusage der EU bekräftigten, die Verstümmelung weiblicher Genitalien im Rahmen ihrer Außenbeziehungen zu bekämpfen,
– unter Hinweis auf den Aktionsplan der EU für Menschenrechte und Demokratie 2015–2019 und insbesondere auf das Ziel 14 b, in dem die Verstümmelung weiblicher Genitalien ausdrücklich erwähnt wird, und unter Hinweis darauf, dass der Aktionsplan derzeit überarbeitet wird und Verhandlungen über seine Verlängerung stattfinden,
– unter Hinweis auf die Erfahrungen, die bei der Umsetzung des Strategischen Engagements der Kommission für die Gleichstellung der Geschlechter 2016–2019 und der Maßnahmen des Aktionsplans, der Bestandteil der Mitteilung der Kommission vom 25. November 2013 ist, gesammelt wurden,
– unter Hinweis auf die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, insbesondere das Ziel 5.3, alle schädigenden Praktiken wie Kinderheirat, Frühverheiratung und Zwangsheirat sowie die Genitalverstümmelung bei Frauen und Mädchen zu beseitigen,
– unter Hinweis auf die Internationale Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung (ICPD) von 1994 in Kairo und ihr Aktionsprogramm sowie auf die Ergebnisse der nachfolgenden Überprüfungskonferenzen, insbesondere des Nairobi-Gipfels zur ICPD25, und die Verpflichtung, die Verstümmelung weiblicher Genitalien zu beenden,
– unter Hinweis auf die Aktionsplattform von Peking und die Ergebnisse der nachfolgenden Überprüfungskonferenzen,
– unter Hinweis auf den Aktionsplan für die Gleichstellung 2016–2020 (GAP II) und insbesondere dessen thematische Priorität B, die eigens einen Indikator für die Verstümmelung weiblicher Genitalien umfasst, und unter Hinweis auf seine derzeitige Überarbeitung und die Verhandlungen über seine Verlängerung,
– unter Hinweis auf die in ihren politischen Leitlinien von der Präsidentin der Kommission abgegebene Zusage, Maßnahmen zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen zu ergreifen,
– unter Hinweis auf die erwartete neue EU-Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter,
– unter Hinweis auf den Bericht des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen (EIGE) von 2013 über die Verstümmelung weiblicher Genitalien in der Europäischen Union und in Kroatien und die beiden Folgeberichte mit einer Abschätzung der Zahl der in der Europäischen Union von Genitalverstümmelung bedrohten Mädchen, und zwar von 2015 für Irland, Portugal und Schweden und von 2018 für Belgien, Griechenland, Frankreich, Italien, Zypern und Malta,
– unter Hinweis auf das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt („Übereinkommen von Istanbul“) von 2014, in dessen Artikel 38 alle Vertragsparteien aufgefordert werden, die Verstümmelung weiblicher Genitalien unter Strafe zu stellen,
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 12. September 2017 zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Abschluss des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt durch die Europäische Union (COM(2016)0109 – 2016/0062(NLE))(8),
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 28. November 2019 zum Beitritt der EU zum Übereinkommen von Istanbul und zu weiteren Maßnahmen zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt(9),
– unter Hinweis auf die Erklärung des Ministerkomitees des Europarates vom 13. September 2017 zur Notwendigkeit, die Bemühungen um die Verhütung und Bekämpfung der Verstümmelung weiblicher Genitalien und der Zwangsverheiratung in Europa zu verstärken,
– unter Hinweis auf die Leitlinien der WHO zur Bewältigung von durch die Verstümmelung weiblicher Genitalien ausgelösten gesundheitlichen Komplikationen,
– unter Hinweis auf die Resolution des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen vom 5. Juli 2018 zur Beendigung der Verstümmelung weiblicher Genitalien,
