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Verfahren : 2024/2655(RSP)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument : B9-0205/2024

Eingereichte Texte :

B9-0205/2024

Aussprachen :

Abstimmungen :

PV 11/04/2024 - 7.66
CRE 11/04/2024 - 7.66

Angenommene Texte :

P9_TA(2024)0286

Angenommene Texte
PDF 159kWORD 55k
Donnerstag, 11. April 2024 - Brüssel
Aufnahme des Rechts auf Abtreibung in die Charta der Grundrechte der EU
P9_TA(2024)0286B9-0205/2024

Entschließung des Europäischen Parlaments vom 11. April 2024 zu der Aufnahme des Rechts auf Abtreibung in die Charta der Grundrechte der EU (2024/2655(RSP))

Das Europäische Parlament,

–  unter Hinweis auf die Europäische Menschenrechtskonvention von 1950,

–  unter Hinweis auf das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau aus dem Jahr 1979,

–  unter Hinweis auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) von 2000,

–  unter Hinweis auf seine Entschließung vom 13. Februar 2019 zur Erfahrung von Gegenreaktionen gegen die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter in der EU(1),

–  unter Hinweis auf seine Entschließung vom 14. November 2019 zur Kriminalisierung der Sexualerziehung in Polen(2),

–  unter Hinweis auf seine Entschließung vom 26. November 2020 zu der De-facto-Abschaffung des Rechts auf Abtreibung in Polen(3),

–  unter Hinweis auf seine Entschließung vom 11. November 2021 zum ersten Jahrestag des De-facto-Abtreibungsverbots in Polen(4),

–  unter Hinweis auf seine Entschließung vom 24. Juni 2021 zu der Lage im Hinblick auf die sexuelle und reproduktive Gesundheit und die damit verbundenen Rechte in der EU im Zusammenhang mit der Gesundheit von Frauen(5),

–  unter Hinweis auf seine Entschließung vom 5. Mai 2022 zu den Auswirkungen des Krieges gegen die Ukraine auf Frauen(6),

–  unter Hinweis auf seine Entschließung vom 9. Juni 2022 zu weltweiten Bedrohungen des Rechts auf Abtreibung: die mögliche Aufhebung des Rechts auf Abtreibung in den USA durch den Obersten Gerichtshof(7),

–  unter Hinweis auf seine Entschließung vom 7. Juli 2022 zu der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA, das Recht auf Abtreibung in den Vereinigten Staaten zu kippen, und zu der Notwendigkeit, das Recht auf Abtreibung zu bewahren und die Gesundheit der Frauen in der EU zu schützen(8),

–  unter Hinweis auf seine Entschließung vom 22. November 2023 zu Vorschlägen des Europäischen Parlaments zur Änderung der Verträge(9),

–  unter Hinweis auf die Leitlinien der WHO mit dem Titel „Safe abortion: technical and policy guidance for health systems“ (Sichere Abtreibung: technische und politische Leitlinien für Gesundheitssysteme),

–  unter Hinweis auf die Strategie der WHO 2017-2021 zur Gesundheit und zum Wohlbefinden von Frauen in Europa: Über den Mortalitätsvorteil hinaus und unter Hinweis auf den Aktionsplan von 2016 für sexuelle und reproduktive Gesundheit: Auf dem Weg zur Verwirklichung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung in Europa – Niemanden zurücklassen,

–  unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 5. März 2020 mit dem Titel „Eine Union der Gleichheit: Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter 2020-2025“ (COM(2020)0152),

–  unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 12. November 2020 mit dem Titel „Eine Union der Gleichheit: Strategie für die Gleichstellung von LGBTIQ-Personen 2020-2025“ (COM(2020)0698),

–  unter Hinweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte,

–  unter Hinweis auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR),

–  unter Hinweis auf das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, das am 11. Mai 2011 in Istanbul zur Unterzeichnung ausgelegt wurde (im Folgenden: Übereinkommen von Istanbul) und am 28. Juni 2023 von der EU ratifiziert wurde,

