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Verfahren : 2020/2880(RSP)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadien in Bezug auf das Dokument :

Eingereichte Texte :

RC-B9-0375/2020

Aussprachen :

PV 26/11/2020 - 8.1
CRE 26/11/2020 - 8.1

Abstimmungen :

PV 26/11/2020 - 16

Angenommene Texte :

P9_TA(2020)0329

Angenommene Texte
PDF 146kWORD 52k
Donnerstag, 26. November 2020 - Brüssel
Verschlechterung der Menschenrechtslage in Algerien, insbesondere der Fall des Journalisten Khaled Drareni
P9_TA(2020)0329RC-B9-0375/2020

Entschließung des Europäischen Parlaments vom 26. November 2020 zu der Verschlechterung der Menschenrechtslage in Algerien, insbesondere dem Fall des Journalisten Khaled Drareni (2020/2880(RSP))

Das Europäische Parlament,

–  unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu Algerien, insbesondere vom 28. November 2019 zur Lage der Freiheiten in Algerien(1) und vom 30. April 2015 zur Inhaftierung von Menschenrechts- und Arbeitnehmerrechtsaktivisten in Algerien(2),

–  unter Hinweis auf den EU-Jahresbericht 2019 über Menschenrechte und Demokratie in der Welt vom 15. Juni 2020,

–  unter Hinweis auf das Themenpapier der Internationalen Juristenkommission mit dem Titel „Flawed and inadequate: Algeria’s Constitutional Amendment Process“ (Fehlerhaft und unzulänglich – Der Prozess der Verfassungsänderung in Algerien), das im Oktober 2020 veröffentlicht wurde,

–  unter Hinweis auf das gemeinsame Schreiben von 31 lokalen, regionalen und internationalen Organisationen der Zivilgesellschaft vom 29. September 2020, in dem das harte Vorgehen gegen die algerische Zivilgesellschaft angeprangert wird,

–  unter Hinweis auf die vier Mitteilungen der Sonderverfahren des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen über willkürliche und gewaltsame Festnahmen, unfaire Gerichtsverfahren und Repressalien gegen Menschenrechtsverteidiger und friedliche Aktivisten, die der algerischen Regierung zwischen dem 30. März und dem 16. September 2020 übermittelt wurden,

–  unter Hinweis auf das Assoziierungsabkommen EU-Algerien und insbesondere auf Artikel 2, in dem festgelegt ist, dass die Wahrung der Grundsätze der Demokratie und die Achtung der Menschenrechte, von denen sich die Vertragsparteien in ihrer Innen- und Außenpolitik leiten lassen, wesentlicher Bestandteil des Abkommens sind,

–  unter Hinweis auf die 11. Tagung des Assoziationsrats EU-Algerien,

–  unter Hinweis auf die von Algerien und der Europäischen Union am 13. März 2017 im Rahmen der überarbeiteten Europäischen Nachbarschaftspolitik angenommenen gemeinsamen Partnerschaftsprioritäten,

–  unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates vom 19. November 2020 zum EU-Aktionsplan für Menschenrechte und Demokratie 2020 – 2024 und insbesondere auf dessen Mechanismus der EU für Menschenrechtsverteidiger, der geschaffen wurde, um Journalisten und Medienschaffende zu schützen und zu unterstützen,

–  unter Hinweis auf das algerische Strafgesetzbuch, insbesondere auf die Artikel 75, 79, 95 bis, 98, 100, 144, 144 bis, 144 bis 2, 146 und 196 bis,

–  unter Hinweis auf die Leitlinien der EU zu Menschenrechtsverteidigern, zur Todesstrafe, zu Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe und zur freien Meinungsäußerung online und offline sowie auf den Strategischen Rahmen und den Aktionsplan der EU für Menschenrechte und Demokratie,

–  unter Hinweis auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR), den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPWSKR), das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (UNCAT) sowie das Übereinkommen über die Rechte des Kindes, die alle vier von den Mitgliedstaaten der EU und von Algerien ratifiziert wurden,