– unter Hinweis auf den Bericht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen vom 27. Juli 2018 über die Verstärkung der weltweiten Bemühungen um die Beendigung der Verstümmelung weiblicher Genitalien,
– unter Hinweis auf die Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 14. November 2018 zur Verstärkung der weltweiten Bemühungen um die Abschaffung der Verstümmelung weiblicher Genitalien,
– unter Hinweis auf das Cotonou-Abkommen und dessen laufende Überprüfung,
– unter Hinweis auf die Spotlight-Initiative der Europäischen Union und der Vereinten Nationen vom September 2017 zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen,
– gestützt auf Artikel 132 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass die Verstümmelung weiblicher Genitalien international als grausamer und systematischer Verstoß gegen die Menschenrechte, als Ausprägung der Gewalt gegen Frauen und Mädchen und als Ausdruck der geschlechtsspezifischen Ungleichheit, der weder mit einer Religion noch mit einer Kultur verbunden ist, betrachtet und mittlerweile als weltweites Problem anerkannt wird, von dem gemäß Statistikberichten von Unicef, vom Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) und von der WHO mindestens 200 Millionen Frauen und Mädchen in 30 Ländern betroffen sind; in der Erwägung, dass es jedoch Belege dafür gibt, dass die Verstümmelung weiblicher Genitalien in mehr als 90 Ländern auf allen Kontinenten praktiziert wird;
B. in der Erwägung, dass Daten des UNFPA von 2018 zufolge im Jahr 2030 68 Millionen Mädchen weltweit Gefahr laufen werden, dass ihre Genitalien verstümmelt werden – sofern die Bevölkerungsentwicklung künftig mit der gleichen Geschwindigkeit wie bisher fortschreitet –, wobei davon ausgegangen wird, dass sich die jährliche Zunahme von geschätzt 4,1 Millionen im Jahr 2019 auf 4,6 Millionen jährlich im Jahr 2030 steigern wird;
C. in der Erwägung, dass auf der Grundlage der aktuellsten in Europa verfügbaren nationalen Daten davon ausgegangen wird, dass etwa 600 000 Frauen und Mädchen in Europa mit den ein Leben lang anhaltenden physischen und psychischen Konsequenzen der Verstümmelung ihrer Genitalien leben und weitere 180 000 Mädchen allein in 13 europäischen Ländern der großen Gefahr ausgesetzt sind, dass ihre Genitalien verstümmelt werden;
D. in der Erwägung, dass die Verstümmelung weiblicher Genitalien alle Handlungen umfasst, die die teilweise oder vollständige Entfernung der äußeren weiblichen Geschlechtsorgane einschließen – wie etwa die Klitoridektomie, die Exzision, die Infibulation und andere schädliche Verfahren – und die die weiblichen Geschlechtsorgane bewusst zu nichtmedizinischen Zwecken verändern oder verletzen und in physischer, sexueller und psychischer Hinsicht gesundheitliche Komplikationen verursachen, die tödlich sein können;
E. in der Erwägung, dass die Verstümmelung weiblicher Genitalien zumeist bei Mädchen zwischen dem Säuglingsalter und dem Alter von 15 Jahren durchgeführt wird; in der Erwägung, dass ein Mädchen oder eine Frau außerdem bei verschiedenen Gelegenheiten in ihrem Leben einer Genitalverstümmelung unterzogen werden kann, etwa kurz vor ihrer Hochzeit oder vor einer Auslandsreise;
F. in der Erwägung, dass der aktuelle, mit Daten des Amtes des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) von 2018 belegte Anstieg des Anteils von Frauen und Mädchen, die potenziell bereits einer Genitalverstümmelung unterzogen wurden, bedeutet, dass das Problem sogar noch größere Ausmaße annimmt und die Zahl der Betroffenen oder Gefährdeten weiter steigt; in der Erwägung, dass dem UNHCR zufolge allein in den letzten fünf Jahren mehr als 100 000 weibliche Asylsuchende in Europa angekommen sind, die potenziell einer Genitalverstümmelung unterzogen worden waren;
