WTO-Übereinkommen über die Landwirtschaft
Die Systeme der internen Stützung in der Landwirtschaft werden durch das Übereinkommen über die Landwirtschaft geregelt, das während der Uruguay-Runde (1986-1994) ausgehandelt wurde und 1995 in Kraft trat. Das langfristige Ziel des Übereinkommens über die Landwirtschaft besteht darin, ein faires und marktorientiertes Agrarhandelssystem zu erschaffen und einen Reformprozess auf dem Wege der Verhandlungen über Verpflichtungen der Unterstützung und des Schutzes sowie durch die Einführung konsequenterer und operativ wirksamerer Regeln und Disziplinarmaßnahmen in Gang zu setzen. Die Landwirtschaft hat daher eine Sonderstellung, da dieser Wirtschaftszweig durch ein eigenes Übereinkommen geregelt wird, dessen Bestimmungen maßgeblich sind.
Rechtsgrundlage
Im Rahmen des 1947 in Genf unterzeichneten Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) und des 1994 in Marrakesch unterzeichneten Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO) (ABl. L 336 vom 23.12.1994) lassen sich die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten von den Artikeln 207 (Gemeinsame Handelspolitik) sowie den Artikeln 217 und 218 (Internationale Übereinkünfte) des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) leiten (5.2.2).
Allgemeiner Rahmen der externen Dimension der GAP
Die gesamte gemeinsame Agrarpolitik (GAP) unterliegt seit 1995 den Regeln der WTO, einschließlich des Streitbeilegungsgremiums (DSB), mit dem ein verbindliches Streitbeilegungsverfahren eingeführt wurde und für die Einhaltung der neuen multilateralen Regeln durch die Unterzeichnerstaaten gesorgt wird.
Darüber hinaus ist die GAP an Zugeständnisse im Agrarbereich geknüpft, die im Rahmen multilateraler und bilateraler Abkommen zugunsten einer Vielzahl von Ländern anerkannt werden, sowie an einseitige Ausnahmeregelungen, die im Rahmen des Allgemeinen Präferenzsystems (APS) gewährt werden. Diese Präferenzabkommen erklären den hohen Anteil von Einfuhren aus Entwicklungsländern an den Agrareinfuhren der Europäischen Union (siehe nachstehende Tabelle zum EU-Agrar- und Lebensmittelhandel).
WTO-Übereinkommen über die Landwirtschaft
Die Landwirtschaft genießt in den Übereinkommen und den Vereinbarungen der WTO über den Warenhandel (die 1994 unterzeichnet wurden und am 1. Januar 1995 in Kraft traten) einen Sonderstatus, da für diesen Wirtschaftszweig ein eigenes Übereinkommen gilt, dessen Bestimmungen maßgeblich sind. Zudem gelten bestimmte Bestimmungen des Übereinkommens über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen (SPS) auch für die Agrarerzeugung und den Agrarhandel. Das Gleiche gilt für das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) in Bezug auf den Schutz geografischer Angaben. Außerdem werden die Marktzugangsbestimmungen des Übereinkommens über die Landwirtschaft durch das Übereinkommen über technische Handelshemmnisse (TBT) sowie durch die technischen Unterstützungsmaßnahmen ergänzt.
In diesen Übereinkommen ist im Hinblick auf die Durchsetzung ein gewisses Maß an Flexibilität vorgesehen, und zwar zugunsten der der WTO angehörenden Entwicklungsländer (besondere und differenzierte Behandlung) sowie zugunsten der am wenigsten entwickelten Länder (LDC) sowie der Entwicklungsländer, die Nettoimporteure von Nahrungsmitteln sind (Sonderbestimmungen).
