Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. September 2023 zu Guatemala: die Lage nach den Wahlen, Rechtsstaatlichkeit und Unabhängigkeit der Justiz (2023/2831(RSP))
Das Europäische Parlament,
– gestützt auf Artikel 144 Absatz 5 und Artikel 132 Absatz 4 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass das Oberste Wahlgericht Guatemalas am 28. August 2023 die offiziellen Ergebnisse friedlicher und gut organisierter Wahlen bekannt gegeben und den klaren Sieg von Bernardo Arévalo und Karin Herrera, die beide der Partei Movimiento Semilla angehören, als gewählter Präsident bzw. gewählte Vizepräsidentin Guatemalas erklärt hat;
B. in der Erwägung, dass Präsident Giammattei die Ergebnisse anerkannt und öffentlich einen geordneten Übergang und eine geordnete Machtübergabe am 14. Januar 2024 gefordert hat;
C. in der Erwägung, dass die Partei Movimiento Semilla seit dem 12. Juli 2023 selektiven und willkürlichen rechtlichen und verfahrenstechnischen Maßnahmen des Staatsanwalts ausgesetzt ist, der der EU-Wahlbeobachtungsmission zufolge das Recht und die Möglichkeit gefährdet hat, an echten Wahlen teilzunehmen und den Willen der Wähler zu achten; in der Erwägung, dass die Partei Movimiento Semilla am 28. August 2023 vom Bürgerregister des Obersten Wahlgerichts erneut vorläufig suspendiert wurde, wobei die Suspendierung am 3. September 2023 vom Obersten Wahlgericht bis zum 31. Oktober 2023 vorübergehend aufgehoben wurde;
D. in der Erwägung, dass einige Angehörige der Justiz und der Generalstaatsanwaltschaft (Ministerio Público) in den Wahlprozess eingegriffen haben; in der Erwägung, dass mehrere Staatsanwälte des Ministerio Público auf der von den Vereinigten Staaten geführten „Engel List“ stehen, darunter Generalstaatsanwältin María Consuelo Porras, José Rafael Curruchiche, Leiter der Sonderstaatsanwaltschaft des Ministerio Público gegen Straflosigkeit (FECI), und der Richter Fredy Orellana;
1. beglückwünscht Bernardo Arévalo und Karin Herrera zu ihrer Wahl; fordert alle staatlichen Institutionen und Bereiche der Gesellschaft auf, wie von Präsident Giammattei gefordert einen geordneten Übergang und eine geordnete Machtübergabe zu unterstützen,
2. verurteilt aufs Schärfste die kürzlich von der FECI in den Räumlichkeiten des Obersten Wahlgerichts durchgeführten Razzien, das Öffnen von Kästen mit Stimmzetteln, die bei der Parlamentswahl im vergangenen Juni abgegeben wurden, und die Beschlagnahme von Computermaterial im Zusammenhang mit der Übermittlung vorläufiger Wahlergebnisse, wodurch die Integrität des Wahlprozesses und des Justizsystems verletzt wurde; verurteilt, dass sich diese Ereignisse gegen den Willen des Obersten Wahlgerichts ereignet haben, das während des laufenden Wahlprozesses die oberste Instanz in diesen Angelegenheiten ist; ist besonders besorgt über einen möglichen Zusammenbruch der verfassungsmäßigen Ordnung in Guatemala;
3. bedauert die anhaltenden Versuche, die Partei Movimiento Semilla zu suspendieren; verurteilt alle und insbesondere die vom Ministerio Público ergriffenen Maßnahmen, die dazu dienen sollen, die Wahlergebnisse aufzuheben, sowie die fortgesetzten Schritte zur Kriminalisierung unabhängiger Justizbeamter und die Instrumentalisierung von Justiz- und Strafverfolgungsbehörden zum Zwecke der Untergrabung der Rechtsstaatlichkeit und fordert ein Ende dieser Handlungen;
4. fordert alle politischen Parteien, Regierungsstellen und Institutionen Guatemalas auf, die Integrität des Wahlprozesses und das Wahlergebnis, wie es von den Bürgern Guatemalas mit ihren Stimmen klar zum Ausdruck gebracht wurde, zu achten und ihre bürgerlichen und politischen Rechte – einschließlich des Schutzes gewählter Amtsträger – im Einklang mit den internationalen und regionalen Standards und den nationalen Gesetzen zu garantieren;
5. bringt seine Besorgnis über die willkürliche Inhaftierung von Staatsanwälten, Richtern, unabhängigen Journalisten, Menschenrechtsverteidigern und ehemaligen Funktionären der Internationalen Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala zum Ausdruck; fordert nachdrücklich die unverzügliche und bedingungslose Freilassung von Virginia Laparra, ihrer Rechtsanwältin Claudia González und aller willkürlich inhaftierten Personen;
6. weist darauf hin, dass die Achtung der Unabhängigkeit der Justiz, politischer Pluralismus und das Recht auf freie Meinungsäußerung Grundrechte und wesentliche Säulen der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit sind;
7. fordert die EU-Wahlbeobachtungsmission, den EAD, die Mitgliedstaaten und die EU-Delegation auf, die Lage in Guatemala weiter zu beobachten, bis klare und ernsthafte Garantien dafür bestehen, dass der durch die Wahlen zum Ausdruck gebrachte Wille der Bevölkerung respektiert wird; fordert die staatlichen Stellen auf, die in Kürze vorliegenden Empfehlungen der Wahlbeobachtungsmission umzusetzen;
8. beauftragt seine Präsidentin, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, dem Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsidenten der Kommission, der Organisation Amerikanischer Staaten, den Vereinten Nationen, den Staatsorganen Guatemalas und dem Zentralamerikanischen Parlament (PARLACEN) zu übermitteln.