G. in der Erwägung, dass Unicef darauf hinweist, dass zwar Fortschritte erzielt wurden, da das Risiko für Mädchen, einer Genitalverstümmelung unterzogen zu werden, heute um ein Dritter geringer ist als noch vor 30 Jahren; in der Erwägung, dass das Nachhaltigkeitsziel 5.3 (Beseitigung der Genitalverstümmelung bei Frauen und Mädchen) in Anbetracht der verfügbaren Daten und zehn Jahre vor dem Zieldatum 2030 jedoch bei Weitem noch nicht erreicht ist; in der Erwägung, dass die Gesamtzahl der betroffenen Frauen und Mädchen hingegen offensichtlich steigt und weiter steigen wird, sofern nicht umgehend viel größere Bemühungen unternommen werden, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken;
H. in der Erwägung, dass der Wandel nur beschleunigt und das Ziel der Beseitigung der Verstümmelung weiblicher Genitalien weltweit bis 2030 nur erreicht werden kann, wenn die derzeitigen Bemühungen um die Beendigung dieser Praktik auf lokaler, nationaler, regionaler und internationaler Ebene schnellstmöglich ausgeweitet und abgestimmt werden, an diese Bemühungen angeknüpft wird und im Wege wirksamer und umfassender Strategien ein stärkeres und anhaltendes Umdenken eingeleitet wird;
I. in der Erwägung, dass die Verstümmelung weiblicher Genitalien eine Form geschlechtsspezifischer Gewalt darstellt und dass unbedingt die Ursachen der geschlechtsspezifischen Ungleichheit in den Gemeinschaften – darunter auch geschlechtsspezifische Klischees und schädliche gesellschaftliche Normen – bekämpft werden müssen, damit der Verstümmelung weiblicher Genitalien ein Ende gesetzt wird;
J. in der Erwägung, dass die Verstümmelung weiblicher Genitalien häufig mit anderen Problemen im Zusammenhang mit geschlechtsspezifischer Ungleichheit einhergeht und nur eine der zahlreichen Missachtungen der Frauenrechte darstellt, da hier auch der mangelnde Zugang von Mädchen zu Bildung und umfassender Sexualerziehung, mangelnde Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen, die Verweigerung des Rechts, Vermögenswerte zu besitzen oder zu erben, Zwangsheirat oder Frühverheiratung, sexuelle und physische Gewalt und der mangelnde Zugang zu guter medizinischer Versorgung und zu Dienstleistungen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der damit verbundenen Rechte zu nennen sind;
K. in der Erwägung, dass die „Medikalisierung“ der Verstümmelung weiblicher Genitalien darin besteht, dass die Verstümmelung von einem Angehörigen der Gesundheitsberufe oder in einem Krankenhaus oder einer medizinischen Einrichtung vorgenommen wird; in der Erwägung, dass die Medikalisierung der Verstümmelung weiblicher Genitalien ein gefährlicher Versuch ist, diese Praktik zu legitimieren und unter Umständen sogar Profit aus ihr zu schlagen;
1. bekräftigt seine Verpflichtung, dazu beizutragen, die Praktik der Verstümmelung weiblicher Genitalien weltweit auszumerzen, die als Form von geschlechtsspezifischer Gewalt gilt, die für Frauen und Mädchen lang anhaltende psychische und körperliche Folgen nach sich zieht und in einigen Fällen zum Tod führt;
2. stellt fest, dass der Umstand, dass die Gruppe „The Restorers“ in die Auswahlliste für den Sacharow-Preis gelangt ist, einen wichtigen Schritt in diese Richtung und zur Bekämpfung der Verstümmelung weiblicher Genitalien darstellt; erkennt zudem die wichtige Rolle junger Menschen an, wenn es darum geht, ihre Position und die anderer in der Gesellschaft zu stärken, indem sie innerhalb der eigenen Gemeinschaften zu Vorbildern werden;