–  unter Hinweis auf die Allgemeine Bemerkung Nr. 36 (2018) des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen zu Artikel 6 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte über das Recht auf Leben,

–  unter Hinweis auf seine Entschließung vom 18. Januar 2024 über die Lage der Grundrechte in der Europäischen Union – Jahresbericht für die Jahre 2022 und 2023(10),

–  unter Hinweis auf seine Entschließung vom 28. Februar 2024 „Bericht über den Bericht der Kommission über die Rechtsstaatlichkeit 2023“(11),

–  gestützt auf Artikel 132 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

A.  in der Erwägung, dass der Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheit und die damit verbundenen Rechte, einschließlich sicherer und legaler Abtreibung, ein Grundrecht sind; in der Erwägung, dass die Verwirklichung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der damit verbundenen Rechte von wesentlicher Bedeutung für die Wahrung der Menschenwürde ist und untrennbar mit der Bekämpfung sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt und der Verwirklichung der Gleichstellung der Geschlechter und einer Vielzahl anderer Menschenrechte wie dem Recht einer Person auf Leben, Gesundheit, Privatsphäre, Sicherheit der Person, Nichtdiskriminierung, Gleichheit vor dem Gesetz und Verbot von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe verbunden ist;

B.  in der Erwägung, dass die Fähigkeit der Menschen, ihre reproduktive Autonomie auszuüben, über ihr reproduktives Leben zu bestimmen und zu entscheiden, ob, wann und wie sie Kinder bekommen, von wesentlicher Bedeutung für die vollständige Verwirklichung der Menschenrechte von Frauen, Mädchen und allen Personen, die schwanger werden können, ist; in der Erwägung, dass die körperliche Integrität einer Person, ihre Entscheidungsfreiheit und folglich ihre vollständige Autonomie gewahrt werden müssen;

C.  in der Erwägung, dass in der Charta die wichtigsten Grundrechte und -freiheiten der in der EU lebenden Menschen verankert sind; in der Erwägung, dass der Schutz eines sicheren und legalen Schwangerschaftsabbruchs unmittelbare Auswirkungen auf die wirksame Ausübung der in der Charta anerkannten Rechte wie Menschenwürde, persönliche Autonomie, Gleichheit, Gesundheit und geistige und körperliche Unversehrtheit hat; in der Erwägung, dass die Verweigerung des Zugangs zu Schwangerschaftsabbrüchen eine Verletzung dieser Grundrechte darstellt;

D.  in der Erwägung, dass der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen ausdrücklich anerkannt hat, dass die Entscheidung einer Person, eine Schwangerschaft freiwillig zu beenden, in den Anwendungsbereich des Rechts auf Privatsphäre fällt; in der Erwägung, dass der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen ferner festgestellt hat, dass es eine Verletzung des Rechts auf Privatsphäre darstellt, wenn es unterlassen wird, im Einklang mit der Entscheidung einer Frau, legal abzutreiben, zu handeln, auch wenn die Justiz in eine solche Entscheidung eingreift;

E.  in der Erwägung, dass der Ausschuss der Vereinten Nationen für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau (CEDAW) in seiner Allgemeinen Empfehlung Nr. 35 ausdrücklich erklärt hat, dass die Kriminalisierung von Abtreibungen eine Verletzung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der damit verbundenen Rechte von Frauen und eine Form geschlechtsspezifischer Gewalt darstellt, und die Staaten nachdrücklich aufgefordert hat, alle Rechtsvorschriften aufzuheben, mit denen Abtreibungen unter Strafe gestellt werden;