–  unter Hinweis auf die Stellungnahme 7/2000 zur Inhaftierung von Fadel Breika, die von der Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen für willkürliche Inhaftierungen (UNWGAD) angenommen wurde,

–  unter Hinweis auf die dritte allgemeine regelmäßige Überprüfung zu Algerien, die der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen auf seiner 36. Tagung vom 21./22. September 2017 gebilligt hat,

–  unter Hinweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte,

–  unter Hinweis auf die Afrikanische Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker (ACHPR),

–  unter Hinweis auf die von Reporter ohne Grenzen erstellte Rangliste der Pressefreiheit 2020,

–  unter Hinweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 und die Erklärung der Vereinten Nationen über die Beseitigung aller Formen von Intoleranz und Diskriminierung aufgrund der Religion oder der Überzeugung,

–  gestützt auf Artikel 144 Absatz 5 und Artikel 132 Absatz 4 seiner Geschäftsordnung,

A.  in der Erwägung, dass Algerien ab Februar 2019 als Reaktion auf die Aussicht auf eine fünfte Amtszeit des damaligen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika eine beispiellose Protestbewegung (Hirak) erlebt hat; in der Erwägung, dass friedliche Demonstrationen gegen die Korruption der Regierung und für einen bürgerlichen Staat, eine unabhängige Justiz, demokratische Reformen, Transparenz und einen inklusiven Rahmen zur Vorbereitung freier Wahlen regelmäßig freitags und dienstags im ganzen Land stattfanden und ein ganzes Jahr lang, auch während des Wahlprozesses, andauerten; in der Erwägung, dass diese bedeutenden wöchentlichen Demonstrationen wegen der COVID-19-Pandemie im März 2020 freiwillig eingestellt wurden, auch wenn die Protestbewegung in den sozialen Medien weiterging;

B.  in der Erwägung, dass in Algerien nach dem Rücktritt von Präsident Bouteflika vom 2. April 2019 als Reaktion auf die Hirak-Bewegung und die beiden darauffolgenden Wahlverschiebungen, bei denen die militärische Führung eine besonders große Rolle spielte, am 12. Dezember 2019 Präsidentschaftswahlen stattfanden, bei denen der ehemalige Premierminister Abdelmadjid Tebboune zum Präsidenten gewählt wurde; in der Erwägung, dass die Hirak-Bewegung die Kandidatenliste wegen der Verbindungen von Kandidaten zur früheren Regierung kritisiert und die Wahlen, bei denen die offizielle Wahlbeteiligung bei unter 40 % lag, boykottiert hat;

C.  in der Erwägung, dass die politisch motivierten Verhaftungen und willkürlichen Inhaftierungen von friedlichen Mitgliedern der Hirak-Bewegung und Gewerkschaftsaktivisten sowie Journalisten seit Sommer 2019 zugenommen haben, was einen Verstoß gegen die Grundrechte auf ein faires Verfahren und ein ordnungsgemäßes Rechtsverfahren darstellt; in der Erwägung, dass Zensur, Gerichtsverfahren und strenge Bestrafung unabhängiger Medien, die häufig der Verschwörung mit ausländischen Mächten gegen die nationale Sicherheit beschuldigt werden, sich trotz des offiziellen Endes der Regierung Bouteflika weiter verschlimmern; in der Erwägung, dass die zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie eingeführten Einschränkungen im Interesse der Sicherheit zu verschärften Kontrollen beigetragen haben und von den Behörden dazu genutzt werden, den zivilgesellschaftlichen Raum weiter einzuengen, den friedlichen Ausdruck abweichender Meinungen einzuschränken sowie die Redefreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung zu behindern;

D.  in der Erwägung, dass vor diesem Hintergrund der Repression, die derzeit in Algerien herrscht, immer mehr Vorwürfe von Folter erhoben werden, die in den Polizeidienststellen und in der Generaldirektion für Innere Sicherheit (DGSI) in Algier stattfinden soll, wie im Fall des Gefangenen Walid Nekkiche;