3. betont, dass das vorrangige Ziel bei sämtlichen Maßnahmen gegen die Verstümmelung weiblicher Genitalien darin bestehen muss, dieser durch einen nachhaltigen gesellschaftlichen Wandel vorzubeugen und die Gemeinschaften und insbesondere Frauen und Mädchen in den Gemeinschaften zu stärken, indem Aufklärungs- und Informationsarbeit geleistet wird und die Voraussetzungen für die Stärkung der wirtschaftlichen Stellung von Frauen und Mädchen geschaffen werden; unterstreicht, dass der Schutz der und die Nachsorge bei den Opfern einer Genitalverstümmelung eine Priorität darstellen muss, die durch die Bereitstellung von angemessenen Schutzvorkehrungen und Informationen sowie durch den Zugang zu geeigneter professioneller physischer, psychischer, medizinischer und sexualmedizinischer Betreuung und Unterstützung für die Opfer dieser Praktik mithilfe von verstärkten Investitionen erreicht wird;
4. unterstreicht, dass es mit Blick auf die Abschaffung dieser schädlichen Praktik genauso entscheidend ist, Männer und Jungen in die Neugestaltung der Geschlechterverhältnisse, in die Änderung von Verhaltensweisen und in die Unterstützung der Stärkung der Rolle von Frauen und Mädchen einzubinden; betont ferner, wie wichtig es ist, dass die Anführer von Gemeinschaften in die Abschaffung der Verstümmelung weiblicher Genitalien einbezogen werden, zumal diese Praktik durch Traditionen und Kultur überliefert wird und dabei Beschneider, die innerhalb von Gemeinschaften oft einflussreich sind, und verschiedene Religionen als Rechtfertigung herangezogen werden, um diese Praktik durchzuführen und weiterzugeben;
5. betont, dass die Verstümmelung weiblicher Genitalien mit einem ganzheitlichen und bereichsübergreifenden Ansatz bekämpft werden muss, in dessen Rahmen gegen die eigentlichen Ursachen der geschlechtsspezifischen Ungleichheit vorgegangen wird, die sämtlichen Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen zugrunde liegen, unter anderem der Verletzung ihrer Menschenrechte, ihrer körperlichen Unversehrtheit sowie ihrer sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der damit verbundenen Rechte, und bei dem insbesondere die Verstümmelung weiblicher Genitalien mit anderen schädlichen Praktiken in einen Zusammenhang gestellt wird, etwa Frühverheiratung und Zwangsheirat, Brustbügeln, Hymen-Rekonstruktionen und Jungfräulichkeitstests;
6. zeigt sich besorgt darüber, dass das Phänomen der „Medikalisierung“ der Verstümmelung weiblicher Genitalien in einigen Ländern – selbst wenn diese Praktik in diesen Ländern illegal ist – immer häufiger auftritt und dass Angehörige der Gesundheitsberufe verstärkt in diese Praktik involviert sind; betont, dass eine solche Antwort nicht hinnehmbar ist und die eigentlichen Ursachen der Verstümmelung weiblicher Genitalien dadurch nicht bekämpft werden, wie dies bereits von den Vereinten Nationen und der WHO festgestellt wurde; fordert die betroffenen Länder auf, die Medikalisierung der Verstümmelung weiblicher Genitalien ausdrücklich zu verbieten und das medizinische Personal für dieses Problem zu sensibilisieren und hierfür Informationen und Schulungen bereitzustellen und für eine geeignete Überwachung und Durchsetzung zu sorgen;
7. betont, dass die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 38 des Übereinkommens von Istanbul verpflichtet sind, die Verstümmelung weiblicher Genitalien sowie die Aufforderung bzw. Nötigung von Mädchen, sich einer solchen Prozedur zu unterziehen, unter Strafe zu stellen, und dass das Übereinkommen nicht nur Mädchen und Frauen, die von einer Genitalverstümmelung bedroht sind, schützt, sondern auch diejenigen, die unter den lebenslangen Folgen dieser Praktik leiden; stellt mit Genugtuung fest, dass das Strafrecht in allen Mitgliedstaaten Mädchen und Frauen vor Genitalverstümmelung schützt, ist jedoch äußerst besorgt über dessen offenkundige Ineffizienz, zumal nur einige wenige Fälle in der EU vor Gericht landen;