Auf der Grundlage des Übereinkommens über die Landwirtschaft haben sich die WTO-Mitgliedstaaten zu einem Programm zur Reform der bestehenden Agrarpolitik verpflichtet, das konkrete verbindliche Verpflichtungen in drei wichtigen Bereichen enthält: Marktzugang, interne Stützung und Ausfuhrsubventionen. Mit dem Übereinkommen über die Landwirtschaft soll der Marktzugang verbessert werden, und zwar indem auferlegt wird, dass alle Grenzschutzmaßnahmen in Zölle (Zolläquivalente) umgewandelt werden und dass ein „Mindestzugang“ für Drittländer für Produkte festgelegt wird, die keiner Tarifregelung unterliegen. Das Übereinkommen über die Landwirtschaft sieht eine Verringerung der Fördervolumen vor. Das Ausmaß der Verringerung hängt von der Art der Beihilfe ab. Diese Beihilfen werden je nach den wettbewerbsverzerrenden Auswirkungen, die sie auf den Handel innerhalb der Agrarmärkte haben können, in verschiedene „Boxen“ eingeordnet. Die „Gelbe Box“ (auch als „aggregiertes Stützungsmaß“ (AMS) bezeichnet) umfasst die Preisstützung und die an die Erzeugung gekoppelten Beihilfen, die nicht von der Reduktionsverpflichtung ausgenommen sind. Die „Blaue Box“ umfasst die an Programme zur Angebotskontrolle gekoppelten Beihilfen, die von Reduktionsverpflichtungen ausgenommen sind. Die „Grüne Box“ umfasst zwei Stützungsgruppen: Programme für öffentliche Dienstleistungen und Direktzahlungen an Erzeuger, die vollständig von der Erzeugung abgekoppelt sind.
Die nachstehende Tabelle zeigt Statistiken über den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen für Ausfuhren und Einfuhren – Europäische Union – Extra-EU27[1].
TABELLE: EU AGRAR- UND LEBENSMITTELHANDEL MIT EXTRA-EU27
Maßeinheit | Ausfuhren | Einfuhren | Bilanz | |
EU Agrar- und Lebensmittelhandel mit Extra-EU27 | ||||
Wert des Agrar- und Lebensmittelhandels | in Mio. EUR | 229 428 | 171 766 | 57 557 |
als Anteil am gesamten Agrar- und Lebensmittelhandel der EU27 | (%) | 100,0 | 100,0 | |
als Anteil am gesamten Agrar- und Lebensmittelhandel mit Extra-EU27 | (%) | 8,9 | 5,7 | |
Veränderung (in %) 2021-2022 | 15,8 | 32,0 | ||
Jährliche Veränderung von 2012 bis 2022 | (%) | 5,2 | 5,2 | |
Gesamthandel der EU27 mit Extra-EU27 | ||||
Gesamthandelswert | in Mio. EUR | 2 572 884 | 3 003 132 | -430 248 |
als Anteil des Gesamthandels der EU27 | (%) | 100,0 | 100,0 | |
Welthandel der EU27 | ||||
Gesamthandelswert | in Mio. EUR | 2 572 884 | 3 003 132 | -430 248 |
Agrar- und Lebensmittelhandel gesamt | in Mio. EUR | 229 559 | 172 002 | 57 557 |
als Anteil des Gesamthandels der EU27 | (%) | 8,9 | 5,7 | -13,4 |
Quelle: Europäische Kommission, DG AGRI: Agri-food trade statistical factsheet, 18.4.2023.
Die Doha-Runde und die Landwirtschaft
Die Doha-Runde ist die jüngste Runde der WTO-Handelsverhandlungen und wird auch als Doha-Entwicklungsagenda bezeichnet. Sie wurde 2001 auf der vierten WTO-Ministerkonferenz in Doha eingeleitet und markierte den Beginn einer neuen Runde der Agrarverhandlungen. Die WTO-Mitglieder haben sich verpflichtet, den Marktzugang erheblich zu verbessern und alle Formen von Exportsubventionen und handelsverzerrenden internen Stützungen schrittweise abzuschaffen, wobei der Notwendigkeit einer besonderen und differenzierten Behandlung der Entwicklungsländer gebührend Rechnung zu tragen ist.