E.  in der Erwägung, dass der algerischen Regierung zwischen dem 30. März und dem 16. April 2020 von den Sonderverfahren der Vereinten Nationen drei Mitteilungen im Zusammenhang mit willkürlichen und gewaltsamen Verhaftungen, unfairen Gerichtsverfahren und Repressalien gegen Menschenrechtsverteidiger und friedliche Aktivisten sowie am 27. August 2020 eine vierte Mitteilung betreffend Mohamed Khaled Drareni übermittelt wurden;

F.  in der Erwägung, dass Mohamed Khaled Drareni, ein Korrespondent von TV5 Monde, Vertreter von Reporter ohne Grenzen (RSF) und Leiter des Nachrichtenportals Casbah Tribune, im August 2020 zu drei Jahren Haft und einer Geldstrafe von 50 000 algerischen Dinaren verurteilt wurde, weil er Polizeikräfte bei einem Angriff auf Demonstranten gefilmt hatte; in der Erwägung, dass die gegen ihn erhobenen offiziellen Anschuldigungen auf „Anstiftung zu einer unbewaffneten Versammlung“ und die „Untergrabung der Integrität des nationalen Hoheitsgebiets“ lauteten; in der Erwägung, dass seine Strafe am 15. September 2020 im Berufungsverfahren auf zwei Jahre Haft verkürzt wurde; in der Erwägung, dass die Sonderberichterstatter und die Arbeitsgruppe der Sonderverfahren der Vereinten Nationen am 16. September 2020 seine Haftstrafe aufs Schärfste verurteilt und die algerischen Behörden aufgefordert haben, für seine sofortige Freilassung zu sorgen, und seine Verurteilung als einen eindeutigen Verstoß gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Recht auf friedliche Versammlung und die Vereinigungsfreiheit bezeichnet haben;

G.  in der Erwägung, dass Mohamed Khaled Drareni über die zweimal wöchentlich stattfindenden Hirak-Proteste seit ihrem Beginn im Februar 2019 berichtete; in der Erwägung, dass seine Tätigkeit zur Aufdeckung des harten Vorgehens der algerischen Regierung gegen friedliche Versammlungen und freie Meinungsäußerung dazu geführt hat, dass er wegen seiner Berichterstattung über die Hirak-Proteste vor seiner Verurteilung dreimal, und zwar am 14. Mai 2019, am 9. August 2019 und am 9. Januar 2020 festgenommen, verhört und eingeschüchtert wurde und Regierungsbeamte in zwei Fällen versucht haben, ihn zu bestechen; in der Erwägung, dass ihm mitgeteilt wurde, seine letzte Inhaftierung diene als letzte Warnung, bevor die Justiz mit seinem Fall befasst werde; in der Erwägung, dass Mohamed Khaled Drareni am 7. März 2020 während eines Protests der Hirak-Bewegung festgenommen wurde; in der Erwägung, dass Drareni am 10. März 2020 freigelassen, am 27. März 2020 jedoch erneut festgenommen wurde;

H.  in der Erwägung, dass am Tag seiner ersten Festnahme mehr als 20 weitere friedliche Demonstranten in Gewahrsam genommen wurden; in der Erwägung, dass zwei der festgenommenen Personen inhaftiert wurden, weil sie die Berberflagge geschwenkt hatten; in der Erwägung, dass die Berberflagge während der Hirak-Proteste weithin verwendet wird; in der Erwägung, dass General Ahmed Gaid Salah die Verwendung der Flagge im Juni 2019 verboten hat; in der Erwägung, dass ehemalige Regierungsbeamte in den letzten Monaten eine Verleumdungskampagne gegen die Bevölkerung der Kabylei, die sich mehrheitlich aus Angehörigen von Berberstämmen zusammensetzt, eingeleitet haben, die zu ethnischen Spaltungen innerhalb der Hirak-Bewegung führen könnte; in der Erwägung, dass berberische Aktivisten und Vertreter der Hirak-Bewegung , darunter Yacine Mebarki, nach wie vor mit willkürlichen Festnahmen konfrontiert sind, weil sie abweichende religiöse und politische Ansichten zum Ausdruck bringen;