8. merkt an, dass es in vielen EU-Ländern auch möglich ist, eine im Ausland begangene Verstümmelung weiblicher Genitalien gemäß dem Grundsatz der Extraterritorialität strafrechtlich zu verfolgen, nach dessen Maßgabe auch untersagt wird, Kinder in Drittländer zu verbringen, um sie dort einer Genitalverstümmelung zu unterziehen; merkt an, dass die Einstufung als Straftatbestand mit Strafverfolgungen und Ermittlungen einhergehen muss; betont, dass das Wohl des Kindes immer eine vorrangige Erwägung sein muss und dass im Rahmen des Verfahrens zur Strafverfolgung und Verurteilung von Familienmitgliedern, die Praktiken der Verstümmelung weiblicher Genitalien vornehmen, auch sichergestellt werden muss, dass betroffene Mädchen und Kinder in der Folge nicht noch weiter gefährdet werden;
9. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf sicherzustellen, dass im künftigen EU-Haushalt die Tragfähigkeit von gemeinschaftlichem Engagement in Projekten und Programmen sowohl intern als auch extern weiterhin unterstützt wird, und zwar durch eine angemessene Finanzierung, in deren Rahmen den konkreten Gegebenheiten in gemeinschaftsbasierten Organisationen sowie in Opfer- und Jugendorganisationen und ‑initiativen Rechnung getragen wird; fordert die Kommission und den Rat zu diesem Zweck auf, bei den Haushaltsberatungen über den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) die Flexibilität, Zugänglichkeit und Nachhaltigkeit der Finanzierung auf der Grundlage einer strukturellen Finanzförderung längerfristig sicherzustellen;
10. begrüßt die im Rahmen des Programms „Rechte, Gleichstellung und Unionsbürgerschaft“ bereits geleistete Arbeit und fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, dafür zu sorgen, dass im künftigen Haushalt der EU der Notwendigkeit von verstärkter Flexibilität und Synergien zwischen internen und externen Finanzierungsprogrammen Rechnung getragen wird, damit Haushaltspläne gefördert werden, die der Komplexität des Themas gerecht werden, sowie umfassendere transnationale und grenzüberschreitende Einsätze zur Abschaffung der Verstümmelung weiblicher Genitalien weltweit;
11. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, ihre Zusammenarbeit mit europäischen und nationalen Netzwerken von Fachleuten zu verstärken, auch in den Bereichen Gesundheit, Sozialfürsorge, Strafverfolgung und Zivilgesellschaft, und sicherzustellen, dass EU-Mittel an Projekte vergeben werden, die darauf abzielen, Schulungen und Sensibilisierungskampagnen für Fachleute darüber durchzuführen, wie Fälle von Verstümmelung weiblicher Genitalien und Gewalt gegen Frauen und Mädchen wirksam verhindert und aufgedeckt werden können und wie darauf reagiert werden kann;
12. fordert die Kommission nachdrücklich auf sicherzustellen, dass alle Mitgliedstaaten die Opferschutzrichtlinie in nationales Recht überführen und vollständig umsetzen, damit die Opfer von Genitalverstümmelung Zugang zu vertraulichen spezialisierten Hilfsdiensten haben können, darunter auch zu Hilfe und Beratung bei der Verarbeitung traumatischer Erlebnisse, sowie in Notsituationen zu Schutzeinrichtungen in der EU;
13. merkt an, dass vor dem Hintergrund der jüngsten Daten des UNHCR der Zugang von Asylbewerberinnen und weiblichen Flüchtlingen, die Opfer von Genitalverstümmelung geworden sind, zu Facharztbehandlungen, einschließlich psychologischer Betreuung, sowohl auf EU-Ebene als auch auf Ebene der Mitgliedstaaten als Priorität eingestuft werden muss;