F.  in der Erwägung, dass die sexuelle und reproduktive Gesundheit und die damit verbundenen Rechte zu den Zielen der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung gehören, insbesondere Ziel 3.7, mit dem ein universeller Zugang zu Diensten im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit, einschließlich in Bezug auf Familienplanung, Information und Bildung, und die Einbeziehung der reproduktiven Gesundheit in nationale Strategien und Programme gefordert wird, und Ziel 5.6, mit dem darauf hingewiesen wird, dass der universelle Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheit und den damit verbundenen Rechten sichergestellt werden muss, wie es im Einklang mit dem Aktionsprogramm der Internationalen Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung und der Aktionsplattform von Peking und den Abschlussdokumenten der jeweiligen Überprüfungskonferenzen vereinbart wurde;

G.  in der Erwägung, dass Länder mit weniger restriktiven Abtreibungsgesetzen im Allgemeinen niedrigere Abtreibungsquoten aufweisen als Länder mit sehr restriktiven Abtreibungsgesetzen(12); in der Erwägung, dass der Zugang zu umfassender, altersgerechter und evidenzbasierter Sexual- und Beziehungserziehung für alle sowie zu hochwertiger, zugänglicher, sicherer und kostenloser Beratung zu Verhütung und Familienplanung von entscheidender Bedeutung ist, wenn es darum geht, uneingeschränkte körperliche Autonomie sicherzustellen, wozu auch gehört, die Anzahl ungeplanter Schwangerschaften zu verringern und Menschen in die Lage zu versetzen, fundierte Entscheidungen über ihr Leben und ihren Körper zu treffen; in der Erwägung, dass eine umfassende altersgemäße Sexualaufklärung von entscheidender Bedeutung für den Aufbau der Fähigkeit von Kindern und Jugendlichen ist, gesunde, gleichberechtigte und sichere Beziehungen aufzubauen, indem insbesondere Themen wie Geschlechternormen, die Gleichstellung der Geschlechter, Machtdynamiken innerhalb von Beziehungen und Einverständnis sowie Achtung von Grenzen angesprochen werden; in der Erwägung, dass sie auch zur Verwirklichung der Gleichstellung der Geschlechter beiträgt;

H.  in der Erwägung, dass der französische Gesetzgeber in einer wegweisenden Abstimmung vom 4. März 2024 das Recht in der französischen Verfassung verankert hat, frei über eine Abtreibung zu entscheiden; in der Erwägung, dass Frankreich das erste Land der Welt ist, das Abtreibung ausdrücklich zu einem verfassungsmäßigen Recht erklärt hat; in der Erwägung, dass diese Verfassungsänderung darauf abzielt, vor dem Hintergrund der Rückschritte im Hinblick auf Abtreibungsrechte in der EU und weltweit, einschließlich den USA, Polen, Ungarn und Malta, einen Schutz zu schaffen; in der Erwägung, dass die Arbeit und das Engagement feministischer Organisationen und Abgeordneter in Frankreich von entscheidender Bedeutung waren, um eine Mehrheit für den verfassungsrechtlichen Schutz des Rechts auf Abtreibung sicherzustellen;

I.  in der Erwägung, dass seit der Aufnahme des Rechts auf Abtreibung in die französische Verfassung in anderen Ländern wie Spanien und Schweden bereits ähnliche Initiativen in Betracht gezogen wurden, was zeigt, dass auf EU-Ebene auf Rückschritte bei der Gleichstellung der Geschlechter und im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der damit verbundenen Rechte reagiert werden muss und die Rechte, die angegriffen werden, verfassungsrechtlich geschützt werden müssen;

J.  in der Erwägung, dass mit positiven Gesetzesänderungen finanzielle Unterstützung einhergehen muss, damit das Recht auf Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen verwirklicht wird;

K.  in der Erwägung, dass die EU zwar einige der weltweit höchsten Standards im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der damit verbundenen Rechte hat, Frauen und Mitglieder der LGBTIQ+-Gemeinschaft aber nach wie vor mit Hindernissen konfrontiert sind, wenn es darum geht, ihre körperliche Autonomie wahrzunehmen; in der Erwägung, dass diese Hindernisse rechtlicher, politischer, finanzieller, kultureller oder informationsbezogener Natur sein können;