I.  in der Erwägung, dass mit den Protesten der Hirak-Bewegung der öffentliche Raum von den Bürgern wieder eingefordert wurde; in der Erwägung, dass insbesondere nachdem die Aktivitäten der Hirak-Bewegung zur Eindämmung der Ausbreitung von COVID-19 ins Internet verlagert wurden, die Einschränkungen der Meinungsfreiheit und die den Journalisten auferlegten Beschränkungen verschärft wurden, insbesondere durch die Sperrung von Internetseiten, die Zensur von Fernsehprogrammen und die Inhaftierung und Schikanierung von Journalisten, Medienmanagern und Demonstranten, die ihre Ansichten in den sozialen Medien äußern, wobei der Zugang zu mindestens sechs Online-Nachrichtendiensten im April und Mai 2020 in den algerischen Netzen gesperrt wurde;

J.  in der Erwägung, dass lokale Menschenrechtsgruppen schätzen, dass von März bis Juni 2020 mindestens 200 Personen willkürlich verhaftet wurden, weil sie ihre Meinung zum Ausdruck gebracht oder die Hirak-Bewegung angeblich unterstützt haben; in der Erwägung, dass der Nationale Ausschuss für die Befreiung von Inhaftierten (CNLD) zum 17. November 2019 mindestens 91 Gefangene aus Gewissensgründen und damit einen Anstieg um 44 gegenüber August registrierte, von denen einige auf unbestimmte Zeit in Untersuchungshaft genommen worden waren; in der Erwägung, dass das Risiko eines COVID-19-Ausbruchs in Gefängnissen eine zusätzliche Gefahr für diejenigen darstellt, die aufgrund ihrer politischen Ansichten inhaftiert sind; in der Erwägung, dass die Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Michelle Bachelet, am 25. März 2020 im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie die Freilassung von politischen Gefangenen sowie von Personen, die aufgrund kritischer Äußerungen inhaftiert wurden, forderte;

K.  in der Erwägung, dass seit Januar 2020 41 Frauenmorde von Aktivisten, insbesondere von Feminicides-dz, registriert wurden; in der Erwägung, dass Frauenrechtsbewegungen 2020 die zunehmende Gewalt gegen Frauen und die Zahl der Frauenmorde stärker angeprangert haben und die Überarbeitung der geltenden Gesetze, insbesondere des Familiengesetzes und einer Reihe von Artikeln des Strafgesetzbuchs, gefordert haben, damit die uneingeschränkte Gleichstellung von Frauen und Männern gewährleistet wird;

L.  in der Erwägung, dass Algerien im April 2020 auch Änderungen des Strafrechts durch das Gesetz 20-06 angenommen hat, mit denen die Ausübung von Grundrechten wie der Pressefreiheit, der Meinungsfreiheit und der Vereinigungsfreiheit weiter eingeschränkt und unter Strafe gestellt wird, was mit der konstruierten Begründung, es handele sich dabei um „Falschmeldungen“, die den algerischen Staat untergraben, gerechtfertigt wird; in der Erwägung, dass die algerischen Behörden zunehmend vage formulierte Artikel des Strafrechts verwenden, einschließlich der im April 2020 hinzugefügten Artikel, um Personen zu verfolgen, die ihr Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung sowie auf friedliche Versammlung und Vereinigung ausüben; in der Erwägung, dass eine erstmalige Straftat mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft wird, wenn sie während einer aus Gründen der öffentlichen Gesundheit, einer Naturkatastrophe, einer biologischen oder technischen Katastrophe oder einer anderen Katastrophe verhängten Ausgangssperre begangen wurde;