14. fordert die Kommission und den Rat auf, dafür zu sorgen, dass im Rahmen der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) die höchsten internationalen Schutzstandards bei der Anerkennung, den Aufnahmebedingungen und den Verfahrensrechten EU-weit einheitlich angewandt werden, sodass eine intensive Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten ermöglicht wird, insbesondere was schutzbedürftige Asylbewerberinnen anbelangt, die von Genitalverstümmelung und weiteren Formen geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen oder bedroht sind;
15. fordert die Kommission angesichts der immer größeren Zahl von Frauen und Mädchen, die von Genitalverstümmelung betroffen sind, eindringlich auf, eine Überprüfung der Mitteilung mit dem Titel „Abschaffung der weiblichen Genitalverstümmelung“ aus dem Jahr 2013 einzuleiten, damit die Maßnahmen gegen diese Praktik weltweit intensiviert werden und darauf hingearbeitet wird, dass die Diskrepanzen zwischen den Gesetzen, Strategien und Diensten der Mitgliedstaaten aufgehoben werden, sodass Frauen und Mädchen, die von Genitalverstümmelung betroffen oder bedroht sind, EU-weit Zugang zu gleichen Behandlungsstandards haben;
16. fordert die Kommission auf sicherzustellen, dass die künftige Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter Maßnahmen umfasst, mithilfe derer der Verstümmelung weiblicher Genitalien ein Ende gesetzt und Betreuung für die Opfer bereitgestellt wird, und dass diese Strategie in einer inklusiven Sprache verfasst ist und strenge Verpflichtungen sowie klare Indikatoren in allen Zuständigkeitsbereichen der EU enthält, wozu auch regelmäßige Berichterstattungs- und strenge Überwachungsmechanismen gehören, damit alle EU-Organe und Mitgliedstaaten rechenschaftspflichtig sind;
17. fordert die Kommission, den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) und die Mitgliedstaaten auf, die Zusammenarbeit mit Drittländern zu verstärken, um diese dazu zu bewegen, nationale Gesetze zu erlassen, durch die die Verstümmelung weiblicher Genitalien untersagt wird, Strafverfolgungsbehörden bei der Sicherstellung der Umsetzung dieser Gesetze zu unterstützen und bei ihrer auswärtigen Menschenrechtspolitik, insbesondere im Rahmen ihrer bilateralen und multilateralen Menschenrechtsdialoge und anderer Formen des diplomatischen Engagements, dem Thema der Genitalverstümmelung und weiteren für Frauen und Mädchen schädlichen Praktiken Priorität einzuräumen; betont, dass die EU dazu beitragen kann, die Verstümmelung weiblicher Genitalien weltweit auszumerzen, indem hier in der EU bewährte Verfahren festgelegt und gefördert werden;
18. fordert die Kommission auf sicherzustellen, dass zu den zentralen Maßnahmen im künftigen dritten Aktionsplan für die Gleichstellung der Geschlechter weiterhin die Abschaffung der Verstümmelung weiblicher Genitalien und die Bereitstellung von Betreuung für die Opfer gehören, was Teil der Bekämpfung jeder Form von Gewalt gegen Frauen und Mädchen mithilfe konkreter und erfassbarer Indikatoren ist;
19. fordert die Kommission und auch den EAD auf, dafür zu sorgen, dass zu den Zielen des künftigen neuen EU-Aktionsplans für Menschenrechte und Demokratie weiterhin die Abschaffung der Verstümmelung weiblicher Genitalien und die Bereitstellung von Betreuung für die Opfer gehören;
20. wiederholt seine Forderung an den Rat, die Ratifizierung des Übereinkommens von Istanbul durch die EU auf der Grundlage eines breit angelegten Beitritts ohne Beschränkungen dringend abzuschließen und dafür einzutreten, dass das Übereinkommen von allen Mitgliedstaaten ratifiziert wird; fordert den Rat und die Kommission auf, die umfassende Aufnahme des Übereinkommens in den rechtlichen und politischen Rahmen der EU zu gewährleisten und dafür zu sorgen, dass der Verstümmelung weiblicher Genitalien vorgebeugt wird, Frauen geschützt und Täter strafrechtlich verfolgt werden und dass alle Vertragsstaaten zur Abhilfe bei Genitalverstümmelung geeignete Dienste bereitstellen;