L.  in der Erwägung, dass es in einigen Mitgliedstaaten nach wie vor sehr restriktive Gesetze gibt, die Abtreibungen außer unter genau festgelegten Umständen verbieten, was dazu führt, dass Frauen unter unsicheren und lebensbedrohlichen Umständen abtreiben, in andere Länder reisen oder ihre Schwangerschaft gegen ihren Willen zu Ende führen müssen, was eine Verletzung ihrer Menschenrechte und eine Form geschlechtsspezifischer Gewalt darstellt; in der Erwägung, dass einige Mitgliedstaaten, die die Abtreibung auf Verlangen oder aus allgemeinen sozialen Gründen legalisiert haben, weiterhin spezifische strafrechtliche Sanktionen für Abtreibungen beibehalten, die außerhalb des Geltungsbereichs der geltenden Rechtsvorschriften durchgeführt werden;

M.  in der Erwägung, dass mehrere Mitgliedstaaten derzeit versuchen, den Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheit und den damit verbundenen Rechten durch sehr restriktive Gesetze weiter zu beschränken, was zu einem beschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung und geschlechtsspezifischer Diskriminierung und Gewalt führt; in der Erwägung, dass diese Initiativen und diese Rückschritte die Verwirklichung der Rechte der Menschen und die Entwicklung der Länder behindern sowie die Demokratie, die europäischen Werte und die Grundrechte untergraben;

N.  in der Erwägung, dass koordinierte und gut finanzierte Initiativen im Hinblick auf Rückschritte bei der Gleichstellung der Geschlechter, der Vielfalt von LGBTIQ+-Personen und dem Feminismus weltweit erfolgen; in der Erwägung, dass rückschrittliche Kräfte und ultrakonservative religiöse und rechtsextreme Akteure weltweit versuchen, jahrzehntelange Fortschritte im Bereich der Menschenrechte rückgängig zu machen und eine gefährliche Sichtweise auf Geschlechterrollen in Familien und im öffentlichen Leben durchzusetzen; in der Erwägung, dass diese Bewegungen und Angriffe eng mit dem Trend autoritärer Rückschritte hinsichtlich der Demokratie weltweit zusammenhängen; in der Erwägung, dass dies eine eindeutige Bedrohung für die Rechtsstaatlichkeit in Europa darstellt;

O.  in der Erwägung, dass diese Bewegungen gegen Gender und Rechte insbesondere die sexuellen und reproduktiven Rechte und die Autonomie von Frauen angreifen und die Gesetzgebung und Politik beeinflussen, was dazu führt, dass in mehreren Mitgliedstaaten rückschrittliche Initiativen umgesetzt werden, um die sexuelle und reproduktive Gesundheit und die damit verbundenen Rechte zu untergraben;

P.  in der Erwägung, dass Polen nach einem Urteil des illegitimen Verfassungsgerichtshofs vom 22. Oktober 2020(13), das ein De-facto-Abtreibungsverbot und den Tod von mindestens sechs Frauen zur Folge hatte, den Zugang zu legalen Schwangerschaftsabbrüchen weiter eingeschränkt hat; in der Erwägung, dass gegen Frauen ermittelt wurde, weil sie angeblich abgetrieben haben, und dass Personen, die sich für Frauen- und Menschenrechte sowie reproduktive Rechte einsetzen, strafrechtlich verfolgt wurden, weil sie Frauen dabei geholfen haben, Zugang zu Abtreibungen zu erhalten, oder weil sie für das Recht auf Abtreibung protestiert haben; in der Erwägung, dass in dem aktuellen Urteil des EGMR, M.L./Polen, festgestellt wurde, dass im Fall einer Frau, die gezwungen war, für eine Abtreibung unter erheblichen persönlichen Kosten und ohne familiäre Unterstützung ins Ausland zu reisen, was erhebliche psychologische Auswirkungen hatte, ein Verstoß gegen Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention über das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens vorliegt;

Q.  in der Erwägung, dass sich die neu gewählte polnische Regierung verpflichtet hat, neue Gesetze vorzuschlagen, um die Rechte von Frauen und den Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheit und den damit verbundenen Rechten, einschließlich Abtreibungen, sicherzustellen; in der Erwägung, dass eine Abstimmung über Vorschläge für Gesetzesentwürfe zur Entkriminalisierung und Sicherstellung des Zugangs zu Abtreibungen im polnischen Sejm bedauerlicherweise verschoben wurde;

R.  in der Erwägung, dass Abtreibungen in Malta de facto verboten und kriminalisiert sind; in der Erwägung, dass bei der Reform vom Juli 2023 ein besorgniserregender Wandel im maltesischen Parlament zu verzeichnen war, durch den Rechte abgeschafft und noch mehr Risiken und Hindernisse als zuvor für den Zugang zu Abtreibungen geschaffen wurden; in der Erwägung, dass zu diesen Hindernissen gehört, dass Ärzte eine Abtreibung nur dann vornehmen können, wenn das Leben der Person unmittelbar gefährdet und bevor der Fötus lebensfähig ist, und dass sie dazu verpflichtet sind, die sterbende Schwangere an ein medizinisches Gremium von drei Beratern zu verweisen; in der Erwägung, dass Fälle schwerer Gesundheitsgefährdung vom Gesetz ausgenommen sind; in der Erwägung, dass eine krebskranke schwangere Person in Malta nicht entsprechend behandelt werden kann und darauf warten muss, dass das Kind geboren wurde, bevor sie eine Krebsbehandlung erhält, was die Chancen auf eine erfolgreiche Behandlung verringert;

S.  in der Erwägung, dass medizinische Abtreibungen in der Slowakei und in Ungarn nicht legal sind; in der Erwägung, dass Ungarn im September 2022 ein Dekret verabschiedet hat, mit dem Frauen, die abtreiben wollen, verpflichtet werden, sich den „fetalen Herzschlag“ anzuhören; in der Erwägung, dass in der Slowakei wiederholte Versuche zu beobachten waren, den Zugang zu Abtreibungen durch rückschrittliche Gesetzesvorlagen im Parlament einzuschränken;

T.  in der Erwägung, dass der Zugang zu Abtreibungen auch in Italien ausgehöhlt wird(14); in der Erwägung, dass in Ländern wie Italien, der Slowakei und Rumänien eine große Mehrheit der Ärzte angibt, Abtreibungen aus Gewissensgründen zu verweigern, was den faktischen Zugang zu Abtreibungen in einigen Regionen äußerst schwierig macht; in der Erwägung, dass der Zugang zu rechtzeitigen und sachgemäßen Abtreibungen in anderen Mitgliedstaaten wie in Kroatien(15) aufgrund praktischer Hindernisse verwehrt wird;

U.  in der Erwägung, dass mehrere Versuche, Abtreibungen in Belgien vollständig zu entkriminalisieren, im belgischen Föderalen Parlament verzögert wurden;

V.  in der Erwägung, dass Abtreibungen und unvoreingenommene Beratung in einigen Ländern nach wie vor tabu und selten Teil der verpflichtenden medizinischen Ausbildung sind, was zu mangelndem Wissen und mangelnder Praxis bei Ärzten führt, was zulasten der körperlichen und geistigen Gesundheit der Patienten geht;

W.  in der Erwägung, dass Desinformation zu Abtreibungen, einschließlich im Internet, ein echtes Hindernis für die Autonomie von Frauen darstellt; in der Erwägung, dass bis vor kurzem in Deutschland die Bereitstellung von Informationen zu medizinischen Abtreibungsmethoden auf den Websites von Ärzten als Werbung für Schwangerschaftsabbrüche angesehen und bestraft wurde; in der Erwägung, dass das Verbot der Werbung für Schwangerschaftsabbrüche erst im Juli 2022 aufgehoben wurde;

X.  in der Erwägung, dass ukrainische Flüchtlinge in einigen Mitgliedstaaten keinen Zugang zu Abtreibung haben, einschließlich in Fällen sexueller Gewalt, was eine schwere Verletzung ihrer Menschenrechte darstellt sowie Folter und einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichkommt;

Y.  in der Erwägung, dass die Kriminalisierung, Verzögerung und Verweigerung des Zugangs zu sexueller und reproduktiver Gesundheit und den damit verbundenen Rechten, insbesondere zu Abtreibungen, eine Form geschlechtsspezifischer Gewalt darstellt; in der Erwägung, dass diese Beschränkungen und Verbote die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche nicht verringern, sondern die Menschen stattdessen dazu zwingen, weite Strecken zurückzulegen oder auf unsichere Abtreibungen zurückzugreifen, was sie auch anfällig für strafrechtliche Ermittlungen und Verfolgung macht; in der Erwägung, dass sie diejenigen am stärksten betreffen, denen es an Ressourcen und Informationen fehlt; in der Erwägung, dass fast alle Todesfälle aufgrund unsicherer Abtreibungen in Ländern auftreten, in denen Abtreibungen stark eingeschränkt sind; in der Erwägung, dass diese Todesfälle vermeidbar sind; in der Erwägung, dass unsichere Abtreibungen eine häufige, aber vermeidbare Ursache für die Morbidität von Müttern sind;

Z.  in der Erwägung, dass marginalisierte Personen und Gruppen, einschließlich ethnischer und religiöser Minderheiten, Migranten, Menschen aus benachteiligten sozioökonomischen Verhältnissen, Menschen, die in ländlichen Gebieten leben, Menschen mit Behinderungen, Mitglieder der LGBTIQ+-Gemeinschaft und Opfer von Gewalt beim Zugang zur Gesundheitsversorgung häufig mit zusätzlichen Hindernissen, intersektionaler Diskriminierung und Gewalt konfrontiert sind; in der Erwägung, dass dies ein Ergebnis von Gesetzen und politischen Maßnahmen ist, die Zwangsmaßnahmen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheitsversorgung ermöglichen, sowie ein Versäumnis ist, angemessene Vorkehrungen für den Zugang zu hochwertiger Versorgung und Informationen zu treffen;

1.  weist erneut darauf hin, dass die sexuelle und reproduktive Gesundheit und die damit verbundenen Rechte grundlegende Menschenrechte sind, die geschützt und gestärkt werden müssen und in keiner Weise geschwächt oder verwehrt werden dürfen;

2.  weist erneut auf das Engagement der EU für die Förderung, den Schutz und die Verwirklichung des Rechts jeder Person, insbesondere jeder Frau und jedes Mädchens hin, körperliche Autonomie zu haben und über Angelegenheiten, die mit ihrer Sexualität und ihren sexuellen und reproduktiven Rechten zusammenhängen, die vollständige Kontrolle zu behalten und frei über diese Fragen zu entscheiden, ohne dabei Diskriminierung, Zwang oder Gewalt ausgesetzt zu sein;

3.  fordert den Europäischen Rat nachdrücklich auf, einen Konvent zur Überarbeitung der Verträge einzuberufen, wie in seinen Entschließungen vom 9. Juni 2022 und vom 22. November 2023 gefordert wurde, und seinen in seiner Entschließung vom 22. November 2023 enthaltenen Vorschlag anzunehmen, die sexuelle und reproduktive Gesundheitsversorgung und das Recht auf sichere und legale Abtreibung in die Charta aufzunehmen und sie wie folgt zu ändern:

Artikel 3

Recht auf Unversehrtheit und körperliche Selbstbestimmung

2a.  Jeder Mensch hat das Recht auf körperliche Selbstbestimmung, auf einen freien, informierten, umfassenden und allgemeinen Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheit und den damit verbundenen Rechten sowie zu allen damit zusammenhängenden Gesundheitsdienstleistungen ohne Diskriminierung, einschließlich sicherer und legaler Abtreibung;

4.  verurteilt aufs Schärfste die Rückschritte bei Frauenrechten und alle rückschrittlichen Versuche, den bestehenden Schutz der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der damit verbundenen Rechte und der Gleichstellung der Geschlechter weltweit, einschließlich in den EU-Mitgliedstaaten, einzuschränken oder abzuschaffen, sowie alle Formen von Drohungen, Einschüchterungen und Schikanen gegen Menschenrechtsverteidiger und Organisationen der Zivilgesellschaft, die sich für die Förderung dieser Rechte einsetzen;

5.  ist besorgt über den erheblichen Anstieg der Finanzierung von Anti-Gender- und Anti-Choice-Gruppen weltweit, auch in der EU; fordert die Kommission auf, alle verfügbaren Instrumente zu nutzen, um sicherzustellen, dass Organisationen, die sich gegen die Gleichstellung der Geschlechter und die Rechte der Frau, einschließlich der reproduktiven Rechte, einsetzen, keine EU-Mittel erhalten;

6.  fordert die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, Abtreibungen im Einklang mit den WHO-Leitlinien von 2022 vollständig zu entkriminalisieren und Hindernisse für sichere und legale Abtreibungen und den Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheit und den damit verbundenen Rechten zu beseitigen und zu bekämpfen; fordert Polen und Malta auf, ihre Gesetze und sonstigen Maßnahmen in Bezug auf Verbote und Beschränkungen von Abtreibungen aufzuheben; fordert die polnischen Behörden nachdrücklich auf, legislativen Bemühungen Vorrang einzuräumen, um so bald wie möglich einen uneingeschränkten Zugang zu sicheren und legalen Abtreibungen sicherzustellen; fordert die maltesischen Behörden nachdrücklich auf, Abtreibungen unverzüglich zu entkriminalisieren und im Einklang mit den WHO-Leitlinien von 2022 Zugang zu sicheren und legalen Abtreibungen zu ermöglichen;

7.  fordert alle Regierungen der Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, den Zugang zu sicheren, legalen und kostenlosen Abtreibungen, zu Dienstleistungen und Versorgungsleistungen im Bereich der pränatalen und mütterlichen Gesundheitsversorgung, zu freiwilliger Beratung bei der Familienplanung, Verhütungsmitteln, jugendfreundlichen Dienstleistungen sowie zu HIV-Prävention, -Behandlung, Pflege und Unterstützung ohne Diskriminierung sicherzustellen;

8.  verurteilt, dass in einigen Mitgliedstaaten Abtreibungen aufgrund der „Gewissensklausel“ von Ärzten und in einigen Fällen von ganzen medizinischen Einrichtungen verweigert werden; bedauert, dass diese Klausel häufig in Situationen genutzt wird, in denen jede Verzögerung das Leben oder die Gesundheit der Patientin gefährdet;

9.  fordert die Mitgliedstaaten auf, den Zugang zu sämtlichen Dienstleistungen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der damit verbundenen Rechte sicherzustellen, einschließlich umfassender, altersgerechter und evidenzbasierter Sexual- und Beziehungserziehung für alle, hochwertiger, zugänglicher, sicherer und kostenloser Verhütungsmethoden und -mittel sowie Beratung bei der Familienplanung, wobei besonderes Augenmerk auf Women of Colour, Roma-Frauen, ältere Frauen, Frauen mit niedrigerem Bildungsniveau, LGBTIQ+-Personen, Frauen mit Behinderungen, Jugendliche, Migrantinnen, einschließlich irregulärer Migrantinnen, und alleinstehende Frauen zu richten ist;

10.  fordert die Mitgliedstaaten und die lokalen Gebietskörperschaften auf, ihre Ausgaben für Programme und ihre direkten Subventionen für Strukturen, einschließlich Gesundheits- und Familienplanungsdiensten und anderer in diesem Bereich tätiger Organisationen, zu erhöhen;

11.  fordert die Regierungen der Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, Abtreibungsmethoden und -verfahren zu einem verpflichtenden Bestandteil der Studienpläne für Ärzte und Medizinstudenten, insbesondere Studenten im Bereich der Gynäkologie, zu machen;

12.  fordert alle Mitgliedstaaten auf, die rechtlichen, finanziellen, sozialen und praktischen Hindernisse und Beschränkungen für Abtreibungen zu beseitigen, einschließlich derjenigen, die unverhältnismäßig stark von Armut betroffene Frauen, insbesondere rassifizierte Frauen, einschließlich schwarzer Frauen und Frauen, die ethnischen Minderheiten angehören, und alleinerziehende Frauen betreffen;

13.  erkennt die wichtige Rolle von Organisationen der Zivilgesellschaft und Menschenrechtsverteidigern im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der damit verbundenen Rechte als Dienstleister und Verfechter der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der damit verbundenen Rechte an und ermutigt sie, ihre Arbeit fortzusetzen; fordert die EU und die Mitgliedstaaten auf, einen offenen zivilgesellschaftlichen Raum in der EU durch eine Strategie für die Zivilgesellschaft sicherzustellen und politisch zu unterstützen, den Schutz von Frauen und Menschenrechtsverteidigern im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der damit verbundenen Rechte durch einen Schutzmechanismus für Menschenrechtsverteidiger sicherzustellen und sie finanziell zu unterstützen, insbesondere durch das Programm „Bürgerinnen und Bürger, Gleichstellung, Rechte und Werte“; fordert die Mitgliedstaaten auf, den Zugang zu Dienstleistungen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit, einschließlich Abtreibung, durch das Programm EU4Health zu verbessern;

14.  fordert die EU ferner auf, für dieses Recht einzutreten und seine Anerkennung zu einer zentralen Priorität bei Verhandlungen im Rahmen internationaler Institutionen und in anderen multilateralen Foren wie dem Europarat und den Vereinten Nationen zu machen; fordert die EU auf, die Europäische Menschenrechtskonvention zu ratifizieren;

15.  beauftragt seine Präsidentin, diese Entschließung dem Rat und der Kommission zu übermitteln.

(1) ABl. C 449 vom 23.12.2020, S. 102.
(2) ABl. C 208 vom 1.6.2021, S. 24.
(3) ABl. C 425 vom 20.10.2021, S. 147.
(4) ABl. C 205 vom 20.5.2022, S. 44.
(5) ABl. C 81 vom 18.2.2022, S. 43.
(6) ABl. C 465 vom 6.12.2022, S. 155.
(7) ABl. C 493 vom 27.12.2022, S. 120.
(8) ABl. C 47 vom 7.2.2023, S. 268.
(9) Angenommene Texte, P9_TA(2023)0427.
(10) Angenommene Texte, P9_TA(2024)0050.
(11) Angenommene Texte, P9_TA(2024)0108.
(12) Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte, „Information series on sexual and reproductive health and rights – abortion (Informationsreihe zu sexueller und reproduktiver Gesundheit und den damit verbundenen Rechten – Abtreibung)“, 2020.
(13) Urteil des EGMR zum Verfassungsgerichtshof, Rechtssache Xero Flor w Polsce sp. z o.o./Polen (Beschwerde Nr. 4907/18), siehe Rn. 289.
(14) Europarat, ‘Entschließung CM/ResChS(2016)3 Confederazione Generale Italiana del Lavoro (CGIL)/Italien, Beschwerde Nr. 91/2013’, 2016; Europäisches Parlament, ‘Briefing: Reise einer Delegation des FEMM-Ausschusses nach Italien 17 - 19. Dezember 2018’, Dezember 2018.
(15) RODA, „Support for accessible, safe and legal termination of pregnancy in Croatia (Unterstützung für zugängliche, sichere und legale Möglichkeiten, Schwangerschaften in Kroatien zu beenden)“, 6. Mai 2022.

Letzte Aktualisierung: 3. Oktober 2024Rechtlicher Hinweis - Datenschutzbestimmungen