M.  in der Erwägung, dass die algerischen Behörden im Zusammenhang mit dem harten Vorgehen gegen den zivilgesellschaftlichen Raum ein von oben nach unten gerichtetes Verfahren zur Verfassungsänderung vorangebracht haben, das angeblich Teil der anfänglichen Verpflichtung von Präsident Tebboune ist, als Reaktion auf die Proteste der Hirak-Bewegung ein neues Algerien aufzubauen, das jedoch in der algerischen Gesellschaft keine breite Unterstützung findet und von unabhängigen zivilgesellschaftlichen Organisationen als Verletzung internationaler Standards in den Bereichen Inklusivität, Teilhabe, Transparenz und Souveränität bei der Verfassungsgestaltung kritisiert wurde; in der Erwägung, dass die gleichzeitige Massenverhaftung von Aktivisten der Zivilgesellschaft und von Journalisten die öffentliche Legitimierung des Verfahrens der Verfassungsänderung vollständig untergraben hat;

N.  in der Erwägung, dass Algerien am 1. November 2020 ein Referendum über die Verfassungsänderung abgehalten hat, einschließlich einer Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten auf zwei Wahlperioden; in der Erwägung, dass die Beteiligung Algeriens an dem Referendum mit einer offiziellen Wahlbeteiligung von 23,7 % den Tiefstand seit dem Erringen seiner Unabhängigkeit im Jahr 1962 erreicht hat; in der Erwägung, dass die neue Verfassung von 66,8 % der Wähler offiziell gebilligt wurde; in der Erwägung, dass die Ratifikation der neuen Verfassung bis zur Rückkehr des Präsidenten nach Algerien noch aussteht;

O.  in der Erwägung, dass die in Artikel 54 der überarbeiteten Verfassung offiziell verankerte Pressefreiheit weiterhin, wie in der vorherigen algerischen Verfassung vorgesehen, von der Achtung der Traditionen und der religiösen, moralischen und kulturellen Werte der Nation abhängt; in der Erwägung, dass derartige Einschränkungen der Pressefreiheit gegen den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte verstoßen, den Algerien ratifiziert hat; in der Erwägung, dass in der Allgemeinen Bemerkung Nr. 34 des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen erklärt wird, dass Medienunternehmen nicht dafür bestraft werden können, dass sie ein politisches oder soziales System kritisieren; in der Erwägung, dass die Überarbeitung auch eine gefährliche Änderung mit sich bringt, indem sie die politische Rolle und die Befugnisse der Armee in die Verfassung aufnimmt; in der Erwägung, dass die Verfassungsreform außerdem den Einfluss des Präsidenten auf alle öffentlichen Institutionen, einschließlich der Justiz, aufrechterhält;

P.  in der Erwägung, dass der Nationale Richterverband (SNM) die allgegenwärtige und missbräuchliche Anwendung der Untersuchungshaft durch die algerischen Behörden angeprangert hat; in der Erwägung, dass gegen Angehörige der Justiz berufliche Sanktionen verhängt wurden, nachdem sie friedliche Aktivisten freigesprochen oder von den Exekutivbehörden die Achtung der Unabhängigkeit der Justiz gefordert hatten;

Q.  in der Erwägung, dass Algerien im Jahr 2020 auf der Rangliste der Pressefreiheit der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ auf Platz 146 von 180 Plätzen rangiert und damit im Vergleich zu 2019 um fünf Plätze schlechter und im Vergleich zu 2015 um 27 Plätze schlechter abschneidet;

R.  in der Erwägung, dass Algerien ein wichtiger Partner der Europäischen Union im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik ist und dass das Land und die Region für die EU in politischer, wirtschaftlicher und zwischenmenschlicher Hinsicht wichtig sind; in der Erwägung, dass die Prioritäten der Partnerschaft zwischen der EU und Algerien Ausdruck eines gemeinsamen Bekenntnisses zu den universellen Werten der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte sind;

1.  verurteilt aufs Schärfste den Anstieg willkürlicher und unrechtmäßiger Verhaftungen, Inhaftierungen und gerichtlicher Schikanen gegenüber Journalisten, Menschenrechtsverteidigern, Gewerkschaftern, Rechtsanwälten, der Zivilgesellschaft und friedlichen Aktivisten in Algerien, der jeglichen politischen Dialog über die undemokratische Verfassungsänderung und die Ausübung der Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit verhinderte; verurteilt die Einführung von Sofortmaßnahmen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie, die als Vorwand für die Einschränkung der Grundrechte der algerischen Bevölkerung genutzt wird;