21. bekräftigt seine Forderungen an die Kommission und die Mitgliedstaaten, die Vorbeugung der Verstümmelung weiblicher Genitalien in allen Bereichen zu verankern, insbesondere in den Bereichen Gesundheit, einschließlich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der damit verbundenen Rechte, Sozialarbeit, Asyl, Bildung, darunter Sexualerziehung, Beschäftigung, Strafverfolgung, Justiz, Schutz von Minderjährigen, Medien, Technologie und Kommunikation; fordert, dass zwischen den verschiedenen Bereichen Multi-Stakeholder-Plattformen eingerichtet werden, um eine solche Zusammenarbeit besser zu koordinieren;
22. begrüßt die Anstrengungen der Kommission und den Umstand, dass sie die Abschaffung der Verstümmelung weiblicher Genitalien im Rahmen von Beratungen mit der Zivilgesellschaft intern und im Rahmen der auswärtigen Politik über Dialoge mit Partnerländern aktiv vorantreibt, sowie ihr Eintreten dafür, dass das Vorgehen der EU gegen die Verstümmelung weiblicher Genitalien jährlich einer Bewertung unterzogen wird;
23. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, dafür zu sorgen, dass geeignete und strukturierte Mechanismen in Kraft sind, um mit Vertretern von Gemeinschaften, die von Genitalverstümmelung betroffen sind, und von Frauenorganisationen vor Ort, darunter von Opferorganisationen, bei der Politikgestaltung und Entscheidungsfindung zielführend zusammenzuarbeiten;
24. fordert die Kommission auf, durch die Aufnahme von Menschenrechtsklauseln sicherzustellen, dass die Zusammenarbeit und die Handelsabkommen der EU mit Drittländern entsprechend der Einhaltung von internationalen Menschenrechtsnormen durch diese Länder ausgehandelt und überprüft werden, auch was die Abschaffung der Verstümmelung weiblicher Genitalien betrifft, bei der es sich um eine systematische Menschenrechtsverletzung und um eine Form von Gewalt handelt, die der vollständigen Entfaltung von Frauen und Mädchen im Wege steht;
25. begrüßt die aktualisierte Methode, die in dem vom EIGE veröffentlichten Bericht „Estimation of girls at risk of female genital mutilation in the European Union: Step-by-step guide“ (Abschätzung des Risikos von Mädchen, in der Europäischen Union eine weibliche Genitalverstümmelung zu erleiden: Schritt-für-Schritt-Anleitung (2. Ausgabe)) enthalten ist und darauf abzielt, genauere und aussagekräftigere Daten zu sammeln; fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die einschlägigen Daten zu aktualisieren und den Mangel an zuverlässigen vergleichbaren Statistiken auf EU-Ebene zur Prävalenz von Genitalverstümmelung und ihren Erscheinungsformen zu beheben und in das Verfahren der Datenerfassung und Erforschung auch Wissenschaftler sowie praktizierende Gemeinschaften und Opfer im Rahmen eines gemeinschaftsbasierten und partizipativen Ansatzes einzubeziehen; fordert Organisationen, Regierungen und die EU-Organe mit Nachdruck auf, zusammenzuarbeiten, um qualitativ und quantitativ genauere Informationen zur Verstümmelung weiblicher Genitalien bereitzustellen und diese einer breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen und zugänglich zu machen; legt des Weiteren den Austausch bewährter Verfahren und die Zusammenarbeit zwischen den einschlägigen Behörden (Polizei und Strafverfolgung) nahe, auch bei internationalen Ausschreibungen;
26. fordert die Kommission auf, auf nachhaltige Weise mehr Mittel in die Erforschung der Genitalverstümmelung zu investieren, da eingehende qualitative und quantitative Untersuchungen die einzige Möglichkeit sind, um ein besseres Verständnis des Phänomens zu fördern und sicherzustellen, dass dagegen maßgeschneidert und wirksam vorgegangen wird;
27. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung der Kommission und dem Rat zu übermitteln.