Als zweite Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) soll die Politik der EU zur Entwicklung des ländlichen Raums die ländlichen Gebiete in der Union unterstützen und den vielen verschiedenen wirtschaftlichen, ökologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen gerecht werden, die das 21. Jahrhundert bereithält. Dank der größeren Flexibilität (im Vergleich zur ersten Säule) können die regionalen, nationalen und lokalen Behörden jeweils eigene siebenjährige Programme zur Entwicklung des ländlichen Raums konzipieren, wobei sozusagen ein europaweites Maßnahmenmenü zugrunde gelegt wird. Im Gegensatz zur ersten Säule, die vollständig von der EU finanziert wird, werden die Programme der zweiten Säule aus Unionsmitteln sowie regionalen oder nationalen Mitteln kofinanziert.
Die Politik der Europäischen Union zur Entwicklung des ländlichen Raums wurde im Rahmen der sogenannten „Agenda-2000-Reform“ als zweite Säule der GAP eingeführt. Sie wird über den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) sowie aus regionalen oder nationalen Mitteln kofinanziert.
Mit dem ELER soll durch die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung des ländlichen Raums die Umsetzung der Strategie Europa 2020 (EU-Strategie für Wachstum und Beschäftigung) unterstützt werden.
Die Kommission hat drei übergeordnete Prioritäten für die Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums festgelegt:
Diese übergeordneten Ziele kommen in den folgenden sechs Prioritäten der EU für die Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums zum Ausdruck:
Die Umsetzung der Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums erfolgt durch Programme zur Entwicklung des ländlichen Raums, die von den Mitgliedstaaten (oder deren Regionen) konzipiert werden. Mit diesen mehrjährigen Programmen wird eine auf die jeweiligen Verhältnisse angepasste Strategie umgesetzt, die den spezifischen Anforderungen der Mitgliedstaaten (oder Regionen) gerecht wird und im Zusammenhang mit wenigstens vier der genannten sechs Prioritäten steht. Die Programme stützen sich auf ein Paket von – miteinander zu verbindenden – Maßnahmen aus einem Katalog europäischer Maßnahmen, deren Einzelheiten in der Verordnung über die Entwicklung des ländlichen Raums (Verordnung (EU) Nr. 1305/2013) niedergelegt sind und die aus dem ELER kofinanziert werden (siehe nachstehende Details). Die Kofinanzierungssätze sind je nach Region und in Abhängigkeit von den Maßnahmen unterschiedlich hoch. Die Programme müssen von der Europäischen Kommission genehmigt werden und beinhalten einen Finanzierungsplan und eine Reihe von Ergebnisindikatoren. Die Kommission und die Mitgliedstaaten haben ein gemeinsames Begleit- und Bewertungssystem für die Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums geschaffen. Im laufenden Programmplanungszeitraum (2014-2020) wurde der Schwerpunkt auf die Koordinierung des ELER mit anderen Europäischen Struktur- und Investitionsfonds („ESI-Fonds“) gelegt; bei diesen handelt es sich um die Fonds der Kohäsionspolitik (Kohäsionsfonds, Europäischer Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und Europäischer Sozialfonds (ESF)) und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds (EMFF).
Die Mitgliedstaaten müssen bei ihren Programmen die folgenden Bereiche abdecken:
Es ist zu beachten, dass das geltende Risikomanagement-System mit der Omnibus-Verordnung, die am 1. Januar 2018 in Kraft getreten ist, deutlich geändert wurde. Durch die neue Verordnung wurde ein sektorspezifisches Stabilisierungsinstrument eingeführt, das Landwirten bei erheblichen Rückgängen ihres Einkommens mit schwerwiegenden wirtschaftlichen Auswirkungen in ländlichen Gebieten Ausgleichsleistungen bietet. Das sektorspezifische Stabilisierungsinstrument greift, wenn das Einkommen um mehr als 20 % zurückgeht. Eine vergleichbare Unterstützung bei Versicherungsverträgen gilt nun, wenn mehr als 20 % der durchschnittlichen jährlichen Produktion eines Landwirts vernichtet werden.
Die Verordnung über die Entwicklung des ländlichen Raums enthält auch einen von unten nach oben gerichteten Ansatz für die Entwicklung des ländlichen Raums, den die lokalen Interessenträger verfolgen (LEADER-Ansatz). Überdies werden aus dem ELER ein Europäisches Netzwerk zur Vernetzung der nationalen Netzwerke sowie der Organisationen und Verwaltungen, die auf Unionsebene im Bereich der Entwicklung des ländlichen Raums tätig sind, und auch das EIP-Netzwerk (Zusammenführung von Akteuren des Agrarsektors und Wissenschaftlern zur Erleichterung des Wissensaustauschs) finanziert. Zudem ist in der Verordnung ausdrücklich vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten thematische Teilprogramme durchführen können, die Junglandwirte, kleine landwirtschaftliche Betriebe, Berggebiete, kurze Versorgungsketten, Frauen in ländlichen Gebieten, die Eindämmung des Klimawandels und die Anpassung an seine Auswirkungen, die biologische Vielfalt sowie die Umstrukturierung bestimmter Agrarsektoren betreffen.
Im mehrjährigen Finanzrahmen für den Zeitraum 2014-2020 sind etwa 100 Mrd. EUR sowie 61 Mrd. EUR öffentlicher Mittel von den Mitgliedstaaten für die Entwicklung des ländlichen Raums vorgesehen. Frankreich (11,4 Mrd. EUR), Italien (10,4 Mrd. EUR), Deutschland (9,4 Mrd. EUR) und Polen (8,7 Mrd. EUR) sind die vier größten Empfänger von Mitteln aus dem ELER. Mindestens 30 % der Mittel aus dem ELER müssen für Investitionen in die Bereiche Umwelt und Klima, die Entwicklung von Waldgebieten und die Verbesserung der Lebensfähigkeit von Wäldern sowie für Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen, den ökologischen/biologischen Landbau und Zahlungen im Rahmen von Natura 2000 verwendet werden. Ferner müssen mindestens 5 % der ELER-Beteiligung für den LEADER-Ansatz verwendet werden. Die Förderbeträge und -sätze sind in Anhang II der Verordnung ausführlich dargelegt (beispielsweise können Existenzgründungsbeihilfen für Junglandwirte bis zu 70 000 EUR, Beihilfen für Qualitätsregelungen bis zu 3 000 EUR pro Jahr und Beihilfen für mehrjährige Kulturen im ökologischen/biologischen Landbau bis zu 900 EUR pro Jahr betragen).
Die Kommission hat von Dezember 2014 bis Dezember 2015 alle 118 Programme zur Entwicklung des ländlichen Raums gebilligt, die von den 28 Mitgliedstaaten ausgearbeitet worden waren. 20 Mitgliedstaaten haben sich dafür entschieden, ein einziges nationales Programm umzusetzen, und acht Mitgliedstaaten wollen mehr als nur ein Programm nutzen (um ihrer geografischen oder administrativen Struktur zu entsprechen). Bei der Umsetzung der zweiten Säule gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten und sogar innerhalb der einzelnen Mitgliedstaaten. Erste Analyseergebnisse zeigen, dass die Mitgliedstaaten sich häufig dafür entschieden haben, an einmal ausgewählten Maßnahmen festzuhalten. So handelt es sich bei den drei Maßnahmen, die von den Mitgliedstaaten aus dem europäischen Katalog am häufigsten ausgewählt wurden, um Investitionen in materielle Vermögenswerte (23 % der gesamten öffentlichen Ausgaben), Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen (17 %) sowie Zahlungen für aus naturbedingten oder anderen spezifischen Gründen benachteiligte Gebiete (16 %). Es wurde auch häufig auf den hohen Verwaltungsaufwand bei der Umsetzung der zweiten Säule hingewiesen. Daher könnte eines der Ziele der weiteren Modernisierung der GAP nach 2020 darin bestehen, einfachere Ansätze zu vereinbaren, die eine angemessene Rechenschaftspflicht ohne unangemessene Belastung der Verwaltungsbehörden, Zahlstellen sowie Begünstigten ermöglichen.
Am 29. November 2017 veröffentlichte die Kommission eine neue Mitteilung über die Zukunft des Nahrungsmittelsektors und der Landwirtschaft, die auf den Empfehlungen der Cork-2.0-Erklärung zur Entwicklung des ländlichen Raums beruht (die Gespräche über die Zukunft der zweiten Säule begannen anlässlich einer europäischen Konferenz, die im September 2016 in Cork stattfand). Bei der Mitteilung wird der Schwerpunkt vor allem auf nachhaltige Entwicklung, die Erhaltung natürlicher Ressourcen und die Notwendigkeit, den Generationenwechsel sicherzustellen, gelegt. Im Hinblick auf den letzten Punkt werden die Mitgliedstaaten in der Mitteilung aufgefordert, Programme zu entwickeln, die den Bedürfnissen ihrer Junglandwirte gerecht werden, und es wird vorgeschlagen, dass Junglandwirten der Zugang zu Finanzinstrumenten erleichtert wird, um Investitionen in die Landwirtschaft und Betriebsvermögen zu fördern. Schließlich wird in der Mitteilung eine Reihe neuer Prioritäten festgelegt, wobei Wertschöpfungsketten im ländlichen Raum in Bereichen wie saubere Energie, aufkommende Bioökonomie, Kreislaufwirtschaft und Ökotourismus im Vordergrund stehen.
Die letzte Reform der GAP wurde zum ersten Mal im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens angenommen („Mitentscheidung“) (siehe Kurzdarstellung 3.2.3). Das Europäische Parlament hat seine Rolle als Mitgesetzgeber in vollem Maße wahrgenommen; so hat es insbesondere erreicht, dass die Mindestschwelle für Investitionen in die Bereiche Umwelt und Klima, die Entwicklung von Waldgebieten und die Verbesserung der Lebensfähigkeit von Wäldern sowie für Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen, den ökologischen/biologischen Landbau und Zahlungen im Rahmen von Natura 2000 (siehe oben) auf 30 % der Mittel aus dem ELER festgelegt wurde. Außerdem bestand das Parlament auf einem Kofinanzierungssatz von 85 % für die weniger entwickelten Gebiete, die Gebiete in äußerster Randlage und die kleineren Inseln des Ägäischen Meeres (der Rat hatte ursprünglich einen Kofinanzierungssatz von 75 % vorgeschlagen). Schließlich wurde dank des Parlaments bei Zahlungen für aus naturbedingten oder anderen spezifischen Gründen benachteiligte Gebiete der Höchstbetrag pro Hektar auf 450 EUR statt 300 EUR im ursprünglichen Vorschlag der Kommission – auch der Rat hatte sich für einen Höchstbetrag von 300 EUR eingesetzt – festgelegt.
François Nègre