2.  fordert die algerischen Staatsorgane auf, Mohamed Khaled Drareni und all jene, die wegen der Ausübung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung im Internet und offline und ihres Rechts auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit inhaftiert und angeklagt sind – einschließlich Yacine Mebarki, Abdellah Benaoum, Mohamed Tadjadit, Abdelkrim Zeghileche, Walid Kechida, Brahim Laalami, Aissa Chouha, Zoheir Kaddam, Walid Nekkiche, Nourreddine Khimoud und Hakim Addad –, unverzüglich und bedingungslos freizulassen; bekräftigt die Forderung der Hohen Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Michelle Bachelet, angesichts der COVID-19-Pandemie alle politischen Gefangenen sowie die aufgrund kritischer Äußerungen Inhaftierten schnellstens freizulassen; fordert die algerischen Staatsorgane auf, die Blockade der Medien zu beenden und der Festnahme und Inhaftierung von politischen Aktivisten, Journalisten und Menschenrechtsverteidigern oder von Personen, die eine abweichende Haltung oder Kritik der Regierung zum Ausdruck bringen, ein Ende zu machen;

3.  weist darauf hin, dass die Meinungsfreiheit, darunter auch die Freiheit von Journalisten und Bürgerjournalisten, über Proteste und andere Ausdrucksformen von Unzufriedenheit mit der Regierung oder den öffentlichen Institutionen oder bestimmten Personen zu berichten und sie zu analysieren und zu kommentieren, grundlegend für einen umfassenden demokratischen politischen Wandel ist;

4.  drückt seine Solidarität mit allen algerischen Bürgerinnen und Bürgern aus – mit Frauen und Männern unterschiedlicher geografischer, gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und ethnischer Herkunft –, die seit Februar 2019 friedlich für einen Staat unter ziviler Kontrolle, Volkssouveränität, die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit, soziale Gerechtigkeit und die Gleichstellung der Geschlechter demonstrieren; fordert die staatlichen Stellen Algeriens auf, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Korruption zu bekämpfen;

5.  fordert die staatlichen Stellen Algeriens erneut auf, jeder Form von Einschüchterung, gerichtlichen Schikanen, Kriminalisierung oder willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen von kritischen Journalisten, Bloggern, Menschenrechtsverteidigern, Rechtsanwälten und Aktivisten zu beenden und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Recht, sich frei und friedlich mit anderen zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen, , die Freiheit der Medien sowie die Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Glaubensfreiheit, die von der algerischen Verfassung und dem von Algerien unterzeichneten IPBPR geschützt sind, für alle Menschen in Algerien zu schützen und zu achten; verurteilt jede Art der übermäßigen Anwendung von Gewalt durch Angehörige der Sicherheitskräfte bei der Auflösung friedlicher Proteste; fordert die staatlichen Stellen Algeriens erneut auf, unabhängige Untersuchungen aller Fälle durchzuführen, in denen es zu übermäßiger Gewaltanwendung durch Angehörige der Sicherheitskräfte kam, und alle Täter zur Rechenschaft zu ziehen; fordert die staatlichen Stellen Algeriens ferner auf, ihren internationalen Verpflichtungen gemäß dem UNCAT nachzukommen;

6.  weist darauf hin, dass einige politische Aktivisten, wie etwa die bekannten Oppositionellen Karim Tabbou, Mustapha Bendjema und Khaled Tazaghart, vorläufig freigelassen wurden, seitdem das Parlament seine Entschließung vom 28. November 2019 angenommen hat;

7.  fordert die staatlichen Stellen Algeriens auf, mit der Verabschiedung neuer Gesetze, die den internationalen Normen umfassend entsprechen und keine nach dem Völkerrecht, insbesondere nach den von Algerien ratifizierten Übereinkommen, wie etwa denen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), ungesetzmäßigen Ausnahmen vorsehen, für die Schaffung eines zivilgesellschaftlichen Freiraums zu sorgen, der einen echten politischen Dialog ermöglicht und in dem die Wahrnehmung der Grundfreiheiten nicht als Straftatbestand gilt; hebt hervor, dass dieser zivilgesellschaftliche Freiraum eine Voraussetzung für ein demokratisches und von zivilen Kräften geleitetes Algerien ist; äußert sein Bedauern darüber, dass ausländische Berichterstatter weiterhin administrative Hürden und Schikanen überwinden müssen, um Pressevisa zu erhalten und im Land arbeiten zu können;