Auf der 10. Ministerkonferenz, die 2015 in Nairobi stattfand, wurden vier neue Beschlüsse für die Landwirtschaft verabschiedet, die den Ausfuhrwettbewerb, die öffentliche Lagerhaltung aus Gründen der Ernährungssicherung in Entwicklungsländern, Baumwolle und besondere Schutzmechanismen für Entwicklungsländer betreffen. Im Rahmen der 12. WTO-Ministerkonferenz in Genf im Jahr 2022 wurden Verhandlungsergebnisse hinsichtlich einer Reihe von Abkommen (das Genfer Paket) gesichert, unter anderem eine Ministererklärung zur Notfallreaktion auf die Ernährungsunsicherheit und ein Ministerialbeschluss, vom Welternährungsprogramm für humanitäre Zwecke angekaufte Lebensmittel von Exportverboten und -beschränkungen auszunehmen.
Die Folgen des Übereinkommens über die Landwirtschaft für die GAP
Ein Teilziel der GAP-Reform von 1992 bestand darin, die Unterzeichnung des Übereinkommens über die Landwirtschaft im Rahmen der Uruguay-Runde zu erleichtern. Tatsächlich hat die Europäische Union ihre in Marrakesch eingegangenen Verpflichtungen weitgehend eingehalten.
Früher stammten die meisten subventionierten Ausfuhren, die der WTO gemeldet wurden, aus der Europäischen Union, bevor diese Subventionen im Rahmen der GAP-Reform 2013 abgeschafft wurden. 2017 gingen diese auf Null zurück. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass eine Reihe von Maßnahmen unserer wichtigsten Wettbewerber (z. B. Nahrungsmittelhilfe, Ausfuhrkredite und staatliche Handelsunternehmen) nicht den WTO-Regeln unterliegen. Die EU wird Erstattungen für Ausfuhren in Zukunft nur ausnahmsweise im Fall schwerer Krisen, die den Markt betreffen, anwenden. Bei einem Teil der EU-Erzeugnisse waren erhebliche Kürzungen zu verzeichnen: diese betrafen insbesondere Butter, Raps, Käse, Obst und Gemüse, Eier, Wein und Fleisch im Allgemeinen. Bei ihrer letzten Meldung an die WTO für den Zeitraum 2021-2022 (G/AG/N/EU/83 vom 10. März 2022) bestätigte die EU, dass während des Wirtschaftsjahrs vom 1. Juli 2021 bis 30. Juni 2022 keine Ausfuhrsubventionen für landwirtschaftliche Erzeugnisse gewährt wurden. Ferner meldete sie, dass in diesem Zeitraum keine Nahrungsmittellieferungen stattgefunden haben.
Durch die GAP-Reform von 2003, mit der der überwiegende Teil der bestehenden Direktbeihilfen entkoppelt wurde, und die anschließenden sektorspezifischen Reformen ließ sich der Großteil der Beihilfen aus der Gelben und Blauen Box in Beihilfen aus der Grünen Box umwandeln (68,5 Mrd. EUR in den Jahren 2019-2020, siehe beigefügte Tabelle). Mit einer Reduzierung von 81 Mrd. EUR zu Beginn der Laufzeit des Übereinkommens auf 5,3 Mrd. EUR im Zeitraum 2019-2020 sank das Volumen der „Gelben Box“ (aggregiertes Stützungsmaß, AMS) ungeachtet der aufeinanderfolgenden Beitritte zur EU erheblich. Die Europäische Union hält damit die in Marrakesch eingegangenen Verpflichtungen hinsichtlich dieser Box (72,37 Mrd. EUR jährlich) zum großen Teil ein. Die Blaue Box belief sich in demselben Berichtszeitraum auf 4,8 Mrd. EUR.
