Entschließung des Europäischen Parlaments vom 9. Juni 2022 zu der Forderung nach einem Konvent zur Überarbeitung der Verträge (2022/2705(RSP))
Das Europäische Parlament,
– gestützt auf Artikel 48 des Vertrags über die Europäische Union (EUV),
⎯ unter Hinweis auf den Bericht über das Endergebnis der Konferenz zur Zukunft Europas (im Folgenden „Konferenz“) vom 9. Mai 2022,
⎯ unter Hinweis auf seine Entschließung vom 4. Mai 2022 zu den Folgemaßnahmen zu der Konferenz zur Zukunft Europas(1),
⎯ unter Hinweis auf seine Entschließungen vom 16. Februar 2017 zu möglichen Entwicklungen und Anpassungen der derzeitigen institutionellen Struktur der Europäischen Union(2) und vom 13. Februar 2019 zum Stand der Debatte über die Zukunft Europas(3),
– gestützt auf Artikel 132 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass die derzeitige Fassung der Verträge am 1. Dezember 2009 in Kraft getreten ist und dass die Europäische Union seither mit mehreren Krisen und beispiellosen Herausforderungen konfrontiert war;
B. in der Erwägung, dass die Konferenz am 9. Mai 2022 ihre Arbeit abgeschlossen und ihre Schlussfolgerungen vorgelegt hat, die 49 Vorschläge und 326 Maßnahmen enthalten;
C. in der Erwägung, dass neben Legislativvorschlägen auch die Einleitung eines Prozesses institutioneller Reformen erforderlich ist, um die aus dem Prozess der Bürgerbeteiligung hervorgegangenen Empfehlungen umzusetzen und die entsprechenden Erwartungen zu erfüllen;
D. in der Erwägung, dass neue Strategien und in einigen Fällen Vertragsänderungen notwendig sind, und zwar nicht als Selbstzweck, sondern im Interesse aller EU-Bürger, da sie darauf abzielen, die EU so umzugestalten, dass ihre Handlungsfähigkeit sowie ihre demokratische Legitimität und Rechenschaftspflicht gestärkt werden;
1. begrüßt die Schlussfolgerungen der Konferenz vom 9. Mai 2022;
2. weist darauf hin, dass sich das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission im Einklang mit dem Gründungsdokument der Konferenz verpflichtet haben, im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten und im Einklang mit den Verträgen wirksame Folgemaßnahmen zu den Schlussfolgerungen der Konferenz zu ergreifen;
3. weist darauf hin, dass mehrere Vorschläge der Konferenz Änderungen der Verträge erfordern und dass der Ausschuss für konstitutionelle Fragen des Parlaments entsprechende Vorschläge für Vertragsänderungen ausarbeiten wird;
4. weist insbesondere nach den jüngsten Krisen darauf hin, dass die Verträge dringend geändert werden müssen, um sicherzustellen, dass die Union auf künftige Krisen wirksamer reagieren kann;
5. legt dem Rat aus diesen Gründen im Rahmen des ordentlichen Änderungsverfahrens nach Artikel 48 EUV unter anderem die folgenden Vorschläge für Änderungen der Verträge vor:
–
Stärkung der Handlungsfähigkeit der Union durch eine Reform der Abstimmungsverfahren, einschließlich der Einführung der Beschlussfassung im Rat mit qualifizierter Mehrheit anstelle der Einstimmigkeit in den einschlägigen Bereichen wie der Annahme von Sanktionen und sogenannten Überleitungsklauseln sowie in Notfällen;
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Anpassung der der Union in den Verträgen übertragenen Zuständigkeiten, insbesondere in den Bereichen Gesundheit und grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren, bei der Vollendung der Energieunion auf der Grundlage von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien, die im Einklang mit internationalen Übereinkommen zur Eindämmung des Klimawandels konzipiert wurde, in der Verteidigung sowie in der Sozial- und Wirtschaftspolitik; Gewährleistung, dass die europäische Säule sozialer Rechte vollständig umgesetzt wird, und Aufnahme des sozialen Fortschritts in Artikel 9 AEUV, der mit einem Protokoll über den sozialen Fortschritt verbunden ist, in die Verträge; Unterstützung der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit der EU-Wirtschaft unter besonderer Berücksichtigung kleiner und mittlerer Unternehmen und Check-ups der Wettbewerbsfähigkeit sowie Förderung zukunftsorientierter Investitionen mit Schwerpunkt auf einem gerechten, ökologischen und digitalen Wandel zu fördern;
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Ausstattung des Parlaments mit uneingeschränkten Mitentscheidungsrechten in Bezug auf den EU-Haushalt und mit dem Recht der gesetzgeberischen Initiative sowie der Änderung oder Aufhebung von Rechtsvorschriften;
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Stärkung des Verfahrens zum Schutz der Werte, auf die sich die EU gründet, und Klärung der Feststellung und der Folgen von Verletzungen der Grundwerte (Artikel 7 EUV und Charta der Grundrechte der Europäischen Union);
6. schlägt insbesondere vor, die folgenden Artikel der Verträge wie folgt zu ändern:
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Artikel 29 EUV "„Der Rat erlässt Beschlüsse, in denen der Standpunkt der Union zu einer bestimmten Frage geografischer oder thematischer Art bestimmt wird. Sieht ein Beschluss die vollständige oder teilweise Unterbrechung oder Einschränkung der wirtschaftlichen und finanziellen Beziehungen zu einem oder mehreren Drittländern vor, so beschließt der Rat mit qualifizierter Mehrheit. Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass ihre einzelstaatliche Politik mit den gemeinsamen Standpunkten in Einklang steht.“"
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Artikel 48 Absatz 7 Unterabsatz 4 EUV "„Der Europäische Rat erlässt diese Beschlüsse mit qualifizierter Mehrheit gemäß Artikel 238 Absatz 3 Buchstabe b des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union nach Zustimmung des Europäischen Parlaments, das mit der Mehrheit seiner Mitglieder beschließt.“"
7. fordert den Rat auf, diese Vorschläge direkt dem Europäischen Rat zur Prüfung vorzulegen, damit ein Konvent einberufen werden kann, der sich aus Vertretern der nationalen Parlamente, der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten, des Parlaments und der Kommission zusammensetzt;
8. ist der Ansicht, dass Vertreter der Sozialpartner der EU, des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, des Europäischen Ausschusses der Regionen, der Zivilgesellschaft der EU und der Bewerberländer als Beobachter zum Konvent eingeladen werden sollten;
9. beauftragt seine Präsidentin, diese Entschließung dem Rat und der Kommission sowie den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten zu übermitteln.