8.  weist darauf hin, dass die Achtung der Grundsätze der Demokratie und der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgehaltenen Grundrechte ein wesentlicher Bestandteil des 2005 geschlossenen Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Algerien ist; hebt hervor, dass im Verlauf des derzeitigen politischen Wandels dafür Sorge getragen muss, dass alle Algerier, unabhängig von ihrem Geschlecht und ihrer geografischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ethnischen Herkunft, auch die Imazighen, das Recht haben, sich umfassend am demokratischen Prozess und an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten zu beteiligen, etwa indem die Tendenz umgekehrt wird, dass der Raum für eine unabhängige Zivilgesellschaft, Journalismus und politischen Aktivismus immer enger wird;

9.   äußert Bedenken angesichts restriktiver neuer Gesetze, wie etwa Gesetz 20-06, mit dem die Verbreitung von „Falschmeldungen“, die den öffentlichen Ruf von Staatsbeamten und die Finanzierung von Vereinigungen schädigen, in willkürlicher Weise zu Straftatbestand erklärt wird; hebt hervor, dass dieses Gesetz mehrere Bestimmungen enthält, die die internationalen Normen hinsichtlich des Rechts auf freie Meinungsäußerung und der Vereinigungsfreiheit, wie etwa Artikel 19 und Artikel 22 des IPBPR, verletzen;

10.  fordert die staatlichen Stellen Algeriens auf, das geltende restriktive Gesetz 12-06 über Vereinigungen aus dem Jahr 2012 und das geltende restriktive Gesetz 91-19 über öffentliche Zusammenkünfte und Demonstrationen aus dem Jahr 1991, das eine Vorabgenehmigung vorsieht, zu überarbeiten und dafür Sorge zu tragen, dass die zuständigen Verwaltungsbehörden den Organisationen der Zivilgesellschaft, nichtstaatlichen Organisationen sowie religiösen und karitativen Organisationen, die eine erneute Registrierung beantragt haben, unverzüglich eine Registrierungsbescheinigung ausstellen;

11.  äußert sein Bedauern über die im April 2020 erfolgten Änderungen des algerischen Strafrechts, mit denen die Pressefreiheit, das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Vereinigungsfreiheit eingeschränkt wurden; fordert die staatlichen Stellen Algeriens auf, das Strafgesetzbuch und insbesondere dessen Artikel 75, 79, 95 a, 98, 100, 144, 144 bis, 144 bis 2, 146 und 196 bis im Einklang mit dem IPBPR und der ACHPR so zu überarbeiten, dass die Wahrnehmung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und des Rechts auf friedliche Versammlung und Vereinigung nicht länger ein Straftatbestand sind;

12.  begrüßt die Tatsache, dass mit Artikel 4 und Artikel 223 der überarbeiteten Verfassung der Status von Tamazight als National- und Amtssprache gestärkt wird; hebt hervor, dass derartige Erklärungen nicht dazu dienen dürfen, die strukturellen Probleme der Tamazight zu missachten oder die Hirak-Bewegung zu spalten; fordert die staatlichen Stellen Algeriens auf, für die rechtliche Gleichstellung der Verwendung von Arabisch und Tamazight Sorge zu tragen; fordert die algerische Regierung auf, das Verbot der Berberflagge aufzuheben und sofort alle Personen freizulassen, die sich aufgrund des Zeigens von Berbersymbolen in Haft befinden;

13.  unterstützt die algerischen Rechtsanwälte und Angehörigen anderer Rechtsberufe, die trotz der herrschenden Umstände und der bestehenden Risiken unbeirrt bemüht sind, die höchsten juristischen Standards zu wahren; fordert die staatlichen Stellen Algeriens auf, die Unabhängigkeit der Justiz und die Unparteilichkeit des Justizwesens in umfassender Weise sicherzustellen und Einschränkungen, unangemessene Beeinflussung, Druck, Drohungen oder Eingriffe jeder Art in Bezug auf Entscheidungen oder andere Angelegenheiten der Justiz zu unterlassen und zu verbieten;

14.  fordert die staatlichen Stellen Algeriens auf, sowohl die umfassende Rechenschaftspflicht der Streitkräfte und die zivile und demokratische Aufsicht über diese wie auch ihre wirksame Unterordnung unter eine rechtmäßig eingesetzte zivile Behörde sicherzustellen und dafür Sorge zu tragen, dass die Rolle der Streitkräfte in der Verfassung in angemessener Weise bestimmt und ausdrücklich auf Angelegenheiten der Landesverteidigung beschränkt wird;

15.  fordert die staatlichen Stellen Algeriens auf, internationalen Menschenrechtsorganisationen und den Sonderverfahren der Vereinten Nationen Zugang zum Land zu gewähren;

16.  äußert sich besorgt über die administrativen Hürden, mit denen religiöse Minderheiten in Algerien zu kämpfen haben, insbesondere aufgrund der Verordnung Nr. 06-03; fordert die algerische Regierung auf, die Verordnung Nr. 06-03 zu überarbeiten und mit der Verfassung und ihren internationalen Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte, insbesondere mit Artikel 18 des IPBPR, in Einklang zu bringen; fordert die Achtung der Freiheit der Religionsausübung für alle religiösen Minderheiten;

17.  geht davon aus, dass die EU die Lage der Menschenrechte insbesondere im Verlauf der geplanten Tagung des Assoziationsrats EU-Algerien in das Zentrum ihrer Beziehungen zu den staatlichen Stellen Algeriens stellen wird; fordert den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) auf, ein Verzeichnis der besonders besorgniserregenden Fälle anzulegen und zu führen, zu denen etwa die in der vorliegenden Entschließung genannten gehören, und dem Parlament regelmäßig über die Fortschritte bei der Lösung dieser Fälle Bericht zu erstatten;

18.  fordert den EAD, die Kommission und die Mitgliedstaaten sowie den Sonderbeauftragten der Europäischen Union für Menschenrechte auf, zivilgesellschaftliche Gruppen, Menschenrechtsverteidiger, Journalisten und Protestierende zu unterstützen, etwa durch eine entschiedenere öffentliche Haltung hinsichtlich der Wahrung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit in Algerien, indem sie Menschenrechtsverletzungen in eindeutiger Weise öffentlich anprangern, von den staatlichen Stellen die Freilassung willkürlich Inhaftierter und die Beendigung der übertrieben häufigen Anwendung der Untersuchungshaft fordern, Zugang zu Inhaftierten fordern und Prozesse gegen Aktivisten, Journalisten und Menschenrechtsverteidiger beobachten und indem sie die Menschenrechtslage in Algerien mithilfe aller zur Verfügung stehenden Mittel genau beobachten;

19.  hebt hervor, dass die Beziehungen zwischen der EU und Algerien von großer Bedeutung sind und Algerien ein wichtiger Nachbar und Partner ist; weist darauf hin, dass eine belastbare und vertiefte Beziehung zwischen der EU und Algerien von großer Bedeutung ist, und bekräftigt seine Zusage, diese Beziehung auf der Grundlage einer umfassenden Achtung der gemeinsamen Werte wie Achtung der Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit der Medien zu fördern;

20.  beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Vizepräsidenten der Kommission und Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, dem Rat, der Kommission, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten, der Delegation der Europäischen Union in Algier, der Regierung Algeriens, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen und dem Europarat zu übermitteln.

(1) Angenommene Texte, P9_TA(2019)0072.
(2) Angenommene Texte, P8_TA(2015)0188.

Letzte Aktualisierung: 26. Februar 2021Rechtlicher Hinweis - Datenschutzbestimmungen