DER WTO GEMELDETE EU-INTERNE STÜTZUNG (in Mio. EUR) |
GRÜNE BOX (Betrag und %) | BLAUE BOX (Betrag und %) | GELBE BOX (Betrag und %) | GEMELDE-TE STÜTZUNG GESAMT |
---|---|---|---|---|
Zeitraum 2011/2012 (G/AG/N/EU/20) |
70 976,8 87,8% |
2 981,1 3,7% |
6 858,9 8,5% |
80 816,8 100% |
Zeitraum 2012/2013 (G/AG/N/EU/26) |
71 140,0 89,1% |
2 754,2 3,5% |
5 899,1 7,4% |
79 793,3 100% |
Zeitraum 2013/2014 (G/AG/N/EU/34) |
68 697,8 88,8% |
2 663,6 3,4% |
5 971,7 7,8% |
77 333,1 100% |
Zeitraum 2014/2015 (G/AG/N/EU/43) |
65 256,8 87,3% |
2 878,8 3,8% |
6 642,3 8,9% |
74 777,9 100% |
Zeitraum 2015/2016 (G/AG/N/EU/46) |
60 828,5 84,2% |
4 331,1 6,0% |
7 101,8 9,8% |
72 261,4 100% |
Zeitraum 2016/2017 (G/AG/N/EU/55) |
61 696,1 84,2% |
4 641,2 6,3% |
6 944,5 9,5% |
73 281,8 100% |
Zeitraum 2017/2018 (G/AG/N/EU/61) |
65 845,8 84,8% |
4 795 6,1% |
6 932 8,4% |
79 932 100% |
Zeitraum 2019/2020 (G/AG/N/EU/79) |
68 515 85,7% |
4 889 6,1% |
5 329 6,6% |
79 936 |
Das Europäische Parlament hat den Verlauf der multilateralen Verhandlungen im Allgemeinen und der Agrarverhandlungen im Besonderen stets mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt. Jede WTO-Ministerkonferenz wurde von einer Resolution begleitet, zuletzt die Resolution vom 25. November 2021 nach der 12. WTO-Ministerkonferenz in Genf. Das Parlament hat die Kommission stets aufgefordert, die Interessen der europäischen Erzeuger und Verbraucher sowie der Landwirte in Ländern zu schützen, zu denen die Europäische Union historisch besondere Beziehungen unterhält (den AKP-Staaten in Afrika, im karibischen Raum und im Pazifik). Im Jahr 1999 – zu Beginn der WTO-Millenniumsrunde – brachte es seine Unterstützung dafür zum Ausdruck, dass die Verhandlungsführer der Europäischen Union für das europäische Agrarmodell eintreten, das auf der Multifunktionalität der landwirtschaftlichen Tätigkeit beruht. Durch verschiedene Entschließungen wurde diese Unterstützung mit Nachdruck bestätigt und hervorgehoben, wie wichtig die ausdrückliche Anerkennung „nicht handelsbezogener Anliegen“ und die Berücksichtigung der Anliegen der Bürger in den Bereichen Lebensmittelsicherheit, Umweltschutz, Lebensmittelqualität und Tierschutz ist.
Die Priorität, die die Vereinigten Staaten nach den Präsidentschaftswahlen 2016 dem Bilateralismus eingeräumt haben, hat dem multilateralen Handelssystem geschadet, wie beispielsweise der Zollkrieg mit China oder die Schließung des WTO-Rechtsmittelgremium im Jahr 2019 zeigen. Angesichts dieser Lage waren die Europäische Union und das Europäische Parlament darum bemüht, die Errungenschaften des multilateralen Systems innerhalb der WTO, insbesondere im Bereich des Agrarhandels, zu bewahren. So hat die EU den WTO-Mitgliedern bereits im Dezember 2019 ein provisorisches Beschwerdeverfahren anstelle des Rechtsmittelgremiums vorgeschlagen. Das WTO-Rechtsmittelgremium hat seine Funktion bis heute nicht wieder aufgenommen.
Vera